Nazis am Werk – Im Umgang mit der AfD wirken die Gewerkschaften oft hilflos

Von Stefan Dietl
So hatten sich die Gewerkschaften das sicher nicht vorgestellt. Seit Jahren fordern sie angesichts sinkender Wahlbeteiligung ihre Mitglieder dazu auf, wählen zu gehen. Lange verhallten die Rufe des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften jedoch ungehört. Das hat sich inzwischen geändert. Egal, ob bei Landtags-, Bundestags- oder gar Europawahlen, die Teilnahme wuchs bei den jüngsten Urnengängen signifikant. Gewinnerin dieser Entwicklung ist jedoch vor allem die AfD. Auch unter Gewerkschaftern. Nach Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen machten in Thüringen und Brandenburg jeweils 23 Prozent der befragten Gewerkschaftsmitglieder ihr Kreuz bei der Rechtspartei. In Sachsen waren es gar 27,6 Prozent.

Die Unterstützung für die AfD ist jedoch nicht nur ein Phänomen der neuen Bundesländer. Auch im Westen wählten Gewerkschaftsmitglieder zuletzt überproportional oft die AfD. Und das, obwohl die Gewerkschaften die Partei immer wieder scharf kritisieren und als rassistisch und arbeitnehmerfeindlich verurteilen. So wirft der DGBVorsitzende Reiner Hoffmann der AfD vor, »den Keil der Spaltung noch tiefer in unsere Gesellschaft zu treiben« und für eine Steuerund Sozialpolitik einzutreten, die sich gegen die Interessen von Arbeitnehmern richtet. Auch der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann geißelt das Programm der AfD als »neoliberale Kampfschrift« und tritt rassistischen Ausfällen öffentlichkeitswirksam mit der Ansage »Wer hetzt, fliegt« entgegen.

Für Frank Bsirske ist die Programmatik der AfD »strunzdumm« und »gemeingefährlich«. Die AfD stehe, so der ehemalige Verdi Vorsitzende, für Konzepte, »die rechts sind und noch mehr gegen die Interessen von Arbeitnehmern gerichtet sind, als wir dies von der FDP kennen«. Auch sein Nachfolger, Frank Werneke, findet deutliche Worte. »Wer von Umvolkung spricht und wer das Holocaust-Denkmal in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet, wer so spricht und so handelt, der ist unser politischer Gegner. Der Feind steht rechts, und wir stellen uns ihm in den Weg«.

Allen Beschwörungen der Gewerkschaften zum Trotz suchen jedoch selbst langjährige Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre ihre neue politische Heimat inzwischen bei der AfD. Für bundesweite Aufmerksamkeit sorgte beispielsweise der Übertritt des Essener Stadtrats Guido Reil von der SPD zur AfD. Reil, zuvor 26 Jahre Mitglied der Sozialdemokraten, Bergmann und Steiger im letzten Steinkohlebergwerk Nordrhein-Westfalens, ging nach seinem Übertritt zur AfD im Ruhrgebiet für die Partei auf Stimmenfang. Die notwendige Authentizität als Kümmerer verlieh ihm nicht zuletzt sein Engagement in der IG Bergbau Chemie Energie (BCE), für die er als Betriebsrat der RAG-Aktiengesellschaft (vormals Ruhrkohle AG) wirkt. Weder seine rassistischen Ausfälle noch sein Engagement für eine Partei, die IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis als »unsere Gegner« beschreibt, waren bisher Anlass, Reil aus der Bergbaugewerkschaft auszuschließen. Inzwischen verhalf die AfD Reil zum persönlichen Kohleausstieg – mit einem Mandat im Europaparlament.

Gerne wird Reil zum Einzelfall erklärt. Gewerkschafter, die sich in der AfD engagieren, sind jedoch längst kein Novum mehr, wie ein Blick nach Bayern zeigt. »Sozial, ohne rot zu werden« ist einer der Slogans, mit denen Roland Magerl dort 2018 erfolgreich für die AfD in den Landtagswahlkampf zog. Inzwischen gehört der aktive IG-Metaller als stellvertretender Vorsitzender der bayerischen Landtagsfraktion zur Führungsspitze der Partei im Freistaat. Wie Reil verließ auch Magerl nach langer Mitgliedschaft die SPD und gehörte 2013 zu den Gründern des AfD-Kreisverbands Weiden. Seit 16 Jahren ist Magerl zudem freigestellter Betriebsrat eines Maschinenbauunternehmens, zuletzt Vorsitzender des Gremiums. Sein Engagement in der Rechtspartei hinderte die IG Metall nicht, ihn weiterhin bei den Betriebsratswahlen als Spitzenkandidaten ihrer Liste ins Rennen zu schicken und in verschiedenen gewerkschaftlichen Funktionen zu belassen.

