Wegen steigender Preise können immer mehr Bundesbürger ihre Stromrechnung nicht zahlen. Die Zahl der Stromsperren ist auf den höchsten Wert gestiegen, der je gemessen wurde. Die Bundesnetzagentur berichtet für 2016 von 328.000 durchgeführten und über sechs Millionen angedrohten Stromsperren.
Die zentrale Ursache für Energiearmut ist die Armut an sich. Besonders in Haushalten mit niedrigem Einkommen können die Kosten für Strom und Gas schnell zu einem existenzbedrohenden Faktor anwachsen. Wer mehr für Heizung, Warmwasser, Licht und den Betrieb von Kühlschrank und TV ausgeben muss, hat weniger Geld für Lebensmittel, Kleidung oder Bildung übrig.
Diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren fortsetzten.
Für Energiearmut gibt es in Deutschland bisher keine einheitliche Definition. Man kann sich aber an eine in Großbritannien gebräuchliche Definition von Energiearmut ganz gut orientieren. Auf der Insel gilt ein Haushalt als energiearm, wenn er mehr als zehn Prozent seines Einkommens für den Kauf von Energie aufwenden muss, um im Hauptwohnraum 21 Grad Celsius und in den übrigen Räumen 18 Grad Celsius zu gewährleisten.
Ein Schlüsselfaktor für das Entstehen und die Entwicklung von Energiearmut ist aber die Höhe der Energiepreise. Da hat sich seit Mitte der 1990er Jahre einiges getan.
Die Energieversorgungsunternehmen (EVU)
Als 1998 die „Liberalisierung“ auch im Energiesektor einsetzte, kam es zunächst zu einem Rückgang der Energieunternehmen. Ab 2002 nahm dann ihre Zahl rasant zu, vor allem wegen der vielen Neugründungen von Stromvertriebsgesellschaften, der Marktregulierung von Stromhändlern und auch durch die „Legal-Unbundling“, das ist die rechtliche Entflechtung von Stromerzeugung und Netzbetrieb. Außerdem hat es seit 2005 im Rahmen einer Rekommunalisierung 72 Stadtwerke-Neugründungen gegeben.
Im Jahr 2013 gab es in Deutschland 1.402 Energieunternehmen im Bereich der Elektrizitätswirtschaft, das ist gegenüber 1998 eine Steigerung um 14,1 Prozent.
Während sich die Anzahl der Energieversorgungsunternehmen (EVU) erhöhte, ging die Zahl der Beschäftigten dort von 1998 bis 2013 von 251.709 auf 191.892 drastisch um 23,8 Prozent zurück. Fast jeder vierte Arbeitsplatz wurde abgebaut. Besonders bei den großen 4 Branchenriesen (E.on, RWE, EnBW und Vattenfall) wurden Arbeitsplätze abgebaut.
Der seit 1998 einsetzende Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit ist auch im Energiesektor eindeutig zugunsten des Kapitals entschieden worden. Im Einzelnen sieht das so aus:
- Die wirtschaftlich entscheidenden Lohnstückkosten in der Strombranche sanken um 82,5 Prozent.
- Die Personalintensität, das ist der Personalaufwand in Relation zur Gesamtleistung, ging von 15,4 auf 2,9 Prozent, also um 12,5 Prozentpunkte extrem zurück.
- In der Elektrizitätswirtschaft kam es zu einer enorm hohen Umverteilung der erzielten Wertschöpfungen zum Nachteil der Arbeitseinkommen und zugunsten der Kapitaleinkommen. So verringerte sich in der Folge die Lohnquote auf der Basis der Nettowertschöpfung (Differenz zwischen dem Umsatz und den Ausgaben) zwischen 1998 und 2013 von 67,2 auf 42,7 Prozent, also um 24,5 Prozentpunkte.
- Die Umsatzrendite (bemisst den verbleibenden Gewinnbeitrag je Euro Umsatz für die Eigenkapitalgeber, die sog. Shareholder) in der Elektrizitätswirtschaft schwankte im Zeitraum von 2013 und 2008 zwischen 2,4 und 7,1 Prozent und lag weit über den allgemeinen Renditen im Jahresdurchschnitt.
Seit der „Marktliberalisierung“ 1998 kann man vor allem bei den 4 Branchenriesen ein ziemlich hohes Umsatzwachstum beobachten, beruhend auf internationalen Expansionen, dem Auftun neuer Energiedienstleistungen und durch die durchgesetzte Preissteigerung im privaten Haushaltsbereich.
Die Gewinne stiegen für die Shareholder der Energieversorgungsunternehmen von 1998 bis 2013 um 180,9 Prozent, aber die Einkommen der in der Branche verblieben Beschäftigten nur um 31,2 Prozent.
Etwas geschmälert werden die Gewinne zukünftig wohl durch den Druck auf die konventionellen Stromerzeuger, der von dem Ausbau der erneuerbaren Energien ausgeht. Auch müssen die 4 Branchenriesen seit 2013 die Emissionsrechte für ihre fossilen Kraftwerke an der Börse ersteigern – bis dahin hatten sie diese mehrheitlich geschenkt bekommen.
Die Energieverbraucher
Für die privaten Haushalte ist es von 1998 bis 2014 zu keinen Strompreissenkungen gekommen. Im Gegenteil: Die Endkundenpreise sind für einen 3 Personenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh sogar um 70,2 Prozent oder um 12 Cent/kWh gestiegen.
