Das kam ja wie gerufen – Instrumentalisierung der Silvesternacht in Köln im Lauf des Januars 2016

maxresdefaultEinige Medienvertreter meinten, die Vorfälle in der Silvesternacht hätten das Zeug dazu, eine Wende in der deutschen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik auszulösen. Sollte das eine Prophezeiung sein oder ist hier eher der Wunsch der Vater des Gedankens.

Tatsache ist, dass in den folgenden vier Wochen Politik und Medien und zwar das gesamte politische und mediale Spektrum die Stimmung aufheizten und sich ganz offen rassistischer Muster bedienten.

Die bürgerlichen, weißen Männer in Mitteleuropa, so um das 50. Lebensjahr herum, das sind die Menschen, für die es die Menschenrechte gibt, bestimmten im Monat Januar wer schutzwürdig ist und wer nicht, wo Rassismus beginnt und das Sicherheitsbedürfnis aufhört, wer bei der Gewaltausübung gegen Frauen sanktioniert wird und wer nicht und welche Sicherheitsvorkehrungen für das Volk notwendig und gut sind.

Sie tun so, als würde es ihnen um sexuelle Gewalt gehen, doch eigentlich bedienen sie ihre eigenen rassistischen Ressentiments. Diejenigen Frauen, die Opfer der Übergriffe wurden, machten diese Rassisten ein zweites Mal zum Objekt, weil sie diese Frauen zur Bestätigung ihres Hasses gegenüber den „Fremden“ benutzten.

Die politische Instrumentalisierung der Silvesternacht nach rechts außen hin war im Januar gut zu beobachten – einigen politischen Parteien und vielen Medien schien die Entwicklung nicht nur recht zu sein, sie halfen kräftig dabei mit.

Im Folgenden werden einige Beispiele für die Instrumentalisierung der Vorfälle in der Silvesternacht von Köln benannt:

  • Heiko Maas, Bundesjustizminister spricht Anfang Januar von 1.000 Tätern, auf Nachfrage räumt er ein, es könnten auch 500 gewesen sein und mahnt, selbst wenn es 100 gewesen wären, wären es 100 zu viel und betont, dass nun durchgegriffen werden muss. Für einen Bundesminister der Justiz schon starker Tobak, solche Zahlenspielchen aufzuführen
  • Die organisierte Rechte konnte beruhigt zuschauen, wie die Stimmung in ihrem Sinne kippte. Denn plötzlich wollte jeder das Land abschotten und die Flüchtlinge so schnell wie möglich loswerden. Auch Donald Trump, der Kretin im Kostüm des US- Präsidentschaftskandidaten meldete sich und sagte, Deutschland erlebe jetzt massive Angriffe auf seine Bevölkerung, ausgeführt von Einwanderern, die ins Land gelassen wurden. Er rief dazu auf, Muslimen prinzipiell die Einreise in die USA zu verwehren.
  • Mitte Januar soll ein junges Mädchen von Migranten entführt worden sein, dies führt sogar zu diplomatischem Geplänkel zwischen Russland und Deutschland. Ende Januar wurde bekannt, dass sich das Mädchen aufgrund schulischer Probleme bei Bekannten aufgehalten hatte.
  • Öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehanstalten füllten ihre Nachrichtensendungen und Tagesmagazine im Januar vollkommen mit Berichten, die das Thema Sicherheit, Polizeieinsätze und vermeintlich kriminelle Flüchtlinge als Dauerschleife präsentieren.
  • Die Maghrebstaaten werden als „Sichere Herkunftsländer“ definiert und soll die jungen Menschen aus und in diesen Staaten treffen, die seit der Silvesternacht unter Generalverdacht stehen. Ein Akt, der die Willkür der Bundesregierung an den Tag legt und zeigt, dass Deutschland sich das Recht nimmt, innenpolitische Situation in anderen Staaten nicht nur subjektiv zu analysieren, sondern pauschal den Stab über Verfolgte zu brechen. Hier wiederholt sich das Vorgehen wie schon in den südosteuropäischen Staaten, um die Roma, die dort nachweislich systematisch verfolgt werden, schnell wieder ausreisen zu lassen.
  • Auf das Schauspiel mit der Rollenverteilung Kanzlerin good cop – Seehofer/CSU bad cop, fällt fast die gesamte Bevölkerung herein, welcher politischen Grundhaltung und Ausrichtung auch immer.
  • Während des zweiten Januarwochenendes hat sich der Bundesvorstand der CDU getroffen und beschlossen, dass auch die Verfassungsschutzämter auf unsere Daten zugreifen dürfen und zwar ohne Anlass und auf Vorrat. So können, wenn es nach der CDU geht, unsere Daten nicht nur den üblichen einheimischen Behörden zur Verfügung stehen, die sich untereinander austauschen können, sondern sie sollen auch den Geheimdiensten in aller Welt zugänglich sein. Eben dieser CDU-Bundesvorstand, dem Frau Merkel vorsitzt, gab in der zweiten Januarwoche seine „Mainzer Erklärung“ ab, worin unter dem Stichwort „Zur Sicherheit“ der Polizeistaat weiter ausgebaut und die „Willkommenskultur“ vollends abgebaut wird. Die Schleierfahndung, d.h. verdachtsunabhängige Personenkontrollen sollen in allen Bundesländern ausgedehnt werden. Auf und im Umfeld von Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln sollen flächendeckend Videokameras eingesetzt werden. Wer sich gegenüber polizeilichen Einsatzkräften „grob ungebührlich und respektlos“ verhält, muss mit schärferen Ordnungsstrafen rechnen. Die Sicherheitsbehörden des Bundes sollen um 4.000 Stellen verstärkt und ihre Ausrüstung erheblich verbessert werden. Kanzlerin Merkel verkündete während der Tagung, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen in kurzer Frist erheblich zu reduzieren sei. SPD-Vizekanzler Gabriel und SPD-Justizminister Maas haben der neuen Richtung öffentlich zugestimmt.
  • Seit Mitte Januar wurde damit gedroht, den Jecken auch den Straßenkarneval aus Sicherheitsgründen zu verleiden. Falls er stattfindet, sollen z.B. in Düsseldorf neben den aufgestockten Polizeikräften 100 Angestellte des Ordnungsamts extra eingesetzt, die von 120 „versierten Kräften eines privaten Sicherheitsdienstes“ unterstützt werden. Begleitet von zusätzlich einem Dutzend Bereitschaftsrichtern, die die „beschleunigten Strafverfahren“ durchziehen sollen, unterstützt durch eine flächendeckende Videoüberwachung.
  • Mitte Januar sind in den Waffengeschäften Pfefferspray und Schreckschusswaffen ausverkauft. Die Polizei berichtet von einer Flut von Anträgen verängstigter Bürger auf dem „kleinen Waffenschein.“
