Zum Umgang mit Differenzen in der Friedensbewegung

Von Christiane Reymann

Die Friedensbewegung ist keine Kassandra. Sie ist eine Bewegung für das Leben – und das möglichst freundlich und schön. Doch ihre Warnungen sind so berechtigt wie erschreckend. Wir stehen tatsächlich am Rand eines großen Krieges; wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, so hat uns das der Raketeneinschlag auf polnischem Gebiet gezeigt. Angesichts der Monstrosität der propagierten Feindbilder kann ein noch größerer Krieg auf Europäischem Boden willentlich, durch ein Missverständnis oder auch eine Provokation ausgelöst werden. Deshalb ist die Friedensbewegung so wichtig und ihre derzeitige Schwäche so ernst.

Differenzen, oft tiefgehende Konflikt, hatte die Friedensbewegung immer. Sie war nie Frieden-Freude-Eierkuchen. Auf zwei Konflikte möchte ich eingehen, indem ich die Geschichte der Bundesrepublik West schlaglichtartig beleuchte: National oder nationalistisch? Und: Gute Beziehungen von Krieg und Frieden, Demokratie, Soziales und Ökologie – oder Fragmentierung?

Nationale Interessen? Wenn ich gleich die VVN-BdA zitiere, will ich sie nicht „schlecht machen“. Ich teile nur ihre derzeitige politische Linie nicht. In ihrem Flyer für den Aktionstag am 19.11.2022 steht geschrieben: „Die Rechte reduziert die komplexe Krisenlage auf eine Frage nationaler Interessenpolitik“; genannt werden dann explizit „Weg mit den Sanktionen gegen Russland“ und „Nord Stream 2 ans Netz“.

Diese Polemik gegen nationale Interessenpolitik ist bemerkenswert, stand jene doch an der Wiege der westdeutschen Friedensbewegung: Gegen Westbindung und Wiederbewaffnung bildete sich die Ohne-mich-Bewegung, nach der Stalin-Note von 1950 die Initiative: Deutsche an einen Tisch, dann als Partei der Bund der Deutschen mit dem ehemaligen Zentrums-Politiker und Reichskanzler Joseph Wirth an Spitze und Kommunisten unter den Mitgliedern. Der Bund der Deutschen ging später auf in der Deutschen Friedensunion (DFU), die vor allem organisatorisch zu den Initiatorinnen des Krefelder Appells gehörte. Nun kann man einwenden: Ja damals…aber heute ist alles anders. Was soll denn anders sein? Haben sich Westbindung und NATO als förderlich für den Frieden erwiesen? Ersetzt eine „gute“ EU den „schlechten“ Nationalstaat? Wohl kaum. Die EU ist antidemokratisch und militaristisch, sie knebelt die kleineren Länder, siehe die Griechenlandkrise, und begünstigt die reichen EU-Länder wie Deutschland.

Ich habe mich gefragt: Wann wurde eigentlich von links ein positiver Bezug auf nationale Interessen negativ konnotiert und ins Nationalistische gewendet? Meiner Erinnerung nach mit der deutschen Vereinigung und der Bildung der Antideutschen Gruppierungen und Akteure. Sie und die Leitmedien liefern sich seitdem gegenseitig die Stichworte von Querfront, Verschwörungstheorien, Putin-Versteher, Schwurbeler usw. Bei der Unterstützung der Politik des Staates Israel (und der USA) zu landen, ist sicherlich nicht internationalistisch. Und eine Friedensbewegung, die die wesentlichen Verursacher von Krieg und Zerstörung weltweit benennt und zu stoppen versucht – und das sind vor allem die USA und die NATO – blickt über den Tellerrand nationaler Selbstgenügsamkeit hinaus und ist sicherlich nicht nationalistisch.

Über Jahrzehnte gab es in der alten BRD Kräfte in der Friedensbewegung, die gegen die Atombewaffnung, aber für die NATO waren. Ähnlich heute: Zum Beispiel ein Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, will die NATO nicht abschaffen, aber er will keine Feindschaft mit Russland. Eine derartige Position sollte eine Bewegung nicht nur aushalten, sondern wertschätzen. Die Friedensbewegung hat ständig neue Impulse bekommen und aufgenommen. So ging in der Zeit der antikolonialen Befreiung, im Protest gegen den Vietnamkrieg, im Versuch der Selbstbehauptung Lateinamerikas die internationale Solidarität in den Erfahrungsschatz der Friedensbewegung ein. Im Kampf gegen die damals NS-Gesetze genannten Notstandsgesetze 1958-1968 haben Friedens- und Demokratiebewegung ein enges Verhältnis miteinander entwickelt, bald auch wieder im Kampf gegen die Berufsverbote. Den größten Einschränkungen der Grundrechte gegenüber im Zuge der Corona-Maßnahmen blieb die Friedensbewegung allerdings sprachlos oder verfiel in die Terminologie (und Denkungsart?) der Leitmedien mit Begriffen wie Querdenker, Schwurbeler usw.

