Energiewende als Transformationsprozess – die Kosten der Konzerne werden in öffentliche Mittel umgewandelt

Was sich da in Washington abspielte, war nicht der Vorgriff auf die Praxis von TTIP, sondern eine Inszenierung, die es nach Ansicht vieler Freihandelsgegner eigentlich gar nicht geben dürfte. Ein Konzern, der schwedische Energieriese Vattenfall und ein Staat, die Bundesrepublik Deutschland, treffen sich zur mündlichen Verhandlung vor einem US-amerikanischen Schiedsgericht.

2011 wurde beschlossen, dass Deutschland aus der Atomenergie aussteigt. Vattenfall, eines der vier großen Energieunternehmen meint, dadurch enteignet zu werden und dass Deutschland gegen die internationale Energiecharta verstoßen habe. Deshalb verlangt der Energieriese 4,7 Milliarden Euro vom Bund.

Hier wird deutlich, wie Konzerne ihre Macht gebrauchen, um sich mit horrenden Schadenersatzforderungen über Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente hinwegzusetzen. Was uns bei der Energiewende noch erwarten kann, zeigen der Ausstieg aus der Atomenergie und das Ende der Kohleverstromung, wobei die Verluste der Unternehmen in öffentliche Mittel transformiert werden.

Seit der Energiemarktliberalisierung 1998 kann man vor allem bei den 4 Branchenriesen ein ziemlich hohes Umsatzwachstum beobachten, beruhend auf internationalen Expansionen, dem Auftun neuer Energiedienstleistungen und durch die durchgesetzte Preissteigerung im privaten Haushaltsbereich.

Als die Liberalisierung im Energiesektor einsetzte, sank zunächst die Zahl der Energieunternehmen. Ab 2002 nahm dann ihre Zahl rasant zu, vor allem wegen der vielen Neugründungen von Stromvertriebsgesellschaften, der Marktregulierung von Stromhändlern und auch durch die „Legal-Unbundling“, das ist die rechtliche Entflechtung von Stromerzeugung und Netzbetrieb. Außerdem hat es seit 2005 im Rahmen einer Rekommunalisierung 72 Stadtwerke-Neugründungen gegeben.

Im Jahr 2013 gab es in Deutschland 1.402 Energieunternehmen im Bereich der Elektrizitätswirtschaft, das ist gegenüber 1998 eine Steigerung um 14,1 Prozent.

Während sich die Anzahl der Energieversorgungsunternehmen (EVU) erhöhte, ging die Zahl der Beschäftigten von 1998 bis 2013 von 251.709 auf 191.892 drastisch um 23,8 Prozent zurück. Fast jeder vierte Arbeitsplatz wurde abgebaut. Besonders bei den großen 4 Branchenriesen (E.on, RWE, EnBW und Vattenfall) wurden Arbeitsplätze abgebaut.

Der seit 1998 einsetzende Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit im Energiesektor ist eindeutig zugunsten des Kapitals entschieden worden.

Im Einzelnen sieht das so aus:

  • Die wirtschaftlich entscheidenden Lohnstückkosten in der Strombranche sanken um 82,5 Prozent.
  • Die Personalintensität, das ist der Personalaufwand in Relation zur Gesamtleistung, ging von 15,4 auf 2,9 Prozent, also um 12,5 Prozentpunkte extrem zurück.
  • In der Elektrizitätswirtschaft kam es zu einer enorm hohen Umverteilung der erzielten Wertschöpfungen zum Nachteil der Arbeitseinkommen und zugunsten der Kapitaleinkommen. So verringerte sich in der Folge die Lohnquote auf der Basis der Nettowertschöpfung (Differenz zwischen dem Umsatz und den Ausgaben) zwischen 1998 und 2013 von 67,2 auf 42,7 Prozent, also um 24,5 Prozentpunkte.
  • Die Umsatzrendite (bemisst den verbleibenden Gewinnbeitrag je Euro Umsatz für die Eigenkapitalgeber, die sogenannten Shareholder) in der Elektrizitätswirtschaft schwankte im Zeitraum von 2013 und 2008 zwischen 2,4 und 7,1 Prozent und lag weit über den allgemeinen Renditen im Jahresdurchschnitt.
  • Die Gewinne stiegen für die Shareholder der Energieversorgungsunternehmen von 1998 bis 2013 um 180,9 Prozent, aber die Einkommen der in der Branche verblieben Beschäftigten nur um 31,2 Prozent.

