Betreuungsgeld – Herdprämie, Kitaplatzhandelswährung, Anspruchsbremse für staatliche Leistungen…

DGB BEtreuungsgeldSeit dem 1. August 2013 hat jedes Kind in Deutschland mit vollendetem erstem Lebensjahr, gemäß dem Kinderförderungsgesetz (KiFöG), einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagespflegeperson. Trotz des Ausbaus des Platzangebotes in Kindertageseinrichtungen, gibt es bis heute einen erheblichen Nachholbedarf. Auch weil viele Plätze für Kinder unter 3 Jahren fehlen, wurde ebenfalls am 1. August 2013 das Betreuungsgeld eingeführt. Das Betreuungsgeld ist eine Sozialleistung für Familien, die ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr ohne Inanspruchnahme öffentlicher Angebote, wie etwa Kindertagesstätten, betreuen. Betreuungsgeld wird unabhängig davon gezahlt, ob die Eltern erwerbstätig sind oder nicht. Die Rechtsgrundlage für das Betreuungsgeld ist im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)geregelt. Ein Anspruch auf Betreuungsgeld besteht vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis maximal zum 36. Lebensmonat des Kindes. Das Betreuungsgeld betrug im Jahr 2013 monatlich 100,00 Euro und seit dem 01. August 2014 werden 150,00 Euro gezahlt. In Dortmund wurde aktuell in 2.264 Fällen das Betreuungsgeld gezahlt. Bereits im Vorfeld haben die Gewerkschaften, besonders die Gewerkschafterinnen, gegen das Gesetz mobil gemacht und es rundherum abgelehnt. Durch neuere Untersuchungen, die die praktischen Auswirkungen des Gesetzes durchleuchten, wurden die Vorbehalte der DGB-Frauen voll bestätigt.

Das Betreuungsgeld ist bildungspolitisch der Rückwärtsgang in die frühen 1960er Jahre

Für die Entwicklung der Kinder ist der professionell ausgestattete Elementarbereich von großer Bedeutung. Hier werden die Weichen für die spätere Bildung gestellt. Die Sprachentwicklung, das Sozialverhalten in einer Gruppe und die frühe Erfahrung mit soziokulturellen Unterschieden werden durch individuelle Begleitung und Förderung durch ausgebildete Fachkräfte erlernt. Das Betreuungsgeld unterläuft die jahrzehntelangen Bemühungen um Integration und Chancengleichheit. Die Zahlung hat jetzt schon dazu geführt, dass diejenigen Kinder, die besonders von dem Besuch der Kindertagesstätten profitieren, abgemeldet oder erst gar nicht angemeldet wurden. Das Betreuungsgeld läuft vielen erfolgreichen Programmen und Maßnahmen im Elementarbereich zur Sprachförderung und Integration entgegen. Gerade auch arme Familien und Alleinerziehende mit geringem Einkommen haben bereits auf die Nutzung der Bildungsangebote für ihre Kinder verzichtet, um mit dem Betreuungsgeld ihre notwendigen Ausgaben tätigen zu können. Anstelle eines flächendeckenden, kostenlosen, mit gesundem Ernährungsangebot ausgestatteten Elementarbereichs wird Bargeld verteilt. Die Ansätze, um Strukturen zu schaffen die allen Kindern in Deutschland die gleichen Chancen auf möglichst frühe Bildungsteilhabe bieten, sind durch das Betreuungsgeld wieder zunichte gemacht worden.

Das Betreuungsgeld behindert die jahrzehntelangen Bemühungen um Gleichstellung

Das Betreuungsgeld ist gleichstellungspolitisch der falsche Weg, weil weder der Verzicht noch eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit die Voraussetzung für den Leistungsbezug des Betreuungsgeldes sind. In seiner Zielsetzung läuft das Betreuungsgeld dem Artikel 3.2 des Grundgesetzes zuwider (Artikel 3.2 sagt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“). Wie die Erfahrungen aus Skandinavien zeigen, stellt das Betreuungsgeld einen Anreiz vor allem für weniger gut qualifizierte und integrierte Frauen dar, dem Arbeitsmarkt über die Phase des Elterngeldbezugs hinaus fernzubleiben. Doch je länger die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit dauert, desto schwieriger fällt im Regelfall die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Damit verschlechtern diese Frauen ihre Chancen auf eine eigenständige Erwerbsbiographie mit den gravierenden Folgen für die Absicherung in ihrem Alter. Um den Rechtsanspruch zu garantieren, wurde der bundesweite Bedarf ermittelt. Für das Jahr 2012 ging man von einer Bedarfsquote für einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagespflegeperson von 39 Prozent aus (das entspricht rund 780.000 Plätzen, im März 2012 nahmen aber nur 558.000 unter dreijährige Kinder ein öffentliches Betreuungsangebot in Anspruch). Kehrt man diese Aussage um, werden 61 Prozent Betreuungsgeld beziehen können. Die erwerbstätigen Frauen werden so mit dem Betreuungsgeld andere als die staatlichen Betreuungsformen finanzieren müssen oder eben selbst das Kind zuhause betreuen. Betreuen sie ihre Kinder selbst, wird die klassische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen noch weiter gefestigt und sie erhöhen wiederum den Unterschied in den Erwerbsbiografien zwischen Männern und Frauen. Eine ausreichende, dem Bedarf gerecht werdende und flächendeckende öffentliche Kinderbetreuung schafft erst die Voraussetzung dafür, dass der Wiedereinstieg der Frauen nach der Kindererziehungszeit und die Beschäftigungsmöglichen der Alleinerziehenden erst möglich wird. So werden die erfreulichen kleinen Schritte, wie das kleine Wachstum bei den Beschäftigungsquoten der Frauen schnell wieder zunichte gemacht. Die Beschäftigungsquote der Frauen in Dortmund ist in den vergangen Jahren stetig angestiegen, von 2008 von 39,7 Prozent auf 43,4 Prozent 2013. Dagegen beträgt laut Agentur für Arbeit das Bruttoarbeitsentgelt in Dortmund bei den Männern 3.223,00 Euro, bei den vollzeitbeschäftigten Frauen dagegen nur 2.764,00 Euro. Für eine Gleichstellung gibt es auch in Dortmund noch viel zu tun.

