Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Sanktionen bei Hartz IV sind nicht nur grundrechtswidrig, sondern auch kontraproduktiv

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden im Jahr 2015 insgesamt 980.100 Sanktionen gegenüber erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in der Grundsicherung ausgesprochen. Die Zahl der Sanktionen sei damit das erste Mal seit 2011 wieder unter die Marke von einer Million gesunken. Der überwiegende Teil, nämlich 76 Prozent aller Sanktionen, komme durch Meldeversäumnisse zustande.

Im Rahmen der Dokumentation des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu den Sanktionen bei Hartz IV werden wissenschaftliche Studien ausgewertet, die die nicht intendierten Effekte von Sanktionen untersuchen.

Der wissenschaftliche Dienst kommt zu dem Schluss, dass Sanktionen bei Hartz IV nicht nur grundrechtswidrig, sondern auch kontraproduktiv sind.

  1. Einleitung

Leistungsbezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch – SGB II) werden bei Pflichtverletzungen oder Meldeversäumnissen sanktioniert (§§ 31 ff. SGB II). Nach dem Prinzip des „Förderns und Forderns“ müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II stufenweise beziehungsweise kann bei wiederholter Pflichtverletzung vollständig entfallen (§ 31a SGB II). Eine Sanktion aufgrund eines Meldeversäumnisses nach § 32 SGB II (fehlende Meldung beim Träger oder Nichterscheinen bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin) führt zu einer Reduzierung um zehn Prozent des maßgebenden Regelbedarfs. Für Personen unter 25 Jahren gelten verschärfte Sanktionsregelungen: Bei einer ersten Pflichtverletzung wird das Arbeitslosengeld II auf die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt. Bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig; auch die Kosten für Unterkunft und Heizung werden nicht mehr gezahlt. Bei Meldeversäumnissen wird nicht nach dem Alter unterschieden.

  1. „Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II“

Im Rahmen einer explorativen, qualitativen Studie von Anne Ames im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung wurden die „Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II“ sowie die Folgen für die betroffenen Personen untersucht. Insbesondere stand dabei die Frage im Mittelpunkt, vor welche Anforderungen sich Sanktionierte gestellt sahen, und auf welche Art und Weise letztlich diese Sanktionen gewirkt haben. Die untersuchten Auswirkungen bezogen sich vor allem auf die Beeinflussung der Lebenslage und Verhaltensänderungen der Personen über die Sanktionszeit hinaus.

Die Ergebnisse basierten auf 30 leitfadengestützten Interviews mit Menschen, die nach § 31 SGB  II sanktioniert worden waren. Lediglich bei einem der Befragten betrug die Leistungsreduzierung nur zehn Prozent der Regelleistung. In allen anderen Fällen lagen höhere Sanktionen vor.

2.1. Ergebnisse

In „einigen Fällen“ hatten die Sanktionen „schwerwiegende negative Folgen für die Lebenslagen“ der Sanktionierten. Es trat häufig eine „lähmende Wirkung“ ein; nur in seltenen Fällen hatten die Sanktionen eine erhöhte Anpassungsbereitschaft zur Folge. Die „erzieherischen“ Wirkungen von Sanktionen auf das Verhalten und die Verhaltensdispositionen ließen sich nicht als „Aktivierung“ oder als Stärkung von „Eigenverantwortung“ interpretieren.

2.1.1. Finanzielle Auswirkungen

Die Einbußen an Leistungen zur Existenzsicherung konnten laut Studie nur sehr begrenzt durch alternative Einkommen oder Subsistenzmittel kompensiert werden. Knapp ein Drittel der Befragten nutzte Lebensmittelgutscheine. Fast alle der Betroffenen gaben aber an, dass diese Variante für sie demütigend war und sie sich oftmals bloßgestellt fühlten. Des Weiteren fanden sechs Personen aus der Studie Unterstützung bei Familie oder Freunden (drei Personen). Drei Sanktionierte nutzten ihre Ersparnisse komplett oder zumindest größtenteils, um den Lebensunterhalt weiterhin bestreiten zu können. Unabhängig von der Sanktionierung gaben drei Betroffene an, ihr Budget wie gewohnt durch Flaschenpfand aufzubessern. Als weitere Varianten der Verdienstmöglichkeiten wurden kurzfristige Beschäftigungen, aber auch illegale Tätigkeiten genannt.

