Mindestlohn – mindestens ein Lohn über 10,00 € pro Stunde

Bild: redaktion mindestlohn dgb

Während der Verhandlungen des Koalitionsvertrags im Herbst 2013 stand der Mindestlohn in der öffentlichen Diskussion. Die SPD ging mit der angeblich unumstößlichen Haltung in die Verhandlungen, die in ihrem Wahlprogramm noch lautete: „Wir wollen einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro einführen – einheitlich in Ost und West, der auf Vorschlag einer vom BMAS (Bundesarbeitsministerium) eingesetzten Mindestlohnkommission jährlich angepasst wird“.

Doch herausgekommen ist eine „light“-Version: Der Mindestlohn soll erst 2015 und komplett frühestens 2017 kommen, die Ausnahmen für Tarifverträge mit niedrigen Mindestlöhnen treffen vor allem den Osten, aber auch den Westen. Dies bedeutet, dass es in vielen Branchen und vor allem im Osten eben gerade keinen Mindestlohn von 8,50 Euro geben wird. Dass es eine erste Anpassung erst 2018 geben soll ist blanke Realitätsverweigerung. Danach wird der Mindestlohn 2017, wenn er dann wirklich für alle gelten soll, kaum noch 8,50 Euro wert sein. So kann man Niedriglöhne  nicht bekämpfen.

Aber genau da, wo er am notwendigsten sein dürfte, kommt er bis 2017 nicht. Denn Tarifverträge, die die 8,50 Euro unterschreiten, sind bis dahin möglich. Das gilt natürlich vor allem da, wo die Gewerkschaften zu schwach sind, um auskömmliche Einkommen durchzusetzen. Genau für diese Fälle sind gesetzliche Untergrenzen eigentlich gedacht.

Die Arbeitgeber begrüßten ausdrücklich die Übergangsfrist für geltende Tarifverträge, denn es gibt mehr als 40 Verträge für diverse Wirtschaftsbereiche, die einen Mindestlohn von weniger als 8,50 Euro festschreiben. Diese Verträge dürfen maximal bis Ende 2016 angewendet werden und erst ab Januar 2017 gilt dann das Mindestlohnniveau uneingeschränkt. Die Arbeitgeber haben bereits angekündigt, dies zu verhindern und möchten mehr Differenzierungen und Abweichungen vom Mindestlohn durchsetzen.

Ihren Vorstellungen kommt auch die Einrichtung einer Kommission zur Weiterentwicklung des Mindestlohns entgegen. Die soll so aussehen: die sechs Mitglieder der Kommission werden je zur Hälfte von Arbeitgebern und Gewerkschaften benannt, beim Vorsitz wechseln sie sich ab. Zwei Wissenschaftler, die aber kein Stimmrecht haben, kommen noch dazu. Arbeiten soll die Kommission dann so: Am 10. Juni 2017 überprüft sie erstmals die Höhe des Mindestlohns. Zum 1. Januar 2018 wird er dann durch Rechtsverordnung eingeführt. Also wird es frühestens 2018 eine Erhöhung des Mindestlohns geben.

Konkret heißt dies dann: Das ein Euro im Jahr 2014 mehr wert ist als es ein Euro im Jahr 2017 ist. Bei einer Inflationsrate von realistischen 2 Prozent pro Jahr entspricht so ein Mindestlohn von 8,50 (im Jahr 2017) einem Mindestlohn von 8,01 Euro (in Preisen des Jahres 2014). So haben wir einen Mindestlohn von faktisch 8,01 €!

Aber bleiben wir einmal beim Rechnen und den Zahlen.

In den vergangen 10 Jahren hat sich der Niedriglohnsektor erheblich ausgeweitet. Durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die Einführung von Hartz-IV, die Ausweitung von Minijobs und Befristungen sowie der ernorme Anstieg der Leiharbeit, ist das Lohnniveau stark gesunken. Im Zeitraum von 2000 bis 2010 ist die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten um rund 1,3 Millionen gestiegen, hier sind besonders Frauen betroffen. Fast acht Millionen Beschäftigte arbeiteten im Jahr 2010 zu Niedriglöhnen unterhalb von 9,15 Euro pro Stunde.

