Treuhandanstalt: Eine umstrittene Transformation

Von Gunter Lange

Im Januar 1991 protestierten 4000 Werftarbeiter in Rostock gegen die von der Treuhandanstalt geplante Stilllegung der Neptun-Werft, im März zogen 30.000 Leipziger über den Ring gegen die der Treuhand angelasteten Massenarbeitslosigkeit, und mit einem Hungerstreik antworteten die Kaliarbeiter in Bischofferode im Sommer 1993 auf die Stilllegung. Bei den Protesten hatten Vorwürfe gegenüber den Gewerkschaften einen unübersehbaren Platz. Die Transformation der Wirtschaft in Ostdeutschland in den 1990er-Jahren bleibt auch nach Jahrzehnten ein schmerzhaftes Kapitel für die Arbeiterschaft und ihre Gewerkschaften.

Mit der Implementierung der Treuhandanstalt glaubte man, ein korporatives Instrument für diese Transformation gefunden zu haben, ein adäquates Instrument, das den Akteuren Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften hinreichenden Gestaltungsraum für eines der schwierigsten Projekte ermöglicht. Der Historiker Christian Rau, 1984 in Gera geboren, hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts des Instituts für Zeitgeschichte Berlin – München der gewerkschaftlichen Mitgestaltung nachgespürt und eine Studie unter dem Titel „Die verhandelte ‚Wende‘ – Die Gewerkschaften, die Treuhand und der Beginn der Berliner Republik“ veröffentlicht.

Zur Erinnerung: Anfang 1990, das Ende der SED-Herrschaft war unumkehrbar, ebenso des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), und die Regierung Modrow stand vor der Aufgabe, die DDR-Wirtschaft vom Plan zum Markt zu transformieren. Ein Vorbild gab es nicht. Das Modell „Treuhand“ hatte seine Geburtsstunde im Februar 1990 in der Bewegung „Runder Tisch“, maßgeblich initiiert vom Kirchenhistoriker Wolfgang Ullmann, rekonstruiert Christian Rau. Es folgte ein Beschluss des DDR-Ministerrats am 1. März 1990 über eine „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ und die Volkskammer beschloss am 17. Juni 1990 das „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“, das Treuhandgesetz mit Anbindung an den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990. Die Treuhand wurde Verwalter von annähernd 8400 Industriebetrieben mit über vier Millionen Beschäftigten mit dem Ziel, die Unternehmen zu sanieren und zu privatisieren. Taxiert wurde seinerzeit der Wert aller „volkseigenen Betriebe“ auf 600 Milliarden DM. Eine Fehleinschätzung, wie sich vier Jahre später zeigen sollte.

Betriebsverfassungsgesetz: Skeptische Ostdeutsche Arbeitnehmerschaft

Für die Beschäftigten blieben die Konsequenzen der Transformation durch die Treuhandanstalt zunächst im Dunklen, denn ihre Interessenvertretung, der FDGB, hatte seine Glaubwürdigkeit eingebüßt, und ein Gewerkschaftsgesetz der Regierung Modrow konnte daran nichts ändern. Einzelgewerkschaften versuchten mit einer Distanzierung vom FDGB noch etwas an Reputation zu retten. Deren Kontakte zu den bundesdeutschen Gewerkschaften, die unterstützend wirken sollten, waren bis zur Wende kaum entwickelt.

Christian Rau, zeichnet hier dankenswert ein knappes wie präzises Panorama der Ausgangslage für die west- und ostdeutschen Gewerkschaften und konstatiert eher zögerliche Initiativen der westdeutschen Gewerkschaften zum Jahresbeginn 1990. Zwischen Gewerkschafter:innen Ost und West schwelte über Monate ein Streit über die wirksamste Interessenvertretung der Beschäftigten: Betriebliche Gewerkschaftsleitung versus Betriebsräte. Das westdeutsche Betriebsverfassungsgesetz wurde bei vielen ostdeutschen Gewerkschafter:innen skeptisch bis ablehnend betrachtet, sahen Betriebsräte als Konkurrenz zur Gewerkschaft. Die Übernahme des westdeutschen Arbeitsrechts beseitigte den Dissens.

