1975 – 1981: Die Hoesch-Frauengruppe in Dortmund – Frauenaktionen mit und ohne Männer um Arbeitsplätze

Es wäre eine Untersuchung wert, inwieweit sich in Dortmund die Gewerkschaften nicht nur für die Sicherung der Arbeitsplätze der Männer eingesetzt haben, sondern auch für die der Frauen. Denn umgekehrt ist das geschehen: Frauen haben sich für den Erhalt der Arbeitsplätze ihrer Männer eingesetzt. Die ständige Stahlkrise im Ruhrgebiet führte zum andauernden Arbeitsplatzabbau auch beim Stahlkonzern Hoesch in Dortmund. Anfang der 80er Jahre wurden die Ehefrauen von Hoesch-Arbeitern aktiv. Von der IG-Metall eher mit Unverständnis betrachtet, traten sie in den Hungerstreik…

1975 – 1981: Die Hoesch-Frauengruppe in Dortmund – Frauenaktionen mit und ohne Männer um Arbeitsplätze

Gedanken, eine Chronik, ein Erinnern, Bilanz ziehen — beinahe 15 Jahre später:

Frauen waren aktiv geworden, hatten bei allen möglichen Problemen Stellung bezogen. Die Werksbesetzung der Männer in Erwitte (Zementwerkwerk bei Soest) und die spontan aktiv gewordenen Frauen, die in diesem Dorf der Soester-Börde sicherlich eine besondere Angst und Bedrohung ihrer Familien erlebten, ließen sie quasi von den Kochtöpfen weglaufen.

Für uns waren es Vorbilder… so muß man/frau sich wehren! ! ! Hingefahren, geguckt, bewundert und geholfen, das Werk sollte doch gerettet werden und die Arbeitsplätze.

Dann der Streik 1978 um die 35 Stunden-Woche, sechs Wochen lang. Stadtteilstreikkomitees in Kneipen, Schrebergartensiedlungen und der Kampf ums Durchhalten. Kaffee und Tee gekocht, an den Werkstoren verteilt. Mitgeredet und gestritten um Lebensqualitäten wie weniger Arbeit, mehr Zeit für sich und die Kinder und somit auch für die Familienarbeit. Für uns eine Chance aufzuzeigen, Gleichberechtigung ist machbar ….

Frauennachmittage mit Kaffee und Kuchen und viel Erfahrungsaustausch. Äußerungen wie „der Alte braucht wieder Arbeit … ich meine Ruhe … hoffentlich ist der Streik bald zu Ende… “ waren oft die Gedanken der Frauen.

1 9 8 0 dann im November ….

Die Nachrichten über das neue Stahlwerk werden immer negativer. Die aktivsten Gewerkschaftler etc. fordern unter der Losung „Stahlwerk Jetzt!“ den ersten Spatenstich vor der Hoeschverwaltung ein. Sie befürchteten beim Nichtbau dieses Ofens Massenentlassungen, die Auswirkung auf die gesamte Region haben würden. „Hier brauchen wir jetzt alle …“

Vereinzelt besuchte man/frau Gewerkschaftsversammlungen oder Parteiveranstaltungen, um den Ernst der Lage auch mitzukriegen … Nach so einer Veranstaltung völlig erschlagen ins Bett und früh wieder wach geworden mit dem Gedanken: WIR FRAUEN sollten jetzt was eigenes dazu machen … Erwitte war noch in guter Erinnerung und auch die Freundschaften aus dem Streik waren nicht vergessen.

„Die Frauen sind kein schwach Geschlecht“

So kurz vor der Entbindung… Nun diese Nachrichten und auch Ängste … „wie soll dies mal für die Kinder enden?“

Mit diesen Gedanken im Kopf erstmal Pat angerufen. Auch sie hatte schon gegrübelt, überlegt. Schließlich teilten wir kurzentschlossen auf, wer wen anruft. Erstmal die Frauen der nächsten Arbeitskollegen. Viele sollten in kurzer Zeit erreicht werden und mitmachen. Abends noch einen Aufruf für Unterschriften entworfen. Die ersten 20 standen fest, hatten sich entschieden. Dies sollte der Einstieg gleich zur ersten Sitzung sein am Sonntag — gleich am nächsten Tag. Die DFI (Demokratische Fraueninitiative) hatte inzwischen ein eigenes Zentrum und das konnte als Versammlungsort genutzt werden.

