Melodie und Rhythmus (M&R) ist wieder da – die Situation der Kulturschaffenden muss verbessert werden

M+RNach einigen Höhen und Tiefen ist sie nun wieder da, frischer und frecher denn je. Die M&R, Melodie und Rhythmus.

Was der Musikexpress im Westen Deutschlands ist, war Melodie und Rhythmus im Osten – die Zeitschrift für den Musikliebhaber überhaupt. Den Musikexpress gibt es seit 1956, Melodie und Rhythmus wurde ein Jahr später gegründet. Beide gibt es, bei M&R mit einigen Unterbrechungen, auch heute noch.

Da hören aber schon die Gemeinsamkeiten auf.

Der Musikexpress erscheint im Verlag „Axel-Springer SE“ und Melodie und Rhythmus seit 2008 im „Verlag 8. Mai GmbH“, der mehrheitlich einer Genossenschaft gehört. Genau das macht den Unterschied aus, aber nicht nur das.

Die Zeitschrift möchte die unter dem Vermarktungswahn der Kulturindustrie oftmals an den Rand gedrängte Wahrheit wieder ins Bewusstsein der Hörer rufen: Musik ist in erster Linie ein ästhetisches und zutiefst lustvolles Ereignis und die Frage steht im Raum, kann Kunst die Welt verändern?

In dieser Zeitschrift werden nicht nur irgendwelche neue songs oder neue Gruppen besprochen, hier wird aktuelles Zeitgeschehen aufgegriffen, kritische Kulturwissenschaftler kommen zu Wort und die Situation der Musik- und Kulturschaffenden wird unter gewerkschaftlichen Gesichtspunkten erörtert.

Auf die konkrete Arbeits- und Lebenssituation der Kulturschaffenden soll hier einmal näher eingegangen werden.

Viele junge Menschen träumen davon, in einem Kulturberuf zu arbeiten, um das Künstlerleben, das ihren Star mit soviel Glamour umgibt, auch erleben zu können. Die Künstlerberufe gelten ja als Inbegriff von Kreativität und Freiheit, auch deshalb, weil sie in selbständiger Form ausgeübt werden. Die Attraktivität dieser Studiengänge und Berufe ist nach wie vor ungebrochen.

Auch hat die Bandbreite der Kulturberufe zugenommen, nach den Bereichen Musik, Literatur, bildende oder darstellende Kunst sind in den letzten Jahrzehnten Grafik und Design, Film/TV/Rundfunk oder „neue Medien“ hinzugekommen.

Die jungen Menschen vergessen bei ihrer Berufswahl oft, dass nur die wenigsten es zu öffentlichem Ruhm oder auch nur zu einer festen bezahlten Anstellung bringen. Die meisten von den Künstlern sehen einer ungesicherten Erwerbsperspektive entgegen, auch wenn sie eine qualifizierte Ausbildung abschlossen haben.

Auch wenn sie wissen, wie die Realität der meisten Künstler aussieht, entscheiden sie sich trotzdem für einen Beruf, der ihren Neigungen entspricht. Sie glauben, dass die Realisierung ihres Traums ihnen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit erlaubt. Dafür sind sie auch bereit nach dem Motto: arm aber frei, Opfer zu bringen, mit sehr wenig Geld auszukommen, sich selbst auszubeuten und „den armen Poet“ von Carl Spitzweg, das den armen Künstler zeigt der im zugigen, tropfenden Dachgeschosszimmer unter dem Regenschirm kauert, heimlich verehren.

Nüchtern stellen sie später fest, selbst nur ein Künstler von rund 800 000 Menschen zu sein, die in Deutschland künstlerisch tätig sind.

Die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Kulturberufen ist von 1995 (596.000 Personen) um 33 Prozent auf 797 000 Personen angestiegen; das macht einen jährlichen Zuwachs von durchschnittlich 3,6 Prozent aus. Nach Bereichen aufgeschlüsselt sind dies bei

  • Design und bildende Kunst: 213 000
  • Musik und darstellende Kunst: 202 000
  • Literatur und Publizistik: 175 000
  • Architekten: 113 000
  • Bibliothekare und Museumsfachleute: 66 000

und kulturspezifische Geisteswissenschaftler: 28 000.

