Amazon sorgt immer noch für eine Hochstimmung in Dortmund

Großer Bahnhof in Dortmund. Amazon eröffnet das neue Umverteilzentrum und wird von der Politik, Arbeitsverwaltung und den Medien gefeiert. Das Bild in der Presse sagt alles- von links nach rechts: Stadtrat Ludger Wilde, (SPD) NRW Minister Lutz Lienenkämper (CDU) und Amazon Betriebsleiter, militärisch „Standortchef“ genannt, Lars Krause und ganz rechts im Bild einer der Roboter im Lager. Diese Maschine ins Bild zu setzen ist wichtig, denn bei Amazon arbeitet der Roboter nicht den Lohnabhängigen zu, sondern die Lohnabhängigen arbeiten dem Roboter zu.

Die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind berühmt berüchtigt und Amazon will partout die Gewerkschaften außen vor lassen, weil man dort genau weiß, dass ein gut gewerkschaftlich organisierter Betrieb im Logistikbereich, mit wenig gewerkschaftlichen Aufwand einen äußerst erfolgreichen und effektiven Arbeitskampf führen kann, der das weltweit umspannte Amazongeflecht komplett lahmlegt.

Das interessiert in Dortmund kaum jemanden, dort zählt nur „Hauptsache Arbeit“.

In Dortmund herrscht seit September 2017 Hochstimmung. Der Grund dafür ist, dass Amazon angesiedelt werden konnte und den Betrieb als Verteilzentrum aufgenommen hat. Hier werden die Warenströme innerhalb Europas gebündelt mit dem Ziel, die Auslieferung noch weiter zu beschleunigen.

Die Einwände der Gewerkschaften, dass die Arbeitsbedingungen bei Amazon extrem schlecht sind, werden von Politik, organisierter Unternehmerschaft und Medien geflissentlich übergangen.

Dabei kämpfen die Beschäftigten bei Amazon seit vier Jahren darum, den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag anzuwenden und für die Anerkennung ihrer Forderungen gegenüber der Unternehmensleitung. Es geht schon lange nicht mehr nur um eine Lohnerhöhung, die ein Tarifvertrag absichern würde, sondern um krankmachende Arbeitsbedingungen, entwürdigende Kontrollen und die Respektlosigkeit des Managements gegenüber den Beschäftigten.

Um der Euphorie etwas Realität entgegenzusetzen, sollte man sich die Situation bei Amazon genauer ansehen.

Industrie 4.0

Was das Fließband nur ansatzweise schaffte, macht Amazons Algorithmisierung bis zur Perfektion möglich, die vollständige Quantifizierung, Standardisierung und damit Enteignung und Entwertung von Arbeit.

Was vor Kurzem nur in der Produktion klappte, kann jetzt auch in Verwaltung und Entwicklung angewendet werden. Die digitale Vernetzung sämtlicher Arbeitseinheiten und aller Arbeitsabläufe ist dabei der Kern der sogenannten Industrie 4.0. Ähnlich wie bei der algorithmisch optimierten Zuordnung von Nutzer und Anbieter von Dienstleistungen in der Share-Economy ändert sich nicht nur der Produktions- bzw. Dienstleistungsprozess, sondern auch das Produkt bzw. die Dienstleistung selbst.

Bei Amazon ist die vollständige Enteignung des Arbeitsprozesses unter Einsatz modernster Technologie Programm geworden. Dort bekommt man einen Vorgeschmack auf maschinell optimierte menschliche Arbeit in der anstehenden „vierten industriellen Revolution“, die weit mehr umfasst, als die sogenannte Industrie 4.0. Amazons lernende Lagersoftware schreibt Tempo und Ablauf aller Arbeitsschritte bis ins kleinste Detail vor, nun auch sogar in der Verwaltung.

Der Konzern kommt der Vision schon sehr nahe, in der es nur noch einige wenige Arbeitsplätze, z.B. in den Entwicklungsabteilungen gibt, bei denen der Mensch dem Computer sagt, was er tun soll und immer mehr herabgestufte Jobs, bei denen der Computer dem Menschen sagt, was er tun soll.

