Die Bertelsmannisierung der Hochschullandschaft geht weiter: Universität Witten-Herdecke war die erste private Hochschule in Deutschland – die Studierenden sitzen in der Schuldenfalle

Die Universität Witten-Herdecke wurde 1983 als erste private Hochschule in Deutschland gegründet. Für die Menschen im Ruhrgebiet wurde diese Universität schnell zu etwas Besonderem.

Einmal für die Patienten, die dort in der Uniklinik ganzheitlich und behutsam behandelt und in das Behandlungskonzept aktiv einbezogen wurden, zum anderen auch für die jungen Menschen, die dort das Medizinstudium aufnehmen konnten, auch wenn der Abiturdurchschnitt nicht so gut war. Es kam für die Aufnahme dort eher auf die Persönlichkeit des Einzelnen an und auf seine Motivation, diesen Studiengang zu wählen.

Kaum jemand war bekannt, dass mit den Geldern und der ideellen Unterstützung der Deutschen Bank, der Krupp-, der Zeit- sowie der Bertelsmann-Stiftung in Witten- Herdecke eines der ersten Versuchslabore für den Umbau der Hochschullandschaft errichtet wurde.

Im politischen Berlin wird in der letzten Zeit intensiv an der Privatisierung von staatlichen Leistungen gearbeitet. Im Gegensatz zu den Autobahnprivatisierungen steht die Privatisierung des Sozial- und Bildungsbereichs nicht im Licht der Öffentlichkeit. Die aktuellen Entwicklungen in Sachen „Kommunalisierung“ oder zur Schaffung von „Bildungsregionen“ zielen mit ihrem Vernetzungsaktionismus darauf ab, bereits vorhandene private Sozial- und Bildungsinstitutionen gleichberechtigt neben die öffentlichen Angebote zu stellen, die es teilweise schon gar nicht mehr gibt, weil öffentliche Angebote zugunsten privater massiv abgebaut worden sind.

Das Ziel solcher zunächst lokalen Aktionen ist wohl, dass die Bevölkerung sich daran gewöhnt, dass die Kostenstellen für die sozialen Bedürfnisse des Gemeinwesens entweder billig ins Ehrenamt abgeschoben oder von privatwirtschaftlichen Aktivitäten aufgefangen und der privaten oder Gebührenfinanzierung und damit der Profitorientierung preisgegeben werden.

Diese Bemühungen werden von den großen Stiftungen kräftig unterstützt, die das gleiche Ziel verfolgen und zeigen wollen, dass Privat vor Staat geht.

Ganz früh schon, nämlich 1983 wurde in diesem Sinne die erste private Hochschule in Deutschland gegründet.

Eines der ersten Versuchslabore für den Umbau der Hochschullandschaft

Die Universität Witten-Herdecke wurde 1983 als erste private Hochschule in Deutschland unter anderem von den Anthroposophen und Elite-Sprösslingen  Gerhard Kienle und Konrad Schily mit finanzieller und ideeller Unterstützung der Deutschen Bank, der Krupp-, der Zeit- sowie der Bertelsmann-Stiftung gegründet.

Die Motive der Finanzgeber für das Engagement sind bekannt. Es geht darum, Bildung als Ware zu handeln und aufzuzeigen, dass Bildung eben nicht nur staatlich, sondern auch privat finanziert funktioniert.

Die Bildungseinrichtung Universität Witten-Herdecke sollte von Anfang an ein Labor für neoliberale Möglichkeitsräume und damit ein Gegenüber für das staatliche Bildungssystem darstellen, das schon von Wirtschaftslobbys und transnationalen Konzernen wie Bertelsmann durchdrungen ist.

Elitenbildung und Privatisierung staatlicher Leistungen liegen im Trend der neoliberalen Vordenker und diese Ideen werden von den Medien gepusht, finden regelmäßig Gehör in Bildungs-Magazinen, im Radio wie im Deutschlandfunk oder in Zeitungen wie Die Zeit, die mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zusammenarbeitet und ein Mal im Jahr dessen Hochschulranking, der Konkurrenzveranstaltung der Bildungseinrichtungen, veröffentlicht.

