Mit Aktivisten allein gewinnt man nicht

Von Ines Schwerdtner

Die politische Unabhängigkeit und Vielfalt der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co enteignen« war ihre große Stärke. Nach dem Sieg kommt das Konzept an seine Grenzen.

In einer Zeit von Niederlagen für die gesellschaftliche Linke ist es besonders, wenn sie einen Sieg feiern kann – in diesem Fall sogar einen fulminanten Sieg. Über 1 Million Menschen haben in Berlin für die radikale Forderung der Vergesellschaftung von 240.000 Wohnungen in der Stadt gestimmt. Dass diese Kampagne erfolgreich am Grundgesetz ansetzt, sich den Werkzeugen des Organizings bedient und die unterschiedlichen, disparaten Mietenproteste vereinigen konnte, ist für sich genommen bereits ein politisches Kunststück. Der Sieg, den sie damit gegen den Trend der Privatisierung und Monopolisierung auf dem Mietmarkt und in anderen Sektoren einfahren konnte, ist historisch. Auch deshalb strahlt er in die ganze Welt aus.

Im Rausch dieses Triumphs droht allerdings unterzugehen, dass die Kärrnerarbeit mit dem gewonnenen Volksentscheid nicht abgeschlossen ist. Im Gegenteil – die Kampagne wird erst jetzt in der Auseinandersetzung mit der Regierung beweisen müssen, dass sie nicht nur Sammeln und Organisieren, sondern auch eine handfeste Auseinandersetzung mit dem Senat führen kann.

Franziska Giffey droht als Bürgermeisterin die Umsetzung juristisch zu verschleppen oder die Finanzierung als Grund anzuführen, um den Entscheid nicht umzusetzen. Beides entbehrt jeder Grundlage, ist aber politisch wirksam.

Diese Verhinderungsstrategie und die Stärke der Immobilienlobby waren absehbare Faktoren, mit denen die Kampagne jederzeit rechnen musste und muss. Um erfolgreich zu bleiben, wird sie jetzt juristisch und politisch alle Spielräume nutzen müssen. Zugleich gerät sie ohne starke Partei, die ihre Forderung tatsächlich umsetzt, politisch an eine gewisse Grenze – genau an diese Grenze stößt jede Bewegung, die monothematisch auf ein konkretes Ziel hinarbeitet. So effektiv die Mobilisierung auch sein mag, sie lässt sich nicht ewig aufrechterhalten.

Zur Wahrheit gehört ebenso, dass auch diese sehr erfolgreiche Kampagne, wie fast alle linke Gruppen und Parteien, ihre eigenen Widersprüche hervorbringt. Der Kampagne einen Sieg und der Linkspartei schlicht eine Niederlage zu attestieren, ist falsch, denn beide teilen sich dasselbe Problem: Ihr Kern rekrutiert sich aus Aktivistinnen und Aktivisten und nicht aus der Breite der Gesellschaft. Man argumentiert an der Realität vorbei, wenn man in der Tatsache, dass 56 Prozent der Berliner Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen ihr Kreuz für die Vergesellschaftung gesetzt haben, einen großartigen Sieg der Selbstermächtigung sieht. So großartig der Erfolg ist, wir tun uns für künftige politische Projekte keinen Gefallen, wenn wir den Entscheid glorifizieren und nicht realistisch auf Stärken und Grenzen einer der spannendsten und wichtigsten Kampagnen unserer Zeit schauen.

Ein dynamisches Feld

Berlin ist zunächst einmal aus mehreren Gründen prädestiniert für einen Volksentscheid wie diesen. Der Geist der Hausbesetzerszene weht noch immer durch die Straßen. Hinzu kommt: Keine andere Stadt in der Bundesrepublik veränderte sich in den letzten dreißig Jahren nach der Wende so rasant wie Berlin. Steigende Mietpreise, Gentrifizierung und Privatisierung, Ferienwohnungen und Airbnb, Leerstand, Verdrängung und die Proteste dagegen haben sich in die Geschichte der Stadt eingeschrieben. Das Thema Wohnen drängte also quasi von selbst ins Zentrum.

Dass aus unterschiedlichen Mieterinnenprotesten und Initiativen schließlich ein gemeinsamer Kampf wurde, ist wiederum klugen Köpfen zu verdanken sowie der Einsicht, dass einzelne widerständige Gruppen nichts gegen den überwältigenden Druck der großen Immobilienriesen ausrichten können. Die autonome Politik des Besetzens und Rebellierens war gescheitert. Der Rückgriff auf die Anfänge der Sozialisierungsdebatten aus der Weimarer Republik und den Artikel 15 des Grundgesetzes ist eine Konsequenz daraus. Wie sollte man sonst effektiv Druck ausüben können?

