Wer ist hier «Krisengewinner»? Auswirkungen von neoliberalem Staatsumbau und politischem Rechtsruck auf das Leben von Frauen in Deutschland

Von Alex Wischnewski

Deutschland gilt weitläufig als «Krisengewinner». Das liegt daran, dass es in Deutschland – im Gegensatz zu fast allen anderen EU-Mitgliedsstaaten – seit dem Krisenbeginn 2009 keinen Anstieg der Arbeitslosigkeit gab, das Wachstum und die Exporte nach dem Krisenjahr 2009 erneut so erhöht werden konnten, dass deutsche Unternehmen Gewinne auf Rekordniveau erwirtschafteten und die 2009 explodierte Staatsverschuldung bereits ab 2011 wieder zurückgeführt wurde. Diese positive Entwicklung honorierten die Kapitalmärkte mit guten Ratings und niedrigen Zinsen, wodurch Deutschland seine Zinslasten zwischen 2010 und 2015 um über 280 Milliarden Euro senken konnte. Deutschland scheint daher tatsächlich sogar gestärkt durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen zu sein.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist jedoch nicht nur eine wachsende soziale Ungleichheit mit einer deutlich geschlechtsspezifischen Dimension, wie im Folgenden dargelegt wird, sondern ebenso deren potenzielle Ausweitung auf ganz Europa durch einen unvollständigen Transfer des deutschen «Erfolgsmodells».1

Denn das deutsche Wachstum verdankte sich einem Exportüberschuss, der zwei sehr spezifische Gründe hatte. Zum einen hatten die Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen der Agenda 2010, die bereits Anfang der 2000er eingeleitet worden waren, zu einer starken Zurückhaltung bei der Lohnentwicklung in Deutschland geführt.2 Dadurch sanken die Binnennachfrage und die Importe, wohingegen die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte stieg. Zum anderen akzeptierten andere Länder, die höhere Löhne und somit auch eine höhere Binnennachfrage aufwiesen, das eigene Leistungsbilanzdefizit, das durch Importe zu ihren Ungunsten entstanden war. Es war also erst die Nachfrage anderer Länder, die das Versprechen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich einlöste. Sie wirkte «wie ein mehrjähriges massives Konjunkturprogramm in Höhe von über vier Prozent des BIP».3 Im Umkehrschluss kann der Lohnsenkungs- und Austeritätskurs in anderen Ländern – der nicht zuletzt auf den Druck der deutschen Regierung zurückgeht – auch nur dann funktionieren, wenn Gläubiger wie Deutschland nun die Nachfragerolle übernähmen. Das war und ist jedoch nicht der Fall. Was folgte, sind Rezession und soziale Spaltung in vielen europäischen Nachbarländern.

LINKE AKTEURE IN DER KRISE

Angesichts der hier aufgezeigten Folgen, die der langfristige neoliberale Umbau des Arbeitsmarktes wie des Sozialstaates für Frauen hat, und des damit zusammenhängenden rechtskonservativen Aufwinds ist die im letzten Jahr in der gesellschaftlichen Linken geführte Debatte über ein Übermaß an «Identitätspolitik» nicht nachzuvollziehen. Der prominente Vorwurf darin lautet, die Linke habe sich zu sehr an elitären Projekten wie Feminismus und Randgruppen wie Migrant_innen und Queers ausgerichtet und dabei die zentralen sozialen Anliegen, die die Arbeiterklasse umtreiben, vernachlässigt. Geschaut wird dabei meist auf einen bürgerlichen Feminismus, der sich tatsächlich vielerorts in die staatliche Agenda hat einbinden lassen und dabei soziale Fragen häufig ausspart. So wichtig es ist, die «gläserne Decken» in der Arbeitswelt zu durchbrechen: Die Auseinandersetzung um eine Frauenquote in den Aufsichtsräten weniger Unternehmen hat viele andere Themen in der öffentlichen Wahrnehmung überschattet – nicht weil es das wichtigste Projekt des Feminismus ist, sondern eben weil sie noch am ehesten ins neoliberale Projekt passt.

