Ein linker Green New Deal – Für eine verbindende und sozial-ökologische Klassenpolitik

Von Bernd Riexinger

Ein neues Jahrzehnt beginnt, und wir stehen an einem historischen Wendepunkt. Lange schon schwelen verschiedene Krisen des Kapitalismus: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, soziale Ungleichheit, Dauerkrisen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Corona hat diese Vielfachkrise des Kapitalismus verschärft und zugespitzt. Die nächsten Jahre werden vom Ringen um Lösungen für diese Krisen geprägt sein. Neue Formationen des Kapitalismus sind Ergebnis der Interessen mächtiger Fraktionen des Kapitals, ökonomischer und technologischer Umwälzungen, der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit, des gesamten politischen, ideologischen und wissenschaftlichen Überbaus. Und der Kämpfe, die wir darum führen. In den Auseinandersetzungen der nächsten 10 bis 15 Jahre geht es um nicht weniger als um die Frage: Kommt es zu einer autoritären Transformation, deren Tendenzen sich bereits in fast allen Ländern entwickeln, oder gelingt es, Einstiege in einen sozial-ökologischen Systemwechsel auf den Weg zu bringen? Wir sehen in Ländern wie den USA, Großbritannien, Brasilien, Ungarn oder Polen, dass autoritäre nationalistische Formationen die Antwort der »neuen« Rechten auf die tiefe Krise der neoliberalen Ära sein können. Der Weg der Rechten in der internationalen Standortkonkurrenz ist eine Verschärfung der neoliberalen Strategie des Wettbewerbsstaates: Der Staat soll autoritär umgebaut, die Demokratie bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden. Nationalismus, Rassismus und Sozialdarwinismus werden zum ideologischen Kitt und Schmiermittel von Konkurrenz- und Verteilungskämpfen.

Auch wenn Trump bei den US-Wahlen abgewählt wurde, ist der Block der neuen Rechten in den USA keineswegs geschwächt. Es besteht derzeit wenig Grund zu der Hoffnung, dass ein Präsident Biden die soziale und wirtschaftliche Krise mit einem sozial-ökologischen Investitionsprogramm abfedern und die Steuersenkungen für Konzerne und Reiche zurücknehmen wird. Wahrscheinlicher ist eine Fortsetzung der Austeritätspolitik und der Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, möglich auch eine Blockade und Dauerkrise der demokratischen Institutionen. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, linke Organisierung und Verankerung im Alltag der lohnabhängigen Klasse zu stärken und durch Streiks, Kampagnen und Bündnisse zu versuchen, Druck auf die neue Regierung aufzubauen. Denn letztlich ist die Gefahr der machtvollen Wiederkehr des neu-rechten »Trumpismus« keineswegs gebannt.

In Europa ist der neoliberale Block tief gespalten über die Frage, wie mit den Krisen und der rechts-autoritären Option umzugehen ist. Der französische Präsident Macron, der österreichische Bundeskanzler Kurz und Bundeskanzlerin Merkel stehen für unterschiedliche Varianten einer neoliberalen Modernisierungs-Strategie, die auch bei Teilen der grünen Parteien Anklang findet. Diese Strategie nimmt die Herausforderungen des Klimaschutz es auf, aber als Wettbewerbsfaktor in der Standortkonkurrenz – im Falle von Merkel für das deutsche hochtechnologische Exportmodell mit Niedriglöhnen und prekärer Arbeit. Der Staat soll etwa dafür sorgen, dass die mobile und digitale Infrastruktur ausgebaut und finanziert wird. Dieses Modell setzt auf begrenzte staatliche Investitionen, um Geschäftsmodelle der Konzerne mit E-Mobilität, »grünen Technologien«, Pharma- und Bio-Tech, aber auch neuer Sicherheits- und Überwachungstechnik zu modernisieren.

