Vom Zusammenwachsen der medialen Macht mit staatlichen Strukturen – in NRW hat der Begriff Lobbyismus eine ganz neue Dimension erreicht

In NRW hat der Begriff Lobbyismus eine ganz neue Dimension erreicht. In dem Bundesland verwaltet Bertelsmann Konzern inzwischen buchstäblich den Schlüssel zur Lobby der Landesregierung selbst und ist in die inneren sensiblen Bereiche der Politik vorgedrungen.
Eine Große Anfrage der NRW-Piraten zeigte im Dezember 2016 auf, dass die Bertelsmann-Tochter Arvato, die das ServiceCenter der Landesregierung technisch betreut, einen großen Beitrag zum Funktionieren der Regierung in Düsseldorf leistet und in sensible Bereiche vorgedrungen ist, in den private Firmen nichts zu suchen haben.

Die Anfrage der Oppositionspartei war die bislang umfänglichste Prüfung, der sich die Regierenden hierzulande bezüglich ihrer Bertelsmann-Hörigkeit unterziehen mussten.

Die dominierende Rolle von Bertelsmann-Stiftung und Bertelsmann-Medienkonzern bei der Politikprivatisierung ist schon seit langem bekannt, doch nun droht das Zusammenwachsen der medialen Macht mit ehemals staatlichen Strukturen der Überwachung zu einem neuen Mechanismus der sozialen Kontrolle.

Die NRW-Piraten haben der Landesregierung von NRW  mit einer Große Anfrage auf den Zahn gefühlt. Die Regierung ist ihrer parlamentarischen Rechenschaftspflicht nachgekommen und hat auf 50 Seiten, detailliert wie nie zuvor, aufgelistet, was es an Kontakten, Geschäften und Verträgen zwischen der Regierung und Bertelsmann in den letzten zehn Jahren gegeben hatte.

So kam ans Licht, dass

  • man bei einer Recherche auf dem Webserver des Landtages für das Stichwort „Bertelsmann-Stiftung“ 1.370 Treffer erhalten kann, für die ebenfalls großen Unternehmensstiftungen „Bosch-Stiftung“ lediglich 69 Treffer, die „Körber-Stiftung“ kam auf 27 Treffer.
  • eine tabellarische Auflistung der Treffen von Regierungsbeamten mit Bertelsmann sich über 13 Seiten hin zieht.
  • man nun sehen kann, in welche Bertelsmann-Projekte Steuergelder fließen, so z.B. 5 Millionen in das Projekt „Kein Kind zurücklassen“, das u.a. die durch Hartz-IV bedingte Kinderarmut kompensieren soll. Hier wurde man wohl durch das gefloppte Projekt „No Child Left Behind“ von George W. Bush inspiriert.
  • die Landesregierung 86 Aufträge an Bertelsmann vergeben hat, darunter Aufwendungen von 6,7 Millionen Euro etwa für den Betrieb ServiceCenter der Landesregierung. In diesen Zentren beantworte Arvato nach eigenen Angaben inzwischen die meisten Bürgeranfragen abschließend.
  • 80 Prozent aller im ServiceCenter eingehenden Bürgerkontakte bereits im Erstkontakt fallabschließend durch die Arvato-Mitarbeiter bearbeitet werden. Will heißen, vier von fünf Bürgeranfragen kommen nicht an die Exekutive heran, sondern werden schon vorher von einer privaten Firma erledigt.
  • es auch Bertelsmanns besonders starken Einflüssen in der Bildungs- und Hochschulpolitik zu verdanken ist, dass Hochschulen nur noch der Rechtsaufsicht, nicht mehr der Berichtspflicht gegenüber der Landesregierung unterliegen.
  • die personalpolitische Drehtür zwischen Politik und Bertelsmann recht schnell rotiert. Wie schnell, wollte die Regierung mit Hinweis auf Datenschutz nicht beantworten.
  • man in NRW die Bertelsmann-Stiftung immer noch als neutralen Think Tank sieht, obwohl Bertelsmann im Lobbyregister der EU in Brüssel schon als drittgrößter Lobbyist geführt wird.
  • Bertelsmann bei den Machteliten wohl deshalb immer noch als nur „heimlicher“ Lobbyist gilt, weil der Medienkonzern sich selbst dank seiner Medienmacht aus den Schlagzeilen des Mainstreams heraushalten kann.
  • der Einsatz von Arvato in Düsseldorf mit einer Summe von fünf Millionen Euro Steuergeldern vergütet wird, fällt bei 5,6 Milliarden Euro Umsatz der Konzerntochter insgesamt, finanziell wohl kaum ins Gewicht, ist aber auch schon eine stolze Ausgabe

und dass eine mangelhafte Reflexion der „Lobbyismus-Gefahr“ bei den Landesparlamentariern und der Regierung vorhanden ist. Ob es sich hierbei bei den Parlamentarier um die übliche Realitätsblindheit oder um Sich-Dumm-Stellen handelt, ist nicht klar. Auf jeden Fall ist das lächerlich, wo doch jedes Kind sich im Internet über die Lobbytätigkeiten informieren kann.

 

Die Bertelsmann-Tochter Arvato verwaltet derzeit die größte private Datenbank der Bundesbürger. Das ist ein moderner Goldschatz. Lobbyisten der Big-Data-Industrie behaupten selbst, dass „Daten das neue Öl“ seien, doch haben sie noch Schwierigkeiten dieses „Öl“ gänzlich zu fördern. Sie müssen es zzt. noch aus unserem Recht auf Privatheit herausbohren. Dazu brauchen sie die Hilfe der Politik.

Wie diese Hilfe eingekauft wird, zeigt das Beispiel von Viviane Reding. Von Februar 2010 bis Mitte 2014 war sie Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Unter ihrer Zuständigkeit wurde das neue EU-Datenschutzgesetz geschaffen, von dem es hieß, es sei den Lobbyisten abgetrotzt worden.

Das kann aber so nicht sein, denn Viviane Reding sitzt heute bei Bertelsmann im Stiftungs-Kuratorium.

Als ehemalige EU-Kommissarin für Medien und Informationsgesellschaft bringt sie eine Menge Know-How mit, das  für die Geschäftsfelder von Bertelsmann von hohem Interesse ist. Zudem war Reding Vizepräsidentin derjenigen Kommission, die das EU-US- Freihandelsabkommen-TTIP initiiert hat. Als globales Unternehmen gehört Bertelsmann zu den möglichen Nutznießern des Freihandelsabkommens und unterstützt Lobbygruppen, die sich für TTIP einsetzen.

Seit Januar 2015 ist Viviane Reding Mitglied im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung, sie arbeitet nun beim „Big Player im Geschäft mit Big Data“.

Das Kuratorium ist ein Beratungs- und Kontrollgremium, das eng in die strategischen Entscheidungen der Stiftung eingebunden ist. Das Kuratorium gehört zwar nicht direkt zum Unternehmen, ist aber eng mit Bertelsmann verbunden. Die Stiftung hält 77,6 Prozent der Aktien des Bertelsmann-Konzerns und das Kuratorium ist personell mit dem Aufsichtsrat der Bertelsmann SE & Co KgaA verzahnt.

 

 

Quelle: piraten nrw, lobbypedia

Bild: lobbycontroll