Die Beschäftigten

Derzeit arbeiten weltweit etwa 100.000 Beschäftigte in rund 100 Niederlassungen bei Amazon. In Deutschland sind in den neun Versandzentren rund 15.000 Stammbeschäftigte tätig, davon arbeiten 9.000 unbefristet und 6-7.000 befristet. Je nach Bedarf werden ca. 14.000 „Saisonkräfte“ z.B. zum Jahresende eingestellt.

Da Amazon sich beharrlich weigert, den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag anzuwenden, kommt durch das Sparen an den Personalkosten viel Geld in die Kasse, denn

  •  der Einstiegslohn liegt 400 Euro monatlich unter Tarif,
  •  der Urlaub beträgt 28 Tagen gegenüber tariflich 30 Tagen,
  •  das Urlaubsgeld entfällt, nach Tarif müssten mindestens 1.182 Euro gezahlt werden,
  • Weihnachtsgeld gibt es in Höhe von 400 Euro, nach Tarif müssen es über 1.300 Euro sein.
  • es gilt die 38,75-Stundenwoche für die gewerblich tätigen Beschäftigten, die 40- Stundenwoche für Angestellte und Auszubildende, anstelle von tariflichen 37,5 Stunden in der Woche,
  • gemessen an den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels würden die Beschäftigten jährlich rund 9.000 Euro mehr erhalten.
Beispiele für die Arbeitsbedingungen bei Amazon
  • Entgegen ihrer Arbeitsverträge leisten die meisten Beschäftigten viele Überstunden und Samstagsarbeit.
  • Jeder Beschäftigte muss jederzeit durch einen anderen Beschäftigten ersetzbar sein – ohne Effizienzeinbußen bei der Übergabe.
  • Extrem hoher Leistungsdruck, die Packer legen täglich bis zu 25 km Laufweg zurück.
  • Ständige Überwachung und Sanktionierung durch Kameras und Scanner. Wer mal 5 Minuten lang nichts „gepickt“ hat, bekommt eine Mahnung auf den Scanner gesandt, wer mal zu spät aus der Pause kommt, kann mit einer Abmahnung rechnen.
  • Durch die Befristung der Stellen erzeugt Amazon permanent Angst und droht damit, dass der Standort geschlossen werden könnte.
  • Es gibt immer wieder Stichtage, an denen eine bestimmte Anzahl von befristet Beschäftigten entlassen wird.
  • Ob die Leistung besser oder schlechter bezahlt wird, entscheidet das Unternehmen.
  • Betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftliche Durchsetzung von Belegschaftsinteressen oder kollektive Rechtsansprüche der Beschäftigten, die sich aus Tarifverträgen ergeben, sind nicht vorgesehen.
  • Die riesigen Firmengelände sind eingezäunt und streng bewacht, die Beschäftigten müssen durch Sicherheitsschleusen, nach dem ihre Habseligkeiten im Spind verstaut wurden, sie dürfen nichts mit hineinnehmen.
  • Jeder muss die Amazon eigene Sprache lernen. Aus Warenverräumern werden „Receiver“, aus Packern „Stower“ und Entlassung wird „RampDown“ genannt.
  •  Sogenannte Leader geben den Arbeitsdruck über Fehlerpunkte an die „Picker“ und „Packer“ ihres Teams weiter. Der „Tracker“ misst die Laufleistung über das sekundengenaue Protokoll des Aufenthaltsortes, der Handscanner erfasst alle Arbeitsschritte und gibt den nächsten vor. Kommt jemand in Verzug, löst das System Alarm aus.
  • Die permanente Bewertung der Beschäftigten führt zu Konsequenzen, eine grüne Karte heißt Lob, eine gelbe Karte kommt einer Abmahnung gleich. Bei drei gelben Karten droht die Entlassung.
  • Die Vorgabe ist, dass jeder über dem Leistungsdurchschnitt liegen soll. Was mathematisch eigentlich unmöglich ist, wird durch das dynamische Prinzip kontinuierlicher Arbeitsverdichtung in Konkurrenz innerhalb der Belegschaft möglich gemacht.
  • Der Zwang zur Selbstoptimierung ist immer präsent, selbst wenn Arbeitsaufträge sinnvoll zusammenfasst werden, um sich unnötige Wege zu ersparen, gibt es Strafpunkte. Zum Zweck der Standardisierung wird jede Abweichung von der algorithmischen Vorgabe sanktioniert, denn jegliche Individualität bedeutet den Verlust von Austauschbarkeit