Eine grüne Modernisierung ist keine Lösung

Die erstarkten Grünen in Deutschland versuchen, die alte sozialdemokratische Devise »technischer Fortschritt plus sozialer Ausgleich« mit neuem Leben zu füllen. Aber die Zeiten dafür sind schlecht. Der sozialdemokratisch geprägte »Klassenkompromiss« der 50er bis 70er Jahre war das Ergebnis von Jahrzehnten von Klassenkämpfen und einer starken sozialistischen und kommunistischen ArbeiterInnenbewegung – er wurde bekanntlich schon lange von der Kapitalseite aufgekündigt. Verteilungsfragen werden bei den deutschen Grünen weitgehend ausgeklammert, sodass ihre Politik eher für Schönwetterperioden gemacht ist − als wäre eine Win-Win-Konstellation für Kapital, Arbeit und Klima möglich. Besonders viel wird nicht davon übrigbleiben, wenn es zu einer schwarz-grünen Koalition kommen sollte. Schrumpfen die ökonomischen Spielräume, kann eine solche Politik schnell in Kürzungspolitik und neoliberale »Arbeitsmarktreformen« kippen. Der soziale Nährboden für die rechtspopulistische Politik der Spaltung kann mit einer grünen Modernisierungspolitik nicht ausgetrocknet werden.

Auch eine Lösung der Klimakrise ist damit nicht möglich. Der Kapitalismus ist auf Wachstum der Profite angewiesen. Doch in einer Welt endlicher Ressourcen und begrenzt belastbarer Ökosysteme stoßen wir an die Grenzen natürlicher Ressourcen und Kreisläufe. Grundlegende Änderungen der Wirtschafts- und Lebensform werden zur Überlebensfrage. Nicht nur die Menschen, die für Klimaschutz auf die Straße gehen, wissen, dass wir nicht so weitermachen können. Innerhalb von 10 bis 15 Jahren muss eine gewaltige Transformation hin zu einer ressourcenschonenden und CO2-neutralen Wirtschafts- und Infrastruktur gelingen. Die gesamte Weise, wie wir arbeiten, produzieren, konsumieren und leben, ist in Frage gestellt.

Umweltverbände warnen, dass die Klimakrise in der Zeit der Pandemie in den Hintergrund gedrängt wird. Die Unsummen, die in die Wirtschaft gepumpt werden, wirken wie Sprit, der den Motor am Laufen halten soll, während das Auto weiter in die falsche Richtung fährt. Zwar konnte eine Abwrackprämie verhindert werden, aber es fließen weiter über 20 Milliarden Euro an direkten und indirekten Subventionen in die Autoindustrie. Mit der Elektromotorisierung stehen wir am Beginn eines massiven Umbaus in der Automobilindustrie. Die Unternehmen nutzen die Corona-Krise bereits als Vorwand für Entlassungen und Angriffe auf die Belegschaften. Insbesondere die Zulieferer-Industrie ist betroffen. Wenn Standorte, die von den Belegschaften aufgebaut wurden, einfach verlagert werden sollen, ist entschlossenerer gewerkschaftlicher Widerstand notwendig. Die IG Metall sollte die verschiedenen Auseinandersetzungen standortübergreifend organisieren und den politischen Druck durch Mobilisierung verstärken. Eine Deindustrialisierung ganzer Regionen muss mit allen Mitteln verhindert werden. Notwendig wäre unmittelbar, staatliche Subventionen und Gelder in der Krise an Arbeitsplatzgarantien, Schutz von Tarifverträgen und an demokratisch mitbestimmte Vorgaben und Pläne für den technologischen Umbau in Richtung ressourcenschonender Produktionsverfahren zu binden. Die Mitbestimmung müsste auf Standortfragen und strategische Investitionsentscheidung ausgeweitet werden, wie sie selbst die IG BCE jetzt diskutiert. Die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft samt Industrie, die dringend auf den Weg gebracht und bis 2035 (!) abgeschlossen werden muss, darf nicht auf dem Rücken der Belegschaften in der Industrie und vielen Menschen in den  betroffenen Regionen erfolgen. Klimaschutz ohne soziale Absicherung ist zum Scheitern verurteilt. Und: nur mit Schritten in Richtung Demokratisierung der Wirtschaft und der Unternehmen wird ein sozialer wie ökologischer  Umbau der Wirtschaft gelingen.

