Zur herrschaftssichernden Funktion von Leiharbeit

Von Yannic Wexenberger

Leiharbeit wird immer wieder positiv verhandelt – etwa als Sprungbrett in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Demgegenüber verweist der vorliegende Beitrag mittels einer Fallstudie auf die herrschaftssichernden Funktionen der Leiharbeit. Eingesetzt als Herrschaftsinstrument und Auswahlmechanismus, ermöglicht sie die effiziente Verwertung menschlicher Arbeit. Dies geht mit Ignoranz gegenüber besonderen menschlichen Bedürfnissen einher, die systematisch Leid hervorbringt. Eine auf Veränderung abzielende substanzielle Kritik, gerade auch aus gewerkschaftlicher Sicht, erfordert ein Verständnis jener Mechanismen.

Leiharbeitsverhältnis als einzig möglicher Arbeitseinstieg

„Flexibility for both worker and employer is a key feature of agency work“ (ILO). Mit dieser positiven Bewertung bezieht die International Labour Organization Stellung zur Leiharbeit als Beschäftigungsverhältnis. Indessen ergibt die vorliegende Analyse der tatsächlichen Erfahrungen (migrantischer) Leiharbeiter:innen in Österreich ein wesentlich anderes Bild – trotz der im europäischen Vergleich guten Regulierung der sogenannten Arbeitskräfteüberlassung durch den Kollektivvertrag. Statt Flexibilität sowohl für Arbeitnehmer:innen als auch Arbeitgeber:innen zu ermöglichen, wird Leiharbeit als Herrschaftsinstrument und Auswahlmechanismus funktional nutzbar gemacht und produziert damit systematisch Prekarität und Leid.

Ausgangspunkt meiner Analyse sind die Erzählungen der interviewten Arbeiter eines transnationalen Versandhandelskonzerns, wonach der Arbeitseinstieg in dessen österreichische Verteilerzentren lediglich über ein Leiharbeitsverhältnis möglich sei. Dies habe zur Folge – so der Beschäftigte Abdul –, dass sich, in der Hoffnung auf eine Festanstellung, zumindest ein Großteil der Leiharbeiter:innen „bemüht, schnell und sehr gut zu arbeiten“ (Abdul). Folgt man den Implikationen dieser Aussage, scheinen der Übernahme in die Stammbelegschaft also bestimmte Bedingungen zugrunde zu liegen. Welche Bedingungen dies sind, soll im Folgenden empirisch erarbeitet werden, um so die Funktionen der unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit und Festanstellung) für das Unternehmen zu erhellen.

Bedingungen der Festanstellung

Abduls Aussage verweist bereits auf die Bedeutung der Produktivität für den der Festanstellung zugrunde liegenden Auswahlprozess. Dies bestätigt sich auch anhand der Schilderungen anderer Interviewter. Ilias etwa antwortet auf die Frage nach den Voraussetzungen seiner Festanstellung: „So viel laufen, ja du musst schnell sein und alles richtig machen, nicht falsch.“ Die Evaluation der individuellen Arbeitsgeschwindigkeit und insofern der Produktivität der Arbeitskräfte erfolgt mittels jener Statistiken, welche im digitalisierten Verteilerzentrum automatisch erstellt werden. Insofern entscheiden vermeintlich objektive, individuelle Leistungsdaten über die Chance der Festanstellung: Wer in der Statistik gut abschneidet, wird „wahrscheinlich (…) übernommen“ (Georgi). Für die Lohnabhängigen entspricht das Bedürfnis nach einem weniger prekären Beschäftigungsverhältnis damit gleichsam einem Zwang, die Arbeitsgeschwindigkeit immer weiter zu steigern. Denn es ist die Produktivität in Relation zu den Arbeitskolleg:innen, welche über die Chance der Festanstellung entscheidet. Als Folge wird tendenziell – entsprechend den Interessen des Unternehmens – immer schneller gearbeitet, um in der Statistik möglichst weit oben aufzuscheinen, was von den Kolleg:innen wiederum als Ansporn erfahren wird, ebenfalls die Arbeitsgeschwindigkeit zu steigern. Das partikulare Interesse an einer Festanstellung führt bei Leiharbeiter:innen daher zur Aufgabe ihres gemeinsamen Interesses an zumindest ansatzweise ertragbaren Arbeitsbedingungen. Die damit einhergehende Ignoranz gegenüber individuellen menschlichen Unterschieden im Hinblick auf eine physisch sowie psychisch ertragbare Arbeitsgeschwindigkeit – sofern davon im Kontext der immer gleichen Bewegungsabläufe in den Verteilerzentren überhaupt gesprochen werden kann –, bringt mitunter Entfremdungserfahrungen hervor. Offensichtlich wird dies beispielsweise, wenn Kovu von der Anforderung erzählt, „like a machine“ zu arbeiten, oder Ahmet davon berichtet, sich im Verteilerzentrum wie ein „Roboter“ gefühlt zu haben.

