Gewerkschaften fordern mehr Mindestlohn-Kontrolleure – 1,8 Millionen Beschäftigte werden um den Mindestlohn betrogen

Die neusten Zahlen geben zu denken: Rund 1,8 Millionen der Beschäftigten werden noch immer um den Mindestlohn betrogen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) muss deshalb von den rund 7.200 massiv um mindestens 10.000 Stellen aufgestockt werden, um den Mindestlohn flächendeckend kontrollieren zu können. Dagegen hält die Bundesregierung ihre Planung bis 2022 mit 1.600 zusätzlichen Stellen für ausreichend, was die Arbeitgeber anstachelt, den offenen Rechtsbruch weiter zu führen. Sie haben bereits unglaublich viel Kreativität dabei entwickelt, die Beschäftigten um ihren Lohn zu prellen.

Besonders kreativ sind die Arbeitgeber, wenn es um die Erfindung von Möglichkeiten geht, um den Mindestlohn zu unterlaufen. In der alltäglichen Praxis gab es bisher solche Tricksereien:

  • In der Gastronomie wurden Trinkgelder verrechnet.
  • Zuschläge wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wurden gestrichen, um damit formell den Stundenlohn anzuheben.
  • Bei anderen fiel der bisher gezahlte Sonn- und Feiertagszuschlag plötzlich weg.
  • Beschäftigte durchliefen ein mehrmonatiges Praktikum und bekamen dafür kein Geld. Laut Mindestlohngesetz ist ein freiwilliges Praktikum nach Studium oder Berufsausbildung ab dem ersten Tag der Beschäftigung mit mindestens 8,84 Euro pro Stunde zu vergüten. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte Pflicht- oder Orientierungspraktika. Reguläre Arbeit wurde so als Praktikum deklariert, obwohl es sich nicht um Lernverhältnisse handelte.
  • Die Arbeitgeber reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleibendem Monatsentgelt auf mindestens 8,84 Euro pro Stunde zu kommen. So etwas bedarf einer Vertragsänderung, der beide Seiten zustimmen müssen.
  • Wurde die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwarteten die Arbeitgeber trotzdem die bisherige Arbeitsleistung, allerdings nur unbezahlt.
  • Beschäftigte erhielten zwar den Mindestlohn, mussten aber eine „Umsatzabgabe“ zahlen.
  • Beschäftigte bekamen ihre bis zu 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn dann nach den Belegen gefragt wurde, gab es die gar nicht.
  • Einige Unternehmen machten sich dagegen nicht einmal die Mühe, die Nichteinhaltung des Mindestlohns zu vertuschen. Sie weigerten sich ganz offen, den Mindestlohn zu zahlen.
  • Als Teil des zustehenden Lohns wurden Mitarbeitern im Sonnenstudio eben Solarium-Gutscheine, im Kino Gutscheine für Popcorn oder in der Sauna Wellness- Gutscheine überreicht.
  • In Nagelstudios wurde nur für die Zeit bezahlt, in der die Angestellte auch Kunden betreute.
  • Manche Gastronomen oder Friseure ließen ihre Mitarbeiter als Selbstständige für sich arbeiten.
  • Frührentner, die als Busfahrer Schüler fuhren, sollten nur dann bezahlt werden, wenn die Busse auch besetzt waren.
  • In Bäckereien wurde die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsöffnung unter den Tisch fallen gelassen.
  • Eigentlich reguläre Arbeit, wie vor allem im Bereich Soziale Dienste, wurde als Ehrenamt deklariert und dort wurden Minijobs mit dem Ehrenamt gekoppelt.
  • Die Zeitvorgaben wurden so kurz bemessen, dass sie nichts mehr mit dem realistischen Zeitaufwand zu tun hatten und bezahlt wurde nur die vorgegebene Zeit und nicht die tatsächliche.
  • Im Taxigewerbe wird das Mindestlohngesetz in besonderem Maße verletzt. Neun von zehn Taxifahrern in Deutschland arbeiten für niedrige Löhne. Von den mehr als 39.000 Vollzeitbeschäftigten der Branche verdienten zuletzt 87,7 Prozent weniger als die Niedriglohnschwelle von 2.056 Euro brutto im Monat.
  • Im Reinigungsgewerbe sind Arbeitsverträge mit 20 Wochenstunden verbreitet, doch in dieser Zeit kann die geforderte Zahl an Zimmern und Quadratmetern gar nicht gereinigt werden. Die Beschäftigten müssen fünf oder auch 10 Stunden mehr arbeiten um ihr Soll zu schaffen, aber es werden nur 20 Stunden bezahlt.

Gegen die Kontrolle des Mindestlohns ging das Bundesland Bayern besonders gründlich vor, dort wurde sie durch die Hintertür abgeschafft.