Bei den anstehenden bayerischen Kommunalwahlen im März möchte sich die AfD nach ihrem Einzug in den Landtag auch kommunalpolitisch verankern. In seiner oberpfälzischen Heimat kandidiert daher auch Magerl als Spitzenkandidat für den Kreistag und soll als bekannter Landtagsabgeordneter für die nötigen Stimmen sorgen. Bei Parteiveranstaltungen tritt Magerl schon mal in Klamotten der Neonazi-Marke Ansgar Aryan des bekannten NPD-Kaders Patrick Schröder, Organisator unter anderem der Rechtsrockkonzerte im thüringischen Themar, auf. Zumindest bei Magerl, der offensiv mit seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft und seiner Tätigkeit als Betriebsrat wirbt, ist vom postulierten »Wer hetzt, fliegt« der IG Metall nichts zu spüren. Auf die parteipolitischen Aktivitäten ihres Gewerkschaftsfunktionärs angesprochen, verweist die örtliche Zweigstelle vielmehr auf dessen hervorragende betriebliche Arbeit.

Während die Gewerkschaften im Umgang mit AfD-Funktionären in den eigenen Reihen oft hilf- und ratlos wirken, machen AfD und Co. immer häufiger gegen die Gewerkschaften mobil. Bei den Betriebsratswahlen im Mai 2018 sahen sich die Gewerkschaften des DGB mit einer abgestimmten Kampagne von rechts konfrontiert. Teile der AfD versuchten gemeinsam mit der Initiative Ein Prozent, dem Magazin »Compact« und dem Verein Zentrum Automobil in mehreren Betrieben, mit eigenen »alternativen« Betriebsratslisten zur Wahl der Interessenvertretungen anzutreten. Im Mittelpunkt der Bemühungen stand die Automobilindustrie und damit der Organisationsbereich der IG Metall. Dort konnten sie an bereits bestehende Strukturen anknüpfen. Schon 2009 hatte Oliver Hilburger, ehemals Gitarrist der Neonazi-Band Noie Werte, im Daimler-Werk Untertürkheim die Liste Zentrum Automobil gegründet. Auf einer »Compact«-Konferenz wurden die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt und auch die Zielsetzung klar benannt: Die AfD ist der parlamentarische Arm, das Zentrum Automobil soll der in den Betrieben sein. »Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will«, so die Kampfansage des »Compact«- Chefredakteurs Jürgen Elsässer im Rahmen der Vorstellung dieser Pläne.

Im Nachgang der Betriebsratswahlen sprach Zentrum Automobil von einem »gigantischen Erfolg«, und Ein Prozent feierte die Ergebnisse gar als »Generalangriff auf das Monopol der großen Gewerkschaften«. Die Zahl rechter Betriebsräte habe sich verfünffacht, und man sei inzwischen »in zahlreichen Betrieben quer durch alle Branchen vertreten«. Tatsächlich blieb der großspurig angekündigte rechte Durchmarsch in den Betrieben jedoch aus. Insgesamt gelang es rechten Kandidaten, gerade einmal 19 von 78.000 Betriebsratsmandaten im Organisationsbereich der IG Metall für sich zu gewinnen.

In Untertürkheim konnte Zentrum Automobil sich zwar von vier auf sechs Sitze im 47köpfigen Betriebsrat verbessern, allerdings konnte auch die IG Metall zulegen und ist künftig mit drei Betriebsräten mehr als bisher vertreten. Am Daimler-Standort Sindelfingen ist Zentrum Automobil dank 3,4 Prozent der Stimmen künftig mit zwei, in Rastatt mit drei Betriebsräten vertreten. Sowohl in der Daimler-Zentrale Stuttgart als auch am Standort Wörth verpassten die Kandidaten von Zentrum Automobil den Einzug in den Betriebsrat. Bei der Daimler-Tochter AMG gelang es trotz intensiver Bemühungen noch nicht einmal, eine Liste aufzustellen. Bei BMW in Leipzig stellt eine Liste um den Zwickauer AfD-Funktionär Frank Neufert hingegen künftig vier Betriebsräte, im Leipziger Porsche-Werk sind es zwei. Auch die Behauptung, »quer durch alle Branchen« vertreten zu sein, scheint eher Wunschdenken als der Realität zu entspringen. 17 der 19 errungenen Mandate entfallen auf die Automobilindustrie. Hinzu kommen zwei Mandate beim Motorsägenhersteller Stihl in Waiblingen.

