Bundesweite Aktionen gegen die Missstände in den Jobcentern und gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung – aber in Dortmund ist tote Hose

hartz4_materialienUnter dem Motto „AufRecht bestehen“ haben Erwerbslosengruppen Mitte April landesweit in über 20 Städten Aktionen gegen die Missstände in den Jobcentern und das Hartz-IV-Gesetz organisiert, das seit über zehn Jahren Armut und Niedriglöhne fördert. Neben Kundgebungen gab es viele kreative Protestaktionen wie Straßentheater, öffentliche Sozialberatung oder Diskussions- und Informationsveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen, vor Jobcentern, Rathäusern oder Parteibüros. Angeprangert wurden die skandalösen Verhältnisse in den Jobcentern und die fehlgeleitete Sozialpolitik der letzten 10 Jahre, die Ausgrenzung, ungesicherte Beschäftigung und Niedriglöhne gebracht hat. Das alles ist an Dortmund weitgehend lautlos vorbei gerauscht.

Die zunehmende Verarmung und gesellschaftliche Ausgrenzung von Erwerbslosen, die als Alleinstehende mit 399,00 Euro im Monat über die Runden kommen müssen und die immer schwieriger werdende Wohnsituation der Menschen, die dauerhaft von Sozialleistungen leben müssen, sind nur eine Seite der Entwicklung seit der Hartz-Gesetzgebung vor 10 Jahren. Die andere Seite ist der zunehmende Zwang, jede Arbeit und jede noch so sinnlose Maßnahme annehmen zu müssen und bereits bei kleinsten Verstößen, den drakonischen Strafen im Hartz-IV-Sanktionssystem ausgesetzt zu sein.

Hinzu kommt für die Betroffenen die Situation in den Jobcentern, mit den unzumutbaren Bearbeitungszeiten, unfreundlichem Umgangston, massenhaft verloren gegangenen Briefen und Unterlagen, vorenthaltene Leistungen oder schlechter Beratung, mit der die gesetzlichen Vorgaben unterlaufen werden. Die Zustände in den Jobcentern sind seit langem bekannt. Offensichtlich fehlt es an politischem Willen, die Mangelverwaltung dort abzustellen.

Hartz IV hat die Gesellschaft gravierend verändert und die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.

Die Erwerbslosengruppen stellen das Hartz-IV-System insgesamt in Frage. Außerdem wollen sie nicht zulassen, dass die schwarz-rote Koalition weitgehend unbemerkt weitere Verschlechterungen durchsetzt, die zurzeit unter dem Schlagwort „Rechtsvereinfachung“ diskutiert werden.

Mit dem Aktionstag „AufRecht bestehen“ wollten die Erwerbslosengruppen Missstände öffentlich machen und aufzeigen, wie der abschreckende Charakter von Hartz IV indirekt auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schadet.

In Dortmund war es während der Aktionstage weitgehend ruhig. In der WAZ vom 17.04.2015 ist ein Foto abgedruckt mit sechs Personen, die vor der Agentur für Arbeit Flugblätter im Namen von Sozialforum Dortmund und ver.di-Erwerbslosenausschuss verteilen. Mindestens zwei der Akteure sind langjährig unbefristet beschäftigt und werden tarifgemäß bezahlt. Ein weiterer Demonstrant lebt von der üppigen und wohlverdienten Professorenpension. Ein anderer führt die Geschäfte eines gemeinnützigen Instituts.

Wo waren denn die Erwerbslosen, um die es ja eigentlich gehen sollte und die auf die Missstände in den Jobcentern und das Hartz-IV-Gesetz aufmerksam machen wollten.

Ist es denn nicht ehrlicher, öffentlich zu machen und zu diskutieren, dass es in Dortmund keine aktiven Erwerbslosengruppen und -initiativen mehr gibt und die Gründe dafür aufzuzeigen.

In einer Stadt mit den Quotenspitzenplätzen bei Arbeitslosigkeit, Armut und Überschuldung geht es derzeit vor allem um einen Trainerwechsel und um einen unteren Tabellenplatz ihres Fußballvereins, bei dem die hochbezahlten Kicker den Leuten bei wenig Brot auch noch schlechte Spiele liefern.

Dass es diese Ruhe gibt, liegt auch daran, dass die Erwerbslosen seit über 30 Jahren eingehegt und jegliche Selbstorganisation im Ansatz bekämpft werden.