Immer mehr Menschen verdienen so wenig, dass sie auf Sozialleistungen angewiesen sind. Im Jahr 2012 gab es mehr als 1,3 Millionen Erwerbstätige, die zusätzlich zu ihrem Lohn noch Hartz IV-Leistungen beziehen mussten. Der Staat subventioniert so Unternehmen, die schlechte Löhne zahlen. Allein von 2007 bis 2011 hat er hierfür 53 Milliarden Euro ausgegeben.

Arbeitslose haben bekanntlich die Pflicht, jeden Job bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit anzunehmen. Sie müssen ein Entgelt akzeptieren, das oftmals bis zu 30 Prozent unter dem Tarif liegt. So kommen viele Beschäftigte in manchen Regionen der Republik auf einen Stundenlohn von gerade einmal 3,00 Euro.

Aber sichern die angekündigten 8,50 Euro brutto pro Stunde die Existenz?

Wenn man von dem 2013 geltenden 382,00 Euro Regelsatz SGB II plus 288,00 Euro durch-schnittlicher, vom Jobcenter anerkannter Warmmiete ausgeht, kommt man so auf ein Einkommen bei einem alleinstehenden Erwerbslosen von 670,00 Euro.

8,50 Euro brutto ergeben bei einer 38,5-Stundenwoche einen Nettolohn von 1.050,00 Euro für einen Alleinstehenden, Lohnsteuerklasse I.

Da von dem Nettolohn noch der Freibetrag für Erwerbstätige von 300,00 Euro abzuziehen ist, um das anzurechnende Einkommen zu erhalten, läge dies bei 750,00 Euro.So liegt bei der Berechnung der Jobcenter der Nettolohn von 8,50 Euro brutto deutlich über dem gegenwärtigen Hartz-IV-Niveau.

Allerdings müssen wir realistisch gesehen, bei den Unterkunftskosten nicht von den Zahlen der Jobcenter ausgehen, die 288,00 € benennen. Selbst die Zahlen der Bundesregierung gehen bei einem Nettoverdienst von unter 900,00 € von einer Bruttokaltmiete bei einem Einpersonenhaushalt von 328,00 Euro aus. Bei 1.050,00 Euro Nettoeinkommen (8,50 € brutto pro Stunde bei 38,5 Stunden im Monat) dürfte die tatsächliche Kaltmiete höher sein.

Auch bei den Angaben im Wohngeld- und Mietenbericht 2010 geht man vom durchschnittlichen Quadratmeterpreis bei 50 qm von etwa 6,50 Euro aus. Es ergibt sich eine Kaltmiete von 325,00 Euro und eine Warmmiete von 382,00 Euro. Berücksichtig man dann noch, dass Vollzeitbeschäftigte im Durchschnitt aufgrund ihres höheren Einkommens auch ein höheres Mietniveau als Erwerbslose, insbesondere als Langzeiterwerbslose aufweisen, dann sollte man von einer realistischen Warmmiete von 385,00 ausgehen.

Wenn wir die Warmmiete mit 385 Euro statt mit 288 Euro ansetzen, kann ein Vollzeitbe-schäftigter mit 1.050 Euro Lohn dann Hartz IV beantragen.

Also liegt der Lohn von 8,50 Euro brutto schon Ende 2013 deutlich unter dem gegenwärtigen Hartz-IV-Niveau.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte kürzlich, dass alle bisher vereinbarten Mindestlöhne, bis auf fünf für die “neuen Länder ohne Berlin” geltenden, über der vorgesehenen Höhe von 8,50 Euro liegen. Die vereinbarten Branchenmindestlöhne liegen dabei auch in den neuen Ländern zum Teil deutlich über den 8,50 Euro.

Das unterstreicht noch einmal, wie dürftig ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist.

Haben sich die Gewerkschaften zu billig abspeisen lassen und zu schnell dem Koalitionsvertrag zugestimmt.

Haben sie denn nichts aus ihrer euphorischen Zustimmung zur der Agenda 2010 gelernt?

Quellen: Statistisches Bundesamt, die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, DGB, Vorwärts Sonderausgabe 30.11.2013

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