LEHREN EINES BEDEUTENDEN STREIKS: BESCHÄFTIGTE BEI CHARITÉ, VIVANTES UND TOCHTERGESELLSCHAFTEN SETZEN TARIFVERTRAG ENTLASTUNG UND EINEN TARIFVERTRAG MIT ERSTEN ANGLEICHUNGEN AN DEN TVÖD DURCH

Nach über sieben Wochen Erzwingungsstreik hatte der Berliner Krankenhauskonzern Vivantes zuletzt für seine ausgelagerten Tochtergesellschaften gemeinsam mit Vertreter*innen der Gewerkschaft ver.di ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das einige Verbesserungen, die an den TVöD anknüpfen, enthalten soll. Bereits zuvor, am 7.10., gab es nach 30 Streiktagen ein Eckpunktepapier zur Entlastung der Pflegekräfte bei der Charité und 4 Tage später folgte der Vivantes-Konzern. Die Streiks wurden nach der Einigung auf die Eckpunktepapiere bis zur Unterzeichnung von entsprechenden Tarifverträgen ausgesetzt. In der Zwischenzeit gibt es für beide Häuser einen Tarifvertrag Entlastung und für die Vivantes-Töchter einen ausgehandelten Tarifvertrag über eine Annäherung an den TVöD, die zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten sind.

Dieser Erfolg war nur möglich, weil zum einen die Vorbereitungen bereits im Frühjahr 2020 begonnen wurden, verbunden mit einer erfolgreichen Kampagne zur Gewinnung von neuen ver.di-Mitgliedern: Insgesamt wurden über 2000 neue Gewerkschafter*innen gewonnen, eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt in diese harte Auseinandersetzung gehen und bestehen zu können. Zum anderen wurden Strukturen wie die Teamdelegierten aufgebaut und diese auch in ihren Aufgaben geschult. Ein wichtiges Element, um zum einen die Beschäftigten zu aktivieren und für die Streiks zu mobilisieren. Zum anderen stellen sie auch Ansätze zur Kontrolle über die Entscheidungen der Tarifkommissionen dar.

ABSCHLUSS BEI DER CHARITÉ:

Ver.di-Verhandlungsführerin Melanie Guba erkärte zum Abschluss des Eckpunktepapiers, alle Forderungen seien in diesem Papier, das mit der Charité-Geschäftsführung ausgehandelt wurde, berücksichtigt worden: Mindestbesetzungsregelungen für alle Bereiche, darunter Stationen, OP-Säle und Notaufnahmen/Rettungsstellen; Regelung eines Belastungsausgleichs; Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. War auf Intensivstationen bisher eine Pflegekraft für bis zu 4 PatientInnen zuständig, im Nachtdienst für 20 – 30, so soll der neue Personalschlüssel 1:1 bzw. 1:10 – 1:17 lauten. In den Kreißsälen soll es wieder möglich werden, dass eine Hebamme nur eine Frau bei der Geburt begleitet. Es sollen 3 neue Ausbildungsstationen und 1 multiprofessionelle Intensiv-Lehrstation eingerichtet werden.

Wenn eine Abteilung unterbesetzt ist, Leiharbeitskräfte eingesetzt werden, oder nach Gewalterfahrungen gibt es Belastungspunkte. Die Punkte können dann in Freizeitausgleich, Erholungsbeihilfen, Kinderbetreuungszuschüsse, Altersteilzeitkonten oder Sabbaticals (längere Auszeiten) umgewandelt werden. Der Belastungsausgleich im Fall der Unterschreitung der Mindestpersonalbesetzung im TVE sieht 1 freie Schicht für 5 in Überlastung vor. Die Ausgleichsschichten sind jedoch in den nächsten 3 Jahren gedeckelt: 2022 max. 5, 2023 10, 2024 15 Tage.

Bei der Charité sollen in den nächsten 3 Jahren 700 neue Stellen geschaffen wie auch akademisierte Gesundheitsfachberufe aufgebaut werden („Gesamtstrategie 2030“).