Für einen linken Green New Deal

Der Kerngedanke eines sozialen und ökologischen Systemwechsels, eines linken Green New Deal, ist einfach erklärt: Kein Mensch darf dazu gezwungen werden, sich zwischen einem guten Leben im Hier und Jetzt und der Zukunft unseres Planeten entscheiden zu müssen. Keine Arbeiterin und kein Arbeiter darf gezwungen werden, sich zwischen einem guten Arbeitsplatz und der Zukunft ihrer oder seiner Kinder entscheiden zu müssen. Wir können das Klima nur retten, indem wir in sinnvolle Arbeit und soziale Sicherheit für alle investieren und dabei den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und Infrastruktur voranbringen. Der linke Green New Deal kann durch ein Jahrzehnt der Investitionen in die soziale Infrastruktur und in eine klimaneutrale Wirtschaft ein neues soziales und ökologisches Wohlstandsmodell schaffen, das die Bedürfnisse der Menschen, das Gemeinwohl und neue Gemeingüter (»Commons«) in den Mittelpunkt stellt. Um den weitreichenden sozialen und ökologischen Umbau von Wirtschaft und Infrastruktur schnell genug und entschlossen voranzutreiben, sind allein in Deutschland Investitionen von mindestens 1,5 bis 2 Billionen Euro über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren notwendig. Daher fordern wir (Partei Die Linke, Anm. d. Red.), jährlich mindestens 130 Milliarden Euro in die soziale Infrastruktur und in Klimaschutz zu investieren.

Der Begriff des Green New Deal wird in der Klima- und Umweltbewegung unterschiedlich diskutiert. Ich schlage vor, ihn von links zu besetzen. Mit einem gesellschaftlichen Projekt, das den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft mit den Kämpfen um höhere Löhne, gute und sinnvolle Arbeit, mehr Zeit zum Leben, soziale Absicherung, qualitativ hochwertige öffentliche Infrastruktur für alle, Energie- und Mobilitätswende verbindet. Solche gesellschaftlichen Veränderungen können nicht als »Deal« zustande kommen. Sie sind Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe, in denen sich verschiedene (Klassen-)Interessen gegenüberstehen.

Unser Vorschlag für einen sozial-ökologischen Systemwechsel, einen linken Green New Deal, umfasst verschiedene Elemente, die als Bestandteile eines neuen Gesellschaftsprojekts betrachtet werden können:

  • Aufbau einer sozialen Infrastruktur − mit der Perspektive eines »Infrastruktursozialismus«
  • Sinnvolle Arbeit und Löhne, die für ein gutes Leben reichen. Das beinhaltet neben der Stärkung der Tarifbindung und der Abschaffung prekärer Arbeit auch eine gerechtere Verteilung der Arbeit, die Aufwertung der Dienstleistungsberufe und die Forderung nach einer »kurzen Vollzeit«, nach Arbeitszeitverkürzung in Richtung einer 28- bis 35-Stunden-Woche mit Lohn- und Personalausgleich.
  • Soziale Sicherheit für alle durch umfassenden Ausbau des Sozialstaates.
  • Radikaler Klimaschutz und ökologische Transformation der Industrie mit einer schnellen Energiewende bis 2030, der Konversion klimaschädlicher Industrien mit einer Beschäftigungs- und Einkommensgarantie. Der linke Green New Deal beinhaltet auch einen konkreten Vorschlag für eine Mobilitätswende und Konversion der Auto-Industrie. Ein solcher Umbau wird nur mit mehr Demokratie in der Wirtschaft durchzusetzen sein. Deswegen machen wir einen umfassenden Vorschlag für eine neue sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie, mit regionalen Wirtschaftsräten, demokratischer Kontrolle der Schlüsselsektoren und der Stärkung von genossenschaftlichem und Belegschaftseigentum.
  • Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Es geht um eine gerechte Finanzierung der notwendigen Investitionen durch eine Vermögenssteuer und höhere Steuern für Konzerne. Die Banken müssen unter gesellschaftliche Kontrolle gebracht und das Finanzsystem an sozialen und ökologischen Kriterien statt an Immobilien- und Boden-Spekulation und Aktionärsrenditen ausgerichtet werden.
Infrastruktur-Sozialismus: Ein neues Verständnis von Wohlstand