Treuhand als Brückenkonzept

Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion kam die Treuhand ins Spiel. Rau erinnert daran, dass der DGB die Treuhand als Brückenkonzept im Sinne eines Instruments der Beschäftigungssicherung und des Strukturwandels gleichermaßen charakterisiert hat. In diesem von der Treuhand in Gang gesetzten Transformationsprozess durften Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte nicht ausgehebelt werden, so die gewerkschaftliche Leitlinie. Dazu galt es, eigene Vertreter in den Verwaltungsrat zu entsenden. Über das Ob einer verantwortlichen Mitsprache im Treuhand-Verwaltungsrat war man sich in den Gewerkschaften einig, aber nicht über das Wie. Die Studie zeichnet den Dissens nach, der zwischen dem DGB und seinen Vorsitzenden Heinz-Werner Meyer (IG Bergbau und Energie) und dem IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler bestand. Denn die IG Metall hatte zur Strukturpolitik weitergehende gesellschaftspolitische Vorstellungen. Mit Hermann Rappe (IG Chemie, Papier, Keramik/CPK), Heinz-Werner Meyer (DGB), Horst Klaus (IGM) und Roland Issen (DAG) zogen vier Arbeitnehmervertreter von insgesamt 23 Mitgliedern in den Verwaltungsrat der Treuhand ein. Die Gewerkschaften hatten damit einen Fuß in der Tür – aber mehr auch nicht. Zumal der Einfluss durch eher dürftige Kooperation untereinander geschmälert wurde, wie Rau an zahlreichen gut recherchierten Beispielen sichtbar macht. Häufig standen sich Strukturpolitik und Tarif- und Mitbestimmungspolitik gegenseitig ebenso im Wege wie Prämissen zur Konsensfindung. Aber hier liegt auch eine Schwäche von Raus Studie: Er fächert akribisch den Dissens auf, dabei kommt der analytische Blick fürs Ganze zu kurz. Am Beispiel der Sozialpolitik fokussiert er die gewerkschaftliche Gestaltungsmacht als aktiver und weitgehend erfolgreicher Teil eines Tripartismus (Staat-Wirtschaft-Gewerkschaft).

Zu den wichtigsten Instrumenten gegen die sich abzeichnende Massenarbeitslosigkeit hatte der DGB mit seinen Einzelgewerkschaften die Bildung von Beschäftigungsgesellschaften eingefordert, gegen Widerstände aus der Treuhandspitze, die mit einer Erschwerung der Privatisierung argumentierte, und dies seien überholte staatswirtschaftliche Strukturen. Für den Rahmen von Sozialplanverhandlungen konnten die Gewerkschaften der Treuhand gut 10 Mrd. DM abverhandeln.

Barrieren zwischen westdeutschen Gewerkschaften und ostdeutschen Betriebsräten

Über die Beziehung zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten in Ostdeutschland zeichnet Rau ein ambivalentes, kritisches Bild: „Der gewerkschaftliche Organisationsaufbau trug wenig dazu bei, die Barrieren zwischen westdeutschen Gewerkschaften und ostdeutschen Betriebsräten abzuschleifen. Denn dieser stand ganz im Zeichen der Transformationspolitik der Gewerkschaftsvorstände, in denen die Mitbestimmung der ostdeutschen Belegschaften eher eine untergeordnete Rolle spielte.“

Der Historiker Christian Rau hat es sich mit dem Dreiecksverhältnis zwischen Treuhand, Gewerkschaften und Staat nicht einfach gemacht und es gelingt ihm, dies differenziert und kritisch zu beschreiben. Er filtert dabei den gesellschaftspolitischen Kern gewerkschaftlicher Grundsätze im Nachkriegsdeutschland heraus: Verhandlungen statt Konfrontation. Eine Fundamentalopposition gegen die Treuhand, also Austritt aus diesem Handlungsfeld der Transformation kam für die Gewerkschaften nicht infrage.

Die Transformation der DDR-Wirtschaft ist keine Erfolgsstory. 12.000 Betriebe wurden privatisiert, 4000 an Alteigentümer gegeben, 3700 sind stillgelegt worden; etwa zwei Drittel der Industriebeschäftigten haben ihren Arbeitsplatz verloren. Statt der erhofften Erlöse blieb bei der Privatisierung ein Verlust von fast 300 Mrd. DM. Und nicht zuletzt hatten Skandale mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen die Transformation begleitet.

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Christian Rau: Die verhandelte „Wende“ – Die Gewerkschaften, die Treuhand und der Beginn der Berliner Republik, Ch.Links Verlag, Berlin, 2022, 588 Seiten, 38 Euro

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Der Autor:

Gunter Lange war langjähriger Redakteur von Gewerkschaftspublikationen (Deutsche Angestellten Gewerkschaft und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) und ist jetzt als freier Autor tätig.

 

 

 

 

 

Quelle: https://gegenblende.dgb.de/
Bild: wikimedia commons / Jörg Zägel / CC BY-SA 3.0