Krisengewinner: Schuldner- und Insolvenzberatung

Im Jahr 2019 meldeten in Deutschland 19.005 Firmen Insolvenz an und es gab 86.838 Privatinsolvenzen. Die durchschnittliche Schadenssumme je Insolvenzfall betrug für die privaten Insolvenzgläubiger, dazu zählen beispielsweise Banken, Lieferanten und sonstige Kreditgeber, 910.000 Euro. Zu den Leidtragenden einer Insolvenz zählen immer auch die Beschäftigten des insolventen Unternehmens. Die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze summierte sich deutschlandweit auf  218.000.

Für das Jahr 2020 rechnen Experten mit mindestens zehn Prozent mehr Insolvenzverfahren und mit einer Schadenssumme von insgesamt 223,5 Milliarden Euro.

Aber es gibt in den Insolvenzverfahren auch Gewinner, dazu gehört die Schuldner- und Insolvenzberatung.

Schuldner- und Insolvenzberatung

Die Schuldner- und Insolvenzberatung ist eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand. Dies ergibt sich aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, umzusetzen durch die Sozialgesetzbücher II, VIII, und XII bzw. den Landesausführungsgesetzen zur Insolvenzordnung.

Für den Begriff Schuldnerberatung gibt es keinen gesetzlichen Schutz oder eine bestehende Mindestqualifikation bzw. Ausbildung zum Schuldnerberater. Der Zusatz „staatliche Anerkennung“ bezieht sich in diesem Zusammenhang vielmehr auf die Berechtigung der Schuldnerberatung, eine Bescheinigung über das Scheitern des gesetzlich vorgeschriebenen Versuches der außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern gemäß der Insolvenzordnung auszustellen.

Die einzelnen Landesbehörden können bestimmen, welche Personen oder Beratungsstellen geeignet sind. Die Kriterien für die Anerkennung sind allerdings nicht bundeseinheitlich geregelt und somit kein Qualitätsnachweis für die Schuldnerberatung.

Das ist ein Grund dafür, dass es in Deutschland viele unterschiedliche Anbieter gibt, die sich Schuldnerberatung oder Schuldenberatung nennen und es z.B. nicht möglich ist, eine Ausbildung zum Schuldnerberater zu machen. Deshalb sind die Arbeitsweisen und inhaltlichen Schwerpunkte der Schuldnerberatungen und der Umfang der Beratungsdienstleistung insgesamt sehr unterschiedlich.

Anwaltliche Schuldnerberatung

Die anwaltliche Schuldnerberatung bietet eine nach § 305 Insolvenzordnung (InsO) anerkannte Beratung durch einen Rechtsanwalt an. Die anwaltlichen Schuldnerberatungen sind auf das Insolvenzrecht spezialisiert und dürfen bescheinigen, dass die außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern fehlgeschlagen ist. Eine solche Bescheinigung ist die Voraussetzung für die Verbraucherinsolvenz.

Die anwaltliche Schuldnerberatung gehört zu den  sogenannten geeigneten Stellen und ist eine staatliche anerkannte Schuldnerberatung.

Das Erstgespräch ist meist kurzfristig ohne längere Wartezeit beim Rechtsanwalt möglich, aber in der Regel schon kostenpflichtig. Sollte der außergerichtliche Einigungsversuch mit den Gläubigern scheitern, begleitet er seinen Mandanten während der Privat- oder Regelinsolvenz. Die Beratung und Begleitung sind in den einzelnen Beratungs- und Verfahrensabschnitten jeweils mit Kosten verbunden, die sich je nach Fall auf einige tausend Euro summieren können und werden oft auch von Menschen eingefordert, die keine pfändbaren Einkommensanteile oder ausschließlich Sozialleistungen beziehen,

Der Schuldner hat die Möglichkeit, einen entsprechenden Beratungsschein beim zuständigen Amtsgericht zu beantragen. Die Kosten werden nach erfolgter Bewilligung, ähnlich wie bei der Prozesskostenhilfe, vom Staat übernommen. In vielen Orten wird die Bewilligung aber nicht erteilt und die Gerichte verweisen auf die gemeinnützigen Beratungsstellen, die öffentliche Förderung für die Insolvenzberatung erhalten.