Der linke Green New Deal macht Schluss mit der Ära der Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Sparpolitik bei der Infrastruktur. Es geht dabei um ein grundlegend anderes, klimagerechtes Verständnis von Wohlstand. Öffentliche Güter sind kein Anhängsel der Ökonomie, sie sollten im Zentrum einer stärker regional ausgerichteten Ökonomie und Kreislaufwirtschaft stehen.

Eine bedarfsgerecht ausgebaute soziale Infrastruktur bedeutet: Mehr Beschäftigte werden benötigt für mehr Personal in Kitas und Schulen, Pflege, für den Ausbau des ÖPNV, für eine bürgernahe kommunale Verwaltung und leistungsstarke öffentliche und kommunale Betriebe. Zusammen mit einer radikalen Verkürzung der Arbeitszeiten in Richtung 30 Stunden können über zwei Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Die Kluft zwischen Löhnen in der Industrie und im Dienstleistungssektor wird geschlossen. Es könnte die Träume der jungen Generationen beflügeln, ihre Zukunft in boomenden öffentlichen Sektoren mit gesellschaftlicher sinnvoller Arbeit zu suchen und auch für Beschäftigte mittleren Alters kann es attraktiv sein, sich sozial abgesichert weiterzubilden und den Beruf zu wechseln.

Durch die sozialen Infrastrukturen können solidarische und klimaneutrale Kommunen mit guter Gesundheitsversorgung, Mobilität, Bildung, Energie- und Lebensmittelversorgung für alle auf den Weg gebracht werden. Die Grundlage dafür ist eine bedarfsgerechte Finanzierung, die kommunale Demokratie muss aus den Zwängen der Schuldenbremse, der Mangel- und Sachzwangverwaltung befreit und so wiederbelebt werden.

Das neue Wohlstandsmodell entsteht durch eine demokratische Wiederaneignung der sozialen, fundamentalen Infrastruktur durch die Gesellschaft, durch die Vielen – eine Demokratisierung im starken Sinne. Der Infrastruktursozialismus entzieht die Daseinsvorsorge dem Markt, Wettbewerb und der privaten Verfügung durch Aktionäre und Konzerne und baut eine andere wirtschaftliche Struktur auf. Eine sozial-ökologische Politik der Gemeingüter geht damit über den »guten alten« Öffentlichen Dienst hinaus. Dieser war eine wichtige Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung. Allerdings war der Öffentliche Dienst der 1960er und 70er Jahre auch keine ungebrochen bedürfnisorientierte oder umfassend demokratische Veranstaltung. Die Infrastruktur für ein besseres Leben braucht mehr Demokratie in der gemeinsamen Gestaltung des Öffentlichen. Kommunales und genossenschaftliches Eigentum soll etwa durch Initiativen von Beschäftigten und BürgerInnen, durch kommunale Räte, mitgestaltet und kontrolliert werden.

So können z.B. 250.000 neue Sozialwohnungen und weitere 130.000 preiswerte Wohnungen in kommunaler, genossenschaftlicher und gemeinnütziger Hand pro Jahr geschaffen werden, ökologisch gebaut und energieeffizient. Soziale und solidarische Städte sind mit renditeorientierten Wohnungskonzernen wie Vonovia oder Deutsche Wohnen niemals zu machen. Daher ist der Kampf für einen bundesweiten Mietendeckel und eine Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne ein wichtiges Einstiegsprojekt für einen linken Green New Deal.