und als Ergebnis dieser Bedingungen hat Amazon einen außergewöhnlichen hohen Krankstand von 15-20 Prozent der Belegschaft.

Amazons schöne neue Welt

Einen Vorgeschmack auf Amazons Zukunftsvision von einer „smarten“ Abwicklung unserer Alltagsabläufe gibt sein neustes Geschäftsfeld.

Anfang 2017 hat Amazon in Seattle seinen ersten Supermarkt, der ohne Kassen auskommt, eingeführt. Das neue System nennen sie „just walk out technology” und das funktioniert so: Die Kunden registrieren sich per Smartphone samt Amazon-App beim Betreten des Supermarkts. Die interaktiven Regale registrieren über Druck- und Infrarot-Sensoren, welches Produkt entnommen oder auch wieder zurückgestellt wird. Die Zuordnung, welche Kunde welches Produkt entnommen hat, übernimmt ein selbstlernender Algorithmus, gespeist über eine große Anzahl automatischer Kameras inklusive Gesichtserkennung sowie über eine „Vorlieben“-Berechnung, die auf die individuelle Historie aller jemals zuvor bei Amazon gekauften Produkte eines jeden Kunden zurückgreift. Beim Verlassen des Ladens bucht die Amazon-App, ohne jede Kasse, die auf dem Smartphone aufaddierte Summe vom Konto ab.

Amazon will in den USA 2000 dieser Supermärkte eröffnen.

Amazon betreibt einen derart großen technischen und finanziellen Aufwand für Produkt- und Kunden-Ortung innerhalb des Supermarkts nicht nur um die Kassierer-Arbeitsplätze abzubauen, sondern Amazon erweitert mit diesem Hightech-Supermarkt in erster Linie den Wirkungsbereich der personalisierten Daten-Analyse seiner Online-Verkaufsplattform auf die (bisherige) „Offline“-Einkaufswelt. Dies ist neben gezielter Werbung und Aufbereitung der Daten für (Kranken-)Versicherungen und andere zahlende Interessenten eine wesentliche Voraussetzung für die Einführung individueller Preise. Damit ist gemeint, dass mittelfristig beispielsweise das Bier nicht nur abends teurer als tagsüber sein soll, sondern jeder seinen individuellen Preis zahlen wird. Es geht darum herauszufinden, wann welcher Kunde bereit ist, wie viel für ein bestimmtes Produkt zu zahlen.

Amazon schafft dafür konsequent die technischen Voraussetzungen.

Der Widerstand wächst

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist seit Jahren dabei, auf die verehrenden Veränderung der Arbeitswelt bei Amazon Einfluss auszuüben und den Anfängen der digital unterstützen Ausbeutung der Beschäftigten zu wehren.

Zunehmend sind Initiativen entstanden, die die Entwicklungen und Arbeitsbedingungen bei Amazon anprangern und öffentlich machen.

Ein Beispiel dafür ist die Aktionswoche rund um den Black Friday am 24.11.17 (Amazons internationalem Schnäppchen-Tag) in der die kämpfenden Belegschaften unterstützt und die Wirkung der vorweihnachtlichen Streiks durch die Blockade eines Amazon-Standorts verstärken werden sollen.

 

 

 

 

Quellen: waz, ver.di, aktion./.arbeitsunrecht

 Bild: ver.di