Bertelsmanisierung der Hochschullandschaft

Die Universität Witten-Herdecke wird vom Bertelsmann-Konzern, auch aufgrund des direkten Zugriffs durch die konzerneigene Stiftung völlig dominiert. Die Stiftung hat im Jahr 2010 ein eigenes Institut als integraler Bestandteil der Hochschule eingesetzt. Es trägt den Namen „Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance (RMI)“ und hat inzwischen zwei Honorarprofessoren und insgesamt 12 Mitarbeiter, alles von der Stiftung finanziert.

Im Kuratorium der Universität sitzen die Bertelsfrauen Brigitte und Liz Mohn sowie Aart De Geus, der Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Liz Mohn, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung sagt: „Die Reform des Bildungswesens lag meinem Mann immer sehr am Herzen. Es geht schließlich darum, dass private Hochschulen den Wettbewerb beleben und wichtige Reformimpulse geben können“. Der Umbau der staatlichen Hochschullandschaft ist das erklärte Ziel.

Studiengebühren werden zu Beiträgen und Gebühren

Die Uni Witten-Herdecke hat heute insgesamt rund 2.400 Studierende, für die das Studieren zu einer teuren Sache wird. u

Es gibt mehrere Finanzierungsmodelle zur Auswahl.

  • Man kann beispielsweise pauschal nach 4 Semestern Studium im Beruf 10 Jahre lang jeweils etwa 4,5 – 14 Prozent des Einkommens an die Uni Witten-Herdecke zurückzahlen.
  • Man kann eine monatliche Studiengebühr von 464 bis 1.100 Euro, je nach Studienfach, sofort zahlen.
  • Die Gebühren sind entsprechend der Humankapital-Ideologie danach gestaffelt, wie hoch die Gehaltserwartungen der Studierenden bei Eintritt in den Arbeitsmarkt sind. Die Studiengebühren betragen also für den „Billig“-Studiengang „Philosophie & Kulturreflexion“ für ein Semester (bzw. sechs Monate) 2.784 Euro und für ein exquisiteres „MA Management (extern)“ 6.600 Euro pro Semester.

Hinzu kommen dann noch die Lebenshaltungskosten für die Studierenden.

Im Sprachgebrauch der Uni Witten-Herdecke gibt es das Wort „Studiengebühren“ nicht. Die realen Studiengebühren nennt man dort verschleiernd „Gebühren“. Die GLS-Bank in Bochum hilft der Universität Witten-Herdecke dabei, diese Version der Wahrheit über die Studiengebühren zu verbreiten: „Wer Privatuni hört, denkt schnell an große Geldbeutel und abgeschirmte Elite. Die Gründer der Universität Witten/Herdecke hatten aber ganz anderes im Sinn“.

GLS-Bank

Die GLS-Bank ist aber nicht nur für Schönfärberei zuständig, sondern auch für die Finanzierung des speziellen Modells von Studiengebühren an der Universität Witten-Herdecke. Dafür wurde eine Anleihe über die GLS-Bank aufgesetzt, was dann so funktioniert: Über einen Zeitraum von 10 Jahren wird Geld von Anlegern für 3,6 Prozent jährlichem Zins geliehen, nach 10 Jahren wird das Geld an die Anleger zurückgezahlt. So verdient die GLS-Bank Geld mit der Verschuldung von Studierenden durch die Zahlung von Studiengebühren an einer privaten Hochschule.

Dabei ist die GLS Bank einmal ganz anders gestartet.

Die 1974 von einigen Anthroposophen gegründete GLS Gemeinschaftsbank ist eine Genossenschaftsbank und nach eigenen Angaben die erste Ökobank der Welt. Sie hat den Anspruch, nach sozial-ökologischen Grundsätzen zu arbeiten.

Die GLS übernahm Anfang 2003 die Geschäfte der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Ökobank, die aus der Umweltbewegung hervorgegangen war und durch mehrere Übernahmen wurde sie zu einem stattlichen Unternehmen. Zur Unternehmensgruppe der GLS Gemeinschaftsbank eG gehören heute, die GLS Treuhand eine Stiftung, die GLS Crowd GmbH eine Crowdinvesting Plattform, die GLS Beteiligungs AG, die GLS Bank Stiftung, die GLS ImmoWert Gmb und die BioBoden Genossenschaft.

Die Bank finanziert mehr als 11.000 Unternehmen und Projekte pro Jahr, die in Bereichen wie freie Schulen und Kindergärten, regenerative Energien, Behinderteneinrichtungen, Wohnen, nachhaltiges Bauen und Leben im Alter tätig sind.