Nun werden die Gewinne durch den Druck auf die konventionellen Stromerzeuger, der von dem Ausbau der erneuerbaren Energien ausgeht, geschmälert, auch weil Eon, RWE, Vattenfall und EnBW seit 2013 die Emissionsrechte für ihre fossilen Kraftwerke an der Börse ersteigern müssen–bis dahin hatten sie diese mehrheitlich geschenkt bekommen.

Atomausstieg

Im Jahr 2000 wurde von der rotgrünen Bundesregierung der Atomausstieg besiegelt. Für die einzelnen Atomkraftwerke wurden Restlaufzeiten zugestanden, die sicherstellen sollten, dass die Betreiberfirmen zumindest ihre Investitionen wieder einspielen und von vorneherein mögliche Schadenersatzansprüche ausschließen.

Als Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima hatte die schwarz-gelbe Regierung 2011 die im Herbst 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung gekippt und sich auf einen Fahrplan für einen endgültigen Ausstieg aus der Kernkraft geeinigt.

Vattenfall leitet seine Schadensersatzansprüche daraus ab, dass eines ihrer Atomkraftwerke nicht mehr ans Netz gehören sollte, während Kraftwerke ähnlichen Alters hingegen länger laufen dürfen.

Aber die Kosten, die Vattenfall einklagt sind jedoch lediglich peanuts gegenüber den zu erwarteten Kosten, die der Atomausstieg bzw. Auswirkungen der Energiewende ausmachen.

Der Streit um die Entsorgung von Atommüll gibt da schon einmal einen Vorgeschmack.

Die Bundesregierung ist zurzeit dabei, ein Gesetzespaket zu schnüren, das die Vorschläge der Regierungskommission zum Atomausstieg von Ende April 2016 umsetzen soll. Danach wird festgelegt, dass die vier Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW bis zum Jahr 2022 rund 23,342 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds überweisen, mit den die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll umgesetzt werden soll.

Im Gegenzug für einen darin enthaltenen Milliardenaufschlag können sich die Unternehmen von einer Haftung bis in alle Ewigkeit freikaufen. Jegliches weitere Risiko wird auf die Steuermittel transformiert. Der Staat soll demnach auf Dauer die Verantwortung für die Lagerung des Mülls übernehmen und dies aus dem Fonds bezahlen. Reicht das Geld nicht, muss die öffentliche Hand ran.

Die Unternehmen bleiben dafür verantwortlich, den radioaktiven Abfall zu verpacken sowie die Kernkraftwerke stillzulegen und zurückzubauen.

Die Summe von 23,34 Milliarden Euro basiert auf Zahlen aus dem Jahr 2014, durch Zinsen und weitere Kosten könnte es für die Konzerne noch etwas teurer werden.

Gerade diese Kostenhöhe wird von Umweltverbänden angezweifelt. Sie gehen davon aus, dass der Fonds höchstens die Hälfte der Kosten abdecken wird. Der sogenannte Risikoaufschlag sei vor allem ein Risiko für die Steuerzahler, denn auf die öffentliche Hand kämen Ausgaben von mindestens 60 Milliarden Euro zu. Bis zum Jahre 2099 würden allein schon für den Transport und die Einlagerung 120 Milliarden Euro notwendig sein. Diese Steigerung der Kosten kann aber bei den niedrigen Zinsen mit den eingezahlten 23 Milliarden Euro nicht erwirtschaftet werden. Selbst bei einem Zinssatz von utopischen drei Prozent käme nur die Hälfte, also nur 60 Milliarden Euro heraus.

Die Atom-Rückstellungen der 4 großen Energiekonzerne für Stilllegung und Rückbau der Atomanlagen sowie für die Atommülllagerung beliefen sich bis Ende des Jahres 2014 nach Angaben des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) auf insgesamt 37,8 Milliarden Euro. Die Analyse von FÖS zeigt auch auf, dass die Kraftwerksbetreiber nur unzureichend informieren, für welchen genauen Zweck, für welches Kraftwerk und für welchen Zeitpunkt die Rückstellungen vorgesehen sind. Auch sind Niveau, Entwicklung und Struktur der Rückstellungen sehr unterschiedlich. So lagen die Rückstellungen für Atomkraftwerke in Betrieb Ende 2013 zwischen rund 1.300 (AKW Emsland) und 2.100 Euro pro Kilowatt (AKW Brunsbüttel). Die FÖS weist auch darauf hin, dass die Betreiber deutscher Atomkraftwerke in den zurückliegenden Jahrzehnten mit den Rückstellungen für die Atommüllentsorgung Zusatzprofite in Höhe von 79 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Diese Gelder sind in den Bilanzen und Gewinnen der AKW-Betreiber verschwunden.

