Feindbild Gewerkschaft – wie Medien über Tarifkonflikte berichten

Bei Tarifkonflikten, die in der Öffentlichkeit spürbar sind, vermitteln etliche Zeitungen den Eindruck, dass die öffentliche Ordnung gestört wird. Zudem bewerten viele Journalisten die Angebote der Arbeitgeberseite tendenziell wohlwollender als die Forderungen der Gewerkschaften. Zu diesen Schlüssen kommt eine aktuelle Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung.Warum erlangen manche Tarifauseinandersetzungen hohe Aufmerksamkeit, während andere kaum Beachtung finden? Welche Faktoren beeinflussen die mediale Darstellung? Wieso stehen manche Tarifkonflikte in einem günstigeren Licht, während andere eher Ablehnung erfahren?

Journalisten, so ein erstes zentrales Ergebnis der neuen OBS-Studie über „Tarifkonflikte in den Medien“, konzentrieren sich vor allem auf solche Tarifauseinandersetzungen, deren Konsequenzen in der breiten Öffentlichkeit spürbar sind. Ist das der Fall, wird kontrovers diskutiert und problematisiert. In der Berichterstattung wird der Eindruck erweckt, es sei an den Gewerkschaften, die Auseinandersetzung beizulegen. Dieses Bild wird vor allem im Boulevard, aber auch in den Qualitätszeitungen präsentiert.

Ob Kita-, Post- oder Pilotenstreiks: Tarifkonflikte dominierten in den vergangenen Jahren immer wieder die Schlagzeilen der großen deutschen Tageszeitungen; einige Medien riefen sogar die „Streikrepublik“ aus. Der mediale Widerhall anderer Tarifkonflikte fiel weitaus geringer aus. Welche Faktoren das mediale Bild von Tarifpolitik prägen und dafür verantwortlich sind, dass manche Auseinandersetzungen prominent im Rampenlicht stehen, identifiziert eine aktuelle Studie, die von der Otto Brenner Stiftung veröffentlicht wurde.

Christina Köhler und Pablo Jost, Kommunikationswissenschaftler am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, haben erstmals auf breiter Basis die Berichterstattung von Qualitäts- und Boulevardzeitungen und der Deutschen Presseagentur über Tarifkonflikte untersucht. Dabei nehmen die Autoren insgesamt neun sehr unterschiedliche Tarifauseinandersetzungen in den Blick. Ergänzt wird ihre Analyse der Medienberichterstattung durch eine Untersuchung der Pressemitteilungen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.

Ein zentraler Befund der Studie betrifft die Kommunikationsstrategie der Tarifakteure und deren Wirkung auf die mediale Darstellung. Die Gewerkschaften, so die Beobachtung des Mainzer Forscherduos, machen den Journalisten wesentlich mehr Kommunikationsangebote und gestalten diese personalisierter, emotionaler und konflikthaltiger als die Gegenseite. Die Arbeitgeberverbände konzentrieren ihre Pressearbeit hingegen vor allem auf Streikphasen – „vermutlich, um einen kommunikativen Gegenpol zu den öffentlichkeitswirksamen Streikaktionen der Arbeitnehmerseite zu schaffen“, resümieren Köhler und Jost.

Die Strategie der Gewerkschaften scheint sich jedoch, so ein weiteres wichtiges Ergebnis der Auswertung, nicht unmittelbar in der Berichterstattung niederzuschlagen: Journalisten bewerten die Angebote der Arbeitgeberseite tendenziell wohlwollender als die Forderungen der Gewerkschaften. Zwar warnen die Kommunikationswissenschaftler vor voreiligen Schlüssen, denn neben der positiveren Bewertung der Arbeitgeberangebote finden sich in der Berichterstattung auch weitaus mehr Gewerkschaftsakteure. Trotzdem scheinen die Möglichkeiten der Tarifparteien, die mediale Darstellung der Konflikte in ihrem Sinne positiv zu beeinflussen, begrenzt zu sein.

Darüber hinaus identifizierten die Forscher Unterschiede in der Darstellung zwischen verschiedenen Tarifkonflikten: Dominiert wird das mediale Bild der Tarifpolitik von besonders konfliktträchtigen Auseinandersetzungen. So wurde beispielsweise über die Piloten- und Lokführerstreiks in den Jahren 2014 und 2015 intensiv, kontrovers und kritisch berichtet. Hier standen aber die Arbeitskampfmaßnahmen und insbesondere deren negative Konsequenzen für die Bevölkerung im Fokus der Berichterstattung. Bei Auseinandersetzungen, von deren Folgen weniger Menschen direkt betroffen sind, stehen hingegen durchaus auch mal die Interessen der Arbeitnehmer im Vordergrund. Konfliktträchtigkeit und die Auswirkungen eines Konflikts für die breite Öffentlichkeit, so die Bilanz der Studie, stellen sich als die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für die mediale Darstellung von Tarifkonflikten dar.

Insgesamt kommen Christina Köhler und Pablo Jost zu dem Schluss, dass die Medien in ihrer Berichterstattung über Tarifkonflikte ein sehr konfliktträchtiges und kritisches Bild der Tarifpolitik zeichnen. Vor allem die Konzentration auf Warnstreiks und Streiks vermittelt den Eindruck, die öffentliche Ordnung würde gestört. „Dies könnte für beide Tarifakteure Konsequenzen haben, sind sie doch auf öffentliche Unterstützung angewiesen, wenn es etwa darum geht, Arbeitnehmer zum Streik zu mobilisieren oder rückläufige Mitgliederzahlen bei Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften einzudämmen“, schlussfolgern die Kommunikationswissenschaftler.

Laut Otto Brenner Stiftung erlaubt die Untersuchung den involvierten Tarifakteuren „erstmals einen fundierten Blick aus der Vogel- oder Außenperspektive“. OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand sieht in der innovativen Studie eine Grundlage für die Tarifparteien, „Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Öffentlichkeitsarbeit im Lichte ihrer Ansprüche und Ressourcen zu reflektieren“.

 

Christina Köhler, Pablo Jost: Tarifkonflikte in den Medien – Was prägt die Berichterstattung über Arbeitskämpfe? OBS-Arbeitsheft 89; Frankfurt/Main 2017 

 

Studie kostenfrei bestellen, lesen, downloaden: www.otto-brenner-stiftung.de oder

 Download der Studie auf der OBS-Seite...