Was das Programm und die Arbeit der Partei DIE LINKE angeht, kann aber nicht ernsthaft von einer solchen Überfülle an Identitätspolitik gesprochen werden. Es gibt innerhalb der Partei und Bundestagsfraktion das feministische Anliegen, Frauenpolitik konsequent mit Fragen von Arbeitsverhältnissen, Umverteilung und sozialstaatlichem Umbau zu verknüpfen. Dieses ist allerdings noch nicht in alle Bereiche der Partei vorgedrungen.

Dabei gibt es hierfür aktuell gute Ansatzpunkte. Das zeigt sich vor allem in den Arbeitskämpfen in der Krankenhauspflege. Die Arbeitsverdichtung durch Personalabbau (s.o.) hat dazu geführt, dass immer mehr Beschäftigte nun eine feste Personalbemessung auf den Stationen fordern und dies auch mit Streiks bekräftigen. In den Sorgeberufen, in denen die Beschäftigten wissen, dass Menschen direkt von ihnen abhängig sind, ist das eine Seltenheit. DIE LINKE hat es hier geschafft, glaubwürdige und verlässliche Partnerin zu sein, die das Thema immer wieder ins Parlament einbringt. Gestärkt werden sollte hier aber sowohl eine geschlechtersensible Ansprache als auch insgesamt eine feministische Erzählung der Auseinandersetzung: nicht nur um die Realität abzubilden, sondern ebenso um die grundsätzlichen Verwerfungen aufzuzeigen und über den einzelnen Konflikt hinausgehende Perspektiven. Denn in den Streiks der Pflegekräfte in den Krankenhäusern geht es nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen, sondern es geht auch um die Frage, welchen Stellenwert die hauptsächlich von Frauen vollbrachte Sorgearbeit einnehmen sollte und welche Hindernisse einer Aufwertung dieser Arbeit im Kapitalismus entgegenstehen.

Auch weitere Themen bieten sich für eine Vermittlung dieser Verknüpfung an, so etwa die Situation Alleinerziehender, atypische Beschäftigungsverhältnisse und neue Arbeitszeitmodelle. Auch andere feministische Gruppierungen nehmen die Verbindung von Feminismus und Sozialabbau insbesondere seit Ausbruch der Krise und einem allgemeinen Wiederaufleben linker Theorien verstärkt auf. So etwa das Netzwerk Care Revolution, das auf der Grundlage der Analyse einer «Krise der sozialen Reproduktion» (s.o.) verschiedene Kämpfe im Bereich der Sorgearbeit zusammenbringen will. Die Perspektive ist dabei auf eine Gesellschaft gerichtet, die diese Sorgearbeit ins Zentrum stellt.

Vermutlich gerade weil die Folgen der Weltwirtschaftskrise und Austeritätspolitik in Deutschland nicht mit denen in anderen europäischen Ländern zu vergleichen sind, sind die politischen Bewegungen und Debatten darum inzwischen weitgehend eingeschlafen oder zumindest nicht mehr sichtbar. Es ist zu hoffen, dass im Vorfeld der Europawahlen 2019 das Thema noch einmal in den Vordergrund rücken wird. Auf der nationalen Ebene gibt es eine Reihe von linken Forderungen und Auseinandersetzungen, die noch stärker in den europäischen Kontext gestellt werden könnten und sollten. Die Eindämmung des Niedriglohnsektors und die Erhöhung der Löhne und Renten kämen nicht nur großen Teilen der Bevölkerung in Deutschland zugute, sondern würden auch die Situation in vielen Krisenländer erleichtern, weil damit deren Wettbewerbsfähigkeit gestärkt würde. Momentan trägt Deutschland immens zur Rezession in anderen Ländern bei mit besonders tief greifenden Auswirkungen auf Frauen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Länderstudien zeichnen dies im Detail nach. Linke und feministische Bewegungen in Deutschland sollten daher diesen
Zusammenhang und die sich daraus ergebende Verantwortung in ihren Strategien und Politiken stets berücksichtigen.

 

Alex Wischnewski ist Referentin für feministische Politik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Sie ist aktiv im Netzwerk «Care Revolution» und Ko-Autorin einer monatlichen Kolumne in der Zeitung neues deutschland zu Themen eines marxistischen Feminismus.

 

 

Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Germany

 Bild: stopausterity.eu