Inklusion-Aktivist Krauthausen: Deutschland ist „Weltmeister“ darin, behinderte Menschen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten

Menschen mit Behinderung werden nach den Worten des Aktivisten Krauthausen in Deutschland noch immer weitgehend aus dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

Der Aktivist äußerte sich unter anderem beim rbb-Sender radioeins. Anlass war die Aktion „Schichtwechsel“, bei der Menschen mit und ohne Behinderung für einen Tag die Arbeitsplätze tauschen. In dem Streitgespräch sagte Krauthausen, Deutschland sei „Weltmeister“ darin, behinderte Menschen aus dem Arbeitsmarkt auszugrenzen.Krauthausens Kritik richtet sich auch gegen das System der Behindertenwerkstätten in Deutschland. Der Aktivist verweist bei Twitter auf einen Artikel der Initiative JOBinklusive, an der er er auch beteiligt ist. Der Text wirft den Behindertenwerkstätten vor, Inklusion zu verhindern. Menschen mit Behinderung werde der Weg in die Werkstatt „oft alternativlos vorgegeben“. Die Werkstätten müssten „endlich konsequent“ an ihrem Hauptauftrag gemessen werden, Werkstattbeschäftigte langfristig in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen. Der Staat könne die Handlungsmöglichkeiten der Werkstätten erweitern und sie zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben drängen, heißt es dort.

Firmen haben „kaum ein Interesse an voll erwerbsgeminderten, schwerbehinderten Menschen“

Der zuständige Dachverband ist die „Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen“. Sie vertritt hunderte Werkstätten. Die Arbeitsgemeinschaft sagte dem Deutschlandfunk, die Werkstätten bauten Brücken in die Arbeitswelt, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit einer arbeitsmarktnahen Teilhabe zu ermöglichen.

In der Praxis zeigten sich aber auch Grenzen der Inklusion. Die Werkstätten wünschten sich gesetzliche Regelungen, die es ermöglichten, Teilhabe am Arbeitsleben noch inklusiver zu gestalten. Erwähnt wird auch eine „bessere Anschlussfähigkeit“ an das Bildungssystem. Jedoch: „Derzeit haben Unternehmen kaum Interesse an der Beschäftigung von vollerwerbsgeminderten, schwerbehinderten Menschen.“ Man brauche individuelle, dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten – und ein gesellschaftliches Umdenken.

Zum Verständnis: Das Recht auf einen Werkstattplatz haben laut Bundesarbeitsgemeinschaft nur voll erwerbsgeminderte Menschen, die „nicht, noch nicht oder noch nicht wieder“ in der Lage seien, länger als drei Stunden unter den Bedingungen des normales Arbeitsmarktes zu arbeiten.

Stundenlohn 1,30 Euro

In den Werkstätten in Deutschland arbeiten aktuell mehr als 300.000 Menschen. Sie erhalten durchschnittlich 214 Euro im Monat, worüber zuletzt auch der MDR berichtete. Das entspricht einem Stundenlohn von rund 1,30 Euro, was auch die „Süddeutsche Zeitung“ vor einiger Zeit thematisierte. Der gesetzliche Mindestlohn gilt für Tätigkeiten in den Werkstätten nicht.

Inzwischen befasst sich eine Steuerungsgruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Frage. Denn: Der Deutsche Bundestag hatte die Bundesregierung im Juni 2019 aufgefordert, Zitat: „zu prüfen, wie ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem entwickelt werden kann“.

Beauftragter Dusel: „Werkstätten dürfen keine Einbahnstraße sein“

Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung hat sich ebenfalls anlässlich der Aktion „Schichtwechsel“ geäußert. Er betont: „Werkstätten sind für viele Menschen mit Behinderungen häufig die einzige Möglichkeit, am Arbeitsleben teilhaben zu können. Sie dürfen aber keine Einbahnstraße oder Endstation sein.“

Auch in seiner Stellungnahme heißt es, viele Menschen wollten und könnten mehr leisten, hätten aber mit vielen Hürden zu kämpfen, wenn sie einen Platz auf dem regulären Arbeitsmarkt finden wollten. Er regt an, für den Übergang zum Beispiel die Inklusionsbetriebe zu stärken – also Firmen, in denen bis zu 50 Prozent Menschen mit Behinderung arbeiteten.

 

 

 

Quelle: Diese Nachricht wurde am 17.09.2020 im Programm Deutschlandfunk gesendet: https://www.deutschlandfunk.de/ und https://www.radioeins.de/

Bild: Kassandra Ruhm - https://kobinet-nachrichten.org/