Wohnen als Anlageobjekt, Zwangsräumung als Marktregulierung – das staatliche Hilfesystem funktioniert nicht mehr

638121_m3w605h320q75v58167_47640631Große Teile des Wohnungsbestands der öffentlichen Hand sowie öffentlicher Unternehmen wurden privatisiert und von den neuen Eigentümern unter Finanzmarktaspekten optimiert.

Was passiert, wenn dann noch die Folgen einer verfehlten Wohnungspolitik hinzukommen, ist derzeit vor allem in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten zu beobachten.

Steigende Zwangsräumungen, häufig mit der Obdachlosigkeit in der Folge, Verdrängung der Mieter aus gewachsenen Wohngebieten, Explosion der Mieten und Nebenkosten und fehlender Wohnraum sind Zeichen dafür, dass ein entspannter Wohnungsmarkt in Deutschland der Vergangenheit angehört.

Das Geschäft mit Wohnungen wird deshalb immer rentabler, weil eben die Nachfrage nach Wohnraum kräftig ansteigt. Die Vermieter sind nicht mehr auf die Einkommensschwachen, Hartz-IV- oder Wohngeldbezieher angewiesen.

Die Verlierer sind vor allem diejenigen Menschen, die bislang auf den Schutz des Sozialstaates angewiesen waren. Doch genau in dieser Situation und diesem Aufgabenbereich versagt er, ist mehr oder weniger nutzlos geworden und verschärft sogar noch das Wohnungsproblem. Das staatliche Korrektiv zum Markt ist zu dessen Spielball geworden.

Am Beispiel der wachsenden Zwangsräumungen wird das Versagen der staatlichen Hilfen deutlich.

Seit einigen Jahrzehnten ist zum potenziellen Investment geworden, was vorher entweder keine Ware war oder strengen Regulierungen unterworfen war. Seien es (öffentliche) Wohnungen, Güter der Daseinsvorsorge, Gesundheit, Nahrungsmittel, landwirtschaftlicher Boden, CO2-Emmissionen und vieles mehr. Auch Immobilien, unabhängig davon, ob es sich um Wohn- oder Gewerbeimmobilie handelt, haben den Status eines Finanzprodukts bekommen und unterliegen einer Finanzialisierung.

Große Teile des Wohnungsbestands der öffentlichen Hand sowie öffentlicher Unternehmen wurden privatisiert und von den neuen Eigentümern unter Finanzmarktaspekten optimiert.

Was passiert, wenn dann noch die Folgen einer verfehlten Wohnungspolitik hinzukommen ist derzeit vor allem in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten zu beobachten.

Schon heute fehlen mindestens 4 Millionen Sozialwohnungen. Laut Mieterbund wird bis 2017 der Fehlbedarf um weitere 825.000 Sozialwohnungen steigen. Mittlerweile wohnen nur noch 9 Prozent der Mieter in Wohnungen von Genossenschaften oder von Stiftungen. Der Sozialwohnungsbau in den Ländern ist faktisch zum Erliegen gekommen und für Finanzinvestoren lohnt sich der Aufkauf ganzer Pakete von Mietwohnungsbeständen, begleitet von den großzügigen Gewinnversprechen der Hedgefonds.

Die Studie „ Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ deckt nun den Skandal der massenhaften Zwangsräumungen am Beispiel von Berlin auf, wo es noch nicht einmal ein umfassendes Berichtswesen bzw. Statistiken dazu gibt. Sie zeigt auf, dass der Sozialstaat auf diesem Feld nicht nur hilflos, sondern sogar nutzlos ist und er das Wohnungsproblem noch verschärft. Obwohl der Staat eigentlich das Ziel hat, Zwangsräumungen zu verhindern und Miet- und Energiekosten der Menschen die staatliche Hilfe erhalten zu übernehmen, um die Wohnungslosigkeit zu verhindern, werden die Anträge dafür in den finanzschwachen Bezirken zu 85 Prozent abgelehnt.

Auch in Dortmund hat sich hier einiges geändert. Beihilfen gibt es schon lange nicht mehr. Bei den Darlehen ist man richtig knauserig geworden und droht auch schon mal der allein erziehenden Mutter von drei Kindern mit dem Jugendamt, da sie nicht haushalten könne, eine Rabenmutter sei, die Miet- und Energieschulden auflaufen ließ.