Den Initiativen wurde in Dortmund von Anfang an abgesprochen, dass sie sich selbst für ihre Interessen einsetzen können. Vor allem nahm die Evangelische Kirche in den 1980er Jahren die Domestizierung der Gruppen in die Hand und machte die Arbeit/Arbeitslosigkeit zu ihrem zentralen Thema. Gleichzeitig verwehrte sie in ihren eigenen Reihen ihren Beschäftigten gänzlich die gleichen Rechte, wie z.B. das Streikrecht und Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie im öffentlichen Dienst üblich.

Diese Einhegungspolitik hat mit dazu geführt, dass von den über 30 Initiativen in den 1980er Jahren in Dortmund derzeit noch 2 (Dortmunder Selbsthilfe, Arbeitsloseninitiative Dortmund-ALIDO) übrig sind. Beide sind auch aus Altersgründen der aktiven Mitglieder allerdings nur noch bedingt arbeitsfähig. Den anderen ist, auch wegen der zu starken kirchlichen Umarmung die Luft ausgegangen. Aber so hat man es geschafft, über die ganzen Jahre hinweg, jegliche Ansätze von Selbstorganisation und eigenständiger Artikulation der Erwerbslosen in Dortmund im Keim zu ersticken.

Auch sind die Funktionsträger im Verein des Arbeitslosenzentrums (ALZ) über die letzten 30 Jahre auch im Großen und Ganzen die gleichen eitlen „Persönlichkeiten“ aus dem überwiegend kirchlichen Bereich geblieben, die die ALIDO als folkloristische Gruppe aus vergangenen Tagen existieren ließen. Wenn jetzt auch noch die Trägerschaft des ALZ in die Hände der Arbeiterwohlfahrt gelegt wurde, ist eine Interessenkollision schon vorprogrammiert und ein unabhängiges Beratungsangebot für erwerbslose Menschen äußerst fraglich.

Wo waren denn die sozialpolitisch engagierten Menschen in Dortmund – einmal von denen, die im Dortmunder Sozialforum aktiv waren, abgesehen – als im Jahr 2004 deutlich wurde, was die Hartz-IV-Gesetzgebung zum Jahresanfang 2005 für die Erwerbslosen bringen würden. Es war damals kaum möglich, die Parteien, Gewerkschaften und Verbände in Dortmund für das Thema zu sensibilisieren. Alle klebten der rot-grünen Bundesregierung an den Lippen, die versprach, mit dem „Fordern und Fördern“ der Hartz-IV-Gesetze die Zahl der Erwerbslosen drastisch zu senken. Niemand wollte es wahr haben, dass dies nur durch die Drohkulisse „in Hartz-IV zu landen“, mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und dem massiven Ausbau eines Niedriglohsektors einher gehen sollte.

Bei etwa 40 000 Menschen ohne Erwerbsarbeit, davon rund 20 000 Langzeitarbeitslosen, die seit Jahren „in Hartz IV festsitzen“ und der zunehmenden Zahl von Geringverdienern, die auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen sind, ist es ein Skandal, dass diese Menschen keine Möglichkeit haben, sich zu artikulieren.

Hinzu kommt, dass auch in Dortmund die Beratungsangebote in den vergangen Jahren permanent abgebaut, Fachberatungspersonal gestrichen wurde und so das gesamte fachliche Wissen den Bach herunter ging. Der Druck auf die verbliebenen Beratungsstellen ist ungeheuer groß geworden, der Großteil der Anfragen muss abgewiesen oder die Sprechstunden nur für eine festgelegte Anzahl von Ratsuchenden angeboten werden.

Die Erfolge der Ratsuchenden vor den Sozialgerichten sind der Gerichtsbarkeit und den Jobcentern zu viel geworden, das Beratungs- und Prozesskostenrecht ist zum 01.01.2014 ausgehöhlt worden, die Insolvenzordnung wurde gläubigerfreundlicher „reformiert“ und die Sanktionspraxis der Jobcenter wurde noch mehr verschärft.

Die Träger der Beratungsstellen haben ihre Anwaltsfunktion längst aufgegeben, der Andrang vor allem von zugewanderten Ratsuchenden ist ihnen oftmals einfach nur lästig.

Es ist an der Zeit, dass in Dortmund die Menschen wieder damit beginnen, sich selbst zu organisieren und eigene Interessenvertretungen zu gründen.

 

Quelle: Kampagne „AufRecht bestehen“ Die Kampagne wird auf Bundesebene getragen und koordiniert von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) und dem Regionalverbund Weser-Ems, der Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen (BAG PLESA), dem Netzwerk und der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), Tacheles e.V. Wuppertal und den ver.di-Erwerbslosen.

Bild: winboard. org