Ein weiteres Einstiegsprojekt ist kommunale Mobilität zum »Nulltarif« durch Ausbau des ÖPNV als Schritt zu einer echten Mobilitätswende, mit bezahlbarer, sicherer und klimafreundlicher Mobilität unabhängig vom Auto. Kommunen und ÖPNV-Verbünde, die mit einem solchen Nulltarif starten, müssen erhebliche Unterstützung vom Bund bekommen und Personal in Bus und Bahn muss besser bezahlt werden. Die dafür notwendigen Kosten werden auf 8 Milliarden pro Jahr geschätzt.

Es wäre zugleich das Fundament für den sozial-ökologischen Umbau der Industrie. Gesellschaftlich sinnvolle Innovationen in der Industrie müssen vorangebracht sowie Wirtschafts- und Industrieförderung an klare und verbindliche Kriterien für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne sowie CO2-neutrale Produktionsverfahren gebunden werden. Mit einem mit 20 Milliarden ausgestatteten Transformations- und Konversionsfonds, über den regionale Wirtschaftsräte unter Beteiligung von Parlamenten, Gewerkschaften, Betriebsräten, Umweltverbänden und Klimabewegung mitentscheiden, kann eine sozial-ökologische Konversion insbesondere bei regionalen klein- und mittelständischen Unternehmen der Zuliefererindustrie gefördert werden.

Kräfte bündeln und organisieren

Im Jahr 2019 sind mehrere Millionen Menschen weltweit für die Rettung unseres Planeten auf die Straße gegangen − eine historische Zäsur. Die Klimabewegung politisiert eine ganze Generation, die um ihre Zukunft kämpft. Zahlreiche soziale Bewegungen haben sich in den letzten Jahren herausgebildet. Hunderttausende demonstrierten für eine Solidarität mit Geflüchteten und gegen Rassismus. Soziale Bewegungen für bezahlbare Mieten, gute Pflege oder Streiks für die bessere Bezahlung der ErzieherInnen kommen hinzu. Das sind keine reinen »Ein-Punkt-Bewegungen«. Es drückt sich eine Tendenz aus: Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Solidarität ist unteilbar. Diese Bewegungen existieren nicht isoliert voneinander, sondern sind in den politischen Überzeugungen und zum Teil personell vielfach miteinander verbunden. Es wäre ein Fehler, GewerkschafterInnen auf die Themen Arbeit und Löhne zu reduzieren. Viele Krankenhausbeschäftigte oder ErzieherInnen, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streiken, sind auch für Klimaschutz aktiv und engagieren sich gegen Rassismus. Umgekehrt sind viele aktive KlimaschützerInnen keineswegs blind gegenüber den Arbeitsplatzinteressen der Beschäftigten und deren Forderung nach sozialer Gerechtigkeit.

Bisher fehlt jedoch eine gemeinsame Perspektive dieser Bewegungen und eine Alternative, für die sie an Mehrheiten in der Gesellschaft arbeiten und organisieren können. Die soziale Frage und die einer sozial-öko­logischen Transformation der Wirtschaft müssten im Zentrum zivilgesellschaftlicher Bündnisse stehen. Es ginge um eine neue politische Qualität, um einen Schulterschluss von relevanten Teilen der Basis der Gewerkschaften, sozialen, ökologischen und demokratischen Bewegungen und Initiativen für eine solidarische Gesellschaft. Notwendig sind Bündnisse und Akteure, die in der Lage sind, organisierende Kampagnen auf den Weg zu bringen, um mehr zu werden, sich in Gesellschaft, Betrieben und Stadtteilen zu verankern.

Auch wenn relevante Teile der Lohnabhängigen auf mehr Klimaschutz drängen, was sich derzeit bei Befragungen über Erwartungen an die Regierungspolitik, aber auch in gestiegenen Umfragewerten für die Grünen ausdrückt, ist die Klimabewegung noch nicht massenhaft in der vielgestaltigen und vielfach gespaltenen lohnabhängigen Klasse verankert. Zwar haben Bewegungen wie Fridays for Future eine relevante wachstums- und z.T. kapitalismuskritische Tendenz. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Vorschläge, die auf den Markt und/oder auf Konsumsteuern zur Lösung der Klimakrise setzen, weit verbreitet sind. Das Ziel, soziale Gerechtigkeit und konsequenten Klimaschutz zusammenzubringen statt gegeneinander auszuspielen, wird durchaus von einer Mehrheit der Lohnabhängigen geteilt.

