Der Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst: Warum er uns alle angeht – und warum er feministisch ist

Von Aktivistinnen des feministischen Solibündnisses SuE Kassel

Zum diesjährigen Frauenkampftag schmieden Ver.di und Frauenstreik ein Bündnis rund um die Tarifrunde des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE).

In der letzten Ausgabe stellte eine Gewerkschaftssekretärin die Vorbereitungen von Ver.di dar. Diesmal beleuchten Aktivistinnen des feministischen Solibündnisses SuE Kassel ihre Motivation und was vor Ort gemacht werden kann.

Wie jedes Jahr stecken die lokalen Ortsgruppen der feministischen Streikbewegung in Deutschland mitten in der Planung für den 8.März, dem internationalen feministischen Kampftag. Die Aktivistinnen organisieren bundesweit Demos und Kundgebungen, um gegen Femizide und Gewalt an Frauen und Queers¹, gegen Altersarmut und Rassismus zu protestieren. Sie kämpfen für sexuelle Selbstbestimmung und für queere Lebensweisen. Viele gehen an diesem Tag für eine feministische Revolution auf die Straße, für ein Leben, in dem das Patriarchat nicht existiert.
Dieses Jahr verläuft die Vorbereitung jedoch anders als sonst: Bundesweit wurde der Fokus auf die Unterstützung der Arbeitskämpfe im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) gelegt.

Auch in Kassel konnten wir als Frauen- und Queersstreik ein Solibündnis für die Kolleginnen im SuE mitgründen.

Die Aufwertung von unbezahlter und bezahlter Sorgearbeit war schon immer eine zentrale Forderung für den feministischen Streik. Kochen, Kinder erziehen und alte Menschen pflegen sind bis heute stereotyp weibliche Aufgaben. Egal, ob unbezahlt oder (unter)bezahlt, es sind überwiegend Frauen und Queers, die sich um andere Menschen kümmern. «Überlastet, ungesehen, un(ter)bezahlt. Wir streiken! Gemeinsam gegen Patriarchat und Kapitalismus» – mit diesem Motto soll für eine Aufwertung der verschiedenen Spielarten von Sorgearbeit gestritten werden.

Im Berufsfeld der Sozialen Arbeit sind 83 Prozent der Beschäftigten Frauen². Ihre Arbeit wird schlecht bezahlt, es gibt massiven Personalmangel und häufig erhalten die Kolleginnen trotzdem nur befristete Verträge und damit keine Planungssicherheit, während sie unter großer Arbeitsbelastung stehen. Und das alles, obwohl Corona deutlich gezeigt hat, wie relevant und unverzichtbar die vielen verschiedenen Sorgearbeiten mit jungen und alten, kranken und gesunden Menschen in einer solidarischen Gesellschaft sind.

Diese Abwertung ihrer Arbeit hat System. Im kapitalistischen Patriarchat ist die Verantwortungsübernahme für andere Menschen wenig profitabel – und darum scheinbar auch nichts wert. Was wir fordern? Eine Gesellschaft, in der unsere Bedürfnisse und Beziehungen anstelle von Profit im Zentrum stehen. Eine Gesellschaft, in der weder Herkunft noch Alter oder Geschlecht darüber bestimmen, ob und wie viel wir für unsere Arbeit verdienen.

Die Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen im Sozial- und Erziehungsdienst gehen uns alle an, weil wir alle direkt und indirekt davon betroffen sind. Einige von uns arbeiten selbst im SuE und werden gemeinsam mit den Kolleginnen für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Wir alle und uns nahestehende Personen nehmen ihre Arbeit in Anspruch – wir sind Klientinnen, Eltern und Angehörige. Zugleich halten uns die Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Assistentinnen den Rücken frei, sodass wir unseren Alltag meistern können. Sie ermöglichen uns damit überhaupt erst, dass wir lohnarbeiten gehen können. Ihre Arbeit ist die Grundlage, ohne die keine andere Arbeit verrichtet werden könnte.

Damit sich die Wertschätzung für die Kolleginnen im SuE endlich auch im Gehalt und in den Arbeitsverhältnissen ausdrückt, werden wir gemeinsam mit Ver.di und darüber hinaus politischen Druck ausüben. Wir wollen die Beschäftigten im SuE-Bereich durch solidarische Aktionen unterstützen. Der Verhandlungsauftakt am 25.Februar bietet hierfür einen öffentlichkeitswirksamen Anlass. Am 8.März werden wir gemeinsam unsere Arbeit niederlegen und zu Hunderten demonstrieren gehen. Der gewerkschaftlich organisierte Streik im SuE wird jedoch nur ein Anfang sein. Unser Kampf für eine flächendeckende Aufwertung dieser lebensnotwendigen Arbeiten – und das sowohl im bezahlten als auch im unbezahlten Bereich – hat gerade erst begonnen.

Du willst unterstützen? Solidarisiert euch mit den streikenden Kolleg:innen und informiert in Einrichtungen, die ihr kennt, über die Tarifverhandlungen. Tretet in Austausch mit Beschäftigten, Angehörigen und Klientinnen. Und nicht vergessen: Kommt am 8.März mit uns auf die Straße! Die Abwertung von stereotyp weiblichen Arbeiten hat System. Wir müssen es gemeinsam aus den Angeln heben, damit wir alle unter guten Bedingungen arbeiten und endlich sorgenfrei von unserer Arbeit leben können.

¹»Frauen» schließt Trans* und/oder Inter-Frauen mit ein. Die Bezeichnung „queere Menschen“ steht für alle Menschen, die sich nicht oder nicht nur als Frau oder Mann identifizieren, und/oder für Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, dass ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das können beispielsweise trans-, inter-, nichtbinäre oder geschlechtslose Menschen sein.

²Hier verwenden wir die Bezeichnung «Frauen», da in den öffentlichen Statistiken TIN-Personen (trans, inter*, nichtbinär) nicht inbegriffen werden. 

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Inzwischen gibt es in etwa 15 Städten Solidaritätsbündnisse, u.a. in Stuttgart, Frankfurt a.M., Köln, Bonn, Münster und Freiburg. Mehr Infos zum Frauenstreik: https://frauenstreik.org/ortsgruppen/. Mehr Infos zur Ver.di Kampagne: https://mehr-braucht-mehr.verdi.de/.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien am 01.02.2022 auf SoZ – Sozialistische Zeitung (sozonline.de)

und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.Bild: Frauenstreik-DIELINKE