Die US-Iran-Krise und der militärisch-industrielle Komplex – Krieg als Geschäftsmodell

Von Jakob Reimann

Während die Welt um die Jahreswende in Sorge um einen neuen, katastrophalen Krieg in Nahost den Atem anhielt, ließen die CEOs und Shareholder der weltweit größten Rüstungskonzerne die Sektkorken knallen. Allein die fünf größten US-Waffenfabrikanten konnten in wenigen Tagen den Wert ihrer Unternehmen um 20,7 Milliarden US-Dollar steigern.

Um die Jahreswende eskalierten in Nahost die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Mit einem maximal inkompetenten Narzissten im Weißen Haus steht die Welt anno 2020 so nah an einem potentiellen Krieg zwischen den beiden Erzfeinden wie zu keinem anderen Zeitpunkt seit der Islamischen Revolution 1979. Entgegen den Beteuerungen der Trump-Administration, die völkerrechtswidrige Hinrichtung von General Qassem Soleimani hätte die Welt zu „einem sichereren Ort“ gemacht, ist das genaue Gegenteil der Fall. Über den Menschen in Israel, den Emiraten, Saudi-Arabien und dem Irak hängt auch nach dem Luftschlag Teherans gegen zwei US-Basen im Irak weiterhin das Damoklesschwert einer möglichen Vergeltung des Iran für die Hinrichtung seines höchsten Generals, des zweitmächtigsten Mannes im Land – mag eine weitere Eskalation im Moment zwar unwahrscheinlich sein, haben uns Trumps Neocon-Feuerteufel schon viel zu oft eines Besseren belehrt und der Welt ein ums andere Mal bewiesen, dass auch nur ein Funken militärstrategischer Rationalität und damit ein Mindestmaß an Vorhersehbarkeit von ihnen nicht zu erwarten ist.

Es gibt nur Verlierer in diesem Spiel mit dem Feuer. So scheint es. Doch ist auch dieser Satz nicht ganz korrekt, denn: Einen Gewinner gibt es schon.

Die Profiteure des Krieges

Es mag wie eine allzu abgedroschene Binsenweisheit anmuten, doch gibt es bei jedem Verbrechen immer auch Profiteure des Unrechts: Der Menschenhändler, der Sexsklavinnen aus Rumänien und dem Westbalkan nach Westeuropa verschleppt, verdient sich und seiner Familie ebenso ein Einkommen wie die vergleichsweise gutbezahlten Schlächter des IS und der Al-Qaida. In genau diese Reihe der Menschenfeinde möchte ich auch jene Gruppe der Profiteure stellen, die sich mit jeder zuspitzenden Eskalation im Nahen und Mittleren Osten und überall anders auf der Welt ihre Bankkonten üppig füllen: die Rüstungsindustrie. Ich kann mir kaum einen verwerflicheren, moralisch bankrotteren Beruf vorstellen als jenen all der Frauen und Männer dieser Welt, die mit dem Verkauf von Panzern und Raketen, von Drohnen, Gewehren und Giftgas ihr täglich Brot verdienen. Diese Menschen sind kein Teil der zivilisierten Gesellschaft, sie sind Misanthropen, Menschenfeinde, die sich mit dem Mord an Unschuldigen ihre Taschen füllen, und als genau das öffentlich geächtet werden müssen: als Komplizen an Massenmord.

Auf Markets Insider, der Börsensparte der weltweit renommierten Wirtschaftspublikation Business Insider vom Axel Springer Verlag, finden sich minutenaktualisiert die Börsenwerte der Konzerne dieser Welt. Ich habe mir die Marktentwicklungen der zehn umsatzstärksten Rüstungskonzerne der Welt (eigentlich neun, denn für die russische Almaz-Antey auf Platz neun gibt es keine öffentlich zugänglichen Daten) um die Jahreswende genauer angesehen, jene Woche vom 31. Dezember 2019 bis zum 6. Januar 2020 also, in der die gegenwärtige US-Iran-Krise zu eskalieren drohte, und konnte in der Tendenz zwar wenig Überraschendes, in dem Ausmaße jedoch äußerst Bezeichnendes ermitteln: Die neun umsatzstärksten Rüstungskonzerne der Welt vermehrten den Börsenwert ihrer Unternehmen in wenigen Tagen akkumuliert um schwindelerregende 22,8 Milliarden US-Dollar, oder 3,7 Prozent. Der Großteil dieser Zuwächse (20,7 Milliarden Dollar) fällt – verständlicherweise – auf die fünf größten US-Rüstungskonzerne, die ohnehin die fünf größten der Welt ausmachen: Lockheed Martin, Boeing, Raytheon, Northrop Grumman und General Dynamics (die britische BAE Systems auf Platz sechs der weltweiten Rüstungscharts hat immerhin um 670 Millionen Dollar oder 3,7 Prozent zugelegt; die italienische Leonardo um 189 Millionen Dollar (3,0 Prozent) und die französische Thales Group um 426 Millionen (2,2 Prozent)).