Das planmäßige Vorgehen ließ aus dieser Idee tatsächlich eine ernstzunehmende politische Kraft in der Stadt werden. Doch auch die Umstände und Kräfteverhältnisse spielten der Kampagne in die Hände. Der Mietendeckel, der den Mietenwahnsinn nicht behoben, wohl aber eingedämmt hat, war auch ein Teilerfolg der Bewegung und nahm der Enteignungsforderung zugleich jedoch den Wind aus den Segeln. Dass der Deckel nach der Klage einiger FDP- und CDU-Abgeordneter nach nur einem Jahr beim Bundesverfassungsgericht durchfiel, ist eine feine Ironie der Geschichte. Denn die Wut, die in der Bevölkerung darüber entbrannte, verschaffte der Kampagne im März dieses Jahres den nötigen Schub, den sie zu diesem Zeitpunkt so dringend brauchte. Denn das Sammeln in den ersten Wochen war mühsam: Es war kalt und nass, Corona machte es nicht einfacher. In den Kiezteams lief das Sammeln nach Plan, aber noch nicht schwungvoll. Das sollte sich erst ändern, als sich nach dem gekippten Mietendeckel die Dringlichkeit der Forderung in neuer Klarheit zeigte.

»Als entschiedene Gegnerin der Enteignung wird Franziska Giffey neben der Immobilienlobby die größte Widersacherin der Kampagne bleiben.«

Nicht zu vergessen ist auch die strategische Dummheit der Immobilienriesen sowie die Dreistigkeit der Berliner SPD. Die geplante Fusion der beiden größten Wohnungsunternehmen, Deutsche Wohnen und Vonovia, musste bei ohnehin schon aufgebrachten Mietern für Kopfschütteln sorgen. Während eines Wahlkampfs einer Enteignungs-Kampagne mit dem Gedanken zu spielen, einen noch größeren Konzern auf dem Mietmarkt zu bilden, ist als solches schon gewagt. Noch gewagter war nur das Agieren der SPD unter Michael Müller, der die Fusion auch noch unterstützte.

Noch irrwitziger wurde das Handeln der Partei, als sie der Deutsche Wohnen und Vonovia nur wenige Tage vor dem Entscheid 14.000 sanierungsbedürftige Wohnungen zu einem horrenden Preis abkaufte. Damit unterlief die SPD ihre eigenen Argumente, nämlich, dass der Rückkauf im Verhältnis zum Bauen nichts bringen und den Haushalt belasten würde. Beides ist falsch und die meisten Wählerinnen und Wähler erkannten, dass die Stadt mit dem Deal über den Tisch gezogen wurde. Der knappe Wahlerfolg von Franziska Giffey zeugt davon. Als entschiedene Gegnerin der Enteignung wird sie neben der Immobilienlobby die größte Widersacherin der Kampagne bleiben.

Keine Bewegung von »unten«

Aus der Erfahrung des gescheiterten Mietenvolksentscheids von 2015 hatte die Initiative gelernt, dass man eine Kampagne rechtssicher und gut organisiert durchzuziehen muss. Jahrelange Erfahrung und Arbeit sind die Grundlage des Sieges des Volksentscheids. Nichtsdestoweniger sitzt man einer Täuschung auf, wenn man diesen nun als Bewegung von »unten« glorifiziert, denn es sind natürlich politisch Aktive aus der Szene, die sich vernetzen und so eine Kampagne anstoßen. Sie sind es auch, die sie in ihrem Kern von »oben« tragen.

Dass im Laufe der Zeit auch Menschen dazu gekommen sind, die zum ersten Mal politisch aktiv wurden, ist der große Verdienst der Kampagne. In den Teams trafen Charaktere wie der emsige Organisator, die rüstige Kommunistin und die in allen Communities des Kiezes vernetzte Kurdin aufeinander. Manche Kiezteams, wie in Neukölln, bestehen hauptsächlich aus jungen Aktiven, darunter viele Expats, andere aus einer vergangenen Aufstehen-Gruppe. Sie alle sorgten für Leben in der Kampagne. Dass man sich für einen gewissen Zeitraum hinweg nicht wegen politischer Unterschiede überwarf, spricht für Struktur und Ziel der Initiative.