Die Designer und Grafiker (plus 93 Prozent), gefolgt von den Ton-/Bildingenieuren, Bühnen-/Filmausstattern (plus 73 Prozent), Schriftstellern und Übersetzern (plus 53 und 55 Prozent), und auch die klassischen Künstlerberufe verzeichneten im Vergleichszeitraum ein Wachstum von 20 bis 40 Prozent. Den Daten des Mikrozensus, der Umsatzsteuerstatistik und der Statistik der Künstlersozialkasse ist zu entnehmen, dass die Zahl der „Selbständigen“ stetig steigt, während die der abhängig Beschäftigten ebenso stetig schrumpft.

Viele von den Künstlern sind darauf angewiesen, einen oder mehrere Nebenjobs in nicht-künstlerischen Berufen anzunehmen, z.B. als Kellner, mit Nebenjob an der Uni oder als Taxifahrer. Bescheiden leben müssen sie dann trotzdem.

Das unbedingte Muss, flexibel zu sein hat auch die Künstlerberufe erreicht. Ohne, dass man Freiberufler/Scheinselbständig ist, geht fast nirgendwo noch eine Anstellung als abhängig Beschäftigter. Auch die Kulturunternehmen haben ihre Einsparungen bzw. Profiterhöhung über die Auslagerung ganzer Bereiche realisiert und dabei sind meist die eigenen ehemaligen Angestellten betroffen. Dem Unternehmen kommen dann auch die Verwirklichungsbemühungen nach persönlicher Freiheit, die Flucht aus dem „piefigen“ Angestelltendasein in die angeblich kreative und coole Eigenverantwortung.

Fast alle, die in künstlerischen Berufen schaffen, verfügen über einen Hochschulabschluss sowie spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Da, wie in anderen Bereich auch, die Frauen ihre ihnen zugewiesene Funktion einnehmen müssen, ist zu beobachten, dass bei freiberuflichen bzw. selbständig arbeitenden Künstlern der Anteil hochqualifizierter Frauen, sprunghaft angewachsen ist, die wahrscheinlich im öffentlich finanzierten Kulturbetrieb keine Anstellung mehr finden.

Die wirtschaftliche Lage fast aller bildenden Künstler ist prekär. Ihr Durchschnittseinkommen erreicht noch nicht einmal die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens aller abhängig Beschäftigten. Rund 70 Prozent verfügen über ein Einkommen von unter bzw. bis maximal 12 000 Euro im Jahr. Viele sind von Zuwendungen von Lebenspartnern und Eltern abhängig, ebenso viele – nämlich etwa 10 Prozent- von Leistungen des SGB II (Hartz IV). Nur bei etwa 20 Prozent reichen die Einnahmen aus Berufsfeldern der bildenden Kunst aus, um auch nur die Kosten der eigenen Produktion zu decken. Einnahmen aus den Verkäufen ihrer Werke überwiegen unter den Gesamteinkünften nur bei etwas mehr als einem Zehntel der Künstler. Weit aus höher sind die Einnahmen aus anderen künstlerischen Tätigkeitsfeldern, wie etwa in öffentlich geförderte Projekten, der Kunst im öffentlichen Raum, Projekten in sozialen oder pädagogischen Bereichen oder Lehrtätigkeiten.

Die Voraussetzung dafür, dass z.B. Berlin weiterhin weltweit bedeutender Standort für Gegenwartskunst ist, sind bezahlbare Mieten und Lebenshaltungskosten; sind Stadtquartiere, die ihre urbane Qualität in sozialen und Nutzungsmischungen behaupten können und Raum für finanzschwache Künstler und ihren Projekten bieten können. Fast alle Künstler würden Berlin verlassen, wenn die Stadt diese Geschäftsgrundlage nicht mehr einhalten kann. Dies ist den verantwortlichen Kulturpolitikern sehr wohl bewusst und entsprechend versuchen sie dort zu handeln.

