Volkszählungsboykott 1987 und Datensammlung heute

Volkszählung 2Einige Leser, vor allem die älteren, werden sich erinnern: Links auf dem Bild sind die Code- Zahlen der Fragebögen zur Volkszählung 1987. Diese Zahlenfolge war auf jeder Seite des Fragebogens aufgedruckt und sollte die Anonymität der Volkszählung gewährleisten.

Doch an dem Schutz der Daten der einzelnen Person wurden schnell Zweifel laut.

Auch in Dortmund hatte sich eine Gruppe von Boykotteuren zusammengefunden, die sich weigerten, an der Befragung teilzunehmen und dies auch öffentlich machten.

Öffentlich gezeigt wurde in riesigen Lettern auf dem Rasen des Dortmunder Westfalenstadions am 15. Mai 1987 der Spruch „Boykottiert und sabotiert die Volkszählung“, vor dem Anpfiff des so wichtigen Spiels, Borussia Dortmund gegen den Hamburger SV.

Im Gegensatz zu heute, wo fast jeder alles von sich breitwillig ins Internet stellt, gaben damals 40 Prozent der Bevölkerung an, sich um die Datensicherheit bei der Volkszählung Sorgen zu machen.

Was ist seit dem passiert, dass im Zeitalter von Web 2.0 und dem National Security Agency (NSA) Skandal sich kaum jemand aufregt und protestiert und bei der recht harmlosen Datenerfassung durch die damalige Volkszählung sich breiter Widerstand regte.

Ursprünglich war die Volkszählung für das Jahr 1981 geplant. Wegen Streitigkeiten über die Finanzierung wurde dann die Zählung auf 1983 verschoben.

In dem Jahr hatten sich viele Menschen bereits am Widerstand gegen Großprojekte wie der Startbahn West/Frankfurter Flughafen und dem Ausbau der Rhein-Main-Donau-Kanal teilgenommen, gegen die Atompolitik protestiert oder sich gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen demonstriert.

So war es nicht ungewöhnlich, dass innerhalb ein paar Wochen nach Bekanntgabe der Fragebögen sich bereits einige hundert Bürgerinitiativen zum Boykott der Volkszählung gegründet hatten.

Der Hauptknackpunkt lag den Kritikern zur Folge in der Absicht, die in der Volkszählung erhobenen Daten für eine Korrektur der Meldedaten zu verwenden.

Sofort wurde auch rechtlich gegen das Vorhaben vorgegangen. Die Kläger beanstandeten, dass die Ausführlichkeit der Fragen bei ihrer Beantwortung Rückschlüsse auf die Identität der Befragten zulasse und damit den Datenschutz nicht gewährleisten würde. Es bestand die Befürchtung, dass ein weiterer Schritt hin zum „Gläsernen Bürger“ und in Richtung Überwachungsstaat getan würde.

Das „Volkszählungsurteil“ von Mitte Dezember 1983 ist im Rückblick mittelweile historisch bedeutsam geworden.

Nach dem Bundesverfassungsgericht verstieß die Volkszählung, so wie sie organisiert werden sollte gegen das Grundrecht auf infomationelle Selbstbestimmung, das sich aus der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach dem Grundgesetz ableitet.

Die Zählung, die für den 27. April 1983 geplant war, wurde dann gemäß dem Urteil untersagt.

Nach dem die Befragung neu konzipiert wurde, die personenbezogenen Angaben von den Bögen getrennt und die Anonymität besser gewährleistet sein sollte, gab es einen neuen Stichtag für die Befragung, den 25. Mai 1987.

Die groß angelegte Imagekampagne „ Zehn Minuten, die allen helfen“ zeigte aber wenig Erfolg. Inzwischen standen für viele Menschen die Themen, wie der begonnene Rückbau des Sozialstaates, die Einforderung mehr Eigeninitiative und Eigenleistung („privat vor Staat“), der Abbau demokratischer Rechte, der maschinenlesbare Ausweis, zentrales Verkehrsinformatationssystem, Personenkennzeichen im Sozialversicherungsausweis, Personalinfo-Systeme in der Privatwirtschaft/Überwachung der Beschäftigten und die ausufernde Datensammlungswut bei Polizei und Geheimdiensten im Vordergrund. Den Kritikern der Volkszählung ging es vor allem auch um mehr Mitbestimmung und den Kampf gegen die Beschränkung von Bürgerrechten und gegen eine Entwicklung in Richtung technokratischen Staat.

Es bildeten sich weitere Bürgerinitiativen und Boykottgruppen, die auch durch öffentliche Aktionen immer mehr Unterstützung erlangten.