Anhand des Rückbaus des Versuchsreaktors in Jülich kann gezeigt werden, dass die Kosten kaum kalkulierbar sind, denn ein Atomkraftwerk lässt sich nicht einfach abschalten und abreißen. Nach dem Ende der Stromproduktion schließt sich erst einmal eine lange Abklingphase an, in der die heißen Brennstäbe im Reaktor noch jahrelang gekühlt werden müssen. Erst dann können die Stäbe in Castor-Behälter umgefüllt und zwischengelagert werden. Danach kann mit dem eigentlichen Abriss begonnen werden, der oft noch viel teurer wird als gedacht. In Jülich hat man ursprünglich damit gerechnet, dass der Rückbau 400 Millionen Euro kosten sollte. Die Kosten liegen bis heute bei 560 Millionen Euro, hier gab es eine Kostensteigerung von 40 Prozent.

Im Atomgesetz ist genau festgelegt, dass diese Kosten komplett von den Betreibern zu zahlen und sie alleine dafür verantwortlich sind. Von Anfang an war klar, dass diejenigen, die Geld mit der Atomkraft verdienen, auch für die Folgekosten aufkommen müssen.

Der Entsorgungspakt der Bundesregierung mit den vier Atomkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW stellt die bisherige Verpflichtung komplett auf den Kopf.

Wenn das Gesetz zum 1. Februar 2017 in Kraft tritt, wird die Transformation der Kosten des Atomausstiegs von den privaten Anlegern bei den Energiekonzernen auf die öffentliche Hand vollzogen.

Gar nicht mit bedacht werden hier die unglaublich hohen Subventionen, die bisher an die Atomenergiekonzerne geflossen sind.

Im Zeitraum von 1950 bis 2010 betrug die staatliche Förderung mindestens 204 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch rund100 Milliarden bis zum Ausstieg, ohne Laufzeitverlängerung.

Zu den realen Fördermitteln von 204 Milliarden Euro gehören direkte Finanzhilfen des Bundes, Forschungsförderung, Kosten für die Atommüllendlager Asse II und Morsleben oder für die Stilllegung der ostdeutschen Atommeiler.

Nicht mit eingerechnet sind hier die Steuervergünstigungen in der Energiebesteuerung und durch die Regelungen bei den Entsorgungsrückstellungen sowie Zusatzeinnahmen der AKW-Betreiber durch den Emissionshandel.

Jede Kilowattstunde Atomstrom wird durch staatliche Regelungen mit 4,3 Cent subventioniert. Zum Vergleich: Die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien über das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) beträgt derzeit nur zwei Cent pro Kilowattstunde.

Für die großen Energieversorger ist der Betrieb der abgeschriebenen Atomkraftwerke eine Goldgrube, für die Volkswirtschaft bedeutet er enorme Kosten.

Atomkraft ist nicht nur die gefährlichste, sondern auch die teuerste Form der Stromerzeugung. Die Verbraucher werden von den Betreibern der Atomkraftwerke gleich doppelt abkassiert, über die Stromrechnung und über ihre gezahlten Steuern.

Ende der Kohleverstromung

Die Aussicht auf ein gutes Geschäft hatte vor ein paar Jahren 23 Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet dazu bewogen, sich über ihre Tochterunternehmen an dem geplanten Gekko-Kohlekraftwerk von RWE zu beteiligen. Doch durch eine Unzahl von Pannen und Materialfehlern liefen die Investitionskosten und die Zeitplanung völlig aus dem Ruder. Gleichzeitig sanken die Strompreise auf dem Markt erheblich. Bald wurde deutlich, dass das neue Kraftwerk nie kostendeckend Strom produzieren würde.

Mit dieser Entwicklung hatten die Städte und die dort tonangebenden Parteien nicht gerechnet. Dass zusätzlich noch einer der beiden Kraftwerksblöcke womöglich nie fertiggestellt werden könnte, war seitens der kommunalen Verhandlungsführer nicht mitgedacht worden. Die damaligen stümperhaft formulierten Verträge ließen kein Anrecht auf Entschädigung oder gar vorzeitige Vertragsauflösung zu.

Als die Sache für die RWE den Bach hinunter ging, bot der Konzern den kommunalen Versorgern an, ihre jeweilige Kraftwerksscheibe für einen Euro zu kaufen, wo sie doch schon bereits Hunderte von Millionen in das Bauwerk investiert hatten.

Nach einigem Hin und Her wurden sich im Dezember 2015 die beteiligten Städte und RWE handelseinig, sprich RWE hatte sehr gut gepokert. Gegen eine unglaublich hohe Summe entließ der Konzern die beteiligten Städte aus allen vertraglichen Verpflichtungen.

