DAK-Gesundheitsreport: Personalmangel macht krank – Fast die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland erlebt regelmäßige Personalnot im eigenen Arbeitsumfeld

Beschäftigte in Branchen mit Personalnot und Fachkräftemangel haben ein höheres Gesundheitsrisiko: Ein Viertel leidet unter Schmerzen, ein Drittel hat Schlafstörungen, mehr als die Hälfte ist komplett erschöpft. Überall in Deutschland fehlt Personal.  Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet bis 2030 mit einer Lücke von rund fünf Millionen Fachkräften. Der Krankenstand in Mangelberufen ist bereits heute mit bis zu 7,0 Prozent überdurchschnittlich hoch. Das zeigt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport 2023 „Gesundheitsrisiko Personalmangel – Arbeitswelt unter Druck“. Für diesen Report wurden die Daten von 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten ausgewertet und mehr als 7.000 Erwerbstätige befragt. Demnach erleben 45 Prozent regelmäßig in ihrem Arbeitsalltag Personalnot. Besonders betroffen sind Kranken- und Altenpflegekräfte sowie alle, die in der Kinderbetreuung arbeiten. Die große Mehrheit von ihnen geht selbst krank zur Arbeit und betreibt somit Präsentismus – was das Gesundheitsrisiko noch erhöht.

„Ständiger Personalmangel ist kein Problem der Zukunft, sondern schon heute für fast die Hälfte der Beschäftigten Realität – mit gravierenden Gesundheitsrisiken. Die Arbeitswelt steht enorm unter Druck“, sagt Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit. „Die Zusammenhänge zwischen Personalmangel und Krankenstand sind viel größer, als bisher vermutet. Deshalb müssen wir schnell gegensteuern.“  Storm fordert eine konzertierte Aktion, an der verantwortliche Akteurinnen und Akteure beteiligt sind: „Wir müssen diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe jetzt gemeinsam angehen. Nur so kann die Gesundheit der Beschäftigten geschützt und gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nachhaltig gesichert werden.“ Der Kassenchef schlägt einen Runden Tisch unter dem Motto „Kräfte bündeln – Belegschaften fördern – Unternehmen stärken“ unter Beteiligung von Politik, Sozialpartnern und Krankenkassen vor.

Personalnot bei drei Vierteln der Krankenpflegekräfte

Für den aktuellen DAK-Gesundheitsreport wurden mehr als 7.000 erwerbstätige Frauen und Männer durch das Forsa-Institut repräsentativ befragt. 45 Prozent berichten von regelmäßigem Personalmangel in ihrem Arbeitsumfeld. In vielen Berufsgruppen ist die Situation noch angespannter: Drei Viertel (74 Prozent) der Krankenpflegekräfte geben zum Beispiel an, ihre Arbeit mit dem vorhandenen Personal nur unter großen Anstrengungen zu schaffen und die große Mehrheit der Altenpflegerinnen und -pfleger (65 Prozent) bestätigt dies ebenfalls. Dazu kommt: Je extremer die erlebte Personalnot, desto stärker neigen die Beschäftigten zu Präsentismus. So haben 70 Prozent mit regelmäßigem Personalmangel in den vergangenen zwölf Monaten gearbeitet, obwohl sie krank waren, gegenüber 41 Prozent ohne Personalmangel.

Erschöpfung, Schlafstörungen und Schmerzen

Arbeiten, obwohl das Personal nicht ausreicht, ist Arbeit am Limit: Die Betroffenen berichten von starkem Termin- und Leistungsdruck, Überstunden und versäumten Pausen. Wer regelmäßig Personalmangel erlebt, kann in der Freizeit oft nicht abschalten, verzichtet auf Sport und findet wenig Zeit für Hobbys, Familie und Freunde. Stress und Druck einerseits sowie fehlende Erholung und Ausgleich andererseits beeinflussen negativ die Gesundheit: Fast die Hälfte ist häufig oder sehr häufig müde und erschöpft (54 Prozent). Rund ein Drittel (35 Prozent) berichtet von nächtlichen Schlafstörungen oder Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems, wie Rückenschmerzen, und mehr als ein Fünftel (23 Prozent) leidet unter Kopfschmerz.

Zusammenhang von Personalmangel und Krankenstand

Professor Volker Nürnberg hat die Entstehung des neuen DAK-Gesundheitsreports begleitet. Er ist Partner bei BearingPoint, gilt als „BGM-Papst“ und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Die Studie zeige, „wie insbesondere in prekären Branchen aus Personalmangel Krankenstand entsteht.“ Tatsächlich weist der Report für die Berufsgruppen mit den größten Fachkräftelücken einen um bis zu 1,5 Prozentpunkte erhöhten Krankenstand gegenüber dem Berufe-Durchschnitt aus (5,5 Prozent). Nur die Mangelberufe im IT-Bereich bilden hier eine Ausnahme. DAK-versicherte Erwerbstätige in der Altenpflege hatten 2022 zum Beispiel den höchsten Krankenstand mit 7,0 Prozent. Bei den Beschäftigten in der Fahrzeugführung, der Kinderbetreuung und im Maschinenbau waren es 6,8 Prozent, die Krankenpflege hatte 6,1 Prozent. „Man kann von einem Teufelskreis sprechen. Hohe Fehlzeiten und Personalmangel bedingen einander und verstärken sich jeweils in den Effekten“, so Nürnberg.

Gesundheitsaspekte vielfach ohne Beachtung bei täglicher Arbeit

Von den Beschäftigten, die regelmäßig Personalmangel erleben, sagen nur 31 Prozent: „Mein Betrieb engagiert sich für das Wohlergeben seiner Mitarbeiter“. Kaum mehr als ein Fünftel gibt an, dass in der täglichen Arbeit Gesundheitsaspekte berücksichtigt werden. Bei dem Versuch, die betrieblichen Aufgaben unter den Zwängen des Personalmangels zu meistern, wird aktuell in vielen Unternehmen die gesundheitliche Dimension ausgeblendet. Dabei kann das Potential von Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) noch viel mehr genutzt werden. „Vorausgesetzt alle Beteiligten sind bereit, sich neuen Wegen zu öffnen“, sagt Andreas Storm. Die DAK-Gesundheit befürwortet ein nachhaltiges BGM. „Wir unterstützen Unternehmen dabei, Arbeit so zu organisieren, dass sie für Führung und Beschäftigte möglichst gut zu bewältigen ist. Es geht unter anderem um eine Reduktion von Stress und um eine gute Balance von Arbeit, Erholung und privaten wie gesellschaftlichen Aufgaben.“

Für den Gesundheitsreport 2023 hat das IGES Institut in Berlin die Daten von 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten analysiert, eine durch das Forsa-Institut durchgeführte Befragung von mehr als 7.000 erwerbstätigen Frauen und Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren konzipiert und ausgewertet, sowie zahlreiche Expertinnen und Experten eingebunden.

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Zentrale Ergebnisse des Reports

Krankenstand 2022
  • 2022 ist der Krankenstand nach einem leichten Rückgang im Vorjahr stark angestiegen. Der Krankenstand im Jahr 2022 lag damit bei 5,5 Prozent (2021: 4,0 Prozent).
Top 3 Erkrankungsgruppen
  • Atemwegserkrankungen lagen mit einem Anteil von rund 19,9 Prozent hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Krankenstand an erster Stelle. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage mehr als verdoppelt (von 146,3 auf 397,8 Tage pro 100 Versichertenjahre).
  • Fehltage aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen sind leicht gestiegen (354,1 AU-Tage pro 100 Versichertenjahre gegenüber 336,8 AU-Tagen im Vorjahr).
  • Psychische Erkrankungen verursachten 15,1 Prozent des Krankenstandes und lagen somit auf Platz drei der wichtigsten Erkrankungsarten. 2022 gab es aufgrund von psychischen Erkrankungen 301,1 Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Versichertenjahre. Das waren erneut mehr AU-Tage als im Vorjahr (2021: 275,9 AU-Tage).
Umfang des Personalmangels
  • 45 Prozent der Beschäftigten erleben regelmäßigen starken oder sehr starken Personalmangel im eigenen Arbeitsbereich. Sie sind durchgängig mit der Situation konfrontiert, dass die Arbeit mit dem vorhandenen Personal für sie nur schwer zu bewältigen ist.
Folgen des Personalmangels für die Beschäftigten
  • Durch den Personalmangel steigen die Belastungen bei der Arbeit stark an. Der Termin- und Leistungsdruck ist deutlich erhöht, es werden (noch) mehr Überstunden gemacht, viele Beschäftigte können ihre Pausen nicht nehmen etc..
  • Die höhere Belastung im Beruf wirkt sich auch negativ auf den privaten Bereich aus. Für einen gesunden Ausgleich zum Beruf, zum Beispiel durch Zeit mit der Familie und Freunden, Zeit für Sport und Hobbies bleibt hier weniger Zeit.
  • Bei den von erhöhter Arbeitsbelastung Betroffenen kommt es zu vermehrten gesundheitlichen Beschwerden. Das Auftreten von Beschwerden nimmt stetig zum Umfang des erlebten Personalmangels zu.
Krankenstand in von Personalmangel besonders betroffenen Berufen
  • Der Krankenstand in den Berufsgruppen, die regelmäßig Personalmangel erleben, liegt deutlich über dem bundesweiten Wert von 5,5 Prozent. Eine Ausnahme bilden dabei nur die Berufe in der Informatik- und anderen IT-Berufen.
  • In der Krankenpflege, der Altenpflege oder in der Kinderbetreuung und Erziehung Tätigen sind insbesondere die Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen erhöht.
  • In Berufen der Sanitär, Heizung-, Klimatechnik, in der Fahrzeug-Führung und in den Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufen treten überdurchschnittlich viele Fehlzeiten aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen auf.
  • Zusätzlich dazu kommt es bei Beschäftigten, die regelmäßig Personalmangel erleben, deutlich häufiger vor, dass sie auch dann arbeiten, wenn sie krank sind.
Beschäftigte reagieren auf die Belastung
  • Beschäftigte suchen aktiv nach geeigneten Wegen, die hohe Arbeitsbelastung zu reduzieren. Etwa ein Viertel ist bereits verstärkt auf das Arbeiten im Homeoffice ausgewichen.
  • Besonders problematisch: Etwa sechs Prozent der Beschäftigten haben ihre Arbeitszeit bereits reduziert und weitere 19 Prozent ziehen diesen Schritt in Erwägung.
  • Die Beschäftigten in der Krankenpflege, in der Altenpflege und in der Kinderbetreuung haben ihre Arbeitszeit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung zu einem deutlich höheren Anteil bereits reduziert oder erwägen diesen Schritt, was den Druck in diesen Beschäftigtengruppen weiter erhöht.
Engagement der Betriebe zum Thema Gesundheit
  • Nach Experteneinschätzung kommt dem Engagement von Betrieben, eine gesundheitsförderliche und möglichst belastungsarme Arbeitsumgebung zu schaffen, eine besondere Bedeutung zu, um die gesundheitsbelastenden Folgen des Personalmangels abzumildern.
  • Allerdings berichten 48 Prozent der Beschäftigten, dass es bislang keine derartigen betrieblichen Angebote/Aktivitäten gibt.
  • Beschäftigte, die im eigenen Arbeitsbereich in besonderen Umfang vom Personalmangel betroffen sind, nehmen den Stellenwert des Themas Gesundheit in ihren Betrieben nur als unterdurchschnittlich ausgeprägt wahr.
Potential zur Abmilderung des Personalmangels durch Ausweitung von Arbeitszeit
  • Nach den Befragungsergebnissen haben 10 Prozent der Beschäftigten grundsätzlich Interesse an einer Ausweitung ihrer Arbeitszeit. Dieser Anteil der Beschäftigten arbeitet aktuell in Teilzeit und würde die Arbeitszeit – die passenden Rahmenbedingungen vorausgesetzt – gerne ausweiten.
  • Allerdings hat ein größerer Anteil der Beschäftigten (15,7 Prozent), die auch in Teilzeit arbeiten, nicht den Wunsch seine Arbeitszeit (wieder) auszuweiten. Die übrigen drei Viertel der Beschäftigten arbeiten bereits in Vollzeit.
  • Der Wunsch, die Arbeitszeit bei passenden Rahmenbedingungen auszuweiten, ist bei 35- bis 49-jährigen Frauen mit 22 Prozent am größten ausgeprägt, ab dem Alter von 50 Jahren wünschen sich nur 12 Prozent der Frauen eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit.
Schaffen von Rahmenbedingungen, um Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren
  • Die Möglichkeit zur flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsort haben etwa 70 Prozent aller Beschäftigten. 71 Prozent der Vollzeitbeschäftigten und 61 Prozent der Teilzeitbeschäftigten verfügen bereits jetzt über die Möglichkeit, ihren Arbeitsort flexibel zu wählen.
  • 16 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen, die ihre Arbeitszeit ausgeweitet haben, geben an, dass dies aufgrund der Möglichkeit, verstärkt im Homeoffice arbeiten zu können, umsetzbar war.
  • Frauen begründen eine Ausweitung der Arbeitszeit hauptsächlich damit, dass die familiäre Situation dies (inzwischen) zulässt. Für 19 Prozent der Frauen war die Ausweitung ihrer Arbeitszeit erforderlich, weil sich das tägliche Leben durch gestiegene Preise verteuert hat. Bei 19 Prozent der Frauen wurde die Entscheidung für eine Arbeitszeitausweisung durch einen entsprechenden Vorschlag ihres Betriebes angeregt.
Potential zur Abmilderung des Personalmangels durch längeres Arbeiten in guter Gesundheit
  • Nach Experteneinschätzung besteht eine wesentliche Herausforderung darin, die Erwerbsfähigkeit älterer Beschäftigter (trotz einer höheren Krankheitslast) möglichst kontinuierlich und ohne Ausfälle aufgrund von Krankschreibungen aufrechtzuerhalten.
  • Die Analysen zur gesundheitlichen Situation älterer Beschäftigter zeigen erwartungsgemäß eine mit steigendem Alter deutliche Zunahme von chronischen Erkrankungen (insbesondere Beschwerden im Muskel-Skelett-System).
  • Die durchgeführten Analysen zum Diagnosespektrum in der ambulanten ärztlichen Versorgung unterstreichen diese Ergebnisse. Es zeigt sich aber auch, dass Krankschreibungen nicht im gleichen Umfang wie die ambulante Diagnosehäufigkeit zunehmen.
  • Mit dem Alter nehmen vor allem lange Krankschreibungen ab sechs Wochen Dauer zu. Bei den Fehlzeiten durch kürzer dauernde Krankschreibungen zeigen sich kaum Unterschiede zu den jüngeren Beschäftigten.
  • Der Anteil der Beschäftigten ab 50 Jahren, die ihre aktuelle Leistungsfähigkeit als deutlich eingeschränkt bewerten, erhöht sich mit zunehmendem Alter und liegt in dieser Altersgruppe bei ca. 8 Prozent. Jedoch geben rund 53 Prozent der Beschäftigten ab 50 Jahren an, dass sie über eine volle Leistungsfähigkeit verfügen. Bei den Beschäftigten in der mittleren Altersgruppe liegt dieser Anteil mit 57 Prozent nur geringfügig höher.
Betriebliche Angebote für ältere Beschäftigte
  • Die betrieblichen Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatem sind den Befragungsergebnissen nach inzwischen sehr vielfältig, weit verbreitet und werden auch von den älteren Beschäftigten angenommen und intensiv genutzt.
  • Hingegen sind die betrieblichen Angebote zur gezielten Unterstützung älterer Beschäftigter (beispielsweise zur altersgerechten Gestaltung des Arbeitsplatzes und/oder der Arbeitsaufgaben, spezielle Aus- und Weiterbildungsangebote) bei weitem noch nicht ausreichend auf- und ausgebaut.
  • Viele ältere Beschäftige (ab 50 Jahren) wünschen sich hier ein stärkeres Engagement ihrer Arbeitgebenden und würden solche Angebote auch nutzen.

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Quelle und Bild: https://www.dak.de/