In der anwaltlichen Schuldnerberatung werden im Gegensatz zur sozialen Schuldnerberatung z.B. Haushaltsberatung, Hilfe bei der Beantragung öffentlicher Mittel, Unterhaltsregelung und Schuldnerschutzmaßnahmen gar nicht angeboten oder müssen gesondert honoriert werden.

Gewerbliche Schuldnerberatung

Gewerbliche Schuldnerberatungen haben in den vergangenen Jahrzehnten selbst daran mitgewirkt, dass ihr Ruf immer schlechter geworden ist.

Das Spektrum reicht von soliden und fachlich korrekten Beratungsstellen, über die, die keine staatliche Anerkennung als Schuldnerberatung gemäß § 305 InsO vorweisen können und solchen, die reine Finanzdienstleister bzw. Kreditgeber oder Kreditvermittler sind.

Gewerbliche Schuldnerberatungen nennen sich oft Schuldenberatung und besitzen dann auch keine staatliche Anerkennung nach der Insolvenzordnung. Sie leiten die Schuldner für eine Ausstellung der Bescheinigung über das Scheitern außergerichtlicher Einigungsversuche an Rechtsanwälte weiter. Andere machen sogar Hausbesuche und drängen die Menschen zum Unterschreiben von vorgefertigten Verträgen oder bieten Zusatzleistungen an, wie Bausparverträge oder Versicherungen und machen damit die verbotenen Kopplungsgeschäfte.

Gewerbliche Schuldenregulierer bewerben meist reißerisch ihr Angebot und wollen „bei Schuldenproblemen kompetent, effizient, schnell, vertraulich und persönlich“ helfen.

Allerdings gehören zu einer erfolgreichen und sachgerechten Schuldnerberatung auch die Verhandlung mit Gläubigern und die Vertretung der Interessen des Schuldners. Die Vertretung und das Verhandeln im Namen des Schuldners kann aber nur derjenige anbieten, der eine Rechtsberatungsbefugnis nach dem Rechtsberatungsgesetz hat. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (29.07.2009 – I ZR 166/06) ist die Regulierung fremder Schulden eine erlaubnispflichtige Tätigkeit. Neben Rechtsanwälten darf, eine auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkte Rechtsberatung nur von den Schuldnerberatungsstellen der kommunalen und karitativen Einrichtungen und den Verbraucherzentralen durchgeführt werden. Die gewerblichen Schuldenregulierer haben keine Rechtsberatungsbefugnis.

Die gewerblichen  Schuldenregulierer weisen in der Regel darauf hin, dass ihre Tätigkeit keine Rechtsberatung ist und die rechtliche Betreuung und Beratung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt erfolgt. Dieses Vorgehen legitimiert die unerlaubte Rechtsbesorgung aber nicht, weil der Schuldner keinen Einfluss auf die Auswahl und das Tätigwerden des Rechtsanwaltes hat und der Rechtsanwalt praktisch als Erfüllungsgehilfe des Regulierers fungiert.

Insgesamt gesehen ist das Angebot der gewerblichen Schuldnerberatung etwas, bei dem man für viel Geld wenig Gegenleistung bekommt.

Doch für viele überschuldete Menschen ist dies oft die einzige Möglichkeit, da sie die Anwälte nicht bezahlen können und die öffentliche Schuldnerberatung kein ausreichendes Angebot vorhält.

Öffentliche Schuldnerberatung

Neben kommunalen Beratungsstellen bieten auch Wohlfahrtsverbände eine Schuldnerberatung an. In den meisten Fällen ist die Beratung hier kostenlos, aber oft werden nicht alle Leistungen angeboten. Daneben gibt es in vielen Orten nur eine eingeschränkte Öffnungszeit für Beratungsgespräche, manchmal bieten die Träger nur an einzelnen Tagen in der Woche die Beratung an.

In den vergangenen Jahren wurden systematisch Stellen für die Fachkräfte abgebaut, voll ausfinanzierte Stellen sind nicht besetzt und öffentliche Fördermittel werden bei den Anstellungsträgern anderweitig verwendet. Diese Entwicklung hat nicht nur zu Wartezeiten bis zu einem halben Jahr geführt, sondern ist auch mit dafür verantwortlich, dass die Zahlen der Verbraucherinsolvenzverfahren in den letzten Jahren kontinuierlich sinken.