Im Laufe der Kampagne lernten alle dazu: War der erste Flyer noch akademisch verklausuliert, las sich der letzte kurz und prägnant. Viele eigneten sich in den jeweiligen Kiezteams Fähigkeiten wie das Organisieren eines Treffens oder einer Gruppe an. Die unüberschaubare digitale Kommunikation meisterte ein Großteil der Bewegung mit unglaublicher Disziplin.

»Selbst eine dynamische Bewegung wie diese gleicht in ihrem Aufbau einem Partei-Apparat, auch wenn man sich das zuweilen nicht eingestehen möchte.«

Gleichzeitig wäre es falsch zu behaupten, es habe keine informelle Hierarchie oder dominante Gruppen gegeben. Der Großteil der Aktiven speiste sich zum einen aus der Interventionistischen Linken und zum anderen aus der Linkspartei. Einzelne Aktive, die nicht aus diesen Strukturen kommen, bestätigten, dass der Kern aus Akteurinnen und Akteuren bestand, die neben der Kampagne das Ziel verfolgten, ihre eigene Organisation zu stärken. Daran ist nichts verwerflich. Doch eine Bewegung »von unten« war die Initiative in diesem Sinne nicht.

Die Diversität der Kiezteams spiegelt sich im Ko-Kreis oder im Plenum nicht wider. Hier sitzen Polit-Aktivisten, die stundenlange Sitzungen gewohnt sind und die Redeleitung haben. Jede Organisation hat diese Form der eigenen Funktionäre oder bildet sie heraus. Selbst eine dynamische Bewegung wie diese gleicht in ihrem Aufbau einem Partei-Apparat, auch wenn man sich das zuweilen nicht eingestehen möchte. Postautonome Politikformen gehen von flachen Hierarchien aus, entwickeln selbst aber immer wieder informelle Hierarchien, insbesondere durch Codes, Sprache und einen gewissen Habitus. Vornehmlich junge, akademische Aktivistinnen und Aktivisten beherrschen den Raum. Mit Glitzer und Fahnen erzeugen sie zwar öffentlichkeitswirksame Bilder, sind aber letztlich Teil eines Milieus, das mit der Breite der Gesellschaft relativ wenig zu tun hat.

In der Nische geblieben

Dass Hunderte durch Unterschriftensammeln und Haustürgespräche dazu gezwungen waren, mit den Menschen dieser Stadt in Kontakt zu treten, war ein echter Fortschritt linker Politik. Wir waren plötzlich in der Situation, nicht nur abstrakt über Eigentum oder Kapitalismus zu schwafeln, sondern Menschen davon überzeugen zu müssen, dass Vergesellschaftung das Mittel der Wahl ist. Das schärfte die Argumentation und dampfte sie zugleich aufs Wesentliche ein. Manch einer hätte am liebsten das Kapital rezitiert, musste aber einsehen, dass den meisten Menschen das Problem der unbezahlbaren Mieten doch erstmal näher war. Man kann sagen, die Kampagne holte die gesellschaftliche Linke auf den Boden der Tatsachen zurück. Für eine Linke, die vom Rest der Gesellschaft ziemlich entfremdet ist, war das ein Segen.

Doch gerade in den letzten Wochen vor dem Entscheid, als keine Unterschriften mehr gesammelt werden mussten, sank auch die Mobilisierung innerhalb der Kiezteams, besonders in den Außenbezirken. Aus Neukölln und Kreuzberg musste Hilfe entsandt werden, da die Organisierung vor Ort nicht ausreichend gelungen war. Selbst der Leuchtturm Marzahn-Hellersdorf erhielt am Ende nur eine knappe Mehrheit für den Volksentscheid, trotz massiver Aufbauarbeit. Andere Kiezteams empfanden es als übergriffig, von den Neuköllnern gezeigt zu bekommen, wie man am besten Emojis zur Mobilisierung einsetzt. Die Frage der politischen Milieus, die die Linke insgesamt durchzieht, hat auch vor der Kampagne nicht Halt gemacht. Reinickendorf ist eben nicht Kreuzberg.

»Wir haben die meiste Zeit mobilisiert, anstatt die Mieterinnen und Mieter langfristig zu organisieren.«

Während das Anliegen der Vergesellschaftung kurz vor dem Entscheid in einem Kampagnenvideo in verständlicher und berührender Sprache vorgebracht wurde, war die öffentliche Ansprache der Kampagne in den Social-Media-Kanälen weiterhin zumeist auf diejenigen ausgelegt, die bereits von der ihr wussten oder begeistert waren. Noch im Februar warnte die Gewerkschaftsorganizerin Jane McAlevey, wir müssten nicht nur unsere aktive Basis massiv hochskalieren, sondern dürften unsere Energien nicht auf Social-Media verschwenden. Streng gesprochen haben wir die meiste Zeit mobilisiert, anstatt die Mieterinnen und Mieter in den betroffenen Häusern langfristig zu organisieren.