Über die Wichtigkeit solcher Rahmenbedingungen im Infrastrukturbereich müssten sich alle Kommunen im Klaren sein, wie auch über die soziale Infrastruktur für künstlerisches Schaffen.

Es war ein riesiger Fortschritt, dass die Künstlersozialversicherung 1983 in Kraft trat und seitdem die freischaffenden und selbständig tätigen Künstler und Publizisten im Rahmen des gesetzlichen Sozialversicherungssystems kranken-, renten- und pflegeversichert sind.

Für die Versicherungsveranlagung und die Beitragserhebung ist die Künstlersozialkasse zuständig: als eine unselbstständige, jedoch haushalts- und vermögensmäßig gesonderte Einrichtung, in die Unfallkasse des Bundes eingegliederte Abteilung.

50 Prozent des Beitrags werden durch die Versicherten selbst aufgebracht, der restliche Anteil kommt durch die Künstlersozialabgabe der Verwerter bzw. Auftraggeber und durch staatliche Zuschüsse. Diese Einbindung der wirtschaftlichen Nutznießer von Dienstleistungen in die Altersvorsorgefinanzierung der rechtlich selbständigen Leistungserbringer durch die Künstlersozialabgabe ist eine Besonderheit, die in Deutschland außerhalb der Erbringung künstlerischer und publizistischer Leistungen ohne Parallelen geblieben ist. Nach Angaben der KSK fördert der Staat mit der Künstlersozialversicherung selbständige Künstler und Publizisten.

Doch ganz so reibungslos ist der Zugang zur Künstlersozialkasse nun auch wieder nicht, da z.B. die Voraussetzungen realitätsfremd formuliert werden und den realen Existenzbedingungen und Beschäftigungsverhältnissen nicht entsprechen. Die Definition von selbständig und unselbständig ist fließend und führt immer dann zur Fehlbeurteilungen wenn es sich um Formen der „Scheinselbständigkeit“ handelt.

In der Kasse waren 2012 genau 177 219 Personen versichert. Sie verteilen sich auf die Bereiche bildende Kunst (35 Prozent), Musik (28 Prozent), Wort (24 Prozent) und darstellende Kunst (13 Prozent). Das jährliche Durchschnittseinkommen der bei der Künstlersozialversicherung versicherten selbständigen Künstler betrug am 1. Januar 2013 klägliche 14 557 Euro. Diese Beträge der Kulturschaffenden können bei einem solch niedrigen Einkommen die Kasse natürlich nicht gut füllen.

Auch deshalb ergriff der Deutsche Tonkünstlerverband eine Online Petition beim Deutschen Bundestag, um Unternehmen häufiger durch die Deutsche Rentenversicherung auf ihre Abgabepflichten überprüfen zu lassen.

Doch die Gegenseite, der Bund der Selbständigen jammerte darauf hin, dass besonders die kleinen Betriebe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ums Überleben kämpfen müssten und keinerlei staatliche Unterstützung erhalten würden. Hilfe bekamen die Unternehmer vom Bund der Steuerzahler, der kritisiert unter anderem, dass die Prüfung der Abgabepflicht für kleinere und mittlere Unternehmen einen enormen bürokratischen und zeitlichen Aufwand verursache.

Wie sieht es denn überhaupt auf der gegenüber liegenden Seite der Kulturschaffenden aus?

Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, hat sich beispielsweise auf dem Musikmarkt eine Konzentration herausgebildet, bei der es nur noch 3 Unternehmensgruppen gibt: Universal, Sony und Warner. Sie haben, wie andere auch, alles zu Ware gemacht, was ihnen unter die Räder gekommen ist. Damit sie verkaufen können, müssen sie immer wieder neue konsumfreudige Abnehmer ihrer Waren heran züchten und die Beschäftigten der vielfältigen Berufsgruppen, die für sie schaffen, möglichst billig einzukaufen.