Der Wirtschaftsausschuss des bayrischen Landtages beschloss, dass die 1.600 Planstellen für Zollbeamte zur Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohns „entbehrlich“ seien, weil die Betriebe ausreichend durch und regelmäßig von der Deutschen Rentenversicherung geprüft und die Prüfung durch den Zoll nur zusätzlich Zeit und Geld und Nerven kosten würde.

Der DGB Bayern sah das anders, er machte darauf aufmerksam, dass die Deutsche Rentenversicherung weder personell noch organisatorisch in der Lage ist, die Einhaltung des Mindestlohnes zu überprüfen. Er widerlegte die Behauptung der Landtagsmehrheit, dass dies auch nicht zu ihren Prüfungsschwerpunkten gehören würde.

Der DGB Bayern wies noch darauf hin, dass die Rentenversicherung zudem nur alle vier Jahre prüft und die Aufbewahrungsfrist für die Dokumente für den Mindestlohn aber nur zwei Jahre beträgt. Außerdem darf die Rentenversicherung weder die Arbeitszeiterfassung kontrollieren, noch Bußgelder verhängen. Im Gegensatz zur Finanzkontrolle nimmt sie nicht direkt Kontakt mit den Beschäftigten auf, sondern prüft nur die entsprechenden Unterlagen. Die Rentenversicherung in Bayern sagt selbst, dass die Prüfung nicht ihre Aufgabe sei, sondern die der Finanzkontrolle und sie selbst nicht für alle Beschäftigten eine Prüfung im Einzelfall durchführen kann.

Die Ausnahmeregelung vom Mindestlohn, auf die unter anderem bayrische Politiker bestanden hatten, zeigt sich heute als Flopp. Nicht einmal 2.000 Langzeitarbeitslose haben seit der Einführung des Mindestlohns davon profitiert, bei offiziell durchschnittlich 1,04 Millionen gemeldeten langzeitarbeitslosen Menschen im Jahr 2015. Für die Arbeitgeber ist es viel attraktiver, Langzeitarbeitslose über einen Eingliederungszuschuss einzustellen, denn dieser beträgt für maximal zwölf Monate mindestens 50 Prozent des Arbeitsentgelts und zukünftig soll dieser Bereich noch erheblich ausgebaut werden.

Die aufgeführten Beispiele zeigen auf, dass im großen Umfang versucht wird, den Mindestlohn zu unterlaufen und der einzelne Beschäftigte sich individuell dagegen wehren muss.

Deshalb ist es derzeit notwendiger als je zu vor, einen kollektiven Rechtsschutz ins Arbeitsrecht einzuführen. Das ist nichts Neues, die meisten europäischen Rechtsordnungen haben neben einem gesetzlichen Mindestlohn auch längst ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften. Nur das hilft, gesetzlich verbriefte Schutzrechte durchzusetzen, ohne dass der Einzelne dafür Nachteile in Kauf nehmen muss.

Vor allem muss dringend die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) endlich so ausgestattet werden, dass sie ihre Kontrollfunktion die sie hat, auch erfüllen kann. Im Jahr 2016 hat die FKS deutlich weniger Firmen auf Verstöße untersucht. Insgesamt wurden 40.374 Arbeitgeber überprüft und damit rund 3.000 weniger als 2015.

Die Entwicklung der Kontrollen ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Am Bau gab es einen Rückgang der Kontrollen von fast 20 Prozent auf 13.473. In Gaststätten sank die Zahl der Kontrollen um gut 17 Prozent auf etwa 6.000. Mehr Kontrollen gab es auf vergleichsweise niedrigem Niveau bei Taxifahrern mit 1.356 Prüfungen (2015: 1.259).

Wenn man sich den Arbeitsmarkt anschaut, mit seinem hunderttausendfachen Missbrauch mit Leiharbeit, Werkverträgen und dem rund eine Milliarde dokumentierten Überstunden, die die abhängig Beschäftigte den Unternehmern jährlich mit mindestens 30 Milliarden Euro vergolden, dann kann gar nicht genug angeprangert, reglementiert und kontrolliert werden.

Der Mindestlohn hat weder die wachsende Armut und Lohnungleichheit verringert, noch die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung verändert, noch die Zahl der sogenannten Aufstocker gesenkt und schon gar nicht die Konsumnachfrage gesteigert.

Wer in dem Jubelchor das Lied von der Erfolgsgeschichte des Mindestlohns mitsingt, outet sich als jemand, der sich von der konkreten Lebenssituation der Beschäftigten um Lichtjahre weit entfernt hat.

 

 

Quelle: der Spiegel, Bundesfinanzministerium, dgb.de

Bild: dgb.de