Zehn Jahre Hartz IV

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Am 16. August 2002 hatte der damalige VW-Manager Peter Hartz im Auftrag von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seine Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vorgestellt. Einige Auswirkungen dieser „Hartz IV-Reform“:

 

  • Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurde den Menschen abverlangt, dass sie jedes Arbeitsangebot – egal, wie es aussieht oder welche Qualifikation es ausmacht – annehmen müssen.
  • Der Qualifikationsschutz und der Berufsschutz wurden aufgehoben.
  • Der Manipulation in der Arbeitslosenstatistik wurde Tür und Tor geöffnet.
  •  7,4 Millionen Menschen in Deutschland wünschen sich heute Arbeit oder mehr Arbeitsstunden.
  • Ein Viertel der Beschäftigten arbeitet zu Löhnen, die weniger als 75 Prozent des Durchschnittseinkommens ausmachen. 60 Prozent im Osten Deutschland sind davon betroffen.
  • Die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse (unbefristet, sozialversicherungspflichtig, über 21 Wochenstunden, keine Leiharbeit) nahm in den letzten zehn Jahren leicht ab: von 23,74 Mio. 2001 auf 23,67 Mio. 2011. Gleichzeitig kletterten die atypische Beschäftigungen (befristet, geringfügig, Teilzeit, Leiharbeit) von 5,9 Mio. auf 7,9 Mio. Dies ist ein neuer Höchststand (Statistisches Bundesamt, Juli 2012). Der Beschäftigungsanstieg von Juni 2010 auf Juni 2011 geht zu 17 % auf Leiharbeit zurück.
  • Fast die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse endet nach weniger als drei Monaten (Bundesagentur für Arbeit, Juli 2012).
  • Von den rund drei Millionen Arbeitslosen befinden sich nur etwa 30 Prozent im Bezug des Arbeitslosengeld I, während 70 Prozent, über zwei Millionen Arbeitslose, in Hartz IV festsitzen, fast 800.000 davon sind Langzeitarbeitslose.
  • Die Praxis des „Förderns und Forderns“ zeigt: dreiviertel aller Betroffenen verbleiben langfristig „in Hartz IV“.
  • Fast jeder 3. Euro aus dem  Hartz IV-System wird dafür ausgegeben, niedrige Löhne durch staatliche Zuschüsse auf ein Mindestniveau anzuheben („Aufstocker“).
  • Durch Hartz IV wurde ein massiver Druck auf die Löhne und Sozialstandards ausgeübt, mit der Folge von längeren Arbeitstagen, Zunahme der Nacht- und Wochenendarbeit und keinerlei Steigerung der Reallöhne.
  •  Elf Prozent der Beschäftigten erhalten nicht einmal den Mindestlohn
  • Die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer geworden.
  • Die Regelleistung gewährleistet nicht mal ein menschen-würdiges Existenzminimum.
  •  Die Kinderarmut und die Altersarmut sind gestiegen.
  • Bedingt durch die immer noch verfehlte Personalpolitik in den Jobcentern, in denen oft befristet Beschäftigte arbeiten und Probleme in der Organisation und Verwaltung, müssen die Ratsuchenden immer öfter ihr Recht erstreiten. Dazu kommt auch die hohe Belastung der Sozialgerichte, die zum Großteil auf gesetzgeberische Rechtsunklarheiten im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) zurückzuführen ist.
  • Vielfach werden die Regelsätze unsachgemäß berechnet oder Einkommen unkorrekt und verspätet angerechnet, was zu finanziellen Engpässen bei den Betroffenen führt.
  • Bezahlbarer Wohnraum steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, so dass die Wohnungslosigkeit zunimmt.
  • Sanktionen, insbesondere gegen junge Erwachsene, erfolgen pauschal und ohne Berücksichtigung der persönlichen Situation der Betroffenen.
  • Das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht die Leistungsberechtigten aufgrund zu langer Leitungs- und Antragswege nicht.
  • Dem offiziellen Rückgang der Arbeitslosenzahlen steht eine Zunahme dessen gegenüber, was mit Blick auf amerikanische Verhältnisse gemeinhin „Working Poor“ genannt wird. Die Senkung der Arbeitslosigkeit ist demnach zu einem erheblichen Teil mit der Ausweitung von Arbeitsverhältnissen erkauft worden, die nicht einmal vor Armut schützen können.

Nach und nach wurden die meisten der Hartz-Regelungen wieder abgeschafft, weil sie verfassungswidrig waren oder schlicht gefloppt sind. Nach zehn Jahren ist mit Hartz IV nur noch ein Modul des Hartz-„Reformpakets“ übriggeblieben. Hartz IV ist nicht nur auf der ganzen Linie gescheitert, sondern hat zur „Amerikanisierung“ des deutschen Arbeitsmarktes und zur tiefen Spaltung der Gesellschaft beigetragen

und markiert den Tiefpunkt der deutscher Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Weitere Infos: http://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2011_05_30.pdf

Bild: winboard. org

erschienen im Info-Brief November 2012