Der Großteil der Interviewpartner hatte keine Möglichkeit, das Einkommen auf alternativen Wegen aufzubessern. In acht Fällen konnten deshalb Rechnungen oder die Miete nicht bezahlt werden. In Verbindung mit der finanziellen Belastung nannten einige Befragte, dass sie sich deshalb auch stärker aus dem sozialen Leben zurückgezogen haben

Weiterhin wurden Einsparungen beim Lebensmittelkauf genannt, der notwendige Verzicht auf Arztbesuche und Medikamente sowie der Verzicht auf Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel.

2.1.2. Soziale Auswirkungen

Die Untersuchung zeigte, dass insbesondere junge Menschen zu einem beträchtlichen Teil keinerlei familiären Rückhalt haben.

Die Reduzierung von Ausgaben führte zu einer steigenden sozialen Isolation, da die Personen sich zunehmend auf ihren eigenen Wohnraum beschränkten. Bei länger andauernder Arbeitslosigkeit verkleinerte sich das soziale Netz Erwerbsloser immer mehr und bestand schließlich fast nur noch aus anderen Erwerbslosen und Armen.

Bei vier Befragten kam zudem der Verlust des Telefonanschlusses hinzu, was die Abschirmung noch einmal verstärkte. Die wenigen sozialen Beziehungen wurden außerdem von Schuldgefühlen und -vorwürfen der Sanktionierten geprägt.

2.1.3. Gesundheitliche Auswirkungen

Die Sanktionen führten zu einer mangelhaften Ernährung. In einem Fall sprach die Person explizit von zeitweisem Hungerleiden. Aber auch die weiter oben bereits aufgeführten Einsparungen bei Arzt und Medikamenten resultierten aus den fehlenden Einnahmen. Durch die Sanktionen hervorgerufene Schuldgefühle führten bei einem Befragten zu einer psychischen Störung und einer chronischen Krankheit; bei einem weiteren Interviewten wurde die bereits bestehende Existenzangst, wegen der er bereits in Behandlung war, weiter verstärkt.

  1. „Unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in NRW“

Im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen übernahm das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Köln (ISG) die Durchführung der „Unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in NRW“. Die Studie war die Reaktion auf einen Beschluss des Landtages. Die als Repräsentativbefragung durchgeführte Analyse bezog zwei Zielgruppen mit insgesamt 2.232 Befragten ein. Zum einen wurden arbeitslos gemeldete, erwerbsfähige Leistungsbezieher gemäß SGB II einbezogen, und zum anderen Bezieher von Arbeitslosengeld I gemäß SGB III; jeweils Personen sowohl mit als auch ohne Sanktionserfahrung. Der Fokus der Untersuchung lag auf „Veränderungen im Handeln, der Befindlichkeit und auf der sozio-ökonomischen Situation der Sanktionierten.“

3.1. Ergebnisse

Aus der Studie des ISG lassen sich folgende Ergebnisse ableiten: Die Sanktionierungsquote stieg in Nordrhein-Westfalen von 2,3 auf 3,4 Prozent. In 90 Prozent der Fälle bezogen sich die Sanktionen auf eine Kürzung der Regelleistungen. Grundsätzlich akzeptierten die Betroffenen das Prinzip der Sanktionierung. Unterschiede in der Art und Weise der Sanktionierung waren zwischen den Altersgruppen auszumachen: Bei den unter 25 Jährigen kam es häufiger zum Abbruch von Maßnahmen und zu Meldeversäumnissen; 48 Prozent von ihnen nahmen den vollständigen Entfall von Leistungen oft bewusst in Kauf.

3.1.1. Psychosoziale Auswirkungen

Vor allem bei Männern über 25 Jahren und einer Sanktionshöhe von mindestens 60 Prozent kam es häufig zu einem Rückzug aus dem sozialen Umfeld. Außerdem bestand bei der gleichen Altersgruppe in Kombination mit einer Leistungskürzung um wenigstens 30 Prozent ein signifikanter Zusammenhang zwischen Sanktionserfahrung und der eigenen Wahrnehmung der Gesundheit. Hier traten statistisch betrachtet öfter seelische Probleme auf als bei Nicht-Sanktionierten.

In der Altersklasse der unter 25-Jährigen wurden bei einer vollständigen Leistungskürzung signifikant höhere seelische Probleme als bei Nicht-Sanktionierten festgestellt. Sanktionierte schätzten ihren Gesundheitszustand negativ ein. Lag die Sanktionshöhe bei 10 Prozent und mehr, wurden in Bezug auf körperliche und psychische Gesundheit Unterschiede zwischen Sanktionierten allgemein und Nicht-Sanktionierten festgestellt.