Doro, Hilde, Inge, Renate, Wilma, Charlotte, Lotti, Rita, Pat, Marlies, Yvonne, Siegrid kamen spontan zum ersten Treffen. Die Angst und die Empörung ließen uns eine Idee nach der anderen produzieren:

Wann und wo Infostände mit Unterschriftensammlungen gemacht werden sollten, natürlich bei Hilde in der Siedlung, in Scharnhorst (Hoeschsiedlungen) und am Ende als Höhepunkt in der Innenstadt vor der Reinoldikirche. Außerdem wurde bekanntgegeben, daß am Ende des Monats eine Demo durch die Stadt geplant sei. Natürlich mit allen Gruppen und Menschen, die hier nicht nur so zusehen wollen, wie eine Stadt von einem Konzern kaputtgemacht wird. Pat hatte geistesgegenwärtig gleich zu diesem Treffen auch die Presse eingeladen „Kann ja nicht verkehrt sein…“

Am nächsten Tag stand ein großer Artikel im Lokalteil der Zeitung. Fast die ganze Seite mit Bild und all unseren Vorschlägen/Forderungen/Aktionen mit Terminplanung für die Infotische etc…

Es hat einen Wirbel am nächsten Tag gegeben vor allem im Betrieb. „Wie kommen eure Frauen dazu… wer steckt denn dahinter…“ Nun war alles öffentlich und konnte nicht mehr zerredet werden.

„Ja, jetzt wird mobil gemacht, das Stahlwerk in Betrieb gebracht …“

Mitte der Woche Bürgerinformation im Rathaus. Abgekämpft vom Infostand kamen wir ins Rathaus, stellten unser Transparent zurecht und hörten ganz leise aus einem anderen Flur die Musik vom Streik – da sang doch Fasia das Streiklied. Das war typisch, von irgendwoher hatte sie den Artikel in der Zeitung bekommen und war gleich los, um uns zu „helfen“.

Plötzlich kam wieder Leben in uns. Manchmal ist man erstaunt, wieviel besser Forderungen über Musik und Lieder transportiert werden können. Eine andere Atmosphäre …

Sie (Fasia) ging so schnell nicht wieder weg, blieb da, sie machte diese Auseinandersetzung auch zu ihrer.

Infostände folgten an Samstagen an der Reinoldikirche. Zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen, der Bürgerinitiative und vielen anderen sangen und sammelten wir … riefen zur Teilnahme an der Demo auf…

Es hatte sich sogar eine Sportler-Ini gegründet, so daß auch beim Borussiaspiel für’s Stahlwerk demonstriert wurde. Es gab viele Einzelaktionen von Bürgern und Geschäftsleuten. Plakate und Unterschriftenlisten lagen auf der Theke beim Metzger oder Bäcker. Man/frau fühlte sich angesprochen und verstand die Sorgen. Der Borsigplatz und die umliegenden Straßen und Siedlungen waren optisch für die Aktion dekoriert.

Dortmund erlebte eine der größten Demonstrationen. Etwa 70 000 Menschen waren zusammengekommen. Die Geschäfte in der Innenstadt hatten schon ab 12.00 geschlossen, so daß alle mitmachen konnten. Wir von der Frauengruppe hatten einen eigenen Block gebildet zusammen mit allen Frauen aus dem Betrieb.

Inmitten der offiziellen Reden von Politikern auch ein Beitrag von uns. Marlies hielt ihn. Eine kurze, dafür aber sehr prägnante Darstellung mit der Forderung, das Stahlwerk zu bauen… „sonst machen es die Frauen“ und Arbeitsplätze und somit auch die Zukunft der Kinder zu sichern.

Der Höhepunkt aller Aktionen war erreicht. Bis Weihnachten nutzten wir noch alle Gelegenheiten für Infoveranstaltungen. In Kirchengemeinden und IG Metall-Stadtteilgruppen luden wir Frauen und Kinder zu Kaffeeklatsch und Spielen ein. Gleichzeitig wurde informiert und diskutiert.

