Warum Ankerzentren eine schlechte Idee sind

Von Max Klöckner

Schon bald will das Bundesinnenministerium (BMI) einen Plan für die Errichtung der sogenannten AnkER (Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungs)-Zentren vorlegen. Deutlich wird: Den Fokus legt die Regierung vor allem auf das Wort Rückführung.

In den neuen Ankerzentren sollen nach dem Willen des Innenministers zunächst alle ankommenden Schutzsuchenden untergebracht werden. Dieses Vorhaben wird gleich mehrere schwerwiegende Folgen haben: Die Isolation in solchen Zentren behindert die Integration derjenigen, die in Deutschland bleiben werden. Flüchtlingen fehlt der Zugang zu Beratungsstrukturen oder Rechtsbeistand – viele von ihnen werden in der Praxis sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung dastehen. Und Großunterkünfte für Flüchtlinge sind stigmatisierende Zeichen der Ausgrenzung, sie werden häufig zum Kristallisationspunkt von Hasskampagnen.

Als Vorbild für die Ankerzentren-Pläne gelten die bayerischen Einrichtungen in Manching und Bamberg. In den dortigen »Transitzentren« leben Tausende Flüchtlinge. Dort lassen sich die befürchteten Probleme bereits beobachten, nicht umsonst warnte auch der Bamberger Oberbürgermeister während der Sondierungsgespräche vor der Einrichtung weiterer Massenunterkünfte. Sein Appell verhallte ungehört, ebenso wie die mahnenden Worte des Erzbischofs Heße nach seinem Besuch in Manching.

Staatlich angeordnete Integrationsverhinderung

Eine dauerhafte Isolierung in Massenunterkünften abseits von großen Orten ist für die Betroffenen katastrophal. Wem über lange Zeit hinweg Jahre der Zugang zu Schule, Arbeit, neuen Nachbarn und Ehrenamtlichen versperrt wird, der lernt nur schwer die deutsche Sprache, knüpft keine dringend benötigten Kontakte, um richtig in Deutschland anzukommen.

Bei angenommener »positiver Bleibeperspektive« sollen Flüchtlinge auch weiterhin auf Kommunen verteilt werden. Das suggeriert, dass in den Ankerzentren nur diejenigen bleiben, die Deutschland wieder verlassen werden. Diese Annahme ist aber in gleich mehreren Punkten falsch.

Zunächst ist unklar, wann die genannte Verteilung genau erfolgen soll. Nicht einmal Innenminister Seehofer selbst kann das konkretisieren. »Wenn Klarheit über ihren Status besteht« kann auch heißen: Nach Abschluss des Asylverfahrens. Dann aber sind schon viele Monate für die Integration verloren gegangen.

Weiterhin berücksichtigt das Konzept der Bleibeperspektive nicht die Fluchtgründe Einzelner. Es nimmt pauschal an, dass alle Menschen aus Ländern mit einer Gesamtschutzquote (unbereinigt!) von unter 50 Prozent keine positive Bleibeperspektive hätten. Das Beispiel Afghanistan zeigt, wie absurd diese Annahme ist: Rund 47 Prozent der Afghan*innen erhalten Schutz in Deutschland (bereinigte Schutzquote). Viele, deren Antrag abgelehnt wurde, klagen vor Gericht dagegen – und erhielten 2017 in über 60 Prozent der Fälle Recht. Abgeschoben werden zudem aktuell keine Frauen und Kinder, ohnehin beschränkt die Bundesregierung Abschiebungen auf vermeintliche Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitätsverweigerer.

Obwohl also die große Mehrheit der Afghan*innen auf absehbare Zeit in Deutschland bleibt, haben sie angeblich keine »positive Bleibeperspektive« und werden für Monate oder – da oftmals erst die Gerichte abschließend entscheiden – gar Jahre in Massenunterkünften kaserniert. Und das gilt nicht nur für Flüchtlinge aus Afghanistan, aus den verschiedensten Gründen bleiben viele Menschen auch aus Ländern mit einer durchschnittlichen Anerkennungsquote von unter 50 Prozent dauerhaft in Deutschland.

In den geplanten Ankerzentren unterliegen sie dennoch verschiedensten Restriktionen, wie einem Arbeitsverbot. Und selbst schulpflichtige Kinder erhielten bislang beispielsweise im Transitzentrum Manching nur rudimentären »Ersatzunterricht«. Mit Unterstützung von PRO ASYL haben Betroffene nun dagegen geklagt, das Verwaltungsgericht in München erklärte die Praxis für rechtswidrig. Erst dadurch konnte die Regierung von Oberbayern dazu gebracht werden, Flüchtlingskindern den Besuch von Regelschulen zu ermöglichen.

Massenlager machen krank

Ohnehin schadet ein dauerhafter Verbleib in Großunterkünften dem Kindeswohl massiv. Die UNICEF-Studie »Kindheit im Wartezustand« beschreibt, wie sich mangelnde Privatsphäre und beengte Unterbringung auswirken und bekräftigt: »Kinder, Jugendliche und ihre Eltern sollten grundsätzlich so kurz wie möglich in Flüchtlingsunterkünften untergebracht sein.«

Unter diesen Umständen leiden aber selbstredend nicht nur Kinder, sondern alle Geflüchteten. Häufig wird berichtet, wie die Psyche leidet, wenn es kaum Rückzugsräume gibt. In vielen Massenunterkünften können Türen beispielsweise nicht abgeschlossen werden, sanitäre Anlagen werden von vielen Personen gemeinsam genutzt und es sind keine oder nicht ausreichend Kochgelegenheiten vorhanden.

Dieses dauerhafte, beengte Zusammenleben vieler Menschen mit unterschiedlichen Gewohnheiten und Interessen führt auch zu, im wahrsten Sinne des Wortes, hausgemachten Konflikten. Und das in einer Situation, in der die Menschen ohnehin mit ihren Fluchterfahrungen, der unklaren Lebensperspektive und oftmals auch großen Sorgen um die Angehörigen in Krisengebieten schwer belastet sind.

Fehlender Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung

In solchen Großunterkünften leiden die Betroffenen mit zunehmender Dauer außerdem unter Perspektivlosigkeit. Auch das ist offenbar von der Bundesregierung durchaus gewollt – damit werden Flüchtlinge zermürbt und verzichten möglicherweise auf weitere Rechtsmittel. Verstärkt wird dies durch zwei weitere Punkte:

Die staatliche Rückkehrberatung berät nicht ergebnisoffen. Ihr Ziel ist es, Asylbewerber*innen zur Rücknahme ihres Antrages oder zum Verzicht auf eine Klage zu bewegen.

Schon in den letzten Monaten verstärkte die Bundesregierung ihre Bestrebungen, Flüchtlinge zur »freiwilligen« Ausreise zu bewegen. Laut Entwicklungsminister Müller sollen nun weitere Programme folgen, die u.a. auch auf die Rückkehr von Menschen in die Krisenländer Irak und Afghanistan abzielen. Die sogenannte »Rückkehrberatung« findet jetzt schon teilweise vor der Einleitung eines Asylverfahrens statt. Die staatliche Rückkehrberatung berät jedoch nicht ergebnisoffen. Ihr Ziel ist es, Asylbewerber*innen zur Rücknahme ihres Antrages oder zum Verzicht auf eine Klage zu bewegen.

In den geplanten Ankerzentren wird Flüchtlingen nun zudem oft die Möglichkeit fehlen, unabhängige Beratungsstrukturen aufzusuchen und sich Rechtsbeistand zu beschaffen. Ohne effektiven Zugang zu Anwältinnen und Anwälten, ohne Begleitung bei Anhörungen, ohne unabhängige Beratung nach Erhalt der – häufig mangelhaften – Asylbescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) droht die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes de facto ausgehebelt zu werden.

Betroffen wären davon auch die sogenannten »Dublin-Fälle«, also Flüchtlinge, die zur Prüfung ihres Asylantrags in andere europäische Staaten abgeschoben werden sollen – zumeist nach Ungarn, Bulgarien, Griechenland oder Italien. Oftmals äußern Gerichte aber berechtigte Vorbehalte gegen Rückschiebungen in solche Länder ohne funktionierendes Asylsystem. Hat die Person aber keine Möglichkeit, die Ankerzentren dauerhaft zu verlassen, verzichtet sie möglicherweise auf eine solche Klage – und landet wieder im Ersteinreisestaat im Elend.

Stigmatisierung und Ausgrenzung

Die dauerhafte Unterbringung in solchen, mit Stacheldraht gesicherten, Massenunterkünften führt zu einer Stigmatisierung der Menschen, die in ihnen leben. Sie werden vom Kontakt zur hier lebenden Bevölkerung quasi ausgeschlossen. Es entstehen Berührungsängste und es wird ein überaus problematisches Signal an die Bevölkerung gesendet: Flüchtlinge als gesellschaftlich Nichtzugehörige und als Sicherheitsproblem. Ein Nährboden für Konflikte, der Rechtspopulisten und Rassisten stetig neue Nahrung geben wird. Die ohnehin besorgniserregenden Vorbehalte eines Teils der Bevölkerung werden dadurch verstärkt, eine flüchtlingsfeindliche Haltung bestätigt.

Über die Hälfte der Menschen erhält einen Schutzstatus in Deutschland. Wenn sie die ersten Monate oder gar Jahre in Deutschland in einer Massenunterkunft ohne Integrationsmöglichkeiten verbringen, ist das kein guter Start für alle Beteiligten.

Wie Flüchtlingsaufnahme anders geht, sieht man beispielsweise im brandenburgischen Frankfurt an der Oder. Dort erhalten Flüchtlinge eigene Wohnungen und es gibt umfassende Integrationsprogramme. Im Vergleich zu Cottbus, ebenfalls in Brandenburg gelegen und mit prozentual gesehen ebenso vielen zugewiesenen Flüchtlingen, kommt es hier zu weit weniger Problemen. Viele, die auf eine solche dezentrale Unterbringung setzen, sind in dieser Hinsicht bisher gut damit gefahren.

Besser wäre: Integration statt Kasernierung!

Die Pläne des Bundesinnenministeriums zielen wohl darauf ab, Abschiebungen zukünftig rascher und vor allem geräuschloser durchführen zu können, auch indem durch fehlenden Zugang zu unabhängigem Rechtsbeistand die sehr hohe Zahl der Klagen vor Verwaltungsgerichten reduziert wird. Diese verhelfen Flüchtlingen nachträglich häufig zu ihrem Recht.

Auch ohne Gerichte erhält aber schon über die Hälfte der Menschen einen Schutzstatus in Deutschland. Wenn sie die ersten Monate oder gar Jahre in Deutschland in einer Massenunterkunft ohne Integrationsmöglichkeiten verbringen, ist das kein guter Start für alle Beteiligten. Die Bundesländer, die den Plan schlussendlich in die Tat umsetzen müssten, sollten sich den Ankerzentren also im Interesse der Gesellschaft widersetzen, wenn es zur Abstimmung im Bundesrat kommt. Es braucht Integrationsmaßnahmen statt Kasernierung und eine flächendeckende, unabhängige Rechtsberatung statt millionenschwerer Rückkehrkampagnen.

 

 

Weitere Infos: Pro Asyl: https://www.proasyl.de/hintergrund/warum-ankerzentren-eine-schlechte-idee-sind/

Bild: dpa