Trotz umfangreicher Repressionen und der Androhung von Bußgeldern bis zu 10.000 DM wuchs die Zahl der Volkszählungsboykott-Initiativen von 350 Mitte 1986 auf über 1.100 im April 1987 an. Auch die Beschlagnahme von Flugblättern, die Überwachung der Aktivisten durch den Verfassungsschutz, die über 100 Hausdurchsuchungen bei Volkszählungsgegnern wegen angeblichen „Aufrufs zur Sachbeschädigung“, gemeint war die Sachbeschädigung durch das Abschneiden der Kontrollnummer auf den Volkszählungsbögen, schreckten kaum ab.

Die persönlichen Daten von über 900 Volkszählungsgegnern wanderten in die „APIS“-Dateien des Bundeskriminalamts, allein in Baden-Württemberg wurden 653 Personen im „polizeilichen Meldedienst“ gespeichert. Die überwiegende Mehrzahl der Strafverfahren wurde zwar 1988 eingestellt, aber die Reaktion des Staates hatte insgesamt die Argumente der Volkszählungsgegner geradezu bestärkt und er sich selbst vorgeführt.

Dann war es soweit: Über eine Million Menschen folgten damals dem Boykottaufruf. Viele andere machten bewusst falsche Angaben, sodass bis heute die statistischen Ergebnisse der letzten großen Volkszählung höchst umstritten sind.

Während die statistischen Ämter der Befragung eine gute Qualität bescheinigten, sprachen unabhängige Informatiker von einem „Daten-Gau“. Was die Volkbefragungsboykottbewegung erreichte war aber, dass die Sensibilität der Menschen in den 1980 Jahren für das Aushorchen der Bürger durch den Staat größer geworden, die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung des Datengebrauchs erforderlich war und ein noch immer aktuelles BVG-Urteil erstritten wurde.

Diese Bewegung wird auch gern als ein weiteres Beispiel dafür heran gezogen, dass eine Bewegung, die sich ursprünglich gegen einen konkreten Missstand gründet auch eine Erweiterung von Grund- und Freiheitsrechten erstreiten kann. Erstreiten durch das Engagement des Einzelnen, im Verbund mit dem gemeinsam geschaffenen gesellschaftlichen Druck von unten der Vielen.

Allerdings konnte damals niemand erahnen, wie es mit dem Datenverkehr in der digitalisierten Welt im Jahr 2014 aussieht:

Der einzelne Mensch wurde in den vergangenen Jahren von den Möglichkeiten, die vor allem das Internet geschaffen hat, förmlich überrollt.

Standen noch in der ersten Phase die Kommunikation im Mittelpunkt, ist es nun in der zweiten Phase das Sammeln und Auswerten von Daten.

In der ersten Phase wurden die Möglichkeiten der Kommunikation extrem erweitert. Realisiert werden konnten damals erstmals horizontale, dezentrale, transparente und offene Kommunikationsformen in einem riesigen Umfang. Es entstanden neue Organisationsformen, die sich durch Freiwilligkeit, Beteiligung und Mitbestimmung auszeichneten. Die Kommunikationsflüsse waren nachvollziehbar, die Beteiligten schlossen sich freiwillig zusammen und arbeiteten an einem Projekt. Wikipedia ist so ein Beispiel für diese Zeit.

Das Beispiel für die zweite Phase ist nicht mehr die Community, sondern sind die Datenzentren, bei denen unsere Daten in der Cloud verschwinden.

Der Wert der Datensätze steigt mit ihrer Größe an, d.h. je zentraler und riesiger die Datenmengen verwaltet werden können, desto größer ist auch der Profit. Aus den Datenbeständen lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die es vorher so nicht gab. Muster lassen sich erkennen und Wahrscheinlichkeiten ermitteln, bis hin sogar, zukünftiges Handeln vorherzusagen. Wer die Daten über einen Menschen hat, hat auch die Macht über ihn. Es ist ein neues Machtgefälle entstanden; oben sind die, die den Zugang zu den Daten haben und mehr wissen als andere und die, die noch auf der Kommunikationsebene geblieben sind und fleißig vor sich hin twittern, posten und hoch- und runterladen.

Ohne Frage sind auch die Kommunikationsmöglichkeiten stark ausgeweitet worden. Sie sollen aber doch nur noch den Anreiz geben, möglichst viele Daten zu liefern.

Wie das Spiel Kommunikation gegen Daten ausgehen wird, ist noch nicht geklärt. Wahrscheinlich aber werden die Daten die Oberhand behalten.

Ein paar Beispiele für die rasante Entwicklung in den vergangenen Jahren

Mittlerweile haben sich Monopole wie Amazon, Facebook und Google herausgebildet, die durch die Vernetzung und den kinderleicht zu bedienenden Plattformen, mit Angeboten die vorgaukeln, kostenlos zu sein, ihren Nutzern Daten entlocken, die sie selbst dann bearbeiten und vermarkten. Sie haben auch Zugriff auf die Daten, die die Nutzer untereinander weitergeben. Ihr System scheint allmächtig.