Auf der Bundesebene gab es bisher keine überverbandlich anerkannte Tätigkeitsbeschreibung für die Schuldnerberatung. Mittlerweile haben sich die Akteure der öffentlichen Schuldnerberatung im Großen und Ganzen auf die Form der Sozialen Schuldnerberatung geeinigt, die sich als Beratungsangebot der Sozialen Arbeit und der Verbraucherberatung versteht, die überschuldeten Klienten Hilfestellung gibt, um eine wirtschaftliche Sanierung und psychosoziale Stabilität bei den Hilfesuchenden zu erreichen.

Die Grundsätze der Sozialen Schuldnerberatung können folgendermaßen zusammengefasst werden:

Soziale Schuldnerberatung ist einem mehrdimensionalen Beratungsansatz verpflichtet und richtet sich als persönliche Hilfe nach folgenden Prinzipien:

  • Freiwilligkeit: Ratsuchende entscheiden freiwillig, ob sie die Angebote der Schuldnerberatung nutzen.
  • Autonomie: Ratsuchende entscheiden eigenverantwortlich über Wege und Ziele möglicher Veränderung innerhalb des Unterstützungsprozesses. Die Berater achten die Autonomie der Ratsuchenden und gestalten den Beratungsprozess ergebnisoffen.
  • Partizipation: Die Ratsuchenden werden im Beratungsprozess an allen Schritten aktiv beteiligt.
  • Hilfe zur Selbsthilfe: Die Ratsuchenden werden unterstützt, die vorhandenen Ressourcen und ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu nutzen. Dadurch können sie ihr Selbstwertgefühl steigern, ihre Selbsthilfepotenziale entwickeln, Kompetenzen aufbauen und Lebensperspektiven entwickeln. Des Weiteren soll die Selbstorganisation der Betroffenen angeregt werden.
  • Verschwiegenheit: Die Hilfeleistung erfolgt vertraulich, um die für einen erfolgreichen Beratungsprozess erforderlichen Bedingungen wie Offenheit, Transparenz und Vertrauen zu schaffen.
  • Nachvollziehbarkeit: Das Vorgehen der Berater ist für die Ratsuchenden jederzeit transparent und nachvollziehbar.
  • Fachlichkeit: Die Beratung erfolgt auf dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Ver- und Überschuldung und zu Beratungsmethoden.
  • Ganzheitlichkeit: Die Berater berücksichtigen bei der Deutung und Bearbeitung der Überschuldungssituation alle problemrelevanten Ebenen. Insbesondere sind das pädagogische, sozialräumliche, psychosoziale, ökonomische und juristische Aspekte.
  • Orientierung an den Nutzern: Ratsuchende erhalten niedrigschwellig und nicht-diskriminierend Zugang zum Beratungsangebot.

 

Viele Träger von Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, auch die Wohlfahrtsverbände, tun sich schwer, die Soziale Schuldnerberatung konzeptionell zu gestalten, sie sehen sich immer noch lieber als „Finanzdienstleister“ und schämen sich nicht, von den überschuldeten Menschen im Rahmen der „Schuldnermitfinanzierung“ Geld zu verlangen.

Derzeitige Förderpraxis lässt zahlreiche Zielgruppen außen vor

Bei der derzeitigen Förderungspraxis können zahlreiche Zielgruppen für die Schuldner- und Insolvenzberatung nicht adäquat mit Beratungsangeboten versorgt werden. So stehen die anwachsende Gruppe der überschuldeten älteren Menschen, überschuldete Jugendliche und junge Erwachsene und die überschuldeten Geringverdiener nicht im Fokus, ihnen fehlt schlichtweg der Zugang zu der nur noch refinanzierten öffentlichen Beratung.

Es fehlt z.B. ein Regelberatungsangebot für überschuldete ältere Menschen

Nach Angaben des Schuldneratlas 2018 der Creditreform ist die Überschuldung alter Menschen überdurchschnittlich stark gestiegen. Die Zahl der betroffenen Personen im Alter von 70 Jahren und älter wuchs um 35 Prozent auf 263.000. Auch unter den 60- bis 69-Jährigen stieg die Zahl derjenigen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, deutlich an. Die Zahl der Insolvenzen bei Personen in diesem Alter zog in den vergangenen Jahren ebenfalls kontinuierlich an.