Frieden und Soziales

Mit der Verbindung von Friedens- und einer Bewegung für soziale Rechte war und ist es schwierig. Dafür müssen auch Gewerkschaften gewonnen werden und früher auch die SPD. Beide waren in jungen Jahren der BRD gegen die Westbindung, bis die SPD 1959 mit dem Godesberger Programm den NATO-Beitritt ermöglicht und die nach Hunderttausenden zählenden Bewegung „Kampf dem Atomtod“ verlassen und marginalisiert hat. Zu einer Wiederannäherung kam es in der Phase der Entspannungspolitik. Die ist bekanntlich leider vorbei.

Zu diesem Webinar heute haben wir von frieden-links eingeladen.

Wir sind zutiefst überzeugt, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen. Aber wir halten es aus Erfahrung für vollkommen daneben, Kapitalismuskritik oder gar die „richtige“ Kapitalismuskritik zur Voraussetzung für einen „Beitritt“ zur Friedensbewegung zu machen. Die Friedensbewegung braucht Partner. Bei der Suche nach ihnen müssen wir uns nicht abgrenzen gegen alle, die nicht im Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung (oder zwischen Lohnarbeit und Kapital) die Ursache unserer gesellschaftlichen Probleme sehen. Wir halten es aber für notwendig, die Bewegungen für Frieden, Soziales und Ökologie einander anzunähern.

Jetzt möchte ich nur kurz etwas zu Frieden und Soziales sagen: Anstatt nach dem Gemeinsamen in deren Interessen zu suchen, gibt es nicht nur seitens der SPD und der Gewerkschaftsbewegung, sondern auch unter sich links verstehenden Kräften ein Bemühen der Abgrenzung des Sozialen zur Friedensfrage. Die Partei Die Linke etwa thematisiert in ihrer aktuellen Sozialkampagne zwar die notwendige Entlastung von BürgerInnen, sie fordert die Besteuerung von Reichen und ist gegen die hohen Rüstungsausgaben – aber sie schweigt zu den Sanktionen. Dabei sind Sanktionen eine Form des Krieges. Und ohne Aufhebung der Sanktionen wird es nach einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine auch keine günstige Energie und keine Wiederherstellung von unterbrochenen Rohstofflieferungen und Lieferketten geben.

Der Krieg Russlands ist schrecklich, er verursacht großes Leid, namentlich in der Ukraine, aber auch in Russland. Doch er ist nicht Ursache der hohen Energiepreise und sozialen Verwerfungen in Deutschland. Er ist noch nicht einmal die Ursache der aktuellen Aufrüstung. Dafür lagen die Beschlüsse längst vorher in den Schubladen. Deshalb muss der Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit verwoben werden mit Kampf gegen Kriegslogik und gegen die deutsche Kriegsbeteiligung. Je mehr sich die Kriegslogik fortsetzt, desto geringer die Spielräume für Soziales. Als Linke in der Friedensbewegung wollen wir Bewegungen und Akteure für Soziales, für Ökologie, für Demokratie und Frieden zusammen bringen. Das gelingt höchstens ansatzweise und diese Schwäche hat viele Ursachen.

Nicht unwichtig ist hierbei die verbreitete Diffamierung statt des Versuchs, einander zu verstehen, die Ausgrenzung statt aufeinander zuzugehen, Zensieren statt miteinander zu reden. Das wollen wir überwinden und das wiederum ist oft sehr, sehr schwer. Aber miteinander können wir es uns etwas leichter machen.

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Input-Statement bei einem Webinar von „Frieden links“ am 16.11.2022

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Die Autorin:

Christine Reymann lebt in Berlin, ist Journalistin und Friedensaktivistin

 

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien in Marxistische Blätter https://www.neue-impulse-verlag.de und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.

Bildbearbeitung: L.N.