Steigerung der Börsenwerte (Marktkapitalisierung) der zehn umsatzstärksten Rüstungskonzerne der Welt vom 31. Dezember 2019 auf den 6. Januar 2020:

  1. Lockheed Martin (USA)                        6,1%                   6,7 Mrd. $
  2. Boeing (USA)                                            2,5%                   4,5 Mrd. $
  3. Northrop Grumman (USA)                  9,3%                   5,4 Mrd. $
  4. Raytheon (USA)                                       3,6%                   2,2 Mrd. $
  5. General Dynamics (USA)                      3,7%                   1,9 Mrd. $
  6. BAE Systems (UK)                                   3,7%                  670 Mio. $
  7. Airbus (EUR)                                              3,2%                  887 Mio. $
  8. Leonardo (I)                                               3,0%                  189 Mio. $
  9. Almaz-Antey (RU)                                    k.A.                    k.A.
  • Thales Group (FR)                                   2,2%                  426 Mio. $

In absoluten Zahlen führt Lockheed Martin – der mit weitem Abstand umsatzstärkste Rüstungskonzern der Welt, der unter anderem die Hellfire-Raketen der Predator-Dohne fabriziert – mit einem Zuwachs von mehr als 6,7 Milliarden US-Dollar diese unrühmliche Liste an. In relativen Zahlen steht Northrop Grumman – bekannt für seine B-2-Tarnkappenbomber – mit 9,3 Prozent Zuwachs ganz oben: Etwas Säbelrasseln des US-Präsidenten und seine illegale Hinrichtung eines iranischen Generals lassen den Börsenwert des Bomberproduzenten in wenigen Tagen um fast ein Zehntel in die Höhe schießen. Für die größte deutsche Rüstungsschmiede Rheinmetall (Platz 25 der weltweiten Rüstungscharts) sah die Entwicklung weniger rosig aus. So verringerte der Kanonen- und Munitionsfabrikant aus Düsseldorf – der im letzten Jahr insbesondere mit seinem Umgehen des deutschen „Rüstungsstopps“ nach Saudi-Arabien als Komplize an Kriegsverbrechen im Jemenkrieg in die Schlagzeilen geriet – seinen Börsenwert gar um 37 Millionen US-Dollar, während der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern, ThyssenKrupp, weder Plus noch Minus machte. Das transeuropäische Rüstungskonglomerat Airbus, an dem die deutsche GZBV mit 11 Prozent größter Anteilseigner ist, legte im selben Zeitraum 887 Millionen Dollar oder 3,2 Prozent zu.

Während die Welt in Sorge um einen neuen, katastrophalen Krieg in Nahost den Atem anhielt, ließen die CEOs und Shareholder der weltweit größten Rüstungskonzerne die Sektkorken knallen. 2018 gaben die Länder der Welt mehr als 1,8 Billionen US-Dollar fürs Militär aus (Anstieg um 2,6 Prozent zum Vorjahr) – mehr als ein Drittel davon entfiel auf die USA, die so viel wie die acht folgenden Länder zusammen ausgaben (China, Saudi-Arabien, Indien, Frankreich, Russland, Großbritannien, Deutschland und Japan). Prahlte Donald Trump noch jüngst auf Twitter, die USA hätten „das mächtigste und am besten ausgestattete Militär der Welt“, können sich die großen US-Rüstungsschmieden schon auf neue Milliardenaufträge freuen, um einen „feindseligen Iran“ in die Schranken zu weisen.

Der militärisch-industrielle Medienkomplex

Einen weiteren Aspekt über die schmierige, korrupte Nähe zwischen Politik, Medien und Rüstungsindustrie im US-Establishment deckte der exzellente Investigativjournalist Lee Fang auf der Website The Intercept auf. Fang durchforstete im Zuge der Hinrichtung Soleimanis die US-Medienlandschaft und legte seinen Fokus dabei auf die Hintergründe jener iranophoben „Experten“ der Washingtoner Sicherheitsblase, die den US-Präsidenten für seinen Mord am General regelrecht lobpriesen. Fang: „Viele der Experten, die im nationalen Fernsehen erschienen oder in wichtigen Publikationen zitiert wurden, um das Vorgehen des Präsidenten zu loben, haben im Verborgenen gehaltene Verbindung zur Rüstungsindustrie – der einzigen einheimischen Industrie, die überhaupt von zunehmender Gewalt profitiert.“ (Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben.)

Da wäre etwa Jack Keane, ein pensionierter Army-General, der auf den rechtsaußen FOX News und auf NPR Trump über Tage hinweg für seine Soleimani-Exekution in den Himmel lobte. Keane arbeitete unter anderem für die berühmt-berüchtigte Söldnerfirma Blackwater sowie für General Dynamics (die durch die Iran-Krise fast zwei Milliarden Dollar an Wert zulegte, siehe oben) und ist jetzt Teilhaber einer Venture-Capital-Gesellschaft, die in diverse Rüstungsfirmen investiert.

