Gefahr für die Mitbestimmung in Deutschland durch den EuGH

Beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat ein Kleinaktionär des Reisekonzerns TUI gegen das deutsche Mitbestimmungsrecht Klage eingereicht. Der Kläger argumentiert, Auslandsbeschäftigte deutscher Unternehmen würden diskriminiert, weil sie bei den Wahlen der Beschäftigtenvertreter für den Aufsichtsrat nicht mitstimmen dürfen.

In Deutschland beschäftigt der Reisekonzern TUI rund 10.000 Mitarbeiter, in anderen EU-Mitgliedstaaten sind es etwa 40.000. In solchen großen Unternehmen wählen die Beschäftigten ihre Vertreter im Aufsichtsrat. Wahlberechtigt sind nur die Beschäftigten in Deutschland, die Belegschaften der Auslandsfilialen dürfen nicht mit abstimmen. Das hat einen einfachen Grund: Deutschland kann für andere Ländern keine Regelungen zur Aufsichtsratswahl erlassen.

Mitbestimmungsgegner leiten daraus ab, dass die Mitbestimmung im Aufsichtsrat die Beschäftigten nicht in legitimer Weise repräsentiere und daher abgeschafft werden müsse. Sie berufen sich unter anderem darauf, dass Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in Europa verboten ist. So argumentiert auch ein TUI-Kleinaktionär, weil Beschäftigten im Ausland weder das passive noch das aktive Wahlrecht zusteht und sie bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat nicht mitbestimmen. Das sei eine unzulässige Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit und eine ungerechtfertigte Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Im Gegensatz zu allen anderen deutschen Gerichten, die sich bislang mit solchen Fragen beschäftigt und die Mitbestimmung stets als EU-konform bestätigt haben, legten die Berliner Richter die Frage dem Europäischen Gerichtshof vor, sie wollten wissen, ob die deutsche Unternehmensmitbestimmung in transnationalen Unternehmen gegen das Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstößt. Dies hält das Kammergericht für möglich. Die EU-Kommission hatte dann in ihrer Eingabe diese Sicht aufgegriffen und verstärkt. Dort hieß es dann, die Mitbestimmungsregelung sei geeignet, „die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“.

Der DGB bezweifelt jedoch, dass es dem Aktionär mit der Klage wirklich um eine Verbesserung der Mitbestimmung geht, der Gewerkschaftsbund vermutet, dass es nicht um die Verbesserung der Mitbestimmungsrechte geht, sondern um ihre Abschaffung.

Hilfe bekommt der DGB neuerdings doch von der EU-Kommisson, die sich jetzt klar für die Verfassungskonformität der Mitbestimmung ausgesprochen hat:

»Arbeitnehmermitbestimmung ist ein wichtiges politisches Ziel. Jede daraus möglicherweise resultierende Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern kann durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, das System der Mitbestimmung und dessen soziale Ziele zu schützen. Folglich ist die Kommission der Auffassung, dass die bestehenden deutschen Vorschriften als mit dem EU-Recht vereinbar angesehen werden können.«

Die EU-Kommission verteidigt damit vor dem Gerichtshof das Recht der Mitgliedsstaaten, die Arbeitnehmermitbestimmungsrechte so zu garantieren wie es in der betroffenen deutschen Gesetzgebung vorgesehen ist.

Auch halten namhafte Rechtswissenschaftler das juristische Argument des TUI-Aktionärs für konstruiert, denn schließlich dürften die Belegschaften der Auslandsgesellschaften und -filialen schlicht nicht mit abstimmen, weil Deutschland nicht in die Rechte anderer Länder eingreifen und ihnen Regeln zur Aufsichtsratswahl vorschreiben kann. Sie meinen auch, dass es völlig normal sei, dass sich bestimmte Rechtsansprüche verändern, wenn Beschäftigte zu einem Betrieb ins Ausland wechseln, so z. B beim Kündigungsschutz. Es komme ja auch niemand auf die Idee, in deutschen Niederlassungen französischer Konzerne müsse das französische Streikrecht gelten.

Doch geht es den Klägern nicht um eine besser legitimierte deutsche Mitbestimmung, sondern um ihre Abschaffung und sie wären auch nicht böse, wenn dies auch auf die Arbeitnehmerrechte in anderen europäischen Ländern zurückwirkt. Sie würden gerne die 18 der 28 EU-Staaten treffen in denen das Recht der Beschäftigten auf Beteiligung in Aufsichts- oder Verwaltungsräten zur gesetzlichen Grundausstattung gehört.

Die Klage ist der zig-malige Versuch von Gegnern der Mitbestimmung, die Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland nun via Europa auszuhebeln und zeigt, dass entgegen aller Sonntagslobreden auf die Mitbestimmung die organisierte Unternehmerschaft und ihre Rechtsgehilfen bei uns immer noch keinen Frieden mit der Mitbestimmung gemacht haben.

 

 

Quellen: PM der EU-Kommission vom 24.1.2017; Handelsblatt, Böckler-Stifung, DGB

Bild: dgb