Wer bei Google etwas sucht, dem wird mitgeteilt dass Google 30 Billionen Adressen in 230 Millionen Domains zur Verfügung stellt, aus denen man wählen kann. Monatlich werden hier 100 Milliarden Suchanfragen gestellt, das waren im Jahr 2013 allein 76,6 Prozent der weltweiten Internetanfragen. Von der Videoplattform YouTube werden am Tag 300 Millionen Betrachtungs-Stunden Videofilme abgerufen. YouTube gehört mittlerweile auch zu Google. Die Firma Facebook hatte im ersten Quartal 2014 monatlich 1,276 Milliarden aktive Nutzer, das Unternehmen selbst wuchs im vergangenen Jahr um 14,96 Prozent in Dimensionen, die beachtlich und bedrohlich werden: 2013 erwirtschaftete Facebook einen Umsatz von 7,9 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 1,5 Milliarden Dollar. Amazon toppt dies noch mit einem Nettoumsatz im Jahr 2013 von insgesamt 74,4 Milliarden Dollar und einem Nettogewinn von 274 Millionen Dollar, mit einem 21-prozentigen Wachstum gegen über dem Vorjahr.

So ist bei den Großen des kommerzialisierten Internets ein riesiges Vermögen vorhanden, mit dem man den Markt weiter bestimmen kann und alles aufkaufen, was neu, konkurrenzfähig von der Technik oder aber die Lücken in der totalen Überwachung noch füllen kann.

Grenzen setzt nur die Technik.

In den nächsten Jahren wird es auch hier immer weniger Grenzen geben. Die Integration verschiedener Technologien, die eine Kommunikation mehrerer Geräte untereinander ermöglicht, wird weitere Modernisierungswellen nach sich ziehen.

So ist das autonom fahrende Auto von Google, das 2012 seine Zulassung erhielt, nicht als Personenbeförderungsmittel gedacht, sondern eher ein reines IT-Projekt, für die neuen integrativen Ansätze und zeigt auch die gigantischen Ausmaße der Datenverarbeitung auf. Nach Expertenschätzungen bewegt sich das Volumen der Daten, die das autonom fahrende Auto versendet, auf dem Niveau von einem Gigabyte pro Sekunde Datenaustauscht. Zum Vergleich: das derzeit modernste iPhone mit 64 Gigabyte wäre durch den Datenverkehr eines einzelnen Autos nach einer Minute randvoll. Google arbeitet derzeit demnach vorrangig an der BigData-Technologie.

Die Änderungen die sich für die Arbeitswelt ergeben, sind noch nicht abzusehen.

Ein Beispiel, wohin die Richtung gehen kann, zeigt das Projekt „Industrie 4.0“, ein technisches Förderprogramm in Deutschland. Es soll die Produktion in Echtzeit mit Marktdaten füttern und gleichzeitig die Produktion kontrollieren. Die gewünschten Merkmale und individuellen Ausstattungen können dann mit der Bestellung direkt und zeitgleich in die Produktion übertragen und das Produkt so passgenau hergestellt werden. Die einzelnen Produktbestandteile erhalten bereits zu Beginn der Produktion die Information, wie sie bearbeitet werden sollen. Die Daten werden dann an die Produktionsmaschine gegeben, die entsprechend arbeitet. Das Ziel dabei ist, hoch individuelle Einzelstücke automatisiert herstellen zu können.

Wenn man sich das Aufbegehren gegen die Volkszählung noch einmal vor Augen führt und dann dagegen hält, dass der NSA-Skandal kaum jemanden hinter dem warmen Ofen hervorlockte, kann man sehen, wie der einzelne schon in das Datensystem eingebunden ist.

Deutlich wird die Hilfelosigkeit des Einzelnen den mächtigen Datensammlern gegenüber. Macht- und hilflos auch deshalb, weil keiner von uns weiß, was die alles von uns wissen, ob sie unsere kleinen Geheimnisse schon entdeckt haben, kurzum, was sie gegen uns in der Hand haben.

Fest steht aber, dass auch Deutschland fester Bestandteil des US-amerikanischen Sicherheitssystems ist, man sich gern über unsere Daten austauscht und die Datenmengen andauernd erweitert und damit die Macht über uns hat.

Dies alles geschieht in direkter Zusammenarbeit mit den großen, weltweit agierenden Konzernen der IT-Branche.

Bei den einen steht die Sicherheit angeblich im Vordergrund, bei den anderen das Profit- und Machtstreben.

Demokratische Kontrolle gibt es weder da noch dort.

Quellen: handelsdaten.de, bosch-presse.de, faz.net.de

Bild: privat