Distomo – 10. Juni 1944: Nicht verjährt, nicht entschädigt, nicht vergessen

Von Arbeitskreis Distomo

Deutschland ist ein schwieriges Land. Es ist das wirtschaftlich und politisch stärkste Land in Europa. Der Reichtum stützt sich auch auf die Tatsache, dass nach dem 2. Weltkrieg die auf der Pariser Reparationskonferenz von 1946 festgelegten Verpflichtungen zur Zahlung nie erfüllt worden sind. Obwohl besiegt, behielt Deutschland das Raubgut, behielt die Vorteile aus der Zwangsarbeit. Für die tausendfachen Morde und die Zerstörung der überfallenen Länder wurde so gut wie nichts gezahlt.

Nur ein sehr kleiner Teil der griechischen Opfer der deutschen Besatzungsmacht erhielt von bundesdeutscher Seite geringe finanzielle Leistungen, etwa aus einem Globalabkommen zwischen Griechenland und Deutschland aus dem Jahr 1960. Von Entschädigungen zu sprechen, verbietet sich schon angesichts der Gesamtsumme von 115 Mio. DM, die an Griechenland gezahlt wurde. Mit Reparationszahlungen hatte dieses „Globalabkommen“ gar nichts zu tun. Und dennoch erklärt die deutsche Regierung immer wieder, dass damit alles abgegolten sei.

Heute, nach 75 Jahren, gibt es immer noch keine Entschädigung für das Verbrechen, dem in Distomo 218 Kinder, Frauen und Männer zum Opfer gefallen sind. Mit allen Mitteln drückt sich Berlin davor, die Schulden in Höhe von 28 Millionen Euro plus Zinsen an die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden zu begleichen, zu deren Zahlung das Landgericht Livadia Deutschland im Jahre 1997 verpflichtet hat. Der Name Distomo steht inzwischen exemplarisch für das verbrecherische Wüten der Deutschen gegen die Zivilbevölkerung während der Besatzung von 1941 bis 1945 und es steht exemplarisch für den Unwillen des heutigen Deutschlands, sich zu seiner Verantwortung durch Zahlung von Entschädigungen zu bekennen. Bei ihren Besuchen beschwören deutsche Politiker die deutsch-griechische Freundschaft, legen Kränze nieder und reden von Trauer – aber zahlen wollen sie nicht!

Deutschland muss zahlen!

Schon 2001 versuchte der Anwalt der Kläger*innen, Rechtsanwalt Ioannis Stamoulis, die Schulden Deutschlands durch Zwangsvollstreckung unter anderem durch die Versteigerung des Goethe-Instituts in Athen einzutreiben. Doch nach Drohungen des deutschen Außenministers wurde die Zwangsvollstreckung durch die griechische Regierung aus „diplomatischen Gründen“ untersagt.

Die insgesamt 296 Kläger*innen haben darum den in Florenz/ Italien ansässigen Rechtsanwalt Dr. Joachim Lau beauftragt, das griechische Urteil in Italien zu vollstrecken. Der Anwalt hat u.a. ein Konto der Deutsche Bahn AG – die zu 100% dem deutschen Staat gehört – erfolgreich gepfändet, um mit diesem Geld die Kläger*innen von Distomo endlich auszuzahlen. Doch obwohl 2008 der Kassationshof und 2014 das italienische Verfassungsgericht die Zahlungspflicht Deutschlands bestätigt hat, versucht Berlin, dieses „lästige Erbe“ des deutschen Faschismus durch die Erhebung zahlreicher Rechtsmittel loszuwerden. Am 25. Juni wird wieder einmal über eine Beschwerde Deutschlands vor dem Kassationsgerichtshof in Rom verhandelt. Die Deutsche Bahn AG – so die Anwälte der Bundesrepublik – sei die falsche Beklagte. Die Kläger*innen sollten sich direkt an den deutschen Staat wenden – das Vorgehen ist beschämend.

Nazi-Verbrechen nicht vergeben – den Antifaschistischen Widerstand nicht vergessen!

Mit Sorge beobachten wir das Erstarken rechter bis faschistischer Bewegungen und Parteien. Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie breiten sich aus. In Italien, Österreich, Ungarn und Polen stellen rechtsextreme Parteien bereits die Regierung. In Deutschland hat sich mit der AFD eine rechtsextreme Partei etabliert, deren Nähe zum Nationalsozialismus immer deutlicher wird. Auch in Griechenland hat sich mit der Goldenen Morgenröte eine offen faschistische Partei in den Parlamenten festgesetzt und übt auf der Straße Terror gegen Migrant_innen, Geflüchtete und Linke aus.

Einen Grund für das Wiedererstarken des Faschismus sehen wir darin, dass eine strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands kaum stattgefunden hat. Während Ankläger gegen den Faschismus – wie der Staatsanwalt der Auschwitz-Prozesse Fritz Bauer – als Nestbeschmutzer verunglimpft wurden, sickerten Alt-Nazis in die öffentlichen Ämter der jungen Bundesrepublik Deutschland: in die Justiz, die Polizei, die Schulen, in die Chefetagen der Förderer des deutschen Faschismus, der Banken, der Kohle-, Stahl- und Chemieindustrie. Dieses Personal errichtete das Fundament des neuen West-Deutschland.

Die Durchsetzung von Reparationszahlungen und Entschädigungsansprüchen ist nicht nur ein selbstverständlicher Akt von Gerechtigkeit. Sie ist Bestandteil des antifaschistischen Kampfes. Und sie dient der Warnung an die heutigen Kriegstreiber, dass Völkerrechtsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit nicht mit noch so gefälligen Worten erledigt werden können, sondern dass der Schädiger – so mächtig er inzwischen sein mag – für das angerichtete Unrecht gerade stehen muss, auch nach 75 Jahren.

Sofortige Entschädigung aller Opfer des Nationalsozialismus! Gemeinsamer Kampf gegen den wiedererstarkenden Faschismus in Europa!

AK-Distomo, 8.6.2019

Über uns: Seit vielen Jahren engagiert sich der Arbeitskreis Distomo (AK-Distomo) für die Entschädigung der Opfer der Naziverbrechen in Griechenland. Wir unterstützen aber auch die Forderung nach Reparationen und Rückzahlung der Zwangsanleihe, die Nazideutschland dem griechischen Staat während der deutschen Besatzung abgepresst hatte.

 

 

Kontakt Arbeitskreis Distomo, Hamburg: ak-distomo@nadir.org, http://ak-distomo.nadir.org/ ViSdP: Martin Klingner, Budapester Straße 49, 20359 Hamburg

Infos https://www.nadir.org/nadir/initiativ/ak-distomo/index.html

Bildbearbeitung: L.N