IMI: Militärhaushalt 2024 – Ausgaben auf dem Höhenflug / Bundeswehr auf Shopping-Tour

Im alljährlichen Fingerhakeln um den kommenden Bundeshaushalt ist es in der Regel üblich, dass es im März zur Verabschiedung der Mittelfristigen Finanzplanung für die nächsten vier Jahre kommt. Diesmal verschob Finanzminister Christian Lindner (FDP) allerdings die Veröffentlichung, nachdem sich die Regierung trotz langer und harter Verhandlungen nicht einigen konnte, wie eine Deckungslücke von €20 Mrd. geschlossen werden sollte. Als Reaktion ging der Finanzminister noch einmal ans Reißbrett, über das vorläufige Ergebnis berichtete nun Spiegel Online am 16. Mai: „Alle Ministerien sollen ihren Beitrag leisten“, um die Etatlücke zu schließen. Lediglich ein Ressort werde „verschont“. Gemeint ist das Verteidigungsministerium (BMVg), dessen Haushalt – zusätzlich zum Sondervermögen – sogar noch weiter erhöht wird. Die Bundeswehr wiederum nutzt die Gelegenheit und geht seit einiger Zeit auf umfangreiche Einkaufstour, wodurch die Gelder des Sondervermögens rasch aufgebraucht sein dürften. Gleichzeitig explodieren die Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine, die nicht einmal als militärische Ausgaben verbucht werden.

Der Anteil offizieller – besonders aber auch inoffizieller – Militärausgaben am Gesamthaushalt ist damit inzwischen immens – und das dafür aufgewendete Geld fehlt natürlich an anderen Stellen, wo es dringend benötigt wird.

Kaputtgesparte Truppe?

Man hört es immer wieder und kann es eigentlich nicht mehr hören, die Aussage, die Bundeswehr sei in den letzten Jahrzehnten regelrecht kaputtgespart worden. Dem kann nicht oft und deutlich genug widersprochen werden. Tatsächlich stieg der offizielle Verteidigungshaushalt zwischen 2014 (€32,44 Mrd.) bis 2022 auf stolze €50,33 Mrd. selbst inflationsbereinigt deutlich an. In diesem Jahr beläuft sich das offizielle Militärbudget zwar „nur“ auf €50,1 Mrd., es kommen aber nun erstmals relevante Gelder im Umfang von €8,5 Mrd. aus dem Sondervermögen hinzu.

Trotz dieser Entwicklung diente die Legende von der chronisch unterfinanzierten Bundeswehr nicht nur zur Rechtfertigung des Sondervermögens von €100 Mrd., sondern sie wird von interessierten Kreisen auch aktuell gerne weiter bemüht, um noch höhere Ausgaben zu fordern. Die Wehrbeauftragte Eva Högl etwa geht schon seit einiger Zeit mit ihrer Forderung hausieren, das Sondervermögen müsse auf €300 Mrd. aufgestockt werden. Fast bescheiden wirkt dagegen die von der Union vor wenigen Tagen erneut geforderte Erhöhung des offiziellen Haushaltes um €10 Mrd., eine Summe, die auch von Verteidigungsminister Boris Pistorius immer wieder ins Spiel gebracht wurde.

Jetzt sollen es also „nur“ €3 Mrd. mehr werden – das aber, während alle anderen Ressorts im Schnitt 2 bis 3 Prozent ihrer Ausgaben kürzen müssen. Und hinzu kommen dann noch die Gelder aus dem Sondervermögen von geschätzt mindestens €20 Mrd., sodass sich die Militärausgaben 2024 auf etwa €73 Mrd. Euro belaufen werden. Eigentlich müssten hierzu übrigens dann auch noch die in den NATO-Kriterien versteckten militärrelevanten Beträge hinzugerechnet werden, die nicht Teil des offiziellen Haushalts oder des Sondervermögens sind (siehe unten).

Auch wenn die Jammerei über die zu geringen finanziellen Ressourcen mit Sicherheit auch jetzt noch weitergehen wird, hat sie also mit der Realität wenig zu tun. Wenn schon keine Bereitschaft existiert, sich grundsätzlich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Militär und Aufrüstung nicht zu einem guten Teil zu der heutigen katastrophalen Lage mit beigetragen haben, so wäre es doch das Mindeste darüber nachzudenken, ob weitere Milliarden in das reichlich dysfunktionale Beschaffungswesen gesteckt werden sollen. Doch weit davon entfernt geht die Bundeswehr in jüngster Zeit verstärkt auf Einkaufstour und setzt alles Mögliche auf den Wunschzettel, das dann von den Parlamentarier*innen im Haushalts- und Verteidigungsausschuss munter abgenickt wird. Während in den Jahren 2015 bis 2022 im Schnitt jährlich rund 27 sogenannte 25-Mio-Vorlagen eingebracht wurden, also größere Rüstungsprojekte, die noch einmal separat vom Haushalts- und Verteidigungsausschuss genehmigt werden müssen, sollen es in diesem Jahr wohl bis zu 70 werden.

