Die Altlasten kommen aus der Versenkung – 1/7 der Dortmunder Stadtfläche sind Verdachtsflächen

Umweltbelastung wikipediaIn diesem Frühjahr wurde bekannt, dass bei den Bewohnern der ehemaligen Altlasten-Skandal-Siedlung Dorstfeld-Süd auffallend viele Krebserkrankungen aufgetreten sind.

Das Gesundheitsamt der Stadt Dortmund hatte eine Umfrage gestartet, um diesen Verdacht zu überprüfen. Jetzt liegt das Ergebnis auf dem Tisch. Von 1.202 angeschriebenen Bewohnern der Siedlung haben 354 Personen den knappen, einseitigen Fragebogen ausgefüllt und zurückgeschickt. Das Ergebnis lautet, dass es seit den 1980er Jahren 109 Krebsfälle in der Siedlung, in der 220 Häuser stehen, gegeben hatte. Angesichts dieser relativ hohen Zahl empfiehlt das Gesundheitsamt der Stadt, die auffällige Häufung der Krebserkrankungen jetzt wissenschaftlich untersuchen zu lassen.

Die Anwohner fordern, dass auch flächendeckend Luft- und Bodenmessungen durchgeführt werden, um jedes Risiko auszuschließen, dass noch Altlasten im Boden schlummern.

Das Thema Altlasten war jahrelang vom Tisch, nicht aber für die engagierten Leute, die sich in den vergangenen Jahren um die Umweltskandale im Dortmunder Hafen kümmerten, der ja selbst insgesamt eine riesige Altlast ist, weil die gesamte Hafenfläche bei ihrem Bau, aus allen möglichen, auch belasteten Restflächen der Stadt aufgeschüttet wurde.

Ende der 1990er Jahre wurden in Dortmund nahezu 2.000 Altstandorte und Altablagerungen erfasst. Die Verdachtsflächen machen insgesamt ca. 1/7 der Stadtfläche aus.

Wenn man in Dortmund von Altlasten redet, hat man immer die Flächen im Kopf, auf denen die Zechen und Kokereien standen.

Dabei vergisst man schnell, dass z.B. der Dortmunder Hafen eine Altlastenfläche darstellt, die aus allen möglichen Restflächen aufgeschüttet wurde, was bei der Aufarbeitung des Envio- PCB-Skandals von wichtiger Bedeutung war. Im Flächennutzungsplan ist dieses immense Altlastengebiet als Sondernutzungsgebiet Hafen ausgewiesen, in dem alle möglichen Nutzungen, so auch der 24-Stunden-Betrieb möglich sind. Eine solche unregulierte Fläche liegt dann auch noch in unmittelbarer Nähe eines dicht besiedelten Wohngebietes.

Bis in die 1970er Jahre war es üblich, ehemalige Gruben teilweise als illegale Ablagerungsmöglichkeiten z.B. für Bauschutt, Bodenaushub und Hausmüll zu nutzen. So waren Ende der 1990er Jahre in Dortmund fast 2.000 Altstandorte und Altablagerungen erfasst worden.

Wenn nun wieder die Altlasten-Skandal-Siedlung Dorstfeld-Süd im medialen Interesse steht, ist das für viele Dortmunder so, als ob sie eine neue Situation schon einmal erlebt, gesehen, aber nicht geträumt haben, ein echtes Déjà-vu-Erlebnis also. Erinnerungen werden wach.

1965 kaufte die Stadt Dortmund das Betriebsgelände der 1963 stillgelegten Zeche Dorstfeld. 1980 wurde mit dem Bau von rund 200 Wohnhäusern begonnen. Grundlage war ein rechtskräftiger Bebauungsplan aus dem Jahr 1972. Den Baugrund nannte man bei der Zeche Dorstfeld „alter Zechenholzplatz“, in Wahrheit war es die verharmlosende Bezeichnung des früheren Imprägnierwerks in dem krebserregende Steinkohlenteeröle verarbeitet worden waren.

1981 gab es erstmals konkrete Hinweise auf Bodenverunreinigungen. Planer und Kommunalpolitiker, die an den Beschlussfassungen zu diesem Bebauungsplan im Jahr 1972 beteiligt waren, konnten sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Dafür bekamen sie von der damals noch vielfältigen und bissigen Lokalpresse heftig Prügel.

Nachdem das Gebiet bebaut war, waren die Menschen in Dorstfeld-Süd bis zur Sanierung jahrelang den Giften ausgesetzt. Am Anfang waren sogar die Sandkästen der Spielplätze mit krebserregenden Stoffen belastet. Viele Anwohner hatten nachweislich erhöhte Schadstoffwerte im Blut.

Die Dortmunder Grünen brachten den Skandal 1983 in den Rat ein. Der zuständige Dezent vermittelte den Eindruck, dass er und die Verwaltung zum ersten Mal von einer ehemaligen Kokerei auf den Grundstücken hören würden. Dabei war die Problematik der Altlasten in Dorstfeld lange bekannt, bevor mit dem Bauen begonnen wurde. Ein Blick ins Stadtarchiv hätte auch schon genügt, um die Gesundheit der Menschen nicht zu gefährden.