Auch das Bündnis mit Gewerkschaften, den Jusos und der Grünen Jugend, mit Fridays for Future oder dem Mieterverein waren unerlässlich für die zivilgesellschaftliche Verankerung der Kampagne. Zugleich gelang es trotz dieser starken Bündnispartner nicht, die Breite der Gesellschaft zu mobilisieren. Bei den Mietendemos gehen im wesentlichen die immergleichen 10.000 Linken auf die Straße. So wichtig diese Events sind, um sich gegenseitig bei Laune zu halten, stammen sie doch aus einem Bewegungsrepertoire, das Menschen in Außenbezirken, Platten, Reihenhaussiedlungen und Kleingärten nicht erreicht. Die Wut und Frustration vieler Menschen spiegelt sich in Gute-Laune-Videoclips nicht wider, weshalb sich ein Großteil der Bevölkerung vermutlich nicht angesprochen gefühlt haben mag, obwohl 85 Prozent der Menschen in Berlin Mieterinnen und Mieter sind und damit das Wählerpotenzial wahnsinnig groß war.

Sich selbst im Weg stehen, weil man alles erreichen will

An einer Reihe von internen Debatten zeigte sich außerdem eine Tendenz, die für die Linke symptomatisch ist: Indem sie alles auf einmal erreichen will, verliert sie den Blick auf das Ziel.

So wurde recht frühzeitig diskutiert, auch das Wahlrecht zu thematisieren. So richtig diese Forderung ist – immerhin dürfen in Berlin rund 25 Prozent der Menschen nicht abstimmen –, so müsste ebenso klar sein, dass sie ein eigenes Volksbegehren braucht. Dennoch wurde mit knappen Ressourcen lange darüber debattiert, inwieweit das Sammeln von »politischen Unterschriften« angesprochen werden sollte. Im Versuch, alles richtig machen zu wollen, drohte man sich selbst zu überfordern.

Auch das eigene Wählerklientel sorgte für Beunruhigung: Denn um eine Mehrheit zu erreichen, musste man auch FDP-, CDU- und gar AfD-Wählerinnen hinnehmen. Vor einer Unterschrift gibt es ja glücklicherweise keinen Gesinnungstest. Nicht selten diskutierte man auf der Straße daher auch mit Verschwörungstheoretikern, die meinten, die Immobilienlobby würde von drei Menschen gesteuert, oder mit Rechten, die ihren Hass auf Linke und Grüne mit einer Unterschrift »gegen den Senat« verknüpften. Dies bildet sicherlich nicht die breite Mehrheit, wohl aber einen Teil der Stadtgesellschaft ab. Dass ein linkes Vorhaben es schafft, mit Verteilungsfragen sehr viele Menschen quer durch alle politischen Zugehörigkeiten zu erreichen, war und ist die Stärke der Kampagne. Die Ambivalenz, in einem Gespräch nicht alle vom Sozialismus zu überzeugen, musste man aushalten lernen, anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob man Leute mit anderen Ansichten überhaupt erreichen dürfe.

Zuletzt drohte die Kampagne auch an sich selbst zu scheitern, als ein Vorwurf des sexuellen Übergriffs innerhalb der eigenen Reihen die Sitzungen dominierte. Natürlich kann eine Kampagne den Vorwurf weder aufklären noch ein Urteil sprechen. Doch statt eines geordneten Verfahrens gab es Debatten über das Verfahren selbst, welche die Kampagne gelähmt und gespalten sowie bereits bestehende Alters- und Milieu-Unterschiede vertieft haben. Die Lernerfahrung daraus kann eigentlich nur sein, dass eine Kampagne dieser Größe und Tragweite vorher ein geordnetes Verfahren für diesen Fall verabschieden muss.

Eine Kampagne ist keine Partei und andersherum

Dass es im Ergebnis trotzdem funktionierte, liegt am Zuschnitt des Volksentscheids, an der Dringlichkeit des Themas, aber auch an der Professionalität der Kampagne, die im Vergleich zum dilettantischen Wahlkampf der Parteien besonders hervorstach. Die Plakate und Materialien sind souverän gestaltet, auch die Argumentations- und Sammel-Workshops waren eine echte Bereicherung. Ein Kern an Aktiven war hochmotiviert, ein anderer Teil ließ sich zumindest zeitweise immer wieder zu Aktionen mobilisieren. Es wird schwierig sein, diese losen Aktiven bei der Stange zu halten, nun, da der Entscheid gewonnen wurde.

»Wenn Parteifunktionäre der LINKEN Unterschriften sammeln gehen, dann mag das begrüßenswert sein. Ihre genuine Aufgabe wäre es jedoch gewesen, mit der SPD um das beste Mietenkonzept zu konkurrieren.«

Bei der Umsetzung zeigen sich die Grenzen der Kampagne in aller Deutlichkeit. Denn ohne eine starke politische Kraft ist die Umsetzung im Parlament nicht gesichert. Dafür hätte DIE LINKE, die das Volksbegehren als einzige Partei von Anfang an unterstützte, besser abschneiden müssen. Mit knapp 14 Prozent schnitt sie sogar schlechter ab als bei der letzten Abgeordnetenhauswahl. Obwohl sie den Mietendeckel in der Stadt durchsetzte und Mietenpolitik in ihrem Wahlkampf thematisierte, konnte sie von dem Erfolg der Kampagne nicht profitieren. Eine Partei ist eben mehr als eine Initiative, die gezielt für ein Thema mobilisiert. Sie muss auch Durchsetzungsfähigkeit ausstrahlen können.

Nimmt man eine Partei nur als Anhängsel einer Kampagne wahr, dann macht sie sich dadurch selber klein. Wenn Parteifunktionäre Unterschriften sammeln gehen, dann mag das durchaus begrüßenswert sein. Ihre genuine Aufgabe wäre es jedoch gewesen, mit der SPD um das beste Mietenkonzept für eine lebenswerte Stadt zu konkurrieren, anstatt sich als Aktivisten auf der Straße selbst zu verzwergen. So verhärtete sich der Eindruck, die Partei versuche verzweifelt im Windschatten der Kampagne einen kleinen Wähler- und Mitgliederzuwachs zu erringen. Eine Bewegung ist keine Partei und andersherum. Parteien können sich strategisch zu Kampagnen positionieren, sie können Themen verbinden und auf Regierungsprojekte zuspitzen, doch beide sollten nicht in eins zusammenfallen.

Die Kampagne hat zurecht eine gewisse Distanz zur Linkspartei gesucht, auch weil die Privatisierung des kommunalen Wohnungsbaus, der die Enteignung überhaupt erst notwendig macht, tragischerweise von einem rot-roten Senat umgesetzt wurde. Zugleich hat das postautonome Politikverständnis seine Grenze dort erreicht, wo nun im Parlament die Umsetzung des Entscheids ansteht. Letztlich muss eine Kampagne wie »Deutsche Wohnen & Co enteignen« sich eingestehen, dass sie in den Institutionen des Staates agiert, wenn sie schon das Grundgesetz für sich nutzt. Bei aller Wirksamkeit des Organizings, die Macht im Staat ergreift man nicht ohne eine linke oder sozialistische Partei. Insofern ist der Sieg des Entscheids leider an die relative Niederlage der LINKEN gekoppelt. Eine ewige Mobilisierung außerhalb der Institutionen –  die klassische postautonome Strategie –  wird nur vom Kern der  Aktivistinnen und Aktivisten mitgetragen werden, die Breite der Kampagne kann das langfristig nicht auf hohem Niveau stemmen.

Die Wirklichkeit ist radikaler als wir 

In tausenden Gesprächen konnte man feststellen, dass die Menschen an den Haustüren und auf der Straße teilweise radikaler sind als unsere linken Projektionen. Das sollte uns positiv stimmen. Die meisten Menschen wissen sehr genau, wie hoch die letzten Mietsteigerungen waren und was die großen Unternehmen damit zu tun haben. Sie verstehen das Prinzip des Profits der Wenigen. Und sie wissen auch, dass sie jeden Monat über den Tisch gezogen werden und immer mehr Lohn für immer weiter steigende Mieten hinblättern müssen.

Lange erklären müssen wir hier nichts. Wir sollten selbstbewusst für unsere konkrete Forderung werben, die die Lebenslage von Hunderttausenden Menschen verbessern könnte. Damit das gelingt, können wir nicht auf nischige Kommunikation zurückfallen und somit die soziale Basis eher verkleinern statt vergrößern. Das gilt auch für die Linkspartei. Sie kann geradeheraus sprechen und Mehrheiten für sich gewinnen. Das zeigt das Berliner Beispiel nun beeindruckend.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien am 04.10.2021 auf https://jacobin.de/

Bildbearbeitung: L.N.