Unbezahlbare Mieten – fast zwei Millionen erschwingliche Wohnungen fehlen und die Lage dürfte sich noch verschlechtern

Steigende Mieten und hohe Wohnkosten sind für viele Einwohner in deutschen Großstädten ein gravierendes Problem. Wohnen ist zum sozial- und verteilungspolitischen Thema geworden.

In deutschen Großstädten fehlen 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Vor allem Geringverdiener finden häufig keine Mietwohnung, die sie sich leisten können. Besonders angespannt ist die Lage für armutsgefährdete Haushalte in München, in der Region Rhein-Main sowie Köln-Bonn. Aber auch in Städten mit vielen Niedrigverdienern wie Berlin, Leipzig oder Dresden ist bezahlbarer Wohnraum knapp.

Die tatsächliche Mietbelastung übersteigt in vielen Haushalten einen Anteil von 30 Prozent des Einkommens Das ist der Anteil, der allgemein als angemessen gilt. Mit diesem Ergebnis bleibt aber noch offen, wie viele und welche Wohnungen in deutschen Großstädten fehlen, damit Haushalte mit ausreichendem und gleichzeitig leistbarem Wohnraum versorgt werden können.

Zu diesem Ergebnis kommen Henrik Lebuhn, Andrej Holm, Stephan Junker und Kevin Neitzel in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Die Stadtsoziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt haben untersucht, welche Wohnungen sich die Menschen leisten können und wie dies mit dem Angebot auf dem jeweiligen Mietmarkt zusammenpasst. Daraus ergeben sich detaillierte Zahlen zur „Versorgungslücke“ in allen 77 deutschen Großstädten. Als bezahlbar bewerten die Wissenschaftler eine Bruttowarmmiete – also inklusive aller Neben- und Heizkosten –, die weniger als 30 Prozent des Haushaltseinkommens beträgt. Alles, was darüber hinausgeht, sehen sie als unangemessen hoch an. Grundlage sind die neuesten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus 2014.

Die meisten bezahlbaren Wohnungen fehlen in Berlin mit rund 310 000. Es folgen Hamburg mit einer Lücke von 150 000, Köln mit 86 000 und München mit 79 000 Wohnungen. Doch selbst in Großstädten mit relativ kleinen „Versorgungslücken“ wie Moers, Wolfsburg, Koblenz oder Ulm überschreitet der Bedarf an günstigen Wohnungen das Angebot jeweils um mehrere Tausend.

Am stärksten vom Wohnungsmangel betroffen sind Alleinstehende unterhalb der Armutsgrenze. Sie haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung. Das entspricht inklusive aller Sozialtransfers rund 890 Euro monatlich. Bezahlbar sind damit nur kleine, sehr günstige Apartments mit Mieten zwischen vier und fünf Euro pro Quadratmeter. Doch von diesen Wohnungen gibt es in den Großstädten viel zu wenige – der Studie zufolge fehlen dort insgesamt 1,4 Millionen Wohnungen für armutsgefährdete Einpersonenhaushalte.

Auch etwas besser verdienende Singles haben es nicht leicht, eine Wohnung zu finden – weil die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt. Inzwischen lebt in knapp der Hälfte aller Haushalte in Großstädten nur eine Person. Viele von ihnen müssen mehr zahlen, als sie sich eigentlich leisten können. „Der Wohnungsbestand passt nicht mehr zu der Struktur der Bewohnerschaft in den Großstädten“, schreiben die Wissenschaftler.

Ebenfalls schwierig ist die Lage für Familien mit fünf oder mehr Personen. Um einigermaßen gut leben zu können, benötigen sie Wohnungen mit mindestens 90 Quadratmetern. Doch selbst Haushalte mit mittlerem Einkommen können sich diese oft nicht leisten – für sie ist der Studie zufolge gerade einmal knapp ein Fünftel des Bestands an Mietwohnungen in dieser Größe erschwinglich. Entsprechend groß ist die Konkurrenz um die wenigen bezahlbaren Wohnungen.

In der hier vorgelegten Analyse wird die soziale Versorgungslücke in deutschen Großstädten insgesamt und bezogen auf einzelne Großstädte aufgezeigt. Dazu wurden zunächst der nach Haushaltsgrößen und Einkommensklassen differenzierte Versorgungsbedarf an Wohnungen und das nach Größe und Preis differenzierte Versorgungspotential des Wohnungsbestandes in den Städten ermittelt. Weil sich zeigt, dass Versorgungsbedarf und Versorgungspotenzial nicht übereinstimmen, kann die soziale Versorgungslücke an leistbaren Wohnungen für verschiedene Haushaltsgrößen und Einkommensgruppen in den untersuchten Städten bestimmt werden.