Hinsichtlich der Frage nach den Bedingungen der Festanstellung können wir also vorerst das Kriterium der Produktivität festhalten. Folgende Aussage von Georgi bestätigt dies erneut und führt gleichzeitig eine zusätzliche Voraussetzung an: „Und man muss einfach zeigen, dass man tüchtig ist. Und es ist wichtig, Motivation zu zeigen und oft zu sagen: ‚Ich will das machen, bitte schule mich ein.‘“ (Georgi)

Dabei kann angenommen werden, dass die Motivation der Lohnabhängigen, möglichst alle Arbeitsschritte zu erlernen, nicht auf deren Attraktivität zurückzuführen ist – sind sie doch äußerst monoton und repetitiv. Konstitutiv für die Motivation ist wohl vielmehr das Streben nach einer Festanstellung – und damit einer zumindest minimalen Entprekarisierung der Selbsterhaltung, welche mit einer solchen einherginge.

Haben sich die Arbeiter:innen einmal ausreichend Wissen über die verschiedenen Arbeitsschritte angeeignet, erfüllen sie die Voraussetzungen, das Vertrauen ihrer Vorgesetzten zu erhalten – eine weitere Bedingung der Festanstellung. Auch darauf verweist Georgi, wenn er die Frage, wie es gelingen könne, übernommen zu werden, wie folgt beantwortet: „(…) wenn der Mitarbeiter mehrere Aufgaben aufnehmen und machen kann und das Vertrauen vom Supervisor und Manager verdient. [Der Supervisor] sagt: ‚Okay, der ist tüchtig, ich schicke ihn dort, er kann das machen, ich muss ihn nicht so viel beobachten und helfen, unterstützen, er kann bisschen selbstständig machen.‘“ (Georgi)

Im Hinblick auf die Übernahme in die Stammbelegschaft scheinen also jene Arbeiter:innen im Vorteil zu sein, die ob ihrer Kenntnisse zumindest tendenziell „nicht so viel beobachtet“ werden müssen und damit potenziell das „Vertrauen vom Supervisor und Manager“ erhalten. Angesichts der standardisierten Arbeitsschritte im digitalen Taylorismus bezieht sich das Vertrauen hier jedoch nicht auf so etwas wie die kreativen Kompetenzen der Beschäftigten, die autonom zur Anwendung kämen. Vielmehr wird ihnen darin vertraut, die standardisierten und spezialisierten Arbeitsschritte in hoher Geschwindigkeit selbstdiszipliniert durchzuführen. Eine Festanstellung ist damit für all jene Leiharbeiter:innen wahrscheinlicher, welche die Interessen des Unternehmens bereits internalisiert haben und ihrer Arbeit nachgehen, ohne dass eine unmittelbare persönliche Herrschaftsausübung seitens der Vorgesetzten notwendig wäre. Sie sind – zusätzlich bedingt durch die zuvor erwähnten statistischen Aufzeichnungen der Arbeitsgeschwindigkeit – zugleich Subjekt und Objekt der Unterwerfung. Insofern machen sie nicht nur „bisschen selbstständig“ (Georgi), sondern realisieren, einmal im Sinne des Unternehmens zugerichtet, auch die Transformation ihres abstrakt vorhandenen Arbeitspotenzials in tatsächliche wertproduzierende Arbeitsleistung.

