Arbeiten lassen für lau: Neuauflage der sogenannten Bürgerarbeit – Ausbau des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“

Da waren sich Arbeitsministerin Andrea Nahles und der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele einig: ihnen war ein ganz toller Wurf gelungen, als sie im Frühjahr ihre neuen Pläne zur Verringerung der Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen der Öffentlichkeit präsentierten.

Doch stellten sie nicht nur alten Wein in neuen Schläuchen vor, sondern haben bei der Neuauflage der sogenannten Bürgerarbeit richtig zugelangt, zulasten der erwerbslosen Menschen.

Neu und besonders  skandalös ist, dass nach den Änderungen die geförderte Beschäftigung ab 2018 nicht mehr „zwingend zusätzlich und wettbewerbsneutral“ sein muss.

Die Menschen sollen als Hilfsarbeiter bei Kommunen und privaten Unternehmen bis zu fünf Jahren eingesetzt werden und das Entgelt wird im ersten Jahr komplett vom Staat übernommen. Im zweiten Jahr muss der Unternehmer nur zehn Prozent beisteuern, im dritten 20 Prozent und die weiteren Jahre jeweils 10 Prozent mehr, ohne dass die Beschäftigten Ansprüche auf Arbeitslosengeld I erwerben und damit die Möglichkeit verlieren, die Maßnahme vorzeitig verlassen zu können.

Diese menschenverachtende Arbeitsmarktpolitik wird von Andrea Nahles und Detlef Scheele ganz neutral als Ausbau des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ verkauft, dabei ist es nichts anderes, als dass die Jobcenter erwerbslose Menschen auch Privatfirmen als kostenlose Hilfskräfte anbieten können.

Einzelheiten über das Programm erfährt man in der För­der­richt­li­nie für das Bun­des­pro­gramm „So­zia­le Teil­ha­be am Ar­beits­markt“, Fassung 2015:

„Zielgruppen

Die Förderung konzentriert sich auf zwei Gruppen mit besonderen Problemlagen und langem Arbeitslosengeld II- Bezug. Ein Förderschwerpunkt liegt auf Leistungsberechtigten, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen besonderer Förderung bedürfen. Gesundheitliche Einschränkungen können bei der Arbeitsmarktintegration ein gravierendes Hemmnis darstellen; umgekehrt kann auch das Fehlen von Arbeit zu einer Verschlechterung der Gesundheit führen. Bedarfsgemeinschaften mit Kindern sind unter dem Aspekt sozialer Teilhabe eine weitere wichtige Zielgruppe. Die Förderung erreicht hier nicht nur die Langzeitarbeitslosen selbst, sondern zugleich die im Haushalt lebenden Kinder, die erfahren, dass Beschäftigung eine wichtige Rolle im Leben spielt.

Was wird gefördert?

Gefördert werden Arbeitsverhältnisse, die zusätzlich und wettbewerbsneutral sind und im öffentlichen Interesse liegen. Die Förderung ist als Festbetragsfinanzierung ausgestaltet und beträgt bei 30 Stunden 1.320 Euro. Auch ein Einstieg in die geförderte Beschäftigung mit stufenweise erhöhter Anzahl der Wochenstunden ist möglich.

Ab dem 1. Januar 2017 werden die Förderbeträge an den dann geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro brutto je Zeitstunde angepasst. Die Förderung je Arbeitsplatz beträgt bis zu 1.370 Euro pro Monate bei 30 Wochenstunden. Die förderfähigen Obergrenzen bei 15, 20 bzw. 25 Wochenstunden betragen 690, 915 bzw. 1.140 Euro.

Begleitende Aktivitäten

Geförderte Arbeitsverhältnisse allein reichen jedoch nicht aus, um die Ziele dieses Programms zu erreichen. Vielmehr bedarf es den individuellen Problemlagen der Leistungsberechtigten angepasste, flankierende Anstrengungen der Jobcenter. Dazu gehören beispielsweise beschäftigungsbegleitende Aktivitäten, um die teilnehmenden Personen zu stabilisieren und ihre Chancen auf eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Sinnvoll erscheinen auch Angebote, die soziale Problemlagen wie etwa Sucht- und Schuldenprobleme oder gesundheitliche Einschränkungen angehen.

Programmumfang

Bei einer Laufzeit bis Ende 2018 stehen für die Förderung von rund 20.000 Plätzen insgesamt bis zu 750 Millionen Euro zur Verfügung.

Programmumsetzung

Seit dem Programmstart in 2015 nehmen 105 Jobcenter an der Umsetzung des Programms teil. Zum Jahreswechsel 2016/2017 wird das Programm durch Hinzunahme weiterer 90 Jobcenter ausgeweitet werden.

An einer Förderung interessierte Arbeitgeber können sich an ihr Jobcenter wenden, sofern sie nicht von diesem angesprochen werden.