3.1.2. Finanzielle Auswirkungen

Zwar gaben Sanktionierte an, signifikant häufiger von Verschuldung betroffen zu sein, doch ließ sich dieser Zusammenhang nicht kausal, sondern nur statistisch, überprüfen. Eine Vielzahl der befragten Personen gab an, dass ihre Verschuldung in direkter Verbindung zu der Leistungskürzung stand: insgesamt 43 Prozent der unter 25-Jährigen und 41 Prozent der über 25-Jährigen. Um diese finanziellen Probleme auszugleichen, liehen sich die meisten Betroffenen Geld bei Verwandten. Sanktionierte zahlten ihre Miete weniger pünktlich als Nicht-Sanktionierte. Sie selbst sahen einen deutlichen kausalen Zusammenhang zwischen der Leistungsminderung und den finanziellen Engpässen, auch wenn laut Studie aus methodischer Sicht diese verstärkten Einschränkungen nicht zwingend eine Folge der Sanktionen sein müssen.

3.1.3. Auswirkungen auf Arbeitsbemühungen

Während sich über 25-Jährige nach einer Sanktionierung weniger um eine Beschäftigung bemühten, suchten die unter 25-Jährigen bei vollständiger Leistungskürzung verstärkt nach Arbeit (bedingt durch die finanzielle Notlage, insbesondere bei Alleinlebenden). Allerdings war dies häufig nur eine kurzfristige Beschäftigung zur Aufbesserung der finanziellen Situation. Ob die Sanktionen eine demotivierende Wirkung haben, konnte im Rahmen der Studie nicht geklärt werden. In Abhängigkeit von der Höhe der Sanktion verloren die Betroffenen zumindest zeitweise das Vertrauen in das Jobcenter.

  1. „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“

Die in verschiedenen Berliner Stadtteilen durchgeführte Fallstudie der Humboldt-Universität zu Berlin widmete sich insbesondere der ansteigenden Zahl von Zwangsräumungen in Verbindung mit dem sozialstaatlichen Hilfesystem in Deutschland. Dabei wurde auch der Einfluss von Sanktionen untersucht (ab Seite 80).

Berner, Laura; Holm, Andrej; Jensen, Inga (2015): Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems. Eine Fallstudie in Berlin. Berlin 2015. Abrufbar unter: https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zrweb.pdf (letzter Zugriff: 20. Januar 2017).

4.1. Ergebnisse

Entstandene Mietrückstände konnten von Arbeitslosengeld II-Beziehern kaum ausgeglichen werden. Die Jobcenter, die bei der Lösung der Probleme mithelfen sollten, wurden in der Studie eher als Verursacher dieser Schwierigkeiten betitelt: Sie förderten die Entstehung von Wohnungsnotlagen durch eine repressive Auslegung der „Angemessenheitsgrenzen“ der Miete, systematische Fehler, Verschleppung bei der Antragsbearbeitung und Sanktionen. Sie waren laut Studie in vielen Fällen direkt verantwortlich für durch Mietrückstände entstandene Kündigungen, erzwungene Umzüge und Zwangsräumungen. Dadurch erübrigte sich aus der Sicht der Betroffenen die Möglichkeit der Beratung und Unterstützung durch die Jobcenter. Die in der Studie befragten „Sozialen Wohnhilfen“ berichteten, dass sie ihre Klienten vorzugsweise zu Terminen des Jobcenters bezüglich der Wohnungssituation begleiten. Ohne diese Unterstützung würden es viele Menschen nicht schaffen, ihre Ansprüche geltend zu machen.

  1. „Sanktionen im aktivierenden Arbeitsmarktregime und soziale Exklusion: Eine quantitative Analyse“

Die Studie geht davon aus, dass sich Sanktionen in einem Spannungsfeld zwischen Erwerbsintegration als Strategie der Förderung von sozialer Inklusion und einer möglichen Rolle als „trigger“ im Prozess sozialer Exklusion bewegen. Theoretisch orientiert am Prekaritäten-RessourcenModell schätzten die Wissenschaftler mit Daten des „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS), ergänzt um administrative Daten, Effekte der Sanktionierung auf das Teilhabeempfinden und präsentierten damit quantitative Erkenntnisse zu diesem Thema.