Der notwendige System Change erfordert massive Veränderungen im Bewusstsein und in Gewohnheiten einer Mehrheit – aber eben auch die Entfaltung demokratischer Klassenmacht, um politische und wirtschaftliche Verhältnisse wirklich zu verändern (samt Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse). Gefragt ist daher eine erneuerte ökologische, populäre und radikal-demokratische Klassenpolitik für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel. Darauf zielt der Vorschlag eines linken Green New Deal. Es geht um einen gemeinsamen Horizont für organisierende Arbeit und Kampagnen – in der Unterschiedlichkeit von Bewegungen, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden und der LINKEN – etwa für den Ausbau des Nahverkehrs und eine Mobilitätswende, für mehr Personal in der Pflege und die Aufwertung der Arbeit mit den Menschen, für bezahlbare Mieten und klimaneu­trales Wohnen.

Teile der Linken kritisieren, dass der Vorschlag eines linken Green New Deal nicht weit genug gehe. Stattdessen solle gleich offensiv für ein ökosozialistisches Konzept gekämpft werden. Richtig ist: innerhalb des Kapitalismus können Armut und Kriege und die eskalierende Klimakrise nicht überwunden werden. Wir brauchen eine Erneuerung der Vorstellungen einer ökologischen und radikal demokratischen, sozialistischen Gesellschaft. Revolutionäre Prozesse entstehen jedoch aus der Praxis der Menschen, in historischen Ausnahmesituationen, aus den tatsächlichen Klassenkämpfen. Nur wenn es gelingt, eine überwältigende Mehrheit der Menschen zu überzeugen und zu begeistern, kann ein erneuerter demokratischer Sozialismus Erfolg haben. Die Aufgabe der sozialistischen Linken in Deutschland ist es für die nächsten zehn Jahre, den Horizont zu öffnen für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel, zu organisieren und stärker zu werden, Reformen durchzusetzen, die das Leben der Menschen verbessern.

Die Konzeption des linken Green New Deal verbindet die politischen Ansätze vom Linkskeynesianismus in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, ökosoziale/reformerische und wachstumskritische Vorschläge mit sozialistischen zu einem alternativen Projekt, mit dem eine linke Hegemonie gewonnen werden kann. Damit knüpft sie an bereits vorhandene Kämpfe und soziale Bewegungen an, um Kräfte zu bündeln. Einstiege in sozialistische Transformation können dabei als Teil der wirklichen Bewegung entstehen. Wenn Menschen in Bewegung geraten und damit beginnen, für ihre konkreten Interessen und Ziele einzustehen und dafür zu kämpfen, können wir darauf vertrauen, dass sie selbst nach weitergehenden Lösungen suchen, mindestens offen dafür sind. Der sozial-ökologische Systemwechsel ist eine attraktive Perspektive für diesen Suchprozess.

Eine Bewegung für einen linken Green New Deal müsste daran arbeiten, auch die Basis der verschiedenen Parteien, insbesondere der Sozialdemokratie und der Grünen, zu erreichen. Wir befinden uns weltweit in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das wird die Gesellschaft zweifellos auch hier verändern. Die Verteilungskämpfe werden härter. Sie können das örtliche Krankenhaus und Pflegeheim betreffen, den ÖPNV, Kitas, Bibliotheken und die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen. Bundesweit werden die durch Kurzarbeitergeld leergefegten Beitragskassen der Arbeitslosenversicherung spätestens nach der Bundestagswahl Diskussionen um Kürzungen nach sich ziehen. Eine Nullrunde für RentnerInnen ist schon angekündigt. Jetzt gilt es, Gegenwehr zu organisieren, um zu verhindern, dass die Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und sozial Schwachen die Kosten tragen. Die Reichen, Vermögenden und Kapitalbesitzenden, die über Jahre ihre Gewinne vergrößern konnten, müssen finanziell herangezogen werden. Seit Jahren gibt es dafür Mehrheiten in Umfragen. Aber es fehlt das Zutrauen, dass es tatsächlich möglich ist, sich politisch gegen die gesammelte Phalanx der Besitzenden und Herrschenden durchzusetzen.