„The only word they want to hear is ‚okay‘. (…) You have to accept all these things“

Eine weitere Bedingung der Festanstellung, die Abdul in folgender Erzählung benennt, dient dem Unternehmen als Schutz vor Arbeiter:innen, die ihre eigenen Interessen sowohl erkennen als auch durchzusetzen versuchen:

Interviewer: „Und woran lag es, dass du übernommen wurdest? Du meintest vorher, dass nur ein ganz kleiner Teil übernommen wird.“

Abdul: „So, wenn man brav ist, wenn man motiviert ist und so weiter.“

„Brav“ ist laut Duden jenes gehorsame und artige Verhalten (von Kindern), das den Erwartungen oder Wünschen der Erwachsenen entspricht. Die darin implizierte Infantilisierung verweist auf ein klar durch Herrschaft strukturiertes Verhältnis und deutet auf die Zurechtweisung der infantilisierten Arbeiter:innen, sofern sie sich nicht den Erwartungen der Herrschenden – also den durch ihre Vorgesetzten vermittelten Interessen des Unternehmens – entsprechend verhalten. Dass diese Erwartungen in erster Linie einer hohen Leistungsbereitschaft der Beschäftigten entsprechen, ist offensichtlich: „Man muss immer Gas geben. Wenn nicht, dann hast du keine Chance“ (Abdul).

Zusätzlich gilt es, sämtlichen Befehlen ohne Widerrede und entgegen den eigenen Bedürfnissen und Interessen zu gehorchen, oder wie Kovu es ausdrückt: „The only word they want to hear is ‚okay‘. (…) You have to accept all these things.“ Ahmet etwa erzählt, dass er sich eines Tages krankmelden wollte, woraufhin ihm seitens der Vorgesetzten nahegelegt wurde, dies nicht zu tun, da sich dadurch seine Chancen auf eine Festanstellung verringerten. Insofern werden die individuellen menschlichen Bedürfnisse der Arbeiter:innen auch dann noch ignoriert, wenn es sich unmittelbar negativ auf deren Gesundheit auswirkt. Hierbei wird die Reduktion der arbeitenden Menschen auf ihre Funktion besonders deutlich. Eingesetzt als Instrumente, haben sie den Unternehmen bzw. deren Eigentümer:innen, den Käufern ihrer (fiktiven) Ware Arbeitskraft, mit unbedingtem Gehorsam zur Verfügung zu stehen.

Auch die Herkunft der Beschäftigten ist ein Auswahlkriterium, wenngleich es sich auf den ersten Blick von den bisher aufgeschlüsselten Kriterien etwas unterscheidet, da für das Unternehmen daraus kein unmittelbarer Vorteil im Hinblick auf Produktivität und Gewinn hervorgeht. So erzählt Ilias: „Viele Freunde von mir arbeiten in der Nachtschicht, und die sagen, der Supervisor kommt aus Bosnien und der andere kommt aus Kroatien, (…) und er sagt‚ [Name d. transnationalen Versandhandelskonzerns] nimmt nur die, mein Supervisor nimmt nur die Leute aus Bosnien oder Kroatien‘. [Name d. transnationalen Versandhandelskonzerns] fragt nur die Supervisors.“ (Ilias)

An den Entscheidungen, wer fest angestellt wird, sind Supervisors laut Ilias also maßgeblich beteiligt. Dadurch kann es mitunter vorkommen, dass Arbeiter:innen aufgrund ihrer Herkunft nicht fest angestellt werden, obwohl sie die Bedingungen dafür besser erfüllten als die für eine Festanstellung ausgewählten. Mittelbar profitiert das Unternehmen jedoch auch von dieser Praxis, da sie potenziell zu Spannungen und Spaltungen unter den Beschäftigten führt – hier zwischen Osteuropäer:innen und Somalier:innen –, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit ihrer Solidarisierung und Organisierung verringert.

