Zukunft der Arbeit – was wird Industrie 4.0 den Beschäftigten bringen?

buehnenbild_doorpage-autonomik-03Es ist in aller Munde, das Schlagwort „Industrie 4.0“. Was es aber genau damit mit auf sich hat, bleibt jedoch häufig unklar. Vor allen steht dabei um sich greifende Digitalisierung und Automatisierung der Produktion im Vordergrund, es ist von der smarten Fabrik die Rede, von der Vernetzung von Mensch und Maschine. Auch hört man immer wieder von der vierten industriellen Revolution und einem neuen Maschinenzeitalter.

Peter Ittermann, Jonathan Niehaus und Hartmut Hirsch-Kreinsen von der Technischen Universität Dortmund haben in ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Expertise den Wandel hin zur Industrie 4.0 genauer untersucht und geben einen Überblick über den Stand der Debatte. Sie gehen auch der Frage nach, ob die neuen Technologien eher Chance oder Risiko bedeuten und haben dabei den besonderen Blick auf die Auswirkungen für die Beschäftigten gerichtet.

In der Expertise sollen laufende Forschungs- und Unternehmensaktivitäten bilanziert werden, um erste Erkenntnisse zum möglichen Wandel von Arbeit in der Industrie 4.0 abzuleiten.

Ein Vorläufer der Diskussion um Industrie 4.0 war die vertiefte Auseinandersetzung in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mit dem weltweiten Megatrend der intelligenten Verknüpfung von Internetanwendungen und realen Produkten bzw. Objekten. Das „Internet der Dinge“, „digitales Produktgedächtnis“ oder „cyberphysische Systeme“ sind die gängige Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang, die zunehmende Integration physischer und digitaler Prozesse in Arbeits-, Produktions- und Lebenswelten beschreiben sollen.

4.0 meint, dass es sich um die vierte industrielle Revolution handelt.

Die erste industrielle Revolution markiert den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, ermöglicht durch technische Neuerungen wie den mechanischen Webstuhl oder die Dampfmaschine.

Neben die Textil-, Eisen- und Stahlproduktion treten in der zweiten industriellen Revolution die Chemie- und Elektroindustrie als neue Leitsektoren. Neue Fertigungstechniken wie die Fließbandarbeit erleichtern die Massenproduktion.

In der dritten industriellen Revolution kommt es durch den Einsatz von Computern und Robotern zu einer stärkeren Automatisierung der Produktion.

Die sogenannte Industrie 4.0 kennzeichnet die Vernetzung von Mensch, Maschine und Produkt, über das Internet in Echtzeit. Durch dezentrale Steuerung wird die Produktion schneller und flexibler. Industrie 4.0 steht in seiner weiten Verwendung für eine technologieinduzierte und -zentrierte Vision zukünftiger Automatisierung und Virtualisierung industrieller Produktionssysteme.

Die Anzahl der Begriffsbestimmungen zu Industrie 4.0 ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Viele Publikationen und Statements verweisen auf die Arbeitsdefinition der „Plattform Industrie 4.0“ aus dem Jahr 2013 hin:

„Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie bspw. Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen“

Bisher hat sich die Anwendung der neuen Technologien auf wenige Projekte oder Modellfabriken beschränkt, doch schon heute zeigen sich Auswirkungen auf viele Berufsbilder.

Für die Beschäftigten stellen sich dabei zentrale Fragen wie,

  • wie viele und welche Arbeitsplätze könnten durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung der industriellen Produktion wegfallen?
  • welche Arbeitsplätze könnten neu entstehen?
  • welche Qualifikationen könnten künftig gefordert sein?
  • wie kann sichergestellt werden, dass die Rechte der Beschäftigten gewahrt bleiben?

Die Dortmunder Wissenschaftler haben aus der Fülle der Publikationen wesentliche Trends herausgearbeitet: (Zitat aus Böckler Impuls)

Arbeitsplätze

Eine Reihe von Studien, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, geht davon aus, dass menschliche Arbeit künftig durch Digitalisierung in weiten Teilen ersetzt werden könnte. Davon betroffen seien nicht nur einfache Tätigkeiten und Dienstleistungen, sondern auch viele qualifizierte Arbeiten wie etwa die von Zahntechnikern, Lehrern oder Immobilienmaklern. Auch die Industrie werde angesichts neuer Fertigungstechnologien wie beispielsweise 3D-Druck von diesem Prozess erfasst. Dem stehen andere Prognosen gegenüber, die von einer Stabilisierung oder sogar einem „Revival“ von Industriebeschäftigung sprechen – gerade für die deutsche Industrie gibt es offenbar einige optimistische Einschätzungen. So geht eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group von einem Beschäftigungszuwachs von sechs Prozent über die nächsten zehn Jahre in Deutschland aus. Dieser basiere vor allem auf dem steigenden Bedarf an hochqualifizierten Arbeitern unter anderem in Maschinenbau und Autoindustrie.

Einig sind sich die meisten Beobachter, dass die Jobs von Geringqualifizierten eher bedroht sein werden. Aber selbst das ist keine gesicherte Erkenntnis: Die Forscher zitieren eine Einschätzung, wonach der Einsatz von Datenbrillen oder Tablets in der industriellen Produktion beim Erlernen von Tätigkeiten helfen könnte, so dass auch „weniger gut ausgebildete Menschen qualifizierte Arbeit verrichten“ können.

Qualifikation

Die Verbreitung neuer Technologien dürfte die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten verändern. In der Forschung ist jedoch umstritten, auf welche Weise dies geschehen wird. Verbreitet ist die Einschätzung, dass es zu einem „Upgrading von Qualifikationen“ kommen wird. Sowohl die IT-Kompetenz als auch die Fähigkeit, eigenverantwortlich und in vernetzten Prozessen zu denken, werde an Bedeutung gewinnen – nicht nur für wenige Spezialisten, sondern in allen Bereichen der Produktion. Nach einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation gehen rund 80 Prozent der Unternehmen davon aus, dass die Produktionsmitarbeiter für die Anforderungen der Zukunft weiterqualifiziert werden müssen. Besonders profitieren könnten demnach die Facharbeiter, die die Kontrolle über Produktionsabläufe erhalten, unterstützt durch intelligente Systeme. Damit verbunden wäre eine Aufwertung von Industriearbeit insgesamt.

Ein anderer Ansatz geht von einer stärkeren „Polarisierung von Qualifikationen“ aus. Das heißt: Auf der einen Seite könnten anspruchsvolle, hochqualifizierte Tätigkeiten an Bedeutung gewinnen, auf der anderen Seite nur einfache Arbeiten übrig bleiben. In diesem Szenario wäre eine handverlesene Expertengruppe für die Installation und Wartung der Systeme verantwortlich, während die Mehrheit der Angestellten lediglich ausführende Arbeiten übernähme. Damit verbunden wäre ein Prozess der Dequalifizierung für zahlreiche Beschäftigte. In dem Maße, in dem Maschinen an Autonomie gewinnen, könnten Facharbeiter ihre Handlungskompetenz verlieren. Konkret könnte es sich dabei um Arbeiten der Montage und Überwachung, aber auch um Verwaltungs- und Servicetätigkeiten auf mittlerem Qualifikationsniveau handeln. Welcher Weg der wahrscheinlichere ist – „Upgrading“ oder „Polarisierung“ –, lässt sich bislang nicht absehen. Denkbar wäre auch ein „Hybridszenario“, das zwischen beiden angesiedelt ist

Arbeitsbedingungen

Eine der wichtigsten Fragen wird lauten, unter welchen Bedingungen die Beschäftigten in der „Industrie 4.0“ arbeiten werden. Zum Beispiel könnte die Entkopplung von Arbeitszeit und Arbeitsort auch in der Industrie zur Regel werden. Weit mehr als bisher könnten sich flexible Formen der Projektarbeit durchsetzen.

Die möglichen Konsequenzen für die Beschäftigten werden in der wissenschaftlichen Literatur widersprüchlich eingeschätzt: Einerseits finden sich Argumente, die für eine Steigerung der Qualität der Arbeit und der Lebensqualität der Beschäftigten sprechen. Hervorgehoben wird etwa, dass flexible Arbeitszeiten eine bessere „Work-Life-Balance“ ermöglichen. Andererseits werden die Risiken diskutiert: beispielsweise fehlende Regulierung, neu entstehende prekäre Arbeitsformen, datenschutzrechtliche Probleme bei personenbezogenen Leistungsdaten sowie Arbeits- und Leistungsverdichtung.
Die Untersuchung zeigt, dass es derzeit noch nicht klar ist, wie die Arbeit in der Zukunft aussehen wird. Ob der Wandel seinen vorgegebenen Weg gehen wird oder gestaltbar ist, ist fraglich. Nicht fraglich ist, dass die Sprüche von der humanen Technologiegestaltung oder die Einbeziehung der Beschäftigten in die technologischen Veränderungen keinem weiterhelfen, wenn nicht der Zusammenhang mit den politischen Faktoren, wie der Steuerpolitik, Deregulierung und Privatisierung der öffentlichen Daseinsversorgung und des Kommunikationsbereiches selbst, der aktuellen Schwäche der Arbeiterbewegung und der Einfluss des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus hergestellt wird.

Die Diskussion um die Zukunft der Arbeit ist ohne die Diskussion um die Zukunft der Gewerkschaften nur eine Seite der Medaille und ohne sie gar nicht zu führen.

Von entscheidender Bedeutung wird in diesem Prozess die Partizipation und Mitbestimmung der Beschäftigten sein. Die ist nur bei einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Belegschaften und der Stärke ihrer Gewerkschaften insgesamt gegeben. Die bisherige Stellvertreterpolitik der Gewerkschaften hat in der neuen Umbruchzeit schon ihre Grenzen erreicht. Sie sollten mal genau in die Betriebsarbeit vor Ort hinein schauen, was dort an effektiver ehrenamtlicher Arbeit geleistet wird. Eine in die Zukunft gerichtete Weiterentwicklung der Gewerkschaften kann nur von der Basis, von der Betrieben gedacht und angegangen werden.

Das bisherige Mitbestimmungsrecht und seine praktische Durchsetzungsmöglichkeit reichen nicht aus, um einen angemessenen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung ausüben zu können. Ohne eine machtvolle Umsetzung einer Arbeitszeitverkürzung, die ihren Namen auch gerecht wird, wird der internetdominierte Güter- und Arbeitsmarkt für die Unternehmen lukrativ werden. Und nur für sie.

 

 

Quelle: Böckler Impuls; Peter Ittermann, Jonathan Niehaus und Hartmut Hirsch-Kreinsen: Arbeiten in der Industrie 4.0. Trendbestimmungen und arbeitspolitische Handlungsbestimmungen (pdf), Juni 2015 undhttp://www.wiso.tu-dortmund.de/wiso/de/forschung/gebiete/fp-hirschkreinsen/aktuelles/meldungsmedien/20150721-Ittermann-et-al-2015-Arbeiten-in-der-Industrie-4-0-HBS.pdf

Bild:digitale-technologien.de