Überschuldung der Studierenden beginnt schon während des Studiums

Zu den Studiengebühren kommen noch die Lebenshaltungskosten hinzu, für deren Deckung viele Studierende ohnehin schon Bafög beziehen und sich auch dort verschulden müssen.

Die Studiengebühren sind also eine massive Zusatzbelastung, ob sie nun direkt oder nach dem Studium gezahlt werden müssen, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Fakt ist, dass die Kosten für das Studium, das eigentlich allen Menschen in der Gesellschaft unentgeltlich zustehen sollte, hier privat finanziert werden müssen.

Während es bis Mitte der 1970er Jahre bei dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) noch Erweiterungen der Förderungsvoraussetzungen und strukturelle Verbesserungen gab, wurde dann der Kreis der Anspruchsberechtigten und die Ausgestaltung der Förderung immer wieder verändert. So ging man bei der Förderung von Studenten von der Vollförderung auf eine Mischförderung durch Zuschuss und Grunddarlehen über und für Schüler, insbesondere an allgemeinbildenden Schulen, wurde die Leistung von einengenden Voraussetzungen abhängig gemacht.

Im Jahr 1998 erreichte das BAföG seinen Tiefpunkt, es war nur noch für 13 Prozent der Studierenden eine (Teil-)Finanzierungsquelle.

Die Umstellung auf Volldarlehensförderung (1983 bis 1990) bedeutete bei durchschnittlich 10 Semestern Studienzeit bis zu 70.000 DM BAföG-Schulden für die mit dem Höchstsatz geförderten Studierenden. Rund zwei Drittel aller deutschen Absolventen beenden das Studium mit Schulden.

Doch die Schulden am Ende des Studiums sind nicht das vorrangige Problem der Studierenden von heute geworden, sondern die finanzielle Situation während des Studiums.

Untersuchungen, wie z.B. die von Deals.com zeigen, dass die Studierenden auf mehrere Geldquellen angewiesen sind. Die meisten finanzieren sich über ihre Eltern und einen Nebenjob (jeweils 61 Prozent). Jeder Dritte erhält Unterstützung durch BAföG (31 Prozent) und jeder Vierte greift auf eigene Ersparnisse zurück (24 Prozent). Fünf Prozent nehmen einen Kredit auf, um sich ihr Studium leisten zu können. Nach dem Abschluss stehen dann bei zwei Dritteln der Studierenden Schulden an. Im Durchschnitt sind das 8.510 Euro, die zurückgezahlt werden müssen.

Eltern sind die Top-Finanzierer der Studierenden

Die Eltern sind in den vergangenen Jahren zu den Hauptfinanzierern der Studierenden geworden. Wenn diese selbst materiell schlecht dastehen, stehen die Kinder vor dem Aus. Lediglich 16 Prozent der deutschen Studenten finanzieren ihr Studium ganz alleine über Nebenjobs und eigenes Vermögen. Die meisten greifen auf Stipendien, BAföG und vor allem die elterliche Hilfe zurück. Mehr als zwei Drittel der Befragten von Deals.com (69 Prozent) waren davon überzeugt, dass ihr Studium ohne die Unterstützung der Eltern gar nicht möglich gewesen wäre. Viele hätten sich aber sogar noch mehr Unterstützung während des Studiums durch ihre Eltern gewünscht: Ein Drittel der Befragten (35 Prozent) gab an, ihre Kinder – sollten diese studieren – bei ihrem Studium mehr unterstützen zu wollen, als es die eigenen Eltern getan haben.

Die Rückzahlung der Schulden braucht mehr Zeit

Die Rückzahlung der Schulden braucht mehr Zeit als ursprünglich gedacht war. Rund zwei Drittel aller deutschen Studenten beenden das Studium mit Schulden, nur 37 Prozent werden schuldenfrei ins Berufsleben einsteigen. Jeder zweite Verschuldete behauptet, dass die Rückzahlung ihm manchmal Sorgen macht (50 Prozent). 44 Prozent versuchen, regelmäßig Geld zur Seite zu legen, um die Studienschulden schneller abbezahlen zu können.