Effiziente Verwertung der Arbeitskräfte

Letztlich bleiben alle Bedingungen aber nur Bedingungen der Möglichkeit der Festanstellung. Dies geht etwa aus Abduls Erzählung hervor, der, nachdem er selbst übernommen worden war, die Fluktuation seiner Kolleg:innen beobachtete: „Bei [Name der Leihfirma], ja natürlich, jetzt November, Dezember, mehr als 25 neue Mitarbeiter bekommen, aber trotzdem im Jänner bleiben nur zwei, drei. Ich bin 100 Prozent sicher, dass alle anderen gekündigt werden. [Die Vorgesetzten] sagen: „Bitte Gas geben, damit du vielleicht weiterarbeiten kannst.“ (…) Aber trotzdem, sie geben Gas und dann im Jänner, wenn weniger Pakete kommen, wollen sie die Arbeiter nicht mehr.“ (Abdul)

Insofern fungiert das vage Versprechen seitens des Unternehmens, dem zufolge jene Leiharbeiter:innen, die „Gas geben“ und auch die übrigen Bedingungen erfüllen, „keine Kündigung“ erhalten, als Herrschaftsinstrument zur Realisierung der möglichst effizienten Verwertung der Arbeitskräfte. Diese Strategie scheint aufzugehen, das Arbeitspotenzial wird im Sinne der Interessen des Unternehmens so lange ausgeschöpft, bis „weniger Pakete kommen“. Dann jedoch „wollen sie die Arbeiter nicht mehr“ (Abdul). Ausgewählt werden nur jene – oder ein Teil jener –, die die Erwartungen des Unternehmens erfüllen und damit ihre Rolle als Produzent:innen von Mehrwert in Relation zu ihren Kolleg:innen, die strukturell bedingt objektiv gleichzeitig ihre Konkurrent:innen sind, am besten erfüllen.

Leiharbeit als Herrschaftsinstrument und Auswahlmechanismus

Das Transformationsproblem, die konkrete Realisierung des im Menschen abstrakt vorhandenen Arbeitspotenzials als Arbeitsleistung, stellt eine der größten Herausforderungen für die Unternehmen bzw. deren Eigentümer:innen dar. „Dafür muss das Kapital die Arbeiter:innen zwingen, diese Arbeitsleistung zu erbringen, oder es muss sich ihren Willen aneignen“ (Barthel und Rottenbach).

Im vorliegenden Beitrag wurde empirisch hergeleitet, wie die unterschiedlichen Beschäftigungsbedingungen – Leiharbeit und Festanstellung –, als Herrschaftsinstrument eingesetzt, wesentlich zur Lösung jenes sogenannten Transformationsproblems beitragen. Zentral ist ferner der durch die dargelegten Bedingungen der Möglichkeit der Festanstellung strukturierte Auswahlmechanismus. Dieser ermöglicht die effiziente Verwertung der menschlichen Arbeit bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber besonderen menschlichen Bedürfnissen und Interessen.

Eine (gewerkschaftliche) Parteinahme mit Leiharbeiter:innen erfordert die entschiedene Zurückweisung und Kritik des Beschäftigungsverhältnisses Leiharbeit im Allgemeinen sowie der affirmativen Bezugnahme der International Labour Organization auf Leiharbeit im Besonderen.

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Der Beitrag reflektiert Forschungsergebnisse von Yannic Wexenberger, die auf von ihm im Rahmen seiner Masterarbeit „Gewalt des Positiven. Verdinglichung und Selbstverdinglichung bei migrantischen Arbeiter:innen eines transnationalen Versandhandelskonzerns“ (Soziologie/Universität Wien) erhobenen und ausgewerteten Daten basieren. Bei den Namen der Interviewpartner handelt es sich um Pseudonyme.

 

 

 

 

 

Quelle: Arbeit&Wirtschaft - Wirtschafts- Sozial- & Gesellschaftspolitik (arbeit-wirtschaft.at) cco
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