IG Metall will in der Stahlindustrie die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich durchsetzen – Ein erfolgreiches Beispiel könnte die Verkürzung der Arbeitszeit in Island sein

Die IG Metall will in der Stahlindustrie die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich durchsetzen. Mit diesem Ziel will die Gewerkschaft in die kommende Tarifrunde gehen, die Ende des Jahres zunächst in den nordwestlichen Bundesländern, in Ostdeutschland und ab Februar 2024 dann auch im Saarland anstehen. Konkret schwebt der IG Metall die Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich vor, um eine Verringerung der Belastung der Beschäftigten und eine Verbesserung ihrer Gesundheit und Lebensqualität zu erreichen.

Dass solche Forderungen umgesetzt und in der realen Arbeitswelt funktionieren können, zeigt das Beispiel der Verkürzung der Arbeitszeit in Island. Dort haben vier Jahre lang 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden in der Woche gearbeitet und das bei vollem Lohn.

Eine kürzlich vom Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (HDI) in Auftrag gegebene Umfrage kam zu erstaunlichen Ergebnissen: 63 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich aus und weitere 14 Prozent unterstützen dies auch dann, wenn es dabei zu Einkommenseinbußen kommt. Bei den erwerbstätigen Menschen, die jünger als 40 Jahre sind, möchten 83 Prozent eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, wobei 17 Prozent sich so eine Arbeitszeitverkürzung auch dann wünschen, wenn dies mit einer Einkommensminderung verbunden ist. Auch stellt fast jeder zweite seine Vollzeit-Arbeitsstelle in Frage, ganze 48 Prozent würden in Teilzeit wechseln, wenn der Betrieb dies ermöglichen würde und bei den Beschäftigten unter 40 Jahren liegt dieser Anteil sogar bei 51 Prozent.

Dass diese Wünsche umgesetzt und in der realen Arbeitswelt funktionieren können, zeigt das Beispiel der Verkürzung der Arbeitszeit in Island.

Verkürzung der Arbeitszeit in Island, mit verblüffendem Erfolg

Auf Druck der Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatten der Stadtrat von Reykjavík und die isländische Regierung 2015 das weltweit größte Experiment zur Arbeitszeitverkürzung gestartet. Vier Jahre lang haben 2.500 Beschäftigte verkürzt bei vollem Lohn gearbeitet.

Die abschließende Studie zeigt, dass der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst ein überwältigender Erfolg war und dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann.

Der Versuch war so erfolgreich, dass nun generell die Arbeitszeitregelungen in Island geändert wurden, jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.

Das isländische Beispiel kann dazu dienen, eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern zu geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind zu verschaffen.

In die Wege geleitet wurden die Versuche zur Arbeitszeitverkürzung von der Stadt Reykjavík und der isländischen Regierung, die wissenschaftliche Begleitung übernahmen der britische Thinktank Autonomy und die isländische Gesellschaft für nachhaltige Demokratie.

An dem Experiment, das von 2015 bis 2019 in Island durchgeführt wurde, nahmen insgesamt über 2.500 Beschäftigte teil. Die Wochenarbeitszeit wurde bei den meisten von 40 Wochenstunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert. Neben den klassischen „Nine-to-five-Jobs“ (Arbeitsplätze mit der Regelarbeitszeit von 9 bis 17.00 Uhr) wurden auch die Menschen in den Schichtdiensten in das Projekt integriert. Die Arbeitszeitverkürzung wurde nicht nur in Büros, sondern auch in Kindergärten, sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern und Servicezentren der Stadtverwaltung durchgeführt. Die Regierung und die Stadtverwaltung mussten auch keine zusätzlichen Gelder aufbringen, da der Versuch kostenneutral war.

Von den Voraussetzungen her war der Versuch in Island gar nicht mal so optimal. Das Land galt als Paradebeispiel für lange Arbeitszeiten, mit all den bekannten Auswirkungen wie Burnout und wenig Zeit für Freizeitaktivitäten oder die Familie. In einer Statistik der OECD gehörte Island noch 2018 zu den 10 Ländern, in denen die Beschäftigten am längsten arbeiteten.

Ergebnisse des Experiments

Die isländische Non-Profit-Organisation Alda (Association for Democracy and Sustainability) hat nun gemeinsam mit dem britischen Thinkthank Autonomy das Experiment ausgewertet und die Ergebnisse vorgestellt. Selbst die Forscher sind von dem Resultat begeistert, sie meinen sogar, „die isländische Reise zur kürzeren Arbeitswoche zeigt uns, dass es nicht nur möglich ist, in der heutigen Zeit weniger zu arbeiten, sondern dass auch ein progressiver Wandel machbar ist.“

Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn führte in Island dazu, dass