Für die Stadt Dortmund bedeutete das, zu den bereits als verloren zu betrachtenden Rückstellungen in Höhe von 65,3 Millionen Euro kamen ein (zusätzlicher) Verkaufsverlust von 31,23 Millionen Euro sowie 12,6 Millionen Euro an „operativen Verlusten“ hinzu.

In der Dortmunder Stadttochter DEW21, hat man bei der Gekko-Transformation der Kosten der privaten Anleger auf die öffentliche Hand, 109 Millionen Euro in den Sand gesetzt, ohne dass irgendjemand in der Stadt dafür die Konsequenzen ziehen musste.

In Dortmund blieb es aber nicht bei diesem Malheur.

Im Jahr 2010 hatten die Stadtwerke Dortmund, Duisburg, Essen, Bochum, Dinslaken und Oberhausen die STEAG in zwei Tranchen zu insgesamt 1,2 Milliarden Euro vom Mischkonzern Evonik übernommen. Das zu einem Zeitpunkt, bei dem die Städte, die hinter den Stadtwerken stehen, hochverschuldet waren und sich solche Finanzrisiken nicht leisten können. Dabei kommt noch die Frage auf, was die Übernahme eines Versorgers, der 60 Prozent seines Umsatzes im Ausland macht, mit der örtlicher Daseinsvorsorge zu tun, wozu kommunale Unternehmen eigentlich verpflichtet sind.

Trotzdem wurde die Übernahme von 51 Prozent der STEAG Anteile und eine Option auf die verbleibenden 49 Prozent durch ein Konsortium von den sechs Ruhrgebietsstädten beschlossen.

Die STEAG betreibt traditionell Steinkohlekraftwerke an acht Standorten in Deutschland und zwei Raffineriekraftwerke. Der größte Teil der Anlagen ist völlig veraltet und mindestens vier Kraftwerke sind bereits abgeschrieben.

Weil in Deutschland 2018 die Steinkohleförderung ausläuft, versucht der Energiekonzern seine Kraftwerke umzubauen. Gutachten namhafter Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass der Umbau zu einer nachhaltigen und ökologischen Stromerzeugung selbst langfristig nicht möglich ist. Trotzdem träumte man im Ruhrgebiet davon, dass aus dem Kohlekonzern ein grüner, ökologisch ausgerichteter Erzeuger erneuerbarer Energie gemacht werden könnte.

Im Dezember 2014 gab die Bezirksregierung grünes Licht für die Übernahme durch die Kommunen. Sie hatte aber einige Bauchschmerzen mit dem riesigen Auslandsgeschäft von STEAG, setzte sich aber dann darüber hinweg, weil der Erwerb der STEAG nur als Ganzes erfolgen konnte.

Schlussendlich schaffte die rotgrüne Landesregierung die Voraussetzungen für den STEAG-Deal.

Alle Beteiligten hatten nur die Eurozeichen in den Augen und träumten von der ewig sprudelnden Dividenden-Quelle zur Aufbesserung der Haushalte in den überschuldeten Kommunen des Ruhrgebiets.

Die Opposition im Landtag sprach davon, dass die Landesregierung eine „Büchse der Pandora“ zu Lasten der Kommunen geöffnet habe. Das war eine weise Vorsehung.

Aufgrund der Auswirkungen der Energiewende, so wurde nun von STEAG bekannt gegeben, werde man bis auf Weiteres keine Dividende mehr ausschütten. Mehr noch, zur Konsolidierung des Unternehmens wird der Abbau von mehr als 1.000 Arbeitsplätzen angekündigt. Betroffen sind auch Kraftwerke im unmittelbaren Einzugsgebiet eben dieser STEAG-Ruhrgebietsstädte.

Auch hier wurden die Verluste des Unternehmens in öffentliche Mittel transformiert und private Interessen mit öffentlichen Aufgaben vernetzt, unauflöslich zu Lasten der kommunalen Daseinsversorgung.

Die Beispiele anhand der Energiewende zeigen die Entwicklung der Transformation der Verluste der Unternehmen in öffentliche Mittel auf, dass die Konzerne auch ohne TTIP entgangene Gewinne von Regierungen bei Schiedsgerichten geltend machen, die Ohnmacht der gewählten Administrationen gegen über den Weltkonzernen und dass die Politik ihre Gestaltungskraft völlig aufgegeben hat.

 

 

 

Quellen: BUND, FÖS, DEW kommunal,greenpeace

Bild: de.wikipedia.org