Neue Studie: So überwacht Amazon seine Beschäftigten in den USA

Von Alexander Fanta

Jeder Handgriff wird aufgezeichnet, Austausch zwischen Kolleg:innen sofort unterbunden – ein neuer Bericht über die Arbeitsbedingungen bei Amazon liefert Gründe, nicht mehr dort einzukaufen.

Amazon ist schon länger bekannt für die harschen Arbeitsbedingungen. Wie umfassend der Handelskonzern seine Beschäftigten in den USA überwacht, schildert ein neuer Bericht des Open Markets Institute. Der Bericht zeichnet das Bild einer praktisch allumfassenden Überwachung, die bei den betroffenen Arbeiter:innen zu Stress und Verletzungen am Arbeitsplatz führt.

Hier eine Liste der schlimmsten Praktiken aus dem Bericht:

  • Keine persönlichen Gegenstände: Schon beim Betreten des Gebäudes müssen Amazon-Lagerarbeiter:innen alle ihre Sachen inklusive Handy abgeben. Behalten dürfen sie nur eine Wasserflasche und Geld in einem klaren Plastikbeutel.
  • Überall Kameras: Amazon überwacht Beschäftigte in der Lagerhalle mit einem Netzwerk an Kameras, die jeden Schritt der Leute aufzeichnen. In der Covid-19-Pandemie nutzt der Konzern die Kameras dazu, um Abstandsregeln durchzusetzen. Sie sind aber auch eine Ausrede dafür, um jede Form der Absprache und Organisation der Beschäftigten (etwa in Gewerkschaften) zu verhindern, heißt es in dem Bericht. Dystopisches Detail am Rande: Große Bildschirme in den Lagerhallen zeigen Aufnahmen von Beschäftigten, die beim Klauen erwischt worden sind. Damit sollen andere von ähnlichen Taten abgeschreckt werden.
  • Ständige Leistungsmessung: Scanner zählen, wie viele Sekunden eine Beschäftigte für eine Aufgabe braucht, etwa das Befüllen eines Regals. Wenn sie nicht schnell genug ist, zählt Amazon das als „time off task“ (TOT) – also als verschwendete Arbeitszeit. Wer zu viel davon anhäuft, erhält Warnungen und wird gekündigt. Beschäftigte beschreiben den psychologischen Effekt dieser Maßnahme als schwelende Dauerpanik bei der Arbeit. Ein Armband soll außerdem sicherstellen, dass bei Beschäftigten jeder einzelne Handgriff in die richtige Richtung geht. Wenn nicht, vibriert das Kontrollbändchen.
  • Routenzwang für Lieferautos: Eine eigene Navigationssoftware namens Rabbit sucht aus, welche Wege die Fahrer:innen von Amazon und freie Dienstnehmer:innen beim Ausliefern von Ware nehmen müssen. Dieser Weg ist für die Lieferant:innen verpflichtend, für eine Mittagspause sind dabei exakt 30 Minuten eingerechnet. Im Tagesverlauf gibt es nur zwei weitere Pausen für Fahrer:innen von je 15 Minuten, zwischendurch Pinkeln ist nicht vorgesehen. Amazon verlangt, dass 999 von 1.000 Päckchen zeitgerecht ausgeliefert werden, andernfalls droht eine Kündigung.
  • Bloß keine Gewerkschaften: Amazon analysiert mit eigener Software beständig eine Vielzahl von Kriterien, um herauszufinden welche Läden seiner Lebensmittelkette Whole Foods dem „Risiko“ gewerkschaftlicher Organisierung ausgesetzt sind. Als besonders hohe Risikofaktoren gelten die Zahl der Beschäftigen aus Haushalten unterhalb der Armutsgrenze, ihre ethnische Diversität und die Stimmung im Team. Durch seine Kameras kontrolliert der Konzern andauernd, ob sich in den Läden und Lagerhallen Beschäftigte zu Absprachen zusammentun.

Amazon bestreitet die Darstellung des Berichts kategorisch. „Diese Behauptungen treffen nicht zu“, schrieb ein Sprecher an netzpolitik.org. „Die Leistung der Mitarbeiter wird über einen langen Zeitraum betrachtet und bewertet. Wir wissen, dass viele Faktoren die Leistung von Menschen beeinflussen. Wo wir sehen, dass die Leistung über längere Zeit nicht erreicht wird, unterstützen wir mit Feedback und Coaching“.

„Schlechtester Arbeitgeber der Welt“

Wegen seiner Arbeitsbedingungen ist Amazon schon länger in der Kritik von Beschäftigtenvertreter:innen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) kürte Amazon-Chef Jeff Bezos zum „schlechtesten Arbeitgeber der Welt“. Das hinderte Bezos übrigens nicht daran, vor einigen Tagen zum ersten Menschen der Geschichte mit einem Vermögen von mehr als 200 Milliarden US-Dollar zu avancieren.

Die Lage der Amazon-Beschäftigten in EU-Staaten ist dank strengerem Arbeitsrecht und stärkerem Datenschutz weniger schlimm als in den USA. Doch aus Sicht der Gewerkschaften gibt das massive Wachstum von Amazon Grund zur Beunruhigung. „Wir sehen das in Deutschland, in Spanien, in Großbritannien, Italien, Polen und den USA – überall expandiert Amazon rapide, aber die Arbeitsbedingungen sind schockierend“, warnte IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow zuletzt im Gespräch mit netzpolitik.org.

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Alexander Fanta

Alexander berichtet als Brüssel-Korrespondent von netzpolitik.org über die Digitalpolitik der Europäischen Union. Er recherchiert zu neuen Gesetzen und Initiativen in Sachen Datenschutz, Plattformregulierung und staatlicher Überwachung. Lieblingsthema: Lobbying von Digitalkonzernen. Liebstes Recherchetool: Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz.2017 war Alexander Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung in Oxford. Er untersuchte dort die Automatisierung im Journalismus. Davor war er Außenpolitikjournalist bei der österreichischen Nachrichtenagentur APA und berichtete über die Finanzkrise, die US-Wahlen 2012 und 2016 und die Iran-Atomgespräche. Er ist unter alexander.fanta ett Netzpolitik.org (PGP) und unter @FantaAlexx erreichbar.

 

 

Quelle: https://netzpolitik.org/

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