Grüttner, Michael; Moczall, Andreas; Wolff, Joachim (2016): Sanktionen im aktivierenden Arbeitsmarktregime und soziale Exklusion: eine quantitative Analyse. In: Soziale Welt, Jg. 67, H. 1, S. 67-90. http://www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k160318301 (letzter Zugriff am 26. Januar 2017).

5.1. Ergebnisse

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, „dass Sanktionen kein eigenständiger Mechanismus im Prozess der sozialen Exklusion von Arbeitslosengeld-II-Beziehern sind; vielmehr weisen Personen, deren Lebenslage und Teilhabeempfinden schon zuvor beeinträchtigt war, ein stärkeres Risiko der Sanktionierung auf. Womöglich entfaltet auch bereits die allgegenwärtige Androhung von Sanktionen als Bestandteil des aktivierenden Arbeitsmarktregimes eine Ex-ante-Wirkung auf das Teilhabeempfinden der Leistungsberechtigten.“3

5.1.1. Auswirkungen auf das Teilhabeempfinden

Die multivariaten Analysen wiesen nicht auf einen kausalen Effekt der Sanktion auf das Teilhabeempfinden der Betroffenen hin. Es zeigte sich weder ein positiver noch ein negativer Effekt von Sanktionen auf die subjektiv empfundene soziale Teilhabe, noch konnten im Rahmen der Untersuchung nennenswerte Moderationseffekte von externen und internen Ressourcen nachgewiesen werden. Dies deutet laut Studie darauf hin, dass Sanktionen keinen eigenständigen Mechanismus im Prozess der sozialen Exklusion von Arbeitslosengeld II-Beziehenden darstellen.

Darüber hinaus wiesen die Ergebnisse darauf hin, dass sich Personen mit verringertem Teilhabeempfinden verstärkt in Sanktionen selektierten oder Sanktionen als Bestandteil des aktivierenden Arbeitsmarktregimes möglicherweise eine Ex-ante-Wirkung auf das Teilhabeempfinden der Leistungsberechtigten entfalteten: ihre Verhängung war (im Allgemeinen) kein eigenständiger „trigger“ subjektiv empfundener Exklusion.

Die Ergebnisse der Untersuchung legten nahe, dass die entscheidenden Teilhabeverluste bereits beim Übergang in das Arbeitslosengeld II-Bezugssystem bzw. im Zuge eines Verbleibes in diesem System stattfanden. Erfahrungen mit dem Sanktionsinstrumentarium und den Zumutbarkeitsregeln konnten hier eine Rolle spielen. Ein großer Teil der Stichprobe bestand schließlich aus Personen, die sich bereits seit Jahren im Leistungsbezug befanden.

Darüber hinaus blieb offen, inwiefern Sanktionierungen eine Verfestigung des Exklusionssyndroms bewirken können.

  1. „Sanktionen im SGB II: Unter dem Existenzminimum“

Im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wurde eine qualitative Befragung zur Sichtweise von Fachkräften der Jobcenter auf Sanktionen gegen Arbeitslosengeld II-Empfänger unter 25 Jahren durchgeführt. Es wurden insgesamt 26 Mitarbeiter der Bereiche Vermittlung und Fallmanagement aus elf Jobcentern befragt.

Götz, Susanne; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang; Schreyer, Franziska (2010): Sanktionen im SGB II. Unter dem Existenzminimum. Bielefeld 2010. IAB Kurzbericht, Ausgabe 10/2010. Abrufbar unter: http://doku.iab.de/kurzber/2010/kb1010.pdf (letzter Zugriff: 19. Januar 2017).

6.1. Ergebnisse

Die Bewertung der Sanktionen wurde bei steigender Härte negativer. Zum Beispiel wurden „Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen von den Fachkräften am ehesten positiv bewertet“, da hier für den „Einstieg in die Erwerbsarbeit wichtige Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gefördert werden.“ Die Strafen bei wiederholten größeren Pflichtverletzungen hingegen bewerteten nur vier der 26 Fachkräfte als notwendig, die anderen hielten diese für „zu scharf“. Sie sahen einen Widerspruch zwischen der daraus folgenden gänzlichen Leistungskürzung und dem Ziel, die Hilfebedürftigkeit durch Eingliederung in ein Arbeitsverhältnis zu beenden.

6.1.1. Soziale und finanzielle Auswirkungen

Die in dieser Studie erkennbaren Auswirkungen für die Sanktionierten wurden von den befragten Mitarbeitern der Jobcenter aus deren Sicht wiedergeben.

Die Fachkräfte sahen insbesondere in der Schwarzarbeit und einer Verschuldung der „Klienten“ eine große Gefahr.

Es erfolgten ihnen gegenüber auch Schuldzuweisungen durch die Sanktionierten und ihre Familien. Ein weiterer Punkt, der genannt wurde, war der Kontaktabbruch der jungen Sanktionierten zum Jobcenter. Vor allem in dieser Altersgruppe seien die Betroffenen mit den Leistungskürzungen überfordert. Die berufliche Integration sei damit vor weitere Schwierigkeiten gestellt.

6.1.2. Gesundheitliche Auswirkungen

Den Interviewten zufolge werden psychisch Kranke nicht sanktioniert. Da diese aber nicht immer von ihnen erkannt werden, würde das Risiko einer Fehlentscheidung bestehen. 

  1. „Lebensbedingungen und Teilhabe von jungen sanktionierten Arbeitslosen im SGB II“

Mittels einer qualitativen Befragung von Arbeitslosengeld II-Beziehern, die im Vorfeld durch zuständige Mitarbeiter der Jobcenter vorgeschlagen wurden, sollten die Auswirkungen von Sanktionen auf unter 25-Jährige untersucht werden. Insgesamt konnten dafür 15 biographisch-narrative Interviews geführt werden.

7.1. Ergebnisse

Es zeigten sich vielfältige Sanktionsfolgen: von mangelnder Ernährung über familiäre Spannungen bis zum Verlust der Wohnung. Laut Studie verringern Sanktionen die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten erheblich.

7.1.1. Auswirkungen auf die Wohnsituation

Insbesondere alleinlebende unter 25-Jährige können durch den Wegfall der Kostenübernahme für Miete und Energie bei wiederholten Pflichtverletzungen von einer Sperre der Energieversorgung oder von einem Wohnungsverlust bedroht sein. Laut den Autoren gibt es keine Daten zu der Häufigkeit dieser Einschränkung; in der vorliegenden Studie waren vier der Befragten von solch einer Sperre betroffen. Die Antworten der Interviewten zeigten, dass durch die fehlenden Kosten für Unterkunft und Energie hygienische Einschränkungen eintraten und die Zubereitung von Lebensmitteln nahezu unmöglich war. Des Weiteren waren die Folgen der Sanktionen auch nach dem Sanktionszeitraum spürbar, da Schulden zurückgezahlt werden mussten oder gesellschaftliche Ausgrenzungen bestanden.

7.1.2. Gesundheitliche Auswirkungen

Die Interviewten gaben an, dass sie selbst bei voller Regelleistung Einsparungen bei Lebensmitteln vornehmen mussten, vor allem bei frischen Waren. In keinem Fall wurde jedoch von Hungerleiden gesprochen. Die zum Ausgleich vorgesehenen Lebensmittelgutscheine wurden, wie auch die Studie von Ames (siehe dazu Punkt 2.) zeigte, nur ungern und mit einem Gefühl der Erniedrigung eingelöst; allerdings kannten auch zwei Befragte diese Möglichkeit nicht.

7.1.3. Soziale Auswirkungen

Das familiäre Netzwerk diente als große Stütze in Zeiten der Sanktionen. Gleichzeitig konnten sich dadurch auch Spannungen entwickeln und den Zusammenhalt der Familie belasten. Fast jede zweite Sanktion von Pflichtverletzungen im untersuchten Personenkreis traf auch den Partner oder die Kinder.

In Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter berichteten die Mitarbeiter, dass nach vergleichsweise milden Sanktionen die jüngeren Arbeitslosen sich oft ernsthafter „der Sache“ annehmen. Totalsanktionen wiederum führten nicht selten zu einem vollständigen Kontaktabbruch mit dem Jobcenter.

7.1.4. Finanzielle Auswirkungen

Vielen Betroffenen haben laut Studie bereits vor dem Zeitpunkt der Sanktionierung Schulden, die bereits während der langen Arbeitslosigkeit entstanden sind. Sanktionen haben dadurch häufig einen über den Sanktionszeitraum hinausreichenden Effekt

 

Zur Auswertung:  Auswertung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu den Sanktionen bei Hartz IV

Quelle: Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages

Bild: linke zeitung de

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.