Trotz dieser aufreibenden Aktivitäten und Unterschriften kam von Konzernseite nichts!!! Ermüdung, Resignation, Hilflosigkeit machte sich breit, wurde spürbar. Es mußten neue Aktionsformen gefunden werden.

Ein Anlaß war die geplante Vertrauensleutevollversammlung der IG Metall im Fahrradschuppen. In einer langen Abenddiskussion kam uns die Idee von einem befristeten Hungerstreik. Fasia hatte so was schon mit einer Gruppe von Frauen und Männern mitgemacht, die dadurch ihre Siedlung vor’m Abriß gerettet hatten.

„Macht die Tore zu ihr Männer, macht die Männer stark ihr Frauen …“

Am 4. Februar 1981 begannen sieben Frauen und ein Mann, der Betriebsseelsorger, einen dreitägigen Hungerstreik vor der Westfalenhütte. Diese Aktion fand bei unseren Männern, das wußten wir, nicht gleich die große Unterstützung. Ängste wurden laut, ob es nicht überzogen sei?

Wir hatten sie auch erst am Abend zuvor eingeweiht. Das löste in den betroffenen Familien ein Riesentheater aus.

Wir waren insgesamt durch die vielen Aktionen schon gestreßt und für die Kinder war das jetzige Familienleben eh schon hektisch. Also viele Fragen: Wie schaffen wir es, das alles zu organisieren — Till, der jüngste, mußte schließlich immer noch gestillt werden, und außerdem war es auch bitterkalt.

,Wie wollt ihr das schaffen ?“ Natürlich hatten wir für alles gesorgt: Campingwagen, Koksöfen, befreundete Ärzte und Ärztinnen etc.

Die Reaktion der Presse war sehr positiv. Spätabends am Koksofen, nachdem wir die ersten Zeitungen vom Bahnhof geholt hatten, entstand eine spontane Fete auf der Straße. Wir tanzten und sangen. Fasia spielte Walzer und Tango auf dem Akkordeon. Von Hamburg bis München war berichtet worden. Hunderte von Telegrammen und Solidaritätsbekundungen aus der gesamten BRD und dem Ausland unterstützten unsere Forderungen.

Große Erleichterung bei allen Beteiligten. Die Reaktionen von außerhalb stellten das Gleichgewicht zwischen uns und unseren Männern wieder her.

„Jeden Abend glüht der Himmel, glüht der Stahl durch unsere Nacht, die letzte Schicht haben wir noch nicht gemacht…“

Fast sah es so aus, als hätten die Frauen ihre Schuldigkeit getan. Die Basis für Verhandlungen war geschaffen.

Wir spürten, daß all diese Aktionen und ihr Erfolg und auch unsere eigenständige Planung ohne die Männer uns immer mehr Mut machten, unseren eigenen Ideen zu folgen: das Wann, Wo, Wie und Warum selbst in die Hand zu nehmen. Diese Tatsachen und wohl auch das Selbstbewußtsein, das darin zum Ausdruck kam, schuf fast eine Konkurrenz innerhalb der beteiligten Gruppen (Kollegen im Betrieb bzw. Ehemänner und Partner und uns).

Aus diesem Bewußtsein heraus bereiteten wir nicht nur die Demo zur Aufsichtsratssitzung am 9. April vor, sondern brachten die BESETZUNG des gesamten Gebäudes mit in Gang: Rohwedder konnte nicht mehr, wie vorgesehen, vor’m Portal seine Rede halten, sondern wurde aus allen Zimmern, aus den Fenstern, von der Straße, vom Balkon befragt, immer wieder unterbrochen und kommentiert.

„Wir gehen erst wieder weg, wenn konkrete Zusagen über den Bau des Stahlwerkes erfolgen…“

Den offiziellen Organisatoren war dadurch das Konzept aus der Hand geglitten. Schließlich wurde an diesem Tag doch noch die Zusage erreicht, daß keine weiteren Entlassungen geplant werden, sondern Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Vorstand erfolgen sollten.

