Der gesetzliche Mindestlohn wird zum 1. Januar 2017 um 34 Cent auf 8,84 Euro angehoben – ein Desaster für die Beschäftigten

Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von derzeit 8,50 Euro brutto pro Stunde wird zum 1. Januar 2017 um 34 Cent auf 8,84 Euro angehoben, was einer Steigerungsrate von 4 Prozent entspricht.

Anfang 2015 wurde der gesetzliche Mindestlohn eingeführt, um die steigende Armut und Lohnungleichheit in Deutschland zu verringern, doch der Mindestlohn ist bislang wirkungslos geblieben, er hat weder die Armut gesenkt, noch die Lohnungleichheit verringert und verhindert keinesfalls die Altersarmut ganzer Bevölkerungsgruppen.

Anfang 2015 wurde der Mindestlohn eingeführt, um die steigende Armut und Lohnungleichheit in Deutschland zu verringern. Doch der Mindestlohn ist in dieser Hinsicht bislang wirkungslos geblieben, er hat weder die Armut gesenkt, noch die Lohnungleichheit verringert. Im Gegenteil, die Armut nimmt  weiter zu. Galten vor der Einführung des Mindestlohns 15,4 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet, sind es jetzt 15,7 Prozent.

Unverändert geblieben ist die statistisch gemessene Ungleichheit der Einkommensverteilung.

Der sogenannte Gini-Koeffizient ist der international gängigste Maßstab für Ungleichheit. Vor dem Inkrafttreten des Mindestlohns ermittelte das Statistische Bundesamt für Deutschland einen Gini-Koeffizienten von 29 Prozent. Heute liegt dieser Gini-Wert immer noch bei ebenjenen 29 Prozent. Es hat sich da nichts verändert.

Auch hat sich die Zahl der Beschäftigten, die ergänzend zu ihrem Lohn noch Arbeitslosengeld II beziehen, nur geringfügig verändert. Gab es im Jahr 2014 noch 1,18 Millionen der sogenannten Aufstocker, so sank diese Zahl im vergangenen Jahr nur auf 1,13 Millionen Personen.

Vom Mindestlohn ausgenommen bleiben weiterhin minderjährige Beschäftigte, Auszubildende, Ehrenamtliche sowie bestimmte Langzeitarbeitslose und Praktikanten. Weitere Ausnahmen vom Mindestlohn sind auch in den Bereichen möglich, in denen Branchenmindestlöhne gezahlt werden. In mehreren Niedriglohnbranchen werden deshalb auch jetzt noch weniger als 8,50 Euro gezahlt, so in der Land- und Forstwirtschaft mit dem Gartenbau, in der Fleischindustrie, im Friseurhandwerk sowie bei den Zeitungszustellern und Zeitarbeitern. Spätestens ab dem 1.1.2018 gilt dann erst für alle Branchen der gesetzliche Mindestlohn, wenn er denn höher als der Branchenmindestlohn ist.

Nun ist auch deutlich geworden, warum die Dokumentationspflicht über die Arbeitszeit von Anfang an bei Arbeitgebern wegen des angeblich großen Aufwands in der Kritik stand und von einem „Bürokratie-Monster“ die Rede war. In Wahrheit gab es die Dokumentationspflicht auch schon vor dem Mindestlohn und die Arbeitgeber wehren sich nur gegen diese nachvollziehbare Kontrolle der Arbeitszeiten, vor allen, die der geringfügig Beschäftigten. Auch weil die Dokumentationspflicht in allen Branchen gilt, in denen die Schwarzarbeit am häufigsten ist, etwa im Baugewerbe und in der Gastronomie, ist sie ihnen ein Dorn im Auge. Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände fordern immer noch vehement, das Mindestlohngesetz zu überarbeiten und vor allem die Dokumentationspflicht zu lockern.

Besonders kreativ waren die Arbeitgeber bislang, wenn es um die Erfindung von Möglichkeit geht, um den Mindestlohn zu unterlaufen. In der alltäglichen Praxis gab es bisher solche Tricksereien:

  • In der Gastronomie wurden Trinkgelder verrechnet.
  • Zuschläge wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld werden gestrichen um damit formell den Stundenlohn anzuheben.
  • Bei anderen fiel der bisher gezahlte Sonn- und Feiertagszuschlag plötzlich weg.
  • Beschäftigte durchliefen ein mehrmonatiges Praktikum und bekamen dafür kein Geld. Laut Mindestlohngesetz ist ein freiwilliges Praktikum nach Studium oder Berufsausbildung ab dem ersten Tag der Beschäftigung mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu vergüten. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte Pflicht- oder Orientierungspraktika. Reguläre Arbeit wurde so als Praktikum deklariert, obwohl es sich nicht um Lernverhältnisse handelte.
  • Die Arbeitgeber reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleibendem Monatsentgelt auf mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu kommen. So etwas bedarf einer Vertragsänderung, der beide Seiten zustimmen müssen.
  • Wird die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwarteten die Arbeitgeber trotzdem die bisherige Arbeitsleistung, allerdings nur unbezahlt.
  • Beschäftigte erhielten zwar den Mindestlohn, müssen aber eine „Umsatzabgabe“ zahlen.
  • Beschäftigte bekamen ihre bis zu 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn dann nach den Belegen gefragt wurde, gab es die gar nicht.
  • Einige Unternehmen machten sich dagegen nicht einmal die Mühe, die Nichteinhaltung des Mindestlohns zu vertuschen. Sie weigern sich ganz offen, den Mindestlohn zu zahlen.
  • Als Teil des zustehenden Lohns wurden Mitarbeitern im Sonnenstudio eben Solarium-Gutscheine, im Kino Gutscheine für Popcorn oder in der Sauna Wellness Gutscheine überreicht.
  • In Nagelstudios wurde nur für die Zeit bezahlt, in der die Angestellte auch Kunden betreute.
  • Manche Gastronomen oder Friseure ließen ihre Mitarbeiter als Selbstständige für sich arbeiten.
  • Frührentner, die als Busfahrer Schüler fuhren, sollten nur dann bezahlt werden, wenn die Busse auch besetzt waren.
  • In Bäckereien wurde die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsöffnung unter den Tisch fallen gelassen.
  • Eigentlich reguläre Arbeit, wie vor allem im Bereich Soziale Dienste, wurde als Ehrenamt deklariert und dort wurden Minijobs mit dem Ehrenamt gekoppelt.
  • Die Zeitvorgaben wurden so kurz bemessen, dass sie nichts mehr mit dem realistischen Zeitaufwand zu tun hatten und bezahlt wurde nur die vorgegebene Zeit und nicht die tatsächliche.

Gegen die Kontrolle des Mindestlohns ging das Bundesland Bayern besonders gründlich vor, dort wurde sie durch die Hintertür abgeschafft. Der Wirtschaftsausschuss des bayrischen Landtages beschloss, dass die 1.600 Planstellen für Zollbeamte zur Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohns „entbehrlich“ seien, weil die Betriebe ausreichend durch und regelmäßig von der Deutschen Rentenversicherung geprüft und die Prüfung durch den Zoll nur zusätzlich Zeit und Geld und Nerven kosten würde.

Der DGB Bayern sah das anders, er machte darauf aufmerksam, dass die Deutsche Rentenversicherung weder personell noch organisatorisch in der Lage ist, die Einhaltung des Mindestlohnes zu überprüfen. Er widerlegte die Behauptung der Landtagsmehrheit, dass dies auch nicht zu ihren Prüfungsschwerpunkten gehören würde. Der DGB Bayern wies noch darauf hin, dass die Rentenversicherung zudem nur alle vier Jahre prüft und die Aufbewahrungsfrist für die Dokumente für den Mindestlohn aber nur zwei Jahre beträgt. Außerdem darf die Rentenversicherung weder die Arbeitszeiterfassung kontrollieren, noch Bußgelder verhängen. Im Gegensatz zur Finanzkontrolle nimmt sie nicht direkt Kontakt mit den Beschäftigten auf, sondern prüft nur die entsprechenden Unterlagen. Die Rentenversicherung in Bayern sagt selbst, dass die Prüfung nicht ihre Aufgabe sei, sondern die der Finanzkontrolle und sie selbst nicht für alle Beschäftigten eine Prüfung im Einzelfall durchführen kann.

Die Ausnahmeregelung vom Mindestlohn, auf die unter anderem bayrische Politiker bestanden hatten, zeigt sich heute als Flopp.

Nicht einmal 2.000 Langzeitarbeitslose haben seit der Einführung des Mindestlohns davon profitiert, bei offiziell durchschnittlich 1,04 Millionen gemeldeten langzeitarbeitslosen Menschen im Jahr 2015. Für Arbeitgeber ist es viel attraktiver, Langzeitarbeitslose über einen Eingliederungszuschuss einzustellen, denn dieser beträgt für maximal zwölf Monate mindestens 50 Prozent des Arbeitsentgelts.

Aber zurück zur Erhöhung des Mindestlohns um 34 Euro-Cent um 01.01.2017.

Der Mindestlohn hat weder die wachsende Armut und Lohnungleichheit verringert, noch die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung verändert, noch die Zahl der sogenannten Aufstocker gesenkt und schon gar nicht die Konsumnachfrage gesteigert.

Wer in dem Jubelchor das Lied von der Erfolgsgeschichte des Mindestlohns mitsingt, outet sich als jemand, der sich von der konkreten Lebenssituation der Beschäftigten um Lichtjahre weit entfernt hat.

 

 

 

Quellen: Statistisches Bundesamt, zeit.de, dgb, express

Bild: IWW Bremen