Bundeswehr auf Einkaufstour

Noch stärker als der Gesamtetat entwickelt sich der Bereich der Rüstungsinvestitionen (Rü-Invest), also der Teil des BMVg-Haushaltes, der allein für die Neuanschaffung von Rüstungsgütern vorgesehen ist. Er stieg von €4,4 Mrd. (2017) auf 9,9 Mrd. (2022) schon vor der sogenannten Zeitenwende deutlich an, nur um jetzt regelrecht zu explodieren, da die Gelder des Sondervermögens ja ausschließlich für diesen Bereich vorgesehen sind. In diesem Jahr sollen €17,73 Mrd. in Rüstungsinvestitionen fließen, 2024 sind mindestens €22 Mrd. vorgesehen.

Nachdem im Dezember 2022 bereits die ersten großen Rüstungsprojekte aus dem Sondervermögen bewilligt wurden, nimmt die Shoppingtour nun so richtig Fahrt auf. Da wäre zum Beispiel die Nachrüstung der restlichen 143 Schützenpanzer Puma auf den neuesten Rüstungsstand „S1“. Die wurde zwar zunächst einmal auf Eis gelegt, nachdem von den bereits aufgebohrten Pumas bei einer Übung im Dezember 2022 spektakuläre 18 der 18 eingesetzten Panzer ausfielen. Nach einigem Getöse wurden die Gelder für die Nachrüstung der restlichen 143 Puma, immerhin €770 Mio., Ende April aber dann dennoch freigegeben. Mehr noch: Am 10. Mai billigte der Haushaltsausschuss darüber hinaus die Anschaffung weiterer 50 Pumas für €1,5 Mrd., obwohl Zweifel an deren Einsatztauglichkeit durchaus berechtigt sind. Der Vertrag sieht zudem eine bis 2024 zu ziehende Option zur Anschaffung von insgesamt 229 Panzern vor, wodurch das Gesamtvolumen noch einmal deutlich steigen würde. Ebenfalls erst kürzlich nahmen die Beschaffungspläne eines Schweren Transporthubschraubers Gestalt an, dessen Bereitstellung von deutscher Seite her der NATO zugesagt wurde. Hierfür wurde schon vor einiger Zeit eine Entscheidung für die Anschaffung von 60 Boeing CH47F Chinook getroffen, die die alternden CH-53G Sikorsky ersetzen sollen. Dafür wurde bei den USA eine Zustimmung zum Verkauf („Foreign Military Sale“) eingeholt, die am 11. Mai erteilt wurde. Der Preis beträgt allerdings nicht mehr wie ursprünglich geschätzt €5 bis €6 Mrd., sondern ist inzwischen auf €7,8 Mrd. geklettert.

Bereits im Oktober 2022 hatte der Bundesrechnungshof angemahnt, das Sondervermögen sei hoffnungslos überplant, es seien also weit mehr Projekte vorgesehen, als sich daraus finanzieren ließen. Schon damals wurden als Reaktion einige Posten (zB die Nachfolge des Transportpanzers Fuchs) zeitlich nach hinten und budgetär in den „normalen“ Verteidigungshaushalt verschoben. Dies dürfte auch noch weiteren bislang im Sondervermögen verorteten Projekten blühen, da steigende Zinsen und Inflation sowie die deutlich höheren Kosten bereits angeschobener Vorhaben wie dem Transporthubschrauber das Sondervermögen sprengen. Allerdings ist auch im „normalen“ Verteidigungsbudget kaum Spielraum für zusätzliche Vorhaben, was dann wiederum genutzt wird, um auf weitere Erhöhungen zu drängen.

Gelder für den Ukraine-Krieg

Weil vorhin die NATO-Kriterien erwähnt wurden: Was hier hinzugezählt wird, halten NATO und Bundesregierung unter Verschluss. Immerhin weist die NATO aber einen Gesamtbetrag aus, der im Jahr 2022 mit €55,635 rund €5,5 Mrd. über den offiziellen Angaben lag. Dieser Betrag dürfte in den kommenden Jahren deutlich ansteigen, da mit einiger Sicherheit die nicht im Verteidigungshaushalt, sondern im Allgemeinen Haushalt verorteten Kosten für die Waffenlieferungen an die Ukraine unter die NATO-Kriterien fallen.