Die Altersarmut ist einer der Hauptgründe für die Überschuldung, sie resultiert aus verschiedenen Entwicklungen:

  • Die Rentenreformen der letzten 20 Jahre hatten das Ziel, die Beitragssätze stabil zu halten zu Lasten des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rente.
  • Erwerbsbiografien verlaufen nicht mehr so geradlinig wie früher. Wechselnde Arbeitsverhältnisse und vorübergehende Arbeitslosigkeit sind heutzutage nicht ungewöhnlich.
  • Auch die Beschäftigung im wachsenden Niedriglohnsektor und versicherungsfreie Jobs bei geringem Gehalt verschärfen die Situation und führen zu einer prekären Einkommenslage im Alter

und immer weniger Menschen sind in der Lage, Maßnahmen zur ausreichenden Altersvorsorge zu ergreifen.

Zu den allgemeinen Ursachen der Überschuldung kommen dann bei älteren Menschen noch zusätzliche Überschuldungsfaktoren hinzu, wie:

– Einkommensreduzierung bei Renteneintritt, Auswirkung der steigenden Altersarmut

– steigende Energie- und Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Renteneinkünften

– steigende Gesundheitsausgaben

– mangelnde Unterstützung durch Angehörige

– finanzielle Unterstützung für die Familien ihrer Kinder und für die Enkel

– aus Scham werden oft die notwendigen finanziellen Hilfen des Staates nicht in Anspruch genommen

– Tod des Ehepartners, Mitverpflichtung bei Krediten des Verstorbenen, keinen Überblick     über die Finanzen, da nur der Ehepartner allein Einblick hatte

– hohe Ratenzahlung, die die Existenz gefährden und fehlende Prioritätensetzung bei der Ratenzahlung

– Überschuldung für Pflegedienstleistungen

und ältere Menschen werden häufig Opfer von Haustürgeschäften und unseriösen Geschäften.

Schulden zu haben, ist für viele ältere Menschen ein Tabuthema. Als Ansprechpartner müssen die Beratungsstellen auch langfristig zur Verfügung stehen und die älteren Menschen aktiv begleiten, z.B. beim Leben an der Pfändungsfreigrenze oder während des Insolvenzverfahrens. Es müssen passgenaue Angebote für ältere überschuldete Menschen entwickelt und die Präventionsarbeit ausgebaut werden. Notwendig ist eine frühzeitige Budgetberatung, Informationen über Sozialleistungen, Abbau von Beratungshemmschwellen und die Bearbeitung typischer Schuldenfallen im Alter.

Der Staat päppelt die Wohlfahrtsunternehmen auf, ohne sie groß zu kontrollieren

Der Staat zahlt den Wohlfahrtsverbänden jährlich zig-Milliarden für die Beratung, Betreuung und Beschäftigung von Menschen. Er prüft allerdings nicht, ob die Gelder auch dem Bedarf und den Richtlinien entsprechend, bestmöglich eingesetzt werden. Missbrauch und Betrug sind so Tür und Tor geöffnet.

Für systematische Prüfungen der Mittelverwendung fehlt den Gemeinden, Kreisen und Kommunen Geld und das entsprechende Personal. Den eigentlich zuständigen Landesrechnungshöfen, die im Auftrag der Kommunen solche Prüfungen bei sozialen Trägern durchführen könnten, fehlt die Legitimation dazu. Die Akteure der Unternehmen sind außerdem recht gut in der kommunalen Politik vernetzt. So ist es gängige Praxis, dass zweckgebundene Personalkosten z.B. für die Schuldnerberatung nicht für die Beratung von überschuldeten Menschen zur Verfügung steht, die qualifizierten Personalstellen sind längst abgebaut und die öffentlichen vom Land gezahlten Personalkosten fließen in unbekannte Kanäle der Wohlfahrtsunternehmen.

Es kommt immer wieder zu Skandalen, die nicht durch die Aufsichtsinstitutionen und Kontrollgremien aufgedeckt werden, sondern die Sozialbehörden werden zum Teil nur „per Zufall“ auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam oder unter großer Gefahr durch die Beschäftigten in diesen Konzernen, Verbänden und Vereinen.

 

Schuldner- und Insolvenzberatung ist ein einträgliches Geschäft für die Anbieter der Beratung – die überschuldeten Menschen sind ihnen völlig ausgeliefert.

 

 

 

 

Quellen: Creditreform, AG Schuldnerberatung, AG Wohlfahrtsverbände
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