War das das Aus für die unabhängige Patientenberatung?

783427499-d20d980b-83d4-459b-a859-2bab0e5ea459-EWFJaLMGWer in den vergangenen Jahren krank wurde und das Gesundheitssystem am eigenen Leib erleben musste, war schockiert darüber, was sich in diesem Bereich unseres Sozialstaats getan hat. Von dem umworbenen und fürsorglich betreuten Kassenmitglied ist nur noch der reine Kostenfaktor und Kostenverursacher übrig geblieben.

Als Patient ist der froh, wenn er aus dem Krankenhaus lebendig heraus gekommen ist, weil er hautnah erleben musste, was Einsparungen, Konkurrenzdruck und Arbeitsverdichtung so alles anrichten könnten. Als langjährigen Beitragszahler kann ihm dann passieren, das Zahlungen eingestellt oder Therapien gestrichen werden, unnötige Untersuchungen privat entgolten werden müssen und seine Arztrechnungen falsch sind.

Will er das neue Gesundheitssystem verstehen, muss er immer daran denken, dass es dabei um sehr viel Geld geht. Mehr als 205 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr ausgegeben, weitere 24 Milliarden Euro zahlten die privaten Versicherungen. Alle beteiligten Akteure im System haben nur das eine Ziel, einen möglichst großen Anteil an den Beitragsgeldern der Versicherten zu bekommen.

Genau darum ging es auch bei der neuen Ausschreibung der Beauftragung für die Unabhängige Patientenberatung (UPD). Hinter den Kulissen war deshalb ein harter Kampf ausgebrochen. Den Zuschlag für den künftigen Betrieb hat dann doch eine private Firma erhalten. Der Verlierer bei der Neuregelung ist das Krankenkassenmitglied bzw. der Beitragszahler.

Seit Januar 2011 ist die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) zur Regelversorgung geworden. Sie dient der Verbraucher- und Patientenberatung.

Aufgabe der UPD ist die gesundheitliche Information, Beratung und Aufklärung von Verbrauchern und Patienten in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen, also ein von Kassen und Leistungserbringern unabhängiges Beratungs- und Informationsangebot. Die Beratungsleistungen sind für Ratsuchende kostenfrei. Dabei wird nicht unterschieden, ob diese gesetzlich, privat oder gar nicht krankenversichert sind. Wer von seiner Kasse zum Beispiel kein Krankengeld mehr erhält, die Rechnung des Zahnarztes überzogen hoch findet oder ob die vom Arzt angebotene Untersuchung wirklich so wichtig ist, dass man sie aus eigener Tasche bezahlen sollte, ist bei der UPD an der richtigen Stelle.

Finanziert wird die UPD gemäß § 65b SGB V von dem Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)-Spitzenverband über eine Umlage der Beiträge der Kassenmitglieder. Bisher wurde die UPD von drei Gesellschaftern getragen: dem Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Verbund unabhängige Patientenberatung. Jährlich wurden von der UPD etwa 80 000 Anfragen beantwortet, telefonisch und persönlich. 78 Mitarbeiter sind in den 21 regionalen Beratungsstellen und dem Bundesbüro beschäftigt

Im bisher unveröffentlichten Jahresbericht 2015 der UPD wird deutlich, wo der Schuh der Patienten drückt: Rund 29 Prozent der Patienten erbaten Klarheit darüber, ob die Krankenversicherung ihnen Ansprüche wie Rehabilitationen, Hilfsmittel oder das Krankengeld zu Recht verwehrte. In 1071 Fällen stellten die Berater fest, dass Leistungen „unberechtigt verweigert“ wurden und ein Anspruch bestand. Als ein weiteres Problem nennt die UPD den Umgang mit den Langzeitpatienten. Viele Bezieher von Krankengeld fühlten sich von den „Fallmanagern der Krankenkassen unter Druck gesetzt”. Hier kam es bei den Patienten zu „zahlreichen Unsicherheiten und Ängsten”

Bei den Beratungsanliegen der Patienten geht es also vorrangig darum, dass sie Opfer von Sparmaßnahmen und Kostensenkungen geworden sind, denen der garantierte Anspruch aus ihren Beiträgen zunehmend verweigert wird.

Solche kritische Berichte der UPD haben vielen Kassenmanagern missfallen. Doch vordergründig ging es um die angeblich zu hohen Kosten, die bei etwa 80 Euro pro Beratung liegen sollen.

Der Bericht sollte ursprünglich bereits am 1. Juli 2015 offiziell an die Bundesregierung übergeben werden. Diese hat auf die Veröffentlichung wegen des Streits um die Zukunft der UPD bislang verzichtet.

Die Zukunft der UPD wird so aussehen, dass ab 2016 das Callcenter eines Privatunternehmens die Patientenberatung übernehmen wird. Konkret heißt dass, die unabhängige Patientenberatung soll an die Sanvartis GmbH  vergeben werden, die dann die UPD organisiert. Dafür erhält die Sanvartis in den nächsten sieben Jahren 62 Millionen Euro von den Krankenkassen, hinzukommen 4,4 Millionen Euro von der privaten Krankenversicherung. Es geht also um insgesamt 66,4 Millionen Euro. Ein lukrativer Auftrag.

Die Sanvartis wurde 1999 unter dem Namen GesundheitScout24 als Teil der Scout24-Gruppe in Köln gegründet. Ein Jahr später legte die Eröffnung des größten medizinischen Call-Centers Deutschlands in Duisburg den Grundstein für das umfassende Angebot an Kommunikations-Dienstleistungen im Gesundheitsbereich.

2004 entstand aus dem GesundheitScout24 die Sanvartis GmbH. Seit November 2005 ist Sanvartis Teil der Vendus Sales and Communication Group, einer Unternehmensgruppe, die zu den führenden Anbietern von Kommunikations- und Vertriebsdienstleistungen im Gesundheitsmarkt zählt. Sanvartis hält eine Minderheitsbeteiligung am Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH (ZTG), bei dem das Bundesland Nordrhein-Westfalen Hauptgesellschafter ist.

Bei dem Duisburger Unternehmen Sanvartis handelt es sich eigentlich um ein auf medizinisches Fachwissen spezialisiertes Callcenter, das aber auch Beratungsfunktionen übernimmt. 220 Beschäftigte hat das Unternehmen derzeit, darunter auch Ärzte, Apotheker und Pfleger.

Gesundheitsexperten fürchten um die Unabhängigkeit der UPD und sehen einen großen Interessenskonflikt. Sanvartis als Dienstleister für Krankenkassen und Leistungserbringer wirbt damit, dass jede dritte Person, die bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse anruft, bei einem Mitarbeiter von Sanvartis landet. So kann ein Patient durchaus im gleichen Callcenter landen, das ihn jetzt in Konflikten mit Krankenkassen unterstützen soll. Eine Patientenberatung, die von einem Callcenter betrieben werden soll, das für die Krankenkassen tätig war, kann unmöglich die Anliegen von Patienten und Versicherten – insbesondere auch gegenüber den Kostenträgern – glaubwürdig und umfassend vertreten.

Sanvartis nimmt dann also Beschwerden an seiner eigenen Arbeit für die Krankenkassen entgegen. So wird der Bock zum Gärtner gemacht.

Das Ganze ist eine geniale Idee und ein zukunftsweisendes Geschäftsmodell, bei dem Leistungen noch besser zurückgehalten und Ansprüche der Patienten weg moderiert werden können.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, WAZ

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