Lediglich 14 Prozent der Studenten mit Schulden glauben daran, das Geld in dem ersten Jahr nach ihrem Abschluss zurückzahlen zu können. Im Schnitt rechnen die Studierenden mit einer Tilgungsdauer von über vier Jahren, doch fast jeder Vierte (23 Prozent) geht von sechs Jahren und mehr aus.

Am Ende des Studiums haben sich derzeit bei deutschen Studierenden durchschnittlich 8.510 Euro Schulden angehäuft. Bei Medizinern sind es sogar 16.667 Euro Schulden nach dem Studium.

Am schwersten haben es die Geisteswissenschaftler. Diese haben nach den Medizinern den zweitgrößten Schuldenberg (9.918 Euro) und haben mit einem Einstiegsgehalt von 1.479 Euro die geringsten Erwartungen an ihr erstes Einkommen.

Verschuldung während des Studiums hat zugenommen

Die Schulden am Ende des Studiums belasten die Studierenden von heute nicht so, wie die oftmals katastrophale finanzielle Situation während des Studiums.

Studienfinanzierung ist mittlerweile zu einer echten Herausforderung geworden, die nicht jeder leisten kann und aufgibt.

Vor allem kommen jungen Menschen schnell in einen Teufelskreis hinein, da sie

  • mehr Zeit für den Nebenjob aufbringen müssen als für das Studium
  • die geförderte Regelstudienzeit überschreiten müssen
  • Schulden haben, die durch Nebentätigkeiten und Nebeneinkünften bei Finanzämtern und Krankenkassen entstanden sind
  • durch Nebentätigkeiten (z.B. durch Vollzeitjobs in den Semesterferien oder selbständige Tätigkeiten während des Studiums) zu einem höheren Einkommen kommen und damit sich die Forderungssumme der Sozialversicherungsträger erhöhen bzw. Nachzahlungen erhoben werden
  • die öffentlichen Verkehrsmittel nun nicht mehr kostenlos im Zusammenhang mit dem Semester- oder Azubi-Ticket nutzen können
  • nach der Regelstudienzeit auch den Platz im Studentenwohnheim verlieren
  • nicht mehr eine öffentliche Förderung erhalten und sie Studienkredite bei den Banken aufnehmen müssen
  • die Ausgaben für Semestergebühren und Bücher nicht mehr aufbringen können

und die Kosten für Wohnung, Nahrung und weiteren Unterhalt nicht gedeckt werden und sich dann mit schlechter Schufa auf dem Wohnungsmarkt um eine Unterkunft bemühen müssen.

Auch ein Wechsel des Studienfachs kann den finanziellen Abstieg bedeuten. Wenn dann noch zusätzlich der Unterhalt durch die Eltern versickert, sind die jungen Menschen ganz unten angekommen und haben erfahren müssen, dass sie zu den Überflüssigen dieser Gesellschaft gehören. Dieser Kreislauf prägt die konkrete Lebenssituation und macht die jungen Menschen körperlich und seelisch krank.

Die jungen Menschen brauchen Beratung und Unterstützung

Um die jungen Menschen erst gar nicht in das Dilemma hineinlaufen zu lassen, ist kurzfristig eine Beratung zu Beginn des Studiums einzurichten. Auch sollten schnellstens alle staatlichen Angebote wie Bafög, KfW-Studienkredit, Abschlussdarlehen des Bundesverwaltungsamts, Deutschlandstipendium und andere Stipendien gebündelt werden und es entsprechend nur einen Ansprechpartner für die Studierenden geben.

Wie fast alles, ist auch die Bildung zur Ware geworden. Durch die zunehmende Bertelsmannisierung auch des Bildungsbereiches ist die finanzielle Förderung der Studierenden zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden.

Wie lauteten die Forderungen noch vor einigen Jahren:

Freier Zugang zu allen Bildungsangeboten für alle jungen Menschen, von der Kinderkrippe bis zur Hochschule, inklusive ein tägliches, kostenloses und gutes Mittagessen.

 

 

siehe auch: https://gewerkschaftsforum.de/wie-arbeiterkinder-schon-waehrend-des-studiums-in-die-schuldenfalle-getrieben-werden-moeglichst-gleiche-bildungschancen-das-war-einmal

 

Quellen: deals.com, Studierendenwerk Dortmund, GLS-Bank, Bertelsmann-Stiftung

Bild: faz.net