Auch die in den staatlichen Mitteln festgelegten Sätze für die Wohnungsmiete halten schon lange nicht mehr mit der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt Schritt. Immer mehr Bezieher von Arbeitslosengeld 2 und Grundsicherung bekommen von Staat weniger Geld für die Miete, als sie tatsächlich bezahlen müssen und rutschen in die Überschuldung, die ein weiterer Schritt in die Zwangsräumung ist.

Wenn die Schulden zu groß geworden sind, die Klage gegen eine Räumung vergeblich war, greift in den großen Städten der früher noch funktionierenden Räumungsvollstreckungsschutz immer seltener. Die Menschen werden zunehmend schneller geräumt.

Obwohl die Kommune offiziell verpflichtet ist, die Wohnungslosen unterzubringen, ist das in Praxis immer öfter gar nicht möglich, weil die Wohnheime oder vorgehaltene Wohnungen, die zur kurzfristigen Unterbringen gedacht sind, mit dauerhaft dort wohnenden Menschen belegt sind. Auch hier wittern Geschäftemacher schnelles Geld und bieten den Kommunen Plätze in ihren privatwirtschaftlich betriebenen Wohnheimen an – die Bewohner dürfen sie selbst aussuchen und eben auch die Aufnahme verweigern.

Den Weg aus dieser Situation heraus können staatliche Stellen kaum noch bieten, da es auch mittlerweile eine geänderte Wohnungsvergabepraxis gibt. Auch in Dortmund verlangen die Wohnungsunternehmen eine Schufa-Auskunft, nehmen keine Mieter mit früheren Mietschulden oder die das Insolvenzverfahren durchlaufen und achten auch auf frühere gute oder schlechte Meldeadressen.

Also gerade von Menschen, die wegen Mietschulden wohnungslos sind, wird als Voraussetzung für ein neues Mietverhältnis, der Nachweis über ein mietschuldenfreies Vorleben verlangt.

Auch die staatlichen Jobcenter tragen ihr Scherflein zur Misere der Zwangsräumungen bei. Sie treiben die Mieten in die Höhe, in dem sie Umzüge in günstigere Wohnungen erzwingen und der Vermieter für die alte Wohnung einen neuen Mietvertrag mit höherer Miete abschließt.

Mittlerweile finden die Wohlfahrtsverbände und freie Träger kaum noch Wohnungen, die sie an ihre Klienten vermieten oder für das „Betreute Wohnen“ nutzen können. Auch ihre Arbeit richtet sich mehr und mehr an dem Markt aus und selbst die wohnungslosen Klienten müssen noch Geld einbringen.

Eine bisherige Annahme wird durch die Berliner Studie belegt: Dort, wo die Wohnungsnachfrage stark ansteigt, nimmt auch die Räumungsneigung der Vermieter zu, weil es immer attraktiver wird, nach der Räumung vom neuen Mieter eine viel höherer Miete zu verlangen.

Deutlich wurde auch, dass das staatliche Hilfesystem Diskriminierung und Isolation der Hilfesuchenden noch befördert, da die einen vom Verwaltungspersonal alleingelassen werden und keine Unterstützung erfahren, die anderen werden willkürlich bevorzugt. Da läuft dann der gleiche Ausleseprozess wie auf dem Wohnungsmarkt selbst ab.

Als Fazit der Studie bleibt, dass das staatliche Hilfesystem nur bei einem entspannten Wohnungsmarkt rund läuft, eben nur dann, solange die Vermieter mit den Wohnungen auf die einkommensschwachen Menschen angewiesen sind.

Die Vermieter schlagen immer häufiger die Übernahme von Mietschulden aus und vermieten kaum noch an die Sozialen Träger, weil auf dem Markt der Profit viel größer ist.

Eine Entwicklung, die zwar in Berlin offenkundig wurde, aber auch auf andere Ballungsgebiete und Universitätsstädte übertragbar ist.

 

Quelle: Studie Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems, konkret

Bild: fnp.de- Frankfurter neue Presse

Die Studie zum Download:

https://u.hu-berlin.de/studie-zr

Kontakt: Dr. Andrej Holm Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Sozialwissenschaften