Weitere Einzelheiten können der Förderrichtlinie entnommen werden.“

 

Für die Beschäftigten in diesen Programmen stellt sich die konkrete Lebens- und Arbeitssituation so dar:
  • Die Beschäftigten sind weiterhin dem Hartz-IV-System mit seinen Pflicht- und Meldeobliegenheiten unterworfen.
  • Wer einen Vermittlungsvorschlag ohne »wichtigen Grund« ablehnt, wird sanktioniert. Durch die Sanktionspraxis der Jobcenter kann jedermann in existenzielle Nöte geraten. Unter 25jährigen kann eine Kürzung des gesamten Regelsatzes für drei Monate drohen. Ältere müssten mit einer 30-Prozent-Sanktion rechnen. Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können die zusammengerechneten Sanktionen bewirken, dass gar keine Auszahlung erfolgt und diese Menschen über keinerlei Einkommen mehr verfügen.
  • Die neuen Arbeitsverhältnisse gründen sich in den Maßnahmen und Programmen meistens auf die Sozialgesetzgebung (SGB). Der Arbeitnehmerstatus gilt für die Beschäftigten nicht und sie haben in der Regel nicht die üblichen Arbeitsschutzrechte, geschweige denn Mitbestimmungsrechte.
  • Sie können keine Vertretung wählen und das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ist ihnen verwehrt. Andauernden Verstößen gegen das Arbeitsschutz- und Arbeitszeitgesetz sind so Tür und Tor geöffnet.
  • Seit dem 1. Januar 2017 sind die Förderbeträge an den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro brutto je Stunde angepasst.
  • Die maximale Arbeitszeit beträgt 30 Wochenstunden und wird mit insgesamt 1.370 Euro gefördert, inklusive der Anteil der Unternehmer zur Sozialversicherung. Der Beschäftigte bekommt damit einen Bruttolohn von 1.125 Euro, netto sind das 880 Euro. Es besteht die Möglichkeit, die Menschen nur 25, 20 oder 15 Wochenstunden zu beschäftigen, dann beträgt der Nettoverdienst noch 734, 589 bzw. 445 Euro.
  • Der Anteil des Sozialversicherungsbeitrags für die Beschäftigten ist nicht vollständig, es werden dabei nur die Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung entrichtet. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden nicht gezahlt, denn dies soll „Fehlanreize zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit Drehtüreffekte im Leistungsbezug“ vermeiden. Will heißen, dass die Beschäftigten keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld I erwerben und so die Maßnahme nicht vorzeitig, finanziell abgesichert, verlassen können.
Gewinner dieser Programmgestaltung sind die Anstellungsträger und Unternehmen:
  • Es gibt mittlerweile viele Menschen die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 7 und 8 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, finden sich nun im Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ wieder und bilden mit dieser Rotation die Reservekräfte am örtlichen Arbeitsmarkt.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat auch schon in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Maßnahme- bzw. Anstellungsunternehmen Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechten Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die „Programmkräfte“ erledigen lässt. Diese Menschen werden dann noch in privaten Haushalten eingesetzt, die dann für eine Stunde Reinigungsarbeit 18,00 – 20,00 Euro zuzüglich Fahrtkosten an den Maßnahme- bzw. das Anstellungsunternehmen zahlen müssen.
  • Es werden Menschen als Hilfsarbeiter in Kommunen und privaten Unternehmen verpflichtet, ohne sie durch den Betrieb zu entlohnen. Mehr noch, den Unternehmen werden Arbeitskräfte geschenkt, wobei die Disziplinierung, Einarbeitung und Überwachung von außen geschieht, ohne dass der Arbeitsschutz und das Arbeitsrecht zur Anwendung kommen.

 

Die Arbeitsmarktakteure in den politischen Parteien und der Arbeitsverwaltung nennen das Ganze dann „Sozialer Arbeitsmarkt“. Zynischer geht`s nicht mehr.

 

Quelle: BA, Jobcenter

Bild: ver.di

 Weitere Informationen

Be­kannt­ma­chung För­der­richt­li­nie für das Bun­des­pro­gramm "So­zia­le Teil­ha­be am Ar­beits­markt" [PDF, 497KB] Stand 2015

Fra­gen und Ant­wor­ten zur Durch­füh­rung des Bun­des­pro­gramms So­zia­le Teil­ha­be am Ar­beits­markt (Stand: 02. De­zem­ber 2015) [PDF, 291KB]

Teil­neh­men­de Job­cen­ter am Pro­gramm "So­zia­le Teil­ha­be am Ar­beits­markt" seit 2015 [PDF, 125KB]

Teil­neh­men­de Job­cen­ter am Pro­gramm "So­zia­le Teil­ha­be" ins­ge­samt [PDF, 258KB]

An­pas­sung der För­der­be­trä­ge an die Er­hö­hung des Min­dest­loh­nes zum 1. Ja­nu­ar 2017 [PDF, 24KB]