Die Situation heizte sich weiter auf, als bekannt wurde, dass seltsamerweise in der Hausaktenverwaltung des Bauordnungsamtes bestimmte Dokumente verschwunden waren.

Der öffentliche Druck bewog die Stadt Dortmund 1985, als erste Großstadt im Ruhrgebiet, mit der systematischen und flächendeckenden Erfassung von sogenannten Altlasten zu beginnen und brachte eine Themenkarte heraus. Auch wohl deshalb, weil die Giftfunde auf ehemaligen Bergbau-und Kokereistandorten in den Ortsteilen Dorstfeld-Süd, Mengede und Scharnhorst weiteren Handlungsbedarf aufzeigten.

Nun reichte der Verdacht auf eine Altlast im Boden aus, um die Arbeitsweise der Stadtentwicklungs- und Bauleitplanung, die Wirtschaftsförderung und die Stadtsanierung zu ändern. Schnell wurden damals acht Bebauungspläne, für Altlasten-Verdachtsflächen vorsichtshalber nicht ausgeführt.

Dann begann die langwierige und 92 Millionen DM teure Sanierung der verseuchten Fläche. Begleitet von 11 wissenschaftlichen Gutachten, Berichten und Stellungnahmen, komplettiert durch Vorschläge und Empfehlungen der verschiedenen zuständigen Behörden und Experten aus Wissenschaft und Technik.

Die Stadt Dortmund versuchte 1985 noch die Harpen AG als letzte Betreiberin der Kokerei zu den Kosten für die Sanierung heranzuziehen, doch Harpen konnte nachweisen, dass die Stadtverwaltung zum Zeitpunkt der Bebauung das Gebiet mit seinen Altlasten schon kannte.

1986 richtete die Stadt Dortmund als eine der ersten Städte in Deutschland ein Umweltamt ein. Als erste Aufgabe gab das Amt die „Auseinandersetzung mit den historischen Sünden der Industrialisierung und Zersiedelung des Stadtraumes“ an. Insgesamt wurden seit 1985 vom Umweltamt für rund 300 Verdachtsflächen in Dortmund Gefährdungsabschätzungen durchgeführt. Es kann heute bei der Beurteilung der Belastungssituation im Dortmunder Stadtgebiet auf weitere 500 gutachterliche Stellungnahmen und Berichte von Bauantragsstellern zurückgreifen.

Das Gebiet in Dorsdtfeld-Süd sollte dann aufwändig saniert und der Boden, soweit das technisch möglich war, ausgekoffert und entsorgt werden. Allerdings waren die Bewohner zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre den Giften ausgesetzt. Und auch die Sanierung selbst zog sich hin.

Viele Anwohner hielten damals gerade das Ausgraben der Giftstoffe für gefährlich, weil so krankmachende, leichtflüchtige Stoffe in die Luft gelangen konnten. Die Stadt Dortmund war sich da auch nicht sicher, sie hatte an den Baustellen regelmäßig die Schadstoffkonzentrationen gemessen und versuchte, Ausdünstungen notfalls mit Spritzbeton an den Grubenwänden zu stoppen.

Etwa 10 Jahre nach der Entdeckung des Giftes sagten die Verantwortlichen, dass nun das Gebiet weitgehend saniert sei. An manchen Stellen konnte allerdings der Boden aus technischen Gründen nicht ausgetauscht werden, z.B. direkt unter den Häusern. Der Abschlussbericht der Sanierungsmaßnahme behauptete aber, dass dort niemand mehr mit Giftstoffen in Kontakt kommen könne.

Schon in den 1980er Jahren, als der Altlastenskandal bekannt wurde, hatten die Behörden den Bewohnern ein deutlich höheres Krebsrisiko bescheinigt. Reihenuntersuchungen hatten darüber hinaus gezeigt, dass viele Bewohner erhöhte Konzentrationen von Schadstoffen, wie Schwermetallen und kokereispezifischen Giftstoffen im Blut hatten.

Vieles an dem Altlastenskandal erinnert an den Umgang von Politik und Behörden mit dem Envio-PCB-Skandal, dessen Bereinigung rechts- und gesundheitspolitisch immer noch vor sich hindümpelt. Als würden das schleppend verlaufende Gerichts-, wie auch das Insolvenzverfahren, die zähen Sanierungsbemühungen , die voraussichtliche Verlagerungen der immensen Kosten auf den Steuerzahler, der ungeklärte Verbleib von 400 Tonnen belasteter Kondensatoren nicht ausreichen, kam dann noch der vermutete Blindgänger dazu, eine Weltkrieg- II-Bombe, die auf dem Enviogelände liegen soll.

Das ist ganz schön viel auf einmal.

Vielleicht sollten wir das so ausdrücken, wie der bekannte Fußballphilosoph Jürgen „Kobra“ Wegmann, der sagte: „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“

Aber das Thema der Umweltskandale in Dortmund ist zu ernst, um Späße zu machen.

 

 

Quellen: Hermann, J. Bausch, WAZ, wdr,

Bild: de.wikipedia.org