Bonus-Modelle: Journalisten im Hamsterrad

Von Rainer Stadler

Wer beim Publikum Erfolg hat, soll mehr Lohn erhalten. Diese Idee geistert seit einiger Zeit durch die Medienbranche.

Die konservative britische Zeitung «Daily Telegraph» will eine neue Leistungskomponente bei der Entlöhnung ihrer Journalisten einführen. Einen Bonus sollen jene erhalten, deren Beiträge gute Klickzahlen verzeichnen und die Besucher dazu anregen, ein Abonnement zu bestellen. Das meldete dieser Tage der «Guardian». Er beruft sich auf eine E-Mail von Chefredaktor Chris Evans ans Personal. Darin schreibt er, dass es noch nicht so weit sei, da die Entwicklung eines solchen Systems kompliziert sei. Doch hält er es für völlig richtig, dass jene gut bezahlt werden, welche Abonnenten gewinnen und an Bord zu halten vermögen.

«Eine dieser verrückten Ideen»

Die Belegschaft zeigte keine Freude an der Idee, wie der «Guardian» weiter schreibt. Denn von einem Bonus würden, so die Befürchtung, jene profitieren, welche Herz- und Schmerzgeschichten produzieren – diese erzielen erfahrungsgemäss höhere Einschaltquoten als politisch wichtige, aber weniger eingängige Beiträge. Jedermann sei empört, heisst es. Die Redaktion hoffe, dass es sich bloss um «eine dieser verrückten Ideen» handle, die bald wieder verworfen werde.

Die verrückte Idee kursiert allerdings seit einiger Zeit auf dem Medienmarkt. Richtig durchsetzen konnte sie sich bisher nicht. Vor vier Jahren machte Tamedia einen Test mit der auf Eilmeldungen spezialisierten Redaktion des Newsexpress. Der Journalist, der die höchste Zahl an Klicks ausweist, erhielt pro Trimester 800 Franken zusätzlich, der Zweitplatzierte 500 Franken und der Drittplatzierte 300 Franken. Ziel war es nicht, die Journalisten zu einer erhöhten Produktion anzutreiben. Vielmehr sollten sie den Nachrichtenstoff so veredeln, dass das Publikum die Bedeutung eines Themas besser erkennen könne.

Kundentreue als Ziel

In den USA und Europa erprobten im vergangenen Jahrzehnt verschiedene Medienhäuser absatzorientierte Lohnmodelle. So bezahlte die Klatsch-Website Gawker, die wegen eines aufsehenerregenden Rechtsstreits untergegangen ist, den Berufseinsteigern einen Grundlohn von 1500 Dollar sowie 5 Dollar pro 1000 Besuche, die sie während eines Monats verzeichneten. Unternehmerisches Ziel war nicht die kurzfristige Maximierung von Klick-Zahlen, sondern der Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen. Die Börsenplattform thestreet.com versuchte es ebenfalls. Ein Journalist bekam 50 Dollar für einen Beitrag, wenn dieser innerhalb einer Woche 60 000 Seitenaufrufe erreichte. Als eine Regionalzeitung in Wales ein ähnliches Lohnmodell erprobte, protestierte die Journalistengewerkschaft NUJ – wie nun auch im aktuellen Fall des «Daily Telegraph».

Das amerikanische Wirtschaftsmedium «Forbes» wollte schon 2012 die Kundentreue gezielt fördern. Wenn ein Konsument innerhalb eines Monats einen Beitrag desselben Autors aufrief, wurde für die Bonusberechnung der Besuch mit dem Zwanzigfachen eines Erstbesuchs multipliziert. Ein Mitarbeiter konnte damals auf diese Weise rund 100 000 Dollar verdienen.

Indirekte Folgen

Auch wenn diese erfolgsorientierten Lohnmodelle nicht zum Standard geworden sind, sind sie indirekt schon längst wirksam geworden. Denn was technisch möglich ist, bleibt selten ungenutzt. Während die Verlage nur andeutungsweise das Verhalten von Zeitungslesern empirisch erfassen konnten, verfügen Online-Medien über eine Unmenge an aktuellen Daten. Auf den Redaktionen gehören Messsysteme zur laufenden Erfassung des Publikumsverkehrs inzwischen zum Standard. Sie liefern Informationen zur Anzahl, Herkunft, Regelmässigkeit und Dauer der Besuche. Die Redaktionen sind in der Lage, wie bei Börsenkursen in Echtzeit zu verfolgen, wie die Klick-Zahlen eines Beitrags in die Höhe schnellen oder wieder abstürzen. Schleppt der Absatz, versucht man es mit neuen Überschriften, um den Kurs anzutreiben. Regelmässig erstellte Hit- und Flop-Listen mit den Artikeln, die am besten oder am schlechtesten ankamen, gehören ebenfalls zu den Standardmitteln, mit denen die Redaktionen zu einer kundenfreundlichen Produktion animiert werden sollen.

Entsprechend prägen die Messsysteme längst den redaktionellen Output. Als Folge davon lassen Journalisten die Finger von Themen mit einer potenziell schlechten Performance und rennen dafür den Mainstream-Themen nach. Gleichzeitig dienen die Quoten als Mittel im innerredaktionellen Wettbewerb. Wer gute Zahlen erzielt, sieht sich besser legitimiert und positioniert im Kampf um knapper werdende Ressourcen. Wer schlechte Quoten verzeichnet, muss überdies damit rechnen, vom Chef unter Druck gesetzt zu werden. Das führt zu einem ungesunden Dauerstress und erhöht die Gefahr, dass sich Redaktionen – trotz allen gegenteiligen Beteuerungen – an kurzfristigen Zahlenerfolgen orientieren.

Zweifelhafte Präzision

Zweifellos müssen sich auch Journalisten am Markt orientieren. Wenn ein Beitrag keine Nachfrage findet, sollte sich der Produzent fragen, was er falsch macht. Indessen sind die gängigen Messinstrumente alles andere als präzis. Die Umsetzung der vorhandenen Daten in aussagekräftige Informationen ist keineswegs trivial. Systeme, welche beispielsweise Angaben zur Anzahl der Besucher, zur Nutzungszeit und zum Umfang der jeweiligen Beiträge kombinieren, sind – so meine Beobachtung – fehleranfällig. Sie erinnern an jene komplexen CDS-Finanzprodukte, deren Wirkung kaum jemand mehr verstand und die 2008 die Finanzkrise auslösten. Auf dem Medienmarkt vermitteln diese Messsysteme eine Scheinpräzision. Das ist gefährlich, weil dadurch auch Fehlanreize geschaffen werden.

Zudem: Wie soll es möglich sein zu erkennen, ob ein Kunde genau wegen eines spezifischen Artikels ein Abonnement zu bezahlen bereit ist? Dem Einkauf eines Konsumenten gehen Erfahrungen und Überlegungen voraus, welche die spätere Entscheidung bereits prägen. Der Zusammenhang zwischen einem einzelnen Artikel und dem Einkauf erscheint insofern als eher zufällig.

 

 

 

 

Quelle: Onlinezeitung INFOsperber   infosperber - Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information SSUI
cc image
Bild:new-york-times-newspaper-1159719_640.jp