Die Vielfalt der Jobs z.B. in der Musikindustrie wird hier sich mal namentlich aufgeführt: Musikveranstalter, Booker, Promoter, Sounddesigner, Komponisten, Bühnen- und Studiomusiker, Texter, Vertriebsleute, Verlagsangestellte, Sänger, Studiobetreiber, Talentscouts, Akustiker, Tonleute, Tänzer, Choreografen, Trentscouts, Lichtleute, Mischer …

Während es schwerer geworden ist, von der Musik zu leben, ist es leichter geworden, Musik zu machen, zu produzieren und zu veröffentlichen.

Kein Markt wurde so nachhaltig durch die Digitalisierung verändert, wie der Musikmarkt. Dadurch wurde aber auch alles noch mehr dereguliert und den „freien Kräften des Marktes“ ausgesetzt. Die Politik hat keine Rahmenbedingungen geschaffen, die die Beschäftigten schützt, dass es halbwegs fair zugeht und die Musiker, aber auch die anderen Berufsgruppen, von ihrer Arbeit leben können. So lange die großen IT-Unternehmen wie Google mit Tochter YouTube, Facebook, Amanzon etc. die über unglaublich viele Daten der Konsumenten verfügen und an die Konzerne weiterverkaufen, geben sie natürlich vor, was und wie produziert werden muss.

Hier werden neue Stile kreiert, Stars entworfen und hoch gepuscht. Die neuen Stars werden von den Konzernmedien hoch geschrieben und später fallen gelassen, so wie es die Auflage erfordert. Die ganze „yellow press“ lebt von so etwas. Alles wird verwertet, wiederverwertet, durch Filme, Presseartikel, Bücher, Tonträger, Konzerte, Bilder und Internet verbreitet und mit Hilfe der digitalen Technik ganz neu gekauft und konsumiert.

Nachdem die digitale Entwicklung verschlafen und jahrelang über die „Kostenlos-Kultur“ gejammert wurde, gab es 2012 wieder solides Wachstum in der Musikindustrie mit einem Volumen von 12,6 Milliarden Euro weltweit. Fast die Hälfte davon geht auf die Verkäufe digitaler Tonträger zurück. Der legale Verkauf von Musik über die Internet-Downloads macht inzwischen 70 Prozent des digitalen Umsatzes aus.

Besonders attraktiv ist es mittlerweile geworden, sich als Künstler nun zur Kulturwirtschaft zugehörig zu fühlen. Das hört sich gut an, ist aber alter Wein in neuen Schläuchen.

Man kann so immer mehr die öffentlichen Mittel aus dem Kulturbereich herausziehen und ganz offen bei den Unternehmen um Geld für Kultur betteln, neudeutsch Sponsoring oder foundraising genannt. Die Unternehmen können sich so eine weitere Werbungsmöglichkeit einkaufen, inklusive dem Habitus der Kulturförderung.

Auch der Einsatz von Investitionsmitteln für sogenannte Gründerzentren, hat nicht die Erwartungen erfüllt. Diese Mittel haben kaum zusätzlichen Arbeitsraum für Künstler geschaffen. Von den Kreditprogrammen der Investitionsbank können nur in seltenen Einzelfällen sinnvoll profitieren. Wenn das viele Geld nicht gänzlich verbrannt werden soll, müssen künftig die Wirtschaftsförderungsmittel sich viel stärker an den tatsächlichen Informations- und Kommunikationsbedürfnisse der Künstler orientieren.

Was bleibt dem einzelnen Menschen im Kulturbetrieb denn noch, um seine Situation zu verbessern?

Er sollte sich gewerkschaftlich organisieren!

In Dortmund hat er die Möglichkeit, Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu werden. Dort ist der Fachbereich 8, Medien, Kunst & Industrie, die richtige Adresse.

Infos dazu gibt es unter Tel. 0231/913000-63 oder 0231//913000-88 oder direkt im ver.di Haus, Königswall 36, 44137 Dortmund

 

Quellen: Daten des Mikrozensus, der Umsatzsteuerstatistik und der Statistik der Künstlersozialkasse, Wolfgang Lieb, M&R, Statistisches Bundesamt

Bild und weitere Infos: http://www.melodieundrhythmus.com/