Der Wert für 2022 ist außerdem eine vorläufige Schätzung der NATO und es kann davon ausgegangen werden, dass hier die vollen zwei Mrd. Euro, die im Allgemeinen Haushalt für Waffenlieferungen an die Ukraine verwendet wurden, noch nicht oder allenfalls ansatzweise eingepreist waren. Für dieses Jahr waren ursprünglich €2,2 Mrd. vorgesehen, die allerdings bereits Ende März auf €5,4 Mrd. erhöht wurden. Für die kommenden Jahre wurden weitere €8,8 Mrd. an „Verpflichtungsermächtigungen“ ausgelobt – was das bedeutet, erläuterte Spiegel Online: „Das Verteidigungsministerium kann also Verträge in der entsprechenden Höhe abschließen. Bisher war dafür nur eine Milliarde Euro eingeplant.“

Bezahlt wird mit diesem Geld auch der deutsche Beitrag von 25 Prozent an der „Europäischen Friedensfazilität“ (EFF). Ursprünglich sollten hierüber im Zeitraum zwischen 2021 und 2027 EU-Militäreinsätze und Waffen für „befreundete“ Akteure im Umfang von €5,7 Mrd. finanziert werden. Allein bis März 2023 wurden der EFF allerdings bereits €3,6 Mrd. entnommen, weshalb der EU-Rat am 14. März 2023 eine Anhebung der EFF-Obergrenze beschloss. Zunächst einmal ging es dabei um eine Erhöhung von €2,287 Mrd. mit der die Gesamtsumme auf rund €8 Mrd. kletterte. Allerdings wurde gleich auch noch festgehalten, dass dieser Betrag bei Bedarf noch einmal um €3,5 Mrd. aufgestockt werden könnte. Und genau diese Option dürfte wohl auch bald gezogen werden, nachdem im April und Mai weitere zwei Mrd. Euro für Waffenlieferungen und länderübergreifende Neubeschaffungen losgeeist wurden und in Kürze wohl eine weitere Marge von €500 Mio. freigegeben werden soll (was aktuell allerdings noch von Ungarn blockiert wird).

Klartext statt Nebelkerzen

Zusätzlich zum rapide steigenden offiziellen Haushalt und der absurd hohen Summe des Sondervermögens, kommen also allein schon über die Waffenlieferungen an die Ukraine noch einmal etliche Milliarden an militärrelevanten Ausgaben hinzu.

Angesichts dieser Beträge ist es endlich nötig, Klartext zu sprechen: Es gibt keine chronisch kaputtgesparte Bundeswehr, nur eine an Falschmeldungen grenzende Berichterstattung; es gibt auch kein Sondervermögen, sondern nur Sonderschulden, die spätestens ab 2031 mit Zinsen zurückbezahlt werden müssen; und auch stets von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) als Zielmarke des Verteidigungshaushaltes zu sprechen, ist grob irreführend – ein Rechenbeispiel: Bleibt es bei den aktuellen April-Prognosen des IWF für das Jahr 2023, so wären 2-Prozent des BIP rund 81 Mrd. Euro was bei einem Gesamthaushalt von 476 Mrd. Euro rund 17 Prozent des gesamten Haushaltes ausmachen würde. Oder in Ministerien ausgedrückt: das Verteidigungsministerium in etwa so viel Geld zur Verfügung wie Gesundheit (€24,48 Mrd.), Bildung (€21,46 Mrd.), Klima (€14,57), Entwicklung (€12,15) und Auswärtiges (€7,47 Mrd.) zusammen.

Nun werden die 2 Prozent in diesem Jahr trotz Sondervermögen und NATO-Kriterien trotz krasser Steigerungen bei weitem noch nicht erreicht – Aussagen zufolge soll dies aber im kommenden Jahr der Fall sein. Angesichts dessen wäre es das Mindeste, es würde der Bevölkerung endlichen reinen Wein über die Dimensionen eingeschenkt, in denen derzeit Gelder ins Militär umgeleitet werden, anstatt hier eine begriffliche Nebelkerze nach der anderen zu zünden.

 

 

 

 

 

Quelle: https://www.imi-online.de/
Bei dem Text handelt es sich um eine erweiterte Fassung eines Artikels, der zuerst bei Telepolis erschien. 
Bild: www.koop-frieden.de