Langfristiges Ergebnis war im Kern die Aushandlung des Konzepts der Landesregierung über die Vorruhestandsregelung ab 55 Jahren. Dies war natürlich nicht unser politisches Traumergebnis, aber mehr war erst mal nicht drin.

In der Folgezeit erfaßte die Strukturkrise der Stahlindustrie immer weitere Standorte und deren Belegschaften: Thyssen Duisburg, Schalker Verein Gelsenkirchen, Mönninghoff Hattingen, HDW (Werft) Hamburg, AG Weser Bremen, Peine Salzgitter, Krupp Essen, später Rheinhausen. … Überall kam es zu Arbeitskämpfen, an denen sich FRAUEN beteiligten.

Unsere „Reisetätigkeit“ setzte ein. Ein reger Austausch von Aktionsmöglichkeiten und Erfahrungen wurde weitergegeben. Wobei unser Schwerpunkt darauf lag, unsere Eigenständigkeit bei all diesen Aktionen zu betonen und uns nicht von Parteien oder anderen Organisationen zu ihren Untergruppen degradieren zu lassen.

Hierzu wollten wir Mut machen, Beispiele aufzeigen, wie das von Marlies, die ihre Rede vor Tausenden von Leuten gehalten hatte, obwohl sie so etwas noch nie im Leben vorher gemacht hatte.

Das hatten wir gelernt: Immer wenn genug Wut im Bauch vorhanden ist und die grundsätzliche Überzeugung, sich nicht alles gefallen zu lassen, dann, geht alles.

Später, im März 1 984, bildete sich sogar eine Vernetzung aller Gruppen. Wir trafen uns bei „Arbeit und Leben“ in der alten Fabrik „K 14″ in Oberhausen zu einem bundesweiten Treffen unter dem Motto, Arbeiterfrauen machen mobil“ …

Das Fazit aus all unseren Erfahrungen drückten wir so aus: Jahrhundertelang hieß es: KINDER- KÜCHE – KIRCHE. WIR SAGEN: Das vierte heißt KAMPF.

Wir haben in all diesen Aktionen unheimlich viel gelernt, auch persönlich, nicht nur politisch oder organisatorisch. Für viele Dinge entwickelten wir ein anderes Lebensgefühl und eine neue Sensibilität.

Einige Frauen kamen aus Parteien und Gewerkschaften und hatten ihre diversen Erfahrungen mit deren Strukturen und oft schwerfälligen „Apparaten“, z.B. hierarchischen „Dienstwegen“ gemacht.

Andere Frauen, die als Hausfrauen normalerweise nie gefragt wurden, hatten dadurch gelernt, auf die Straße zu gehen, zu protestieren, an Universitäten Stellung zu beziehen, eigene Theaterstücke zu entwickeln, Transparente zu malen, Flugblätter zu schreiben, sich durchzusetzen.

Nach den Aktionen ging es oft nicht nach Hause, sondern alles wurde nochmal durchgesprochen, und auch die Probleme mit den Kindern und den Männern zu Hause wurden beredet. Immer wieder wurden die eigenen Rollen in der Familie angeguckt und versucht, kritisch Bilanz zu ziehen. Dadurch entstand eine Lebendigkeit und Lebensfreude in allen Aktionen. Redebeiträge, Liedertexte entstanden aus unserem eigenen Erleben und wurden gemeinsam an Küchentischen geschrieben. Dies alles verschaffte uns ungeahnte Kräfte und ließ eine Kreativität erkennen, die auch zu unserem selbstbewußten Auftreten beitrug.

15 Jahre älter geworden, würden wir nicht mehr alles genauso machen, aber auch heute würden wir

— wieder mitmischen und spontan reagieren.

— wieder mit Männern für gleiche Ziele streiten, ohne in ihre Strukturen und Hierarchien einzusteigen,

— eigene Formen entwickeln und leben wollen …

 

 

Quelle: Rita Schenkmann-Raguse/Pat Walbersdorf in Rückblick nach vorn-Geschichtswerkstatt Dortmund

Bild: dgb