Das Blatt könnte sich jedoch wenden: Wie wichtig der Gesundheitssektor, die öffentliche Infrastruktur und eine Gemeinwohlorientierung für das Überleben sind, ist in der Zeit der Pandemie ins Bewusstsein getreten. Das Selbstbewusstsein der Beschäftigten ist gestiegen. Auch wenn die Menschen nicht massenhaft den Kapitalismus in Gänze in Frage stellen, so ist doch ins Bewusstsein gerückt, dass öffentliche Gemeingüter wie Pflege, Bildung, Gesundheit und Wohnen nicht Profitinteressen, Markt und Wettbewerb untergeordnet werden dürfen. Eine neue Welle von Kürzungs- und Austeritätspolitik träfe auf eine andere Gesellschaft als die, in der vor mehr als 15 Jahren die Hartz-Gesetze durchgesetzt wurden. Heute steht nicht nur eine neue Rechte bereit – auch die solidarischen, sozial-ökologischen Kräfte mobilisieren sich. Wer die Kosten der Krise trägt, ist ein Schlüsselkonflikt – aus sozialer und ökologischer, demokratischer, feministischer und antirassistischer Perspektive. Hier wird es auf eine starke Linke ankommen, die sich geeint und kraftvoll in die Auseinandersetzungen wirft.

Die gute Nachricht ist: In einigen Ländern entwickelt sich durchaus gesellschaftliche Bewegung für einen sozialen und ökologischen Systemwandel. In den USA mobilisieren Bewegungen wie Sunrise, unterstützt von linken Politikern wie Bernie Sanders oder Alexandra Ocasio Cortez für eine Abkehr von fossiler Energie und massive Investitionen in alternative Energie und öffentliche Daseinsvorsorge. Auf diesem Wege sollen gleichzeitig Millionen neue, gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden. In Großbritannien hatte die Labour Party 2019 mit ihrer Version eines Green New Deal (oder einer »green industrial revolution«) knapp ein Drittel der WählerInnen gewonnen − mit einem ambitionierten Programm, das den sozial-ökologischen Umbau mit der Regulierung der Arbeit, aber auch mit umfassenden Programmen für den Ausbau öffentlichen Eigentums und Wirtschaftsdemokratie verbindet. Die Linke hierzulande wird nur Erfolg haben, wenn sie es schafft, eine Alternative zum neoliberalen Exportmodell populär zu machen, die industrielle Kerne ökologisch erneuern und zugleich für bessere und gleiche Lebensverhältnisse in den verschiedenen Regionen sorgen kann. Wenn es gelingt, international zu kooperieren und wirkliche Bewegung zu entfalten, haben wir die historische Chance, nach Jahrzehnten der Defensive der Linken über Grenzen hinweg die Perspektive eines anderen Gesellschaftssystems wieder populär zu machen.

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Bernd Riexinger ist (noch) immer der Vorsitzende der Partei Die Linke.

Das umfassende Konzept und die Strategie eines Linken Green New Deal stellt Bernd Riexinger in seinem jüngst veröffentlichten Buch »System.Change« (VSA-Verlag, 2020) zur Diskussion. Wir haben den Autor gebeten, die zentralen Thesen seines Buches für den express zusammenzufassen.

 

 

Der Beitrag erschien in: express 11/2020 und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt. Weitere Infos: express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info Email: express-afp@online.de express / AFP e.V., Niddastraβe 64, VH, 4. OG, 60329 Frankfurt a.M.

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