Trotz des blamablen Abschneidens der rechten Listen bei den Betriebsratswahlen wäre es ein Fehler, die betrieblichen Aktivitäten von rechtsaußen zu unterschätzen. Das zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel des Daimler-Werks Untertürkheim. Gelang es Zentrum Automobil dort, 2010 mit zwei Kandidaten in den Betriebsrat einzuziehen, waren es bei der darauf­folgenden Wahl bereits vier und nun sogar sechs. Die meisten der AfD und ihrem Denken nahestehenden Betriebsräte werden jedoch voraussichtlich auch künftig nicht über alternative Listen in die Interessenvertretungen gewählt, sondern, wie Roland Magerl, auf den Listen der Gewerkschaften des DGB.

Der wachsenden Zustimmung zur AfD unter ihren eigenen Mitgliedern und Funktionären wollen die Gewerkschaften mit verstärkter Aufklärung in den Betrieben entgegenwirken. Schon 2016 gab Reiner Hoffmann das Ziel aus, mit einer Aufklärungskampagne den »wahren Kern« der AfD offenzulegen – bisher jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Dabei böte die neoliberale und arbeitnehmerfeindliche Programmatik der AfD dazu tatsächlich genügend Anlass. »Wir wollen auf breiter Front deregulieren. Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle«, verkündet die Partei richtungsweisend in ihrem Grundsatzprogramm. Steuersenkungen für Besserverdienende, Unternehmen und Vermögende, Privatisierung staatlicher Infrastruktur oder die weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts sind ebenso Teil ihres Programms wie der Abbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme.

»Angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Grundhaltung der AfD bleibt für viele aktive Gewerkschafter die Zustimmung von Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern für diese Partei wenig nachvollziehbar«, heißt es daher in einer Stellungnahme des DGB. Eine Erklärung dafür, dass so viele Gewerkschafter/innen gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen wählen, gibt es aber durchaus: Auch bei vielen Gewerkschaftern ist rassistisches und nationalistisches Denken so ausgeprägt, dass sie ihrer Ablehnung gegenüber allem Fremden sogar dann Ausdruck verleihen müssen, wenn sie selbst dabei ökonomischen Schaden nehmen.

Noch immer tun sich die Gewerkschaften schwer damit anzuerkennen, dass Gewerkschaftsmitglieder mindestens ebenso anfällig für rechtes Gedankengut sind wie der Rest der Gesellschaft. So ergab eine repräsentative Untersuchung schon 2005, dass bei 19 Prozent der befragten Gewerkschafter/innen extrem rechte Einstellungen vorherrschen. 40 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder stimmten der Aussage zu, dass Deutschland »durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet« sei. Mit der AfD hat dieses Denken nun einen parteipolitischen Ausdruck gefunden, der auch von Gewerkschaftern Zuspruch erhält.

Ein Einfallstor für die AfD bieten zudem die Gewerkschaften selbst. Insbesondere über eine der wesentlichen Grundprämissen gewerkschaftlicher Politik hierzulande: den von den Gewerkschaften gepflegten Standortnationalismus. Wie in der AfD herrscht auch in den Gewerkschaften der Glaube vor, dass nur durch das Gewinnen von Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Ländern der eigene bescheidene Wohlstand gesichert werden kann. Die vielgerühmte deutsche Mitbestimmung wird so zur gewerkschaftlichen Mitgestaltung der »Wettbewerbsfähigkeit« im Interesse der »Standortsicherung«. Sogenannte moderate Lohnabschlüsse, erhöhte Wochenarbeitszeiten, Lohnverzicht bei Kurzarbeit oder die Aushebelung tariflicher Regelungen durch Betriebsvereinbarungen sind die logische Folge.

Das Eintreten für einen starken »Standort Deutschland« im internationalen Konkurrenzkampf ist ein zwar ungewollter, aber dennoch wirkmächtiger Anknüpfungspunkt für die nationalistische Agitation der AfD. Solange sich die Gewerkschaften die Durchsetzung Deutschlands in der internationalen Staatenkonkurrenz auf die Fahne schreiben und ihre Politik entlang des Nutzens für den Wirtschaftsstandort Deutschland ausrichten, wird die nationalistische Rhetorik der AfD auch unter Gewerkschaftsmitgliedern auf fruchtbaren Boden fallen.

 

Stefan Dietl ist aktiver Gewerkschafter und Autor des Buches „Die AfD und die soziale Frage (Unrast)“.

 

 

Der Beitrag erschien zuerst in Konkret 3/2020 und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion gespiegelt

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Bild: unrast verlag