Der allgemeine Verbraucherpreisanstieg belief sich dagegen im gleichen Zeitraum auf nur 27,0 Prozent. Die Stromkosten der Privathaushalte liegen rund 45 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 20,52 Cent pro Kilowattstunde.
Der um Abgaben bereinigte Industriestrompreis dagegen liegt mit 6,27 Cent pro Kilowattstunde ganz deutlich unter dem EU-Mittelwert von 9,37 pro Kilowattstunde.
Für das laufende Jahr haben mehrere Versorger bereits weitere Erhöhungen der Haushaltsstromkosten angekündigt. Als Hauptgründe für den Preisschub gibt die Energiewirtschaft die steigenden Kosten für die Stromnetze und die Anhebung staatlicher Gebühren, wie der Ökostromumlage und der sogenannten Offshore-Haftungsumlage, die Entschädigungsleistungen für zu spät ans Netz angeschlossene Windparks finanziert.
Wie auch immer.
In Deutschland wurden im Jahr 2016 insgesamt 328.000 Stromsperren durchgeführt und über sechs Millionen angedroht. Das betraf rund 200.000 Haushalte, die Sozialgesetzbuch (SGB)-Leistungen beziehen.
Die zentrale Ursache für die zunehmende Energiearmut ist die Armut an sich. Vor allem in Haushalten mit niedrigem Einkommen können die Kosten für Strom und Gas zu einem existenzbedrohenden Faktor erwachsen.
Hier ist besonders der Blick auf Haushalte, die Leistungen nach SGB II (sog. Arbeitslosengeld II) oder SGB XII (Sozialhilfe bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) beziehen, von Bedeutung.
Die ausreichende Versorgung mit Strom ist eine Grundvoraussetzung zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens. Nur durch die gesicherte Energieversorgung wird die Teilhabe der Menschen mit niedrigen Einkommen und Bezieher von Leistungen zum Lebensunterhalt am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Die angebotene Unterstützung beim Energiesparen sind lobenswert aber wenig effizient und sie beseitigen nicht die systematische Unterdeckung aufgrund zu niedriger Bedarfsanteile in den Regelsätzen für Haushaltsenergie oder für die Anschaffung energieeffizienter Geräte.
Für die Sicherung ihres Lebensunterhalts erhalten die Leistungsempfänger im Rahmen von SGB II und SGB XII eine monatliche Pauschale, den sogenannten Regelbedarf. Dieser wird alle fünf Jahre auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt und jährlich an die Entwicklung der Preise sowie der Löhne und Gehälter angepasst.
Seit Januar 2018 bekommt ein Alleinstehender eine monatliche Leistung von 416,00 Euro. Die angemessenen Kosten der Unterkunft sowie die Kosten der Heizung werden direkt vom Leistungsträger übernommen, sodass aus dem Regelbedarf im Bereich Wohnen und Energie hauptsächlich die Stromrechnung beglichen werden muss.
Schon seit Jahrzehnten wird kritisiert, dass die Regelbedarfe, die auf der EVS basierenden Regelbedarfe den tatsächlichen Bedarfen der Haushalte in Grundsicherung nicht genügen.
Das Verbrauchsverhalten von Haushalten in Grundsicherung ist auch aus einer anderen Perspektive von Interesse. Da Haushalte in Grundsicherung über ein stark begrenztes Budget für den Konsum verfügen, kann ihr Stromkonsum im Durchschnitt als ein soziales Minimum interpretiert werden, das ihnen ab sofort unter den gegebenen technischen und sozialen Kapazitäten zugesichert werden muss.
Wir brauchen dringenden Handlungsbedarf zur wirksamen Bekämpfung von Energiearmut.
Der Verein Tacheles e.V. fordert daher die Umsetzung der nachstehenden Punkte im Rahmen der anstehenden Gesetzesänderungen:
- Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelbedarfen
- Einführung einer bedarfsorientierten Haushaltsenergiepauschale zusätzlich zum Regelsatz
- Angleichung der Bemessungsmethode des Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasserversorgung
- Schaffung von „Energiesicherungsstellen“
- Entschärfung der Frist bis zur möglichen Energiesperre
- Rechtsansprüche zur Übernahme von Energieforderungen im Sozialrecht stärken
und die Einführung einer garantierten Grundenergiemenge.
Die umgehende Umsetzung dieser Forderungen ist auch deshalb notwendig, weil das Hilfsangebot für die von Energiearmut betroffenen Menschen vor Ort systematisch beschnitten wurde und die vormals fast schon gemeinnützigen kommunalen Stromanbieter verhalten sich mittlerweile extrem „marktkonform“.
So liefert die Dortmunder Energie und Wasser (DEW 21) bei „Problemfällen“ nur noch Strom gegen 2.500 Euro Vorschuss.
Das Dortmunder Amt für Wohnraumsicherung droht der alleinerziehenden Frau mit dem Jugendamt und der Herausnahme der Kinder aus der Familie, weil die Mutter wegen der Stromschulden offensichtlich „nicht haushalten kann“.
Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden, auch in dem die Fonds der Energieverbraucher gefüllt werden.
Quellen: Bundesnetzagentur, Waz, memorandum, Tacheles e.V. Bild: aachener-zeitung.de