  • Am 28. Januar wird ab 5.30 Uhr eine „Razzia gegen Asylmissbrauch“ in einer Asylbewerber Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund durchgeführt, bei der einige Hundertschaften der Bereitschaftspolizei besonders „allein reisende“ Männer aus Nordafrika im Visier haben. Die Polizei rechnet mit mindestens 80 „Zielpersonen, traf aber nur 46 von diesen Personen an, die zur Identitätsfeststellung ins Präsidium verbracht wurden. Bilanz der Aktion am 29. Januar: Ein Mann wurde mit Abschiebehaftbefehl erwischt, ein weiterer soll über fünf verschiedene Identitäten verfügen und versucht haben, Sozialleistungen zu bekommen. Ein dritter „besitzt drei Handys und sagt nicht woher“. Das war es auch schon. Man muss das mal langsam betrachten: da marschieren in vollem martialischen Kampfanzug Hundertschaften Bereitschaftspolizei in eine Einrichtung, in der Flüchtlinge, zum Teil schwer kriegs- und /oder foltertraumatisiert, als Erstes in Deutschland ankommen und gemäß Gesetzen Schutz und Sicherheit erhalten müssen, um dort für zwei bis drei Tage verschnaufen können und dann weiter verteilt werden.
  • Sukzessiv wurden Gerüchte geschürt und verstärkt, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen eingesickert seien, die Anschläge planen würden. Aus diesem Grund wurden Fahndungen in zahlreichen Flüchtlingsunterkünften in Nacht- und Nebelaktionen durchgeführt. All das wird von geifernden Presseberichten begleitet, die dann die Stimmungsmache noch verstärken.
  • Da wird eine Änderung der Asylgesetzgebung durchgepeitscht, die nach den Progromen von Rostock und anderen Städten das 1993 schon zur Unkenntlichkeit zerfledderte Grundrecht auf Asyl, noch mehr einschneidet. Drei Wochen nach Silvester liegt ein Gesetzentwurf vor, der eine schneller Abschiebung „krimineller Ausländer“ sorgen soll und den Familiennachzug einschränkt. Kein Wort zur „Bekämpfung der Fluchtursachen“, sondern mit dem Asylpaket II wird eine weitere Verschärfung des Asylrechts auf den Weg gebracht. Ende Januar haben sich die Parteivorsitzenden der CDU, CSU und SPD auf das Maßnahmenpaket geeinigt. Nun soll es im Eiltempo Gesetz werden. Es hebelt für viele Flüchtlinge ein faires Asylverfahren aus, schränkt den Familiennachzug ein und bagatellisiert gesundheitliche Abschiebungshindernisse. Statt fairer Asylverfahren drohen vielen Asylsuchenden künftig einwöchige Eilverfahren, in besonderen Aufnahmezentren, in denen sie kaum Zugang zu einem Rechtsschutz haben. Kranke und Traumatisierte sollen künftig schneller abgeschoben werden können. Das neue Gesetz soll auch Familien von subsidiär Geschützten treffen. Für sie bleibt der Familiennachzug nach ihrer Anerkennung zwei Jahre lang ausgesetzt. Weil sie erst nach Jahren mit dem Familiennachzug nachkommen dürfen, werden immer mehr Frauen und Kinder auf die gefährliche Route über die Ägäis getrieben.
  • Die gleichen Leute, die vor einigen Monaten noch Willkommenskultur spielten, sind nun froh, dass endlich mal richtig gegen die Araber bzw. Nordafrikaner vorgegangen wird. 
  • Das NRW-Innenministerium registrierte allein im Monat Januar 2016 im Bundesland offiziell 33 rechtsextrem motivierte Übergriffe auf Flüchtlingsheime, das sind mehr als im gesamten Jahr 2014 mit offiziell insgesamt 25 Fällen.
  • An den letzten Januartagen gibt die AfD-Vorsitzende bekannt, dass, falls es erforderlich ist, der Einsatz von Schusswaffen als „Ultima Ratio“ im Kampf gegen Flüchtlinge sein muss. Ihre Stellvertreterin stimmt zu, dass „Frauen mit Kindern an der grünen Wiese der Zutritt mit Waffengewalt verhindert werden sollte“.

 

Hat man nicht schon in der Silvesternacht einiges laufen lassen? Ob vorsätzlich oder ungewollt, ist nicht bekannt geworden. Fest steht, die Polizei hat nirgendwo entschieden eingegriffen.

Die Auswirkungen haben zumindest eine Wende in der deutschen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik erzeugt, wenn nicht sogar eine politische Zäsur gebracht.

Wer Zuwanderungspolitik und das Grundrecht auf Asyl mit Sicherheitspolitik verknüpft und damit Ängste erst schürt, darf sich nicht wundern, wenn die Wähler lieber das Original nehmen, die rechten Parteien Zulauf erhalten und der rassistische Mob von Bürgern mit „berechtigten Ängsten“ aus dem Ruder läuft.

 

Quelle: WAZ, wdr, Tagesschau.de

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