Beim Betreuungsgeld wird viel von der Wahlfreiheit gesprochen, es gibt sie aber gar nicht

Um etwas auswählen zu können, muss dieses etwas in ausreichender Anzahl zu Wahl stehen. Die im Gesetz definierte Wahlfreiheit ist allerdings erst dann gegeben, wenn eine genügende Anzahl von qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen vorhanden ist. Hohe Qualität setzt qualifiziertes Personal voraus. Allein für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz wären im vergangen Jahr zusätzlich 25.000 pädagogische Fachkräfte erforderlich gewesen. Wie schon erwähnt, können 61 Prozent der Eltern, deren Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben, Betreuungsgeld beziehen. Für ihre Kinder sind nicht ausreichend Plätze vorhanden – somit haben sie auch keine Wahl zwischen Betreuungsgeld und Betreuungsplatz.

Das Betreuungsgeld unterstützt die reichen Eltern

Das Betreuungsgeld subventioniert die Besserverdiener, die es sich leisten können, auf die öffentlich geförderten Plätze verzichten zu können. Das Betreuungsgeld kann ja anders als das Elterngeld auch bei gleichzeitiger Vollzeitbeschäftigung beider Elternteile in Anspruch genommen werden. Diese zusätzliche Zahlung erhalten auch diejenigen Eltern, die ihr Kind in eine privat finanzierte oder betriebseigene Einrichtung geben oder sich eine Au-pair oder ein „Kindermädchen“ einkaufen können.

Die Einführung des Betreuungsgeldes im vergangenen Jahr ist der Versuch, die Eltern durch eine monatliche Zahlung von der Einforderung des Rechtsanspruchs auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz abzuhalten und die Gegner der öffentlichen Erziehung in den konservativen Parteien ruhig zu stellen.

Das Betreuungsgeld fördert die privaten Einrichtungen

Die privaten Einrichtungen können seit Einführung des Betreuungsgeldes ihre Elternbeiträge unter Berücksichtigung der Betreuungsgeldleistungen kalkulieren. Wenn dann noch der Elternbeitrag für die private Einrichtung nach Verrechnung der 150,00 Euro unter dem Höchstsatz der öffentlichen Einrichtung liegt, rechnet es sich für die Eltern mit hohem Einkommen, ihre Kinder nicht in die öffentlichen, sondern in den privaten Einrichtungen anzumelden

Das Betreuungsgeld benachteiligt die armen Eltern

Für die Eltern, die Leistungen nach dem SGB II (Hartz 4) erhalten, wird das Betreuungsgeld mit dem Arbeitslosengeld II vollkommen verrechnet. So werden diese Eltern zusätzlich diskriminiert und von einer weiteren Sozialleistungszahlung ausgenommen. Ihren Kindern wird obendrein noch eine Chance auf frühkindliche Bildung entzogen. Einige Eltern im Hartz 4 Bezug wurden auch schon angehalten, sich für das Betreuungsgeld zu entscheiden – ein guter Trick, denn durch die Verrechnung mit dem als Bundesleistung gezahlten Betreuungsgeldes wird der kommunale Hartz 4-Zahlungsanteil für die Städte verringert.

Das Betreuungsgeld wird den Ausbau eines flächendeckenden Angebots an Plätzen im Elementarbereich zusätzlich bremsen

Es hat sich gezeigt, dass durch die Einführung des Betreuungsgeldes der Druck, der durch das Kinderförderungsgesetz, vor allem bei den Kommunen entstanden ist, verringert wurde. Die Städte können es nun es entspannter angehen, allen ein- bis dreijährigen Kindern den gesetzlich garantierten Anspruch auf einen Betreuungsplatz zu verschaffen. Das Betreuungsgeld trägt zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei, es rechtfertigt, dass sozial ungleiche Inanspruchnahme von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung möglich ist. Oder ist man bewusst nicht daran interessiert, dass die unteren Schichten frühzeitig gebildet werden und gleiche Chancen bekommen, da ihre Leistung sowieso nicht mehr benötigt wird.

Das Betreuungsgeld wird als Treppenwitz der Sozial- und Bildungspolitik eingehen: man wird staatlich dafür entschädigt, dass man eine staatliche Leistung nicht in Anspruch nimmt!

Quellen: Sozialamt/Stadt Dortmund, WAZ, Stellungnahme DGB zum Betreuungsgeld Forschungsverbund TU Dortmund [PDF – 1.7 MB] http://www.forschungsverbund.tu-dortmund.de/fileadmin/Files/Aktuelles/Publikationen/Auszug_zum_Betreuungsgeld_3.pdf Friedrich Ebert Stiftung: http://library.fes.de/pdf-files/id/09036.pdf – Betreuungsgeld-Erfahrungen aus Finnland, Norwegen und Schweden Bild. Frauen.dgb.de