  • es eine verbesserte Work-Life-Balance (ausgewogene Gleichheit von Beruf und Privatleben) gab, sich das Wohlbefinden der Beschäftigten dramatisch verbesserte und auch das gesamte Gesundheitssystem entlastet wurde.
  • die Beschäftigten glücklicher, gesünder und produktiver waren und sich das Ganze wirtschaftlich rechnete.
  • die Produktivität und Leistungserbringung der Teilnehmer des Versuchs bei verkürzter Arbeitszeit und gleichbleibender Bezahlung stabil blieb oder sich sogar erhöht hatte.
  • die Arbeiten effizienter und konzentrierter ausgeführt wurden.
  • es weniger Stress und ein geringeres Risiko für Burnout gab und psychische Störungen und lange Krankenstände sich verringerten.
  • dort mehr Arbeitsplätze entstanden und auch die Arbeitszeit langfristig betrachtet reduziert wurde.
  • durch optimierte Arbeitsabläufe und effizienter genutzte Arbeitszeiten neue Strategien entstanden, um in besserer Kooperation die Arbeit zu bewältigen.
  • auch das Privatleben positiv von der verringerten Arbeitszeit beeinflusst wurde.
  • den Studienteilnehmern mehr Zeit für private Verpflichtungen blieb, für sich selbst und ihre Familien. Sie fühlten sich glücklicher, hatten mehr Zeit für Erholung, Familie, Haushalt, Hobbys, freiwilliges Engagement oder Sport

und

sogar die Unternehmen sich mit dem Modell anfreunden konnten. Das zeigte sich auch darin, dass Dienstverträge mit den isländischen Gewerkschaften neu ausgehandelt wurden.

Aufwind für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern

Immer mehr Länder werden offener für das Testen und Experimentieren mit kürzeren Arbeitszeiten. Spanien kündigte vor kurzem einen landesweiten Versuch, ähnlich wie in Island, mit einer 4-Tage-Woche an. Bis zu 6.000 Beschäftigte werden über einen Zeitraum von drei Jahren daran teilnehmen. In einigen Unternehmen erfolgt jetzt schon die Umstellung auf eine kürzere Arbeitswoche.

Betriebe in Neuseeland und Ost-Tirol haben ihre erfolgreichen Versuche öffentlich gemacht. Selbst im überfleißigen Japan werden Unternehmen neuerdings aufgerufen, eine Viertagewoche anzudenken. Auch Irland sympathisiert mit einer sechsmonatigen Testphase. In dieser Zeit soll die Umsetzbarkeit einer generellen 4-Tage-Woche überprüft werden.

Nach einem Experiment in Großbritannien behielten fast alle Betriebe die Regelung der Arbeitszeitverkürzung bei, weil ihre Beschäftigten produktiver, zufriedener und seltener krank waren. In Belgien  wurde 2022 sogar ein Recht auf Arbeitszeitverkürzung geschaffen.

In Österreich, dort hat es seit 47 Jahren keine Arbeitszeitverkürzung mehr gegeben, will die SPÖ auf den Zug der 4-Tage-Woche aufspringen, wenn auch nur aus Sorge, dass sich sonst die Arbeitslosigkeit und der Fachkräftemangel verschärfen.

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich als Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit

Die Ergebnisse des Versuchs in Island bestätigen auch wieder, dass es sich bei der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich um den Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit handelt – mit weitreichenden Folgen für die Organisation der sozialen und stofflichen Reproduktion der Gesellschaften.

Ein solches Projekt möchte sich die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung der Arbeit, nicht durch zusätzlichen Konsum, sondern in Form von mehr frei verfügbarer Zeit aneignen. Es verbindet damit die Beseitigung von Arbeitslosigkeit und der begleitenden Armut, sowie der aus beiden folgenden Desorientierung und Ohnmacht der Beschäftigten. Eine Verkürzung der Arbeitszeit sollte auch an dem Eigentumsmonopol der Unternehmerseite kratzen, das auch Voraussetzung für die Konkurrenz der Beschäftigten untereinander und für die unbegrenzte Verfügung über deren Arbeitszeit und Mehrarbeit ist.

Das Normalarbeitsverhältnis mit 7,5-Stundentag, mit 30-Stun­denwoche, bei einer 4-Tage-Woche muss neuer Standard werden

Jetzt hat die IG Metall einen Stein ins Wasser geworfen und es ist an der Zeit, dass das Thema der Arbeitszeitverkürzung breit in die Gesellschaft, in alle Branchen und Betriebe getragen wird.

Notwendig wäre zunächst einen neuen Standard für das Normalarbeitsverhältnis mit 7,5-Stundentag, mit 30-Stun­denwoche, bei einer 4-Tage-Woche zu definieren.

Das isländische Beispiel kann eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind verschaffen.

Ein solcher Schritt kann bei uns erst dann ein voller Erfolg werden, wenn alle Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung kämpfen und sie sich entschieden gegen Arbeitslosigkeit, Stellenabbau, Niedriglohnsektor und für Vollbeschäftigung einsetzen.

Wie die Geschichte zeigt, kann man so etwas nur dann durchsetzen, wenn das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wird.

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Zur  Islandstudie (englisch): ICELAND_4DW.pdf (autonomy.work)

 

 

 

 

 

Quellen: waz, kontrast at, pressensa.com, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
Bild: IG Metall