David Petraeus ist ein Pentagon-Urgestein. Unter Obama war er CIA-Direktor und höchster Kommandeur der ISAF-Truppen. 37 Jahre beim Militär, hatte der Demokraten-nahe Petraeus auch unter Republikanischen Präsidenten hohe Posten inne, zuletzt etwa als Kopf des U.S. CENTCOM unter George W. Bush. Heute ist der Militär Teilhaber der Investmentfirma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR), die in diverse US-Rüstungsfirmen investiert (in Airbus etwa, sowie in der Vergangenheit in KrausMaffei und andere deutsche Rüstungskonzerne). Der Börsenwert von KKR stieg in den letzten Tagen um 3,1 Prozent oder über eine Milliarde US-Dollar. Petraeus ließ sich von verschiedensten Medienhäusern interviewen und erklärte zu Soleimani etwa auf PRI, Trump habe „diese Episode ziemlich beeindruckend gehandhabt“.

Der Rüstungslobbyist Van Hipp sang in einem Meinungsartikel auf FOX News ein Loblied auf Donald Trump und dessen eskalative Iranpolitik. Hipp ist der Kopf einer Lobbyfirma, die Dutzende Rüstungskonzerne vertritt, darunter auch General Atomics – jene Firma, die die berühmt-berüchtigte MQ9 Reaper-Drohne produziert, mit der General Soleimani getötet wurde.

(Eine Randbemerkung zu General Atomics: Der Drohnenhersteller ist anders als in der Branche üblich kein börsennotiertes Unternehmen, weshalb ich für diesen Artikel auch keine Wertsteigerung im Zuge des Soleimani-Attentats ermitteln konnte. Honeywell International Inc. hingegen – ein Konzern, der neben Lufterfrischern und Sprinkleranlagen exklusiv die Motoren der Reaper-Drohne produziert – ist ein börsennotiertes Unternehmen, dessen Wert um die Jahreswende in nur zwei Tagen um imposante 2,5 Prozent und über 3,1 Milliarden Dollar in die Höhe schoss.)

Und dann ist da noch Jeh Johnson, unter Obama Leiter des US-Heimatschutzministeriums (das jüngste US-Ministerium wurde 2002 unter George W. Bush offiziell zur „Terrorismusbekämpfung“ eingerichtet, fungiert de facto jedoch als Anlaufstelle für Lobbyisten der Rüstungskonzerne, um in diesen großzügig Steuergelder zu versenken). Johnson erschien auf den vermeintlich „linken“ NBC News, um dort seinen progressiven Kritiker*innen – die korrekterweise entgegneten, das Soleimani-Attentat sei ungesetzlich – fälschlicherweise zu erklären, Trump hatte „unter seiner verfassungsgemäßen Autorität als Oberbefehlshaber die umfassende nationale rechtliche Autorität, [Soleimani] auszuschalten“. Johnson ist heute im Vorstand von Lockheed Martin, dem mit meilenweitem Abstand umsatzstärksten Rüstungskonzern der Welt, der über die Jahreswende 6,7 Milliarden Dollar und 6,1 Prozent an Wert zulegte.

Dies ist die maximal korrupte Washingtoner Politik der Drehtür: Als hohe Funktionäre in diversen US-Regierungen waren sie direkt an all den Kriegen in Nahost beteiligt, planten diese und führten sie aus. Nach ihrem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst – und seinen bescheidenen Salären – wechseln sie schließlich in die private Rüstungsindustrie und schwatzen dort als Lobbyisten mit aberwitzigen Gehältern ihren alten Kolleg*innen in den Behörden überteuertes Tötungswerkzeug auf. Und um sicherzustellen, dass all die Panzer, Drohnen und Raketen auch genutzt und verschlissen werden, wandern sie als selbsternannte „Experten“ – gehörten sie doch einst zu den wichtigsten Männern in den Entscheidungszentren der Macht – von rechts nach „links“ durch die Medien und verteidigen die Kriegsabenteuer ihres ach so verhassten Präsidenten, in schändlicher Irreführung der Zuschauenden, ohne dabei offenzulegen, dass sie persönlich von diesen Kriegen maximal profitieren: der militärisch-industrielle Medienkomplex in a nutshell.

Legale Korruption in schwindelerregender Höhe, durch die sich skrupellose Militaristen mit dem Blut unschuldiger Menschen auf der anderen Seite des Globus ihre Taschen füllen. Krieg als das wohl lukrativste Geschäftsmodell von allen – unstillbare Gier als sein Antrieb, das Begraben jeder Moral und jeder Menschlichkeit als seine zwingende Voraussetzung.

 

Der Autor Jakob Reimann hat im Sommer 2014 sein Masterstudium in Biochemie in Dresden absolviert und arbeitete danach an der naturwissenschaftlichen Fakultät der An-Najah National University in Nablus, Palästina. Er forschte über die Auswirkungen chemischer Industrieanlagen auf Umwelt und Gesundheit der Menschen in der Westbank. Anschließend lebte er als freier Journalist und Autor in Israel und verschiedenen Ländern in Osteuropa und dem Balkan und ist mittlerweile wieder in Dresden.

 

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