Wie viele und welche Wohnungen in den 77 Großstädten in Deutschland fehlen, zeigt diese Auswertung der neuesten verfügbaren Mikrozensusdaten aus dem Jahr 2014. Dies sind die zentralen Ergebnisse:

  • Insgesamt fehlen im Bestand der Großstädte rund 1,9 Millionen leistbare Wohnungen. Die größte Versorgungslücke gibt es für Einpersonenhaushalte mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze, das sind Haushalte mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Hier werden über 1,4 Mio. kleine Wohnungen zu Mietpreisen zwischen 4 und 5 €/m² zusätzlich benötigt, um alle Haushalte angemessen mit leistbaren Mieten zu versorgen.
  • Großen Mangel an leistbarem und ausreichend großem Wohnraum für armutsgefährdete Haushalte gibt es in folgenden Städten: In München und in Städten der Rhein-Main Region sowie im Großraum Köln-Bonn sind nur weniger als 10 Prozent der Wohnungen für diese ärmeren Haushalte ohne erhöhte Mietkostenbelastung leistbar.
  • Auch in anderen einwohnerstarken Städten mit hohen Anteilen an Niedrigverdienern (z.B. Berlin, Leipzig, Dresden) oder mit hohem Mietniveau (z. B. München, Stuttgart, Düsseldorf) fehlt leistbarer Wohnraum. Die mengenmäßig größten Defizite an leistbaren Wohnungen in Großstädten gibt es in Berlin (310.000 Wohnungen), Hamburg (150.000 Wohnungen), Köln (86.000 Wohnungen) und München (78.000 Wohnungen).
  • In knapp 50 Prozent aller Haushalte in den 77 deutschen Großstädten lebt nur eine Person. Den 6,7 Mio. Einpersonenhaushalten stehen aber nur rund 2,5 Mio. Kleinstwohnungen gegenüber. Der Wohnungsbestand passt heutzutage also nicht mehr zu der Struktur der Bewohnerschaft in den Großstädten und ist damit ein wesentlicher Grund für die soziale Versorgungslücke.
  • Haushalte mit mehr als fünf Personen benötigen große Wohnungen. Wenn sie über ein mittleres Einkommen verfügen, sind nur 18% des Wohnungsbestands für sie leistbar, d.h. dann wäre ihre Mietbelastungsquote nicht höher als 30%.
  • Die Versorgungspotentiale unterscheiden sich erwartungsgemäß zwischen den Einkommensgruppen. Je höher das Einkommen, desto größer der Umfang des leistbaren Bestandes. Während mit einem mittleren Einkommen über 76 Prozent aller Wohnungen leistbar sind, beträgt dieser Wert für Haushalte mit geringem Einkommen (80 Prozent Bundesmedian) etwa 61 Prozent. Für Haushalte unterhalb der Armutsgrenze (60 Prozent Bundesmedian) halten die Wohnungsbestände in den untersuchten Städten weniger als 25 Prozent leistbare Wohnungen bereit.
  • Die Entwicklungen der letzten Jahre sprechen für eine Verschärfung der Versorgungslücke. Die Angebotsmieten sind in fast allen Städten höher als die Bestandsmieten und bieten keinen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Wohnungsversorgung in den Großstädten.

Um den Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu verringern, sei es wichtig, das Angebot an günstigen Kleinwohnungen stark auszubauen. „Das ist nur durch eine deutliche Stärkung des sozialen Wohnungsbaus möglich“, betonen Lebuhn, Holm, Junker und Neitzel. „Dazu müssen einerseits weitaus mehr Sozialwohnungen als in den vergangenen Jahren neu entstehen. Andererseits muss auch die Sozial- und Mietpreisbindung im Wohnungsbestand wieder ausgeweitet werden.“

 

 

Weitere Infos:  https://www.boeckler.de/113665_113670.htm

Henrik Lebuhn, Andrej Holm, Stephan Junker und Kevin Neitzel: Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten? (pdf) Die soziale Versorgungslücke nach Einkommen und Wohnungsgröße, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 63, April 2018

Bild: Stadtmission Nürnberg