Die Wirtschaftsleistung im Sozialwesen, zu dem insbesondere die ambulante und stationäre Altenpflege sowie die Kinder- und Jugendhilfe gehören, ist zwischen 1991 und 2015 überdurchschnittlich gestiegen: um 140 Prozent. In der gesamten Wirtschaft waren es 40 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten hat sich in diesem Bereich seitdem fast verdoppelt, während sie in der gesamten Volkswirtschaft lediglich um elf Prozent stieg. Die Löhne im Sozialwesen erreichen indes nur etwa 60 Prozent des durchschnittlichen Lohnniveaus in Deutschland – und das, obwohl die Nachfrage nach qualifizierten Kräften vor allem im Bereich der Pflege wächst. Seit 2012 spiegelt sich dies nun auch in stärker steigenden Löhnen wider.
Das sind die Hauptergebnisse einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) über die Entwicklung des Sozialwesens in Deutschland. Die DIW-Ökonomen Karl Brenke, Thore Schlaak und Leopold Ringwald haben zu diesem Zweck Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die Statistik der Arbeitnehmerverdienste sowie die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusammengetragen und ausgewertet.
Während auf das Sozialwesen gerade mal zwei Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung entfallen, ist seine Bedeutung gerade für die Beschäftigung enorm. Seit Anfang der 90er Jahre entfiel jeder fünfte zusätzlich geschaffene Arbeitsplatz in Deutschland auf das Sozialwesen. Inzwischen zählen knapp sechs Prozent aller Erwerbstätigen zum Sozialwesen, 1991 waren es lediglich etwas mehr als drei Prozent. Das Wachstum hat sich vor allem in den vergangenen Jahren noch mal beschleunigt; dasselbe gilt für die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Rund 15 Prozent hat das Sozialwesen zur Ausweitung der geleisteten Arbeitsstunden beigetragen.
Die Arbeitsintensität im Sozialwesen ist in der Regel enorm hoch, das Lohnniveau aber zugleich gering. Das ist überall in Europa so. In Deutschland zeigt sich aber, dass der Abstand zum gesamtwirtschaftlichen Lohnniveau besonders groß ist. Nur in fünf anderen europäischen Ländern (Estland, Griechenland, Kroatien, Rumänien sowie Vereinigtes Königreich) liegen die Löhne im Sozialwesen so weit unter dem nationalen Durchschnitt wie in der Bundesrepublik.
Nur zu einem kleinen Teil ist die niedrige Entlohnung darauf zurückzuführen, dass einfache Tätigkeiten im Sozialwesen relativ stark verbreitet sind. Denn auch qualifizierte Tätigkeiten werden immer noch vergleichsweise gering bezahlt. Allerdings haben seit 2012 die Stundenentgelte kräftiger als in der Gesamtwirtschaft zugelegt. Besonders stark fiel der Anstieg bei den Löhnen jener Beschäftigten aus, die eine Tätigkeit im mittleren Qualifikationssegment oder in den unteren Leistungsgruppen ausüben. Das dürfte Ausdruck des schon seit geraumer Zeit bestehenden Mangels an Arbeitskräften sein – insbesondere an qualifizierten.
Im Sozialwesen ist Teilzeitarbeit stark verbreitet. Die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sind Teilzeittätigkeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass in diesem Wirtschaftsbereich die Beschäftigung von Frauen stark verbreitet ist, denn drei Viertel der Beschäftigten sind weiblich. „Da im Sozialwesen weibliche Beschäftige weit überrepräsentiert sind, drängt sich der Eindruck auf, dass das Lohnniveau immer noch von der unseligen Tradition beeinflusst ist, Arbeit von Frauen nur unterdurchschnittlich zu bezahlen“, sagt Studienautor Karl Brenke.
Politik muss gegensteuern
„Zu den niedrigen Löhnen trägt auch die Politik bei“, konstatiert Studienautor Thore Schlaak. Der Versuch der Politik, die Beitragssätze in der Pflege niedrig zu halten, ziehe eine Deckelung der Preise und damit der Löhne im Sozialwesen nach sich. „Angesichts der demografischen Entwicklung und damit zunehmender Nachfrage nach Pflegekräften muss darüber diskutiert werden, was die Leistungen des Sozialwesens der Gesellschaft heute und in Zukunft wert sein sollen“, resümiert Studienautor Brenke. Das gelte umso mehr, als sich abzeichne, dass das Sozialwesen weiter an Bedeutung gewinne. So ist in den skandinavischen Ländern der auf das Sozialwesen entfallende Anteil an der Wirtschaftsleistung mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland; auch in den Niederlanden oder in Frankreich spielt dieser Wirtschaftszweig eine viel größere Rolle als hierzulande.
Die Pläne der neuen großen Koalition, 8000 neue Stellen im Pflegebereich zu schaffen, gingen zwar in die richtige Richtung, meinen die Ökonomen. Ob aber genug Fachkräfte gefunden würden, bleibe abzuwarten. Realitätsnäher seien die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ziele, die Ausbildung in pflegerischen Berufen finanziell attraktiver zu gestalten, Weiterbildungsmöglichkeiten für die Beschäftigten zu verbessern und den Flächentarifvertrag zu stärken.
Pressemitteilung DIW vom 18.04.2018 Weitere Infos: http://www.diw.de/deutsch Bild: gegen-hartz.de