Sie ist wieder da – die Streikzeitung zum GDL-Streik

headerDer Druck wird erhöht, die Nerven liegen blank. Das Tarifeinheit-Gesetz rückt näher. Die Stimmungsmache gegen die Streikenden und deren Recht auf Arbeitsverweigerung wird massiv angeheizt. Die GDL hat mit dem Streik begonnen, der sechs Tage lang dauern soll. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, um auf das abwartende Bahnmanagement den Druck weiter zu erhöhen. Doch obwohl Arbeitsgerichte das Vorgehen der Lokführer als verhältnismäßig und gerechtfertigt anerkannten, rollt eine von den Unternehmensverbänden und Medien geschürte weitere Empörungswelle durch das Land.

Da ist es gut, dass es wieder die STREIKZEITUNG gibt.

 

Winfried Wolf / verantwortlicher Redakteur der STREIKZEITUNG schreibt:

Erneut gibt es diese fetten Schlagzeilen wie „BAHNSINN“ – „GDL legt Republik lahm“. Erneut wird der führende Kopf der GDL als „Irrer“ bezeichnet. Und erneut geht es um drei Dinge: Erstens kühlen Kopf zu bewahren und konkret zu untersuchen, worum es geht. Nämlich um höchst berechtigte Forderungen. Zweitens zu durchdenken, wie dieser Arbeitskampf sich in die Politik der Bundesregierung – u.a. zur Einschränkung des Streikrechts – einordnet. Und drittens darum praktische Solidarität zu üben und diese gerade auch von den Kolleginnen und Kollegen in den DGB-Gewerkschaften einzufordern.

Béla Anda, Kommentator in Bild, schreibt in der Deutschland-Ausgabe vom 4. Mai im Stil eines Psychotherapeuten: „Langsam muss man sich um Claus Weselsky sorgen.“ Die Wahrnehmung des Streikrechts wird in Bild als „irrer Plan“ bezeichnet. Bundesverkehrsminister Dobrindt schwadroniert, ebenfalls in „Bild“: „Die Grenze der Akzeptanz dieser Tarifauseinandersetzung in der Bevölkerung ist zunehmend erreicht.“ Wozu Vizekanzler Gabriel – war der mal in der SPD? – macht auf ahnungslos: „Ich frage mich, versteht eigentlich irgendjemand noch, was sich bei der Bahn abspielt?“ (Süddeutsche Zeitung vom 5. Mai 2015). Die Deutsche Bahn AG wiederum richtet ein Schreiben an die „Lieben Mitarbeiterinnen, lieben Mitarbeiter“, in dem von einer „völlig maßlosen Streikandrohung“ die Rede ist, in dem ausführlich dargelegt wird, dass der Konzern bereit sei, rund 5 Prozent mehr Lohn zu zahlen und eine Einmalzahlung von 1000 Euro als Sahnehäubchen obendrauf zu gewähren und wo es dann heißt, die GDL habe über dieses Angebot „nicht einmal verhandelt“. Der Brief endet mit den Sätzen: „Deshalb haben wir der GDL angeboten, in ein Schlichtungsverfahren zu gehen.“ Diese Position taucht im übrigen in allen Medien, beim Bundesverkehrsminister und nicht zuletzt bei der Kanzlerin auf: Schlichtung.

Es spricht viel dafür, dass es in den nächsten Tagen die Forderung nach „Schlichtung“ mit immer größerem Getöse vorgetragen werden wird.

Um welche Forderungen geht es? Werden hier wirklich 5 % oder fast so viel, wie von der GDL verlangt, angeboten?

Selbst wenn wir uns auf das rein materielle Angebot der DB AG beschränken, so wird bereits hier dem Publikum und insbesondere den Bahnbeschäftigten enorm viel Bremssand in die Augen gestreut. 4,7 Prozent plus 1000 Euro – das klingt irgendwie gut. Tatsächlich geht es um 4,7 % für den Zeitraum 1. Juli 2014 bis Dezember 2016 oder für 30 Monate. Das entspricht 1,9 Prozent auf jeweils ein Jahr gerechnet. Das liegt für 2014 nur um 1 Prozent über der Inflationsrate; 2015 dürfte das reale Plus rund 1,5 Prozent ausmachen. Das ist nicht nichts, aber es ist wenig. Die „1000 Euro Einmalzahlung“ werden gegengerechnet mit der Vorschusszahlung, die es im Februar 2015 gab. Real bleiben dann 250 Euro übrig. Dieser Betrag dürfte von einigen Bahnbeschäftigten als ein Ausgleich für die Lohneinbußen während der Streiks angesehen werden. Für andere wiederum als ein Anteil an den weiterhin guten Gewinnen der Deutschen Bahn AG. Selbst wenn er in die „4,7 %“ eingerechnet wird, kommt man real pro Jahr auf eine nominale Lohnerhöhung von rund 2 Prozent im Jahr und auf eine reale von rund 1,5 Prozent.

Wesentlich ist jedoch: Auf die qualitativen Forderungen der GDL geht die Deutsche Bahn AG nicht ein. Es gibt Null Entgegenkommen bei der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Hier heißt es im Schreiben der DB AG sogar: „Eine Arbeitszeitabsenkung [von 39 auf 38 Stunden] ist aus unserer Sicht keine Lösung, zumal bei unseren Wettbewerbern – mit der GDL vereinbart – in aller Regel eine 40-Stunden-Woche gilt.“ Tatsächlich fordert die GDL, dass zunächst beim Marktführer die Arbeitszeit zu reduzieren sei. Um danach in den Tarifverhandlungen mit eben diesen Wettbewerbern ebenfalls eine Arbeitszeitverkürzung zu erkämpfen.

Zur Forderung der GDL nach strikter Begrenzung der Überstunden schreibt die DB AG nur vage, man habe „auch Maßnahmen zur Belastungsreduktion angeboten, so z.B. die Einstellung von 300 zusätzlichen Lokführern im Jahr 2015.“ Tatsächlich fehlen mindestens 700 Lokführer; der fürsorgliche Arbeitgeber bietet großzügig an, weniger als die Hälfte des realen Fehlbestands aufzustocken.

Rangierlokführer

Die Deutsche Bahn AG schreibt: „Der Knackpunkt der Verhandlungen ist […] dass die GDL vor allem für die Lokrangierführer andere Entgelt und Zulagenstrukturen und andere Arbeitszeitregelungen will als die bestehenden, mit der EVG vereinbarten.“

Geht es wirklich nur um „andere Strukturen und Regelungen“? Und damit vor allem um diese Organisationskonkurrenz zwischen GDL und EVG, die angeblich für die GDL und ihren Streikheini Weselsky im Zentrum stehen?

Das ist unrichtig. Tatsächlich fordert die GDL, dass die Rangierlokführer grundsätzlich gleich zu behandeln sind wie die Streckenlokführer. Was im Klartext heißt: Dass sie deutlich mehr Lohn bekommen müssen und dass ihre Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern sind. Das hat wenig mit der Konkurrenz GDL-EVG zu tun. Es geht schlicht darum, dass die Arbeit der Rangierlokführer gleichwertig ist mit derjenigen der Streckenlokführer, dass die Aufspaltung in zwei Gruppen von Lokführern bewusst von der DB AG herbeigeführt wurde (und von der EVG unterstützt wird) und dass die DB AG in zunehmendem Maß Rangierlokführer in Bereichen einsetzt, in denen ansonsten Streckenlokführer unterwegs sind. Alles spricht hier für eine Gleichstellung, nichts für die Beibehaltung der Trennung – mit Ausnahme der Spaltungsabsicht. Übrigens: Lässt man die hier vorgenommene Aufspaltung einer Berufsgruppe zu, so öffnet man Tür und Tor für weitere. Warum dann kein „Nahverkehrslokführer“, pardon: „Loknahverkehrsführer“? Oder ein „Schienengüterverkehrslokführer“, pardon: „Lokschienengüterverkehrsführer“?

Der fürsorgliche Arbeitgeber, der „keine unterschiedliche Regelungen für ein und dieselbe Berufsgruppe“ zulassen will

Die Deutsche Bahn AG argumentiert, man müsse als verantwortungsbewusster Arbeitgeber dafür sorgen, dass es für ein und dieselbe Berufsgruppe „widerspruchsfreie“ Vereinbarungen in dann möglicherweise unterschiedlichen Tarifverträgen geben müsse. Klingt gut: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag; ein Job – gleiche tarifvertragliche Regelungen“.

Die Wirklichkeit ist eine andere. Zunächst einmal – das haben wir im Rahmen der STREIKZEITUNG und das habe ich in meinen StrikeBlogs mehrfach dargelegt – hat gerade die Bahnreform von 1994, die ja die Grundlage lieferte für die Existenz der Deutschen Bahn AG, dazu geführt, dass es in vielen Bereichen der DB AG für ein und dieselbe Arbeit unterschiedliche Entlohnungen und erheblich differierende Arbeitszeitregelungen gibt. Und zwar solche für Beamte und solche für nicht verbeamtete Bahnbeschäftigte. Dies trifft insbesondere für den Bereich der Lokführer zu (bei den Streckenlokführern haben wir auch 2015 noch gut 8000 verbeamtete Lokführer).

Vor allem aber läuft die GDL-Forderung auf Gleichstellung der Rangierlokführern mit den Streckenlokführern doch auf das Gegenteil von Aufspaltung hinaus. Die GDL will hier eine Vereinheitlichung – gleicher Lohn, gleiche Arbeitszeitregelungen für die grundsätzlich gleiche Arbeit.

Schließlich zeigt die DB AG seit nunmehr rund 10 Monaten – also im gesamten Verlauf der aktuellen Tarifrunde – dass sie keine solche „widerspruchsfreie“ Regelung in den absehbar unterschiedlichen Tarifverträgen will. Wollte sie dies, dann müsste sie nach dem in Westdeutschland in den 1970er und 1980er Jahren entwickelten, und bewährten Verhandlungsmodus verfahren (so zwischen den öffentlichen Arbeitgebern auf der einen und ÖTV und DAG auf der anderen Seite praktiziert): An ein und demselben Tag finden an ein und demselben Ort Verhandlungen mit den beiden konkurrierenden Gewerkschaften statt. Man tagt in getrennten Räumen, doch es wird vor allem seitens des Arbeitgebers alles versucht, solche widerspruchsfreie Regelungen in den getrennten Tarifverträgen zu verankern.

Das klappte in der alten BRD rund zwei Jahrzehnte lang einigermaßen gut. Die Deutsche Bahn AG versucht ein solches Vorgehen erst gar nicht – auch, weil sie anderes will. Weil sie in höherem Auftrag agiert.

Worum es wirklich geht. Was tatsächlich hinter diesem Arbeitskampf steckt. Was wir ins Zentrum rücken müssen!

In Wirklichkeit hat die gesamte Verhandlungstaktik der Deutschen Bahn AG die drei Ziele: Erstens das gezielte Lohndumping im Bahnkonzern fortzusetzen. Zweitens die kämpferischere Gewerkschaft GDL in der Öffentlichkeit und möglichst auch vor Gerichten als Streikhansel-Gewerkschaft, dann noch geführt von einem wenig zurechnungsfähigen Gewerkschaftsführer, darzustellen. Drittens soll solange verhandelt werden, bis das Tarifeinheitsgesetz im Bundestag – möglicherweise bereits Ende Mai – beschlossen ist. So heißt es auch in Bild: „Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass es ein Tarifeinheitsgesetz braucht, um die zügellosen Auswüchse machtverliebter Einzelgewerkschafter zu regulieren, dann ist es dieser neue Streik.“

Bei dieser knallharten Politik – und hier geht es nicht schlicht um „Tarifpolitik“, das ist „hohe Politik“, wenn nicht „Klassenkampf von oben“ – wird die Deutsche Bahn AG von allen Leitmedien des Landes und von der Konzerngewerkschaft EVG unterstützt.

Und wer ist die Deutsche Bahn AG?

Es ist wirklich ein Phänomen, wie verzerrt und verkürzt dieses Unternehmen in diesem Arbeitskampf porträtiert wird. Als „Tarifpartner“, als „Bahnkonzern“, als unabhängiges Unternehmen „Deutsche Bahn AG“. Da fordern die Kanzlerin, der Verkehrsminister, auch SPD-Politiker „die Schlichtung“. Irgendwelche Neutrale sollten in diesen sich verselbständigenden Konflikt hineingehen, auf dass dort wieder die Vernunft einkehre.

Das ist schlicht Kasperletheater. Und die Tatsache, dass dieses Theater in 98 Prozent unserer Medien 1:1 so aufgeführt wird, zeigt, wie weitgehend es hier eine stillschweigende oder orchestrierte Abstimmung gibt (das Wort „Gleichschaltung“ sei hier vermieden, weil dieser Begriff höchst spezifisch mit dem deutschen NS-Staat verbunden ist!).

Die Deutsche Bahn AG ist ein Staatskonzern. Er gehört zu 100 Prozent dem Bund. Die Bundesregierung bestimmt in allen entscheidenden Fragen zu 100 Prozent die Politik, die dieses Unternehmen betreibt. Alle Bahnchefs – von Dürr über Ludewig und Mehdorn bis zu Grube – wurden im Bundeskanzleramt bestimmt (noch bevor ein Aufsichtsrat sich mit der entsprechenden Personalie befassen konnte; dieser durfte sie immer nur im Nachhinein abnicken). 2014 entsandte die Kanzlerin ihren ehemaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Bahnkonzern, einerseits, weil er für seine Dienste beim Durchwinken der Erhöhung der Baukosten von Stuttgart 21 von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro belohnt werden musste. Andererseits weil die Kanzlerin im direkten Umfeld Grubes einen Getreuen haben wollte, der sehr direkt die Politik der Bundesregierung in den Bahnkonzern hinein pflanzt.

Warum, so müssen wir fragen und fordern, greift die Bundesregierung als Vertretung des EIGENTÜMERS nicht direkt bei der DB AG ein, um die gerechtfertigten Forderungen der GDL zu würdigen und einen sinnvollen Kompromiss herbeizuführen?

Offensichtlich, weil es um höhere Ziele geht. Die angeblich unabhängige DB AG soll einerseits die kämpferische GDL in ihre Schranken verweisen und insbesondere wichtige qualitative Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Überstundenbegrenzung abprallen lassen.

Die Bundesregierung tritt dann nicht als Eigentümerin, sondern als scheinbarer Schiedsrichter auf den Plan, um zu schlichten oder um eine Schlichtung zu orchestrieren – und damit, um in die Tarifautonomie einzugreifen und um das Streikrecht einzuschränken.

Denn genau diese Ziele stehen nach Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes auf der Tagesordnung – und werden seit Februar 2015 offen von der CSU, unterstützt vom Fahrgastverband PRO BAHN, formuliert: Streiks bei der Eisenbahn sind nur noch gestattet, wenn es zuvor eine Schlichtung, faktisch eine Zwangsschlichtung, gab. Kommt es zu einem Streik so ist eine „Grundversorgung“ zu gewährleisten – wobei in diesem Zusammenhang oft auf Italien verweisen wird, wo eine solche Regelung als eindeutige Antistreikmaßnahme durchgesetzt werden konnte.

Das heißt: Streiks sollen so eingedämmt, eingezäunt und zahnlos gemacht werden, dass sie wirkungslos sind.

Die Forderungen der GDL – und damit der Arbeitskampf dieser Gewerkschaft – verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung. Mehr noch: Das, was die Gegenseite – die Bundesregierung, die DB AG als deren Speerspitze und die mit der Regierungspartei SPD und mit dem Bahnkonzern verbundene Gewerkschaft EVG – planen, läuft auf eine Aushöhlung des Grundgesetzes hinaus. Nicht „die Republik“ wird lahmgelegt. Es gibt den Versuch einer Lahmlegung des Streikrechts.

Umso wichtiger ist unsere Solidarität mit der GDL und mit dem aktuellen Arbeitskampf der Lokführer und des übrigen Zugpersonals“.

Quelle: Winfried Wolf / verantwortlicher Redakteur STREIKZEITUNG // StrikeBlog14 // 05. Mai 2015

Weitere Infos: http://pro-gdl-streik14.de/ STREIKZEITUNG

und http://gewerkschaftsforum-do.de/haende-weg-vom-streikrecht-streikrecht-ist-grundrecht/ und https://gewerkschaftsforum.de/reaktionen-auf-streik-der-gdl-es-geht-um-den-eingriff-in-das-streik-recht/