Je höher der gewerkschaftliche Organisationsgrad, desto geringer die Ungleichheit – je schwächer der gewerkschaftliche Organisationsgrad, desto größer die Ungleichheit

Ausgerechnet der Internationale Währungsfonds (IWF)! Er macht sich Sorgen um die ungleiche Verteilung des Wohlstands in den Industrieländern. Die Gründe für die Sorgen des IWF, dem Hauptinstrument des Neoliberalismus, sollten uns erst mal nicht interessieren. Wir sollten uns freuen, dass auch die IWF-Studie sagt, der sinkende Einfluss der Gewerkschaften in den Industrieländern verschärfe die soziale Ungleichheit und wenn die die Verhältnisse zwischen Arm und Reich erst einmal aus der Balance geraten, drohe Volkswirtschaften ein Abgleiten in Zustände der Instabilität und des inneren Unfriedens. Mittel- bis langfristig müsste es daher im Interesse aller liegen, die Verteilung von Wohlstand, Zufriedenheit und Chancen möglichst gleichmäßig zu gestalten, um stabile wirtschaftliche Verhältnisse zu erhalten. Aufgabe der Gewerkschaften sei es, für eine gerechtere Lohnverteilung zu sorgen.

Zwar betont der IWF, dass die Studie von Florence Jaumotte und Carolina Osorio Buitron nicht die offizielle Position des Währungsfonds wiederspiegelt, aber der IWF selbst hat sie in Auftrag gegeben. Die Studie rückt auch die Bedeutung von Gewerkschaften für die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den Blick und kommt zu dem Ergebnis: je schwächer der gewerkschaftliche Organisationsgrad, desto größer die Ungleichheit.

In fast allen Industrieländern hat die Einkommensungleichheit seit den 1980er Jahren stark zugelegt. Neben der Steuerpolitik und der Deregulierung von Arbeits- und Finanzmärkten rückt ein weiterer institutioneller Faktor in den Fokus der Ungleichheitserklärungen: Die Rolle von Gewerkschaften.
Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sank der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in den Industriestaaten von 20,8 Prozent im Jahr 1999 auf 16,9 Prozent im Jahr 2013.

Die Ökonominnen Florence Jaumotte und Carolina Osorio Buitron weisen in ihrem Beitrag für den IWF auf folgende Zusammenhänge hin: Geht der Einfluss der Gewerkschaften zurück, schwächt dies die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer in den Lohnverhandlungen. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die Beschäftigten in den mittleren und unteren Lohnbereichen aus, während die Führungsetage und die Aktionäre hiervon profitieren.
Die Folge ist, dass sich die Gesellschaft eines Landes unter diesen Bedingungen immer mehr aufteilt in eine zunehmend kleiner werdende Oberschicht, bei der sich der Wohlstand anhäuft, während der Großteil der Bevölkerung mit sehr viel weniger Mitteln auskommen muss.

Die Autorinnen schauten sich Daten von 20 Ländern im Zeitraum von 1980 und 2010 an.
Sie setzten den gewerkschaftlichen Organisationsgrad (Union Density) sowohl in Zusammenhang zum „Gini-Koeffizienten“, als auch zu den Anteilen von Spitzeneinkommen der obersten 10 Prozent. (Der Gini-Koeffizient/Gini-Index ist ein statistisches Maß, das vom italienischen Statistiker Corrado Gini zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Anm.L.N.). Sie berücksichtigten dabei auch den möglichen Einfluss von anderen Faktoren wie Globalisierung und technologischem Wandel.
Interessanterweise war der Zusammenhang zwischen dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und der Ungleichheitszunahme nicht nur beim „Gini“ messbar, sondern ausgerechnet bei den Spitzeneinkommen war er besonders stark ausgeprägt.

Das war eine Überraschung, denn es wird ja landläufig angenommen, dass Gewerkschaften vor allem auf die Löhne in den mittleren und unteren Einkommensgruppen einwirken und mit den Spitzeneinkommen kaum etwas zutun haben.
Jetzt wurde deutlich, dass die Prozesse, über die sich schwächer organisierte Gewerkschaften in größerer Ungleichheit niederschlagen, tatsächlich einiges mit den Spitzenverdienern zu tun haben dürften. Die Gründe dafür könnten sein, dass der schwächere Organisationsgrad von Gewerkschaften den wachsenden Anteil der Kapitaleinkommen an der Wertschöpfung mit ermöglicht hat, so dass sich die Kapitaleinkommen bei den oberen Einkommensbeziehern konzentrieren.

Schwache Gewerkschaften bewirken auch schwächeren Einfluss auf die Unternehmenspolitik und damit auf die Entscheidungen über die Gehälter der Führungsebene von Unternehmen relativ zu denen der unteren Ebenen.

Die IWF-Autorinnen empfehlen neben der Stärkung von Gewerkschaften insgesamt und des gewerkschaftlichen Organisationsgrads, eine Re-Regulierung, flankierende Maßnahmen im Bereich der Einkommensbesteuerung und eine stärkere Regulierung des Finanzsektors, um die durch vorherige Deregulierung entstandenen Exzesse wieder einzudämmen.

So etwas hört man vom IWF doch besonders gern.

 

Quelle: verteilungsfrage.org

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