Vergleich mit dem Vivantes-Mutterkonzern-Eckpunktepapier:

Im Kern soll der TVE die Angleichung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Berliner Krankenhäusern anstreben. Die Verhandlungsführung von Vivantes wollte anfangs gar nicht über einen TVE verhandeln und war gegen den Streik gerichtlich per einstweiliger Verfügung vorgegangen. Nun trat mit dem Abschluss an der Charité sicher eine Situation ein, nach der Vivantes sich nicht mehr komplett verweigern konnte. Eine weitere Blockade hätte die Gefahr einer Abwanderung des Personals zur Charité heraufbeschworen oder zumindest hätte es einen Imageverlust bedeutet und es wäre schwieriger geworden, Fachpersonal zu aquirieren. Das Eckpunktepapier und auch der TVE bleibt aber in vielen Punkten hinter dem der Uniklinik zurück. Zwar soll auch hier ein Punktesystem eingeführt werden, wenn Schichten unterbesetzt sind, mit entsprechenden Freischichten, dieses ist aber schlechter geregelt als bei der Charité: Im Kern fällt 1 Freischicht auf 9 in Überlast (Charité: 5). Gegenüber einem vorherigen Angebot (1:12) stellt dies eine deutliche Verbesserung dar. Das gilt auch für das Ergebnis für Auszubildende (1:48). Allerdings bekommen diese den Freizeitausgleich erst angerechnet, wenn sie nach Ende ihrer Ausbildung von Vivantes übernommen werden. Es gibt auch keine Zusage für Neueinstellungen wie bei der Charité. Kolleg*innen können auch statt Freizeit eine entsprechende Auszahlung in Geld wählen. Die Konzernleitung hatte stattdessen im Laufe des Arbeitskampfes angedeutet, dass sie planen, Leistungen abzubauen, um mögliche Mindestpersonalbesetzungen zu erfüllen, also Bettenkapazitäten zu reduzieren. Der TVE soll in beiden Konzernen eine Laufzeit von 3 Jahren aufweisen.

Die Gefahr ist groß, dass es zumindest bei Vivantes zu keinem spürbaren Personalaufbau, sondern eher zu einem Abbau der Leistungen – sprich der Bettenkapazitäten – kommen wird, was wiederum zu einer Beeinträchtigung der Notfall- und Grundversorgung führen kann. Die Belegschaften haben die ausgehandelten Tarifverträge bei der Urabstimmung zwar mit überwältigender Mehrheit angenommen – bei der Charité mit 96,3 %, bei Vivantes mit 96,7 %. Trotzdem hätten die KollegInnen die Möglichkeit erhalten müssen, in Abteilungsversammlungen (unter Berücksichtigung von Notdiensten) über das für und wider der Tarifverträgen (inkl. von Beispielrechnungen) zu diskutieren, was auch die Annahme oder Ablehnung hätte beinhalten müssen.

WICHTIGE TEILERFOLGE DER STREIKS

Die Berliner Krankenhausbewegung hat es geschafft, durch einen langen und hartnäckig geführten Streik erfolgreich zu sein – trotz einiger Schwächen. Der TVE an der Charité ist in vielerlei Hinsicht besser als bisherige Entlastungstarifverträge und es ist gelungen, die Vivantes-Geschäftsführung schließlich zum Einlenken und zu einem Abschluss zu zwingen. Dies ist umso wichtiger, da die kommunalen Arbeitgeberverbände ihren Mitgliedern bisher den Abschluss eines TVE untersagten. Der TVE in beiden Krankenhäusern umfasst deutlich mehr Bereiche als 2015, darunter auch nicht-stationäre wie Kreißsäle, OPs und Funktionsabteilungen (Notaufnahmen/Rettungsstellen, Untersuchungsräume) und bietet zudem konkretere Entlastungsregelungen.

Dazu kommt, dass es nun ein Konsequenzenmanagement gibt, was es beim ersten – 2015 bei der Charité erkämpften – TVE so noch nicht gab. Der Arbeitgeber soll so gezwungen werden, auf die ein oder andere Weise eine Entlastung des Personals umzusetzen – entweder durch Einsatz von mehr Personal, oder durch Abbau von Leistungen. Letzteres mit der möglichen Konsequenz der Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung in den Bezirken.

Doch klar ist, dass damit die Probleme nicht gelöst sind und noch lange keine ausreichende Personalausstattung sicher gestellt ist: Es besteht die Gefahr, dass gerade da, wo der TVE auch eine Bezahlung anstatt Freizeitausgleich möglich macht, in der Praxis starker Druck auf die Beschäftigten ausgeübt wird, sich doch gegen den Freizeitausgleich zu entscheiden, um die Situation auf Stationen nicht zu verschlimmern. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn – zumindest von ver.di – beabsichtigt wird, Freizeitausgleich den Vorzug zu geben. Was zur Folge haben kann, dass es zu keinem spürbaren Personalaufbau kommt.

In diesem Zusammenhang wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, unter den Beschäftigten und Aktiven folgende Fragen zu diskutieren: Wie können die Beschäftigten selbst die Umsetzung der Regelungen aus den TVE kontrollieren? Und wie können die Beschäftigten auch über Sanktionen – wie z.B. Bettensperrung und Aufnahmestopps – entscheiden, wenn die Klinikleitungen sich nicht an die Vereinbarungen halten? Gerade in einer Phase ohne Streiks sind solche Maßnahmen wichtig, um den Druck auf die Klinikleitungen nach Einstellung von mehr Personal aufrechterhalten zu können. Die Beschäftigen selbst müssen diese Mittel in die Hand bekommen, da sie es sind (und auch die PatientInnen), die ein wirkliches Interesse an einer Gesundheitsversorgung entsprechend dem Bedarf mit entsprechend guten Arbeitsbedingungen haben.

Vivantes-Töchter

Im Tarifkonflikt bei den Tochtergesellschaften der landeseigenen Vivantes-Kliniken sollen die Beschäftigten nun bis Ende 2025 schrittweise mehr Geld erhalten. Wesentliche Bestandteile des TVÖD-Mantels sollen nun zur Geltung kommen. Dazu gehören 30 Tage Urlaub. Andere Vergünstigungen wie zur betrieblichen Altersvorsorge bleiben außen vor. Zur Zufriedenheit trügen die stark an ihm orientierte Zulagenregelung sowie die Verlängerung des Krankengeldzuschusses über die 6. Woche (eigentlich überhaupt ein Krankengeldzuschuss, denn bis zur 6. Woche gilt ja die gesetzliche Lohnfortzahlung) hinaus bei, so Alexander Thonig von VivantesClean (Reinigungsgesellschaft), Mitglied der ver.di-Tarifkommission. (Quelle: NEUES DEUTSCHLAND, 1.11.2021, S. 10). „Insbesondere in den unteren Lohngruppen bedeutet das in Zukunft deutlich höhere Einkommen und deutlich mehr Gerechtigkeit“, teilte Verdi-Verhandlungsführer Ivo Garbe mit.

Doch von einer Angleichung an die TVÖD-Tabellen ist das Papier weit entfernt: Je nach Tochter sollen ihre Löhne und Gehälter in den kommenden vier Jahren nach und nach auf 91 beziehungsweise 96 Prozent des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) steigen – wie z.B. bei Vivantes Rehabilitation. Sauer stößt vielen Beschäftigten auf, dass keine vollständige Angleichung an den TVöD erreicht werden konnte, geschweige denn eine Rückkehr in den Schoß der Konzernmutter, die ja von Senat und Abgeordnetenhaus versprochen worden war. Melanie Meißner, Medizinische Fachangestellte in einem MVZ, macht ferner darauf aufmerksam, dass manche ihrer Kolleg*innen in den Bestandsschutz schlüpfen müssen, um nicht weniger zu verdienen als zuvor. In Anlehnung an den TVöD nehmen die Eckpunkte nämlich die Lohngruppeneinteilung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit vor. Verhandlungsführer Ivo Garbe bezeichnet das Ergebnis denn auch als „teils gut und teils schmerzhaft“.

Für das Labor Berlin, ein gemeinsames Tochterunternehmen mit der Charité, gelten die Eckpunkte nicht. Der Verhandlungsaufforderung ver.dis sind die Geschäftsführungen bisher nicht nachgekommen.

Auch hier haben die Beschäftigten in der Urabstimmung dem Tarifvertrag mit 95,7 % zugestimmt trotz aller Schwächen und setzen auf 2025, um den Rest der Forderungen durchzusetzen (so die Physiotherapeutin Lynn Stephainsiki – selbst eine der aktiven Teamdelegierten – in einem nd-Interview vom 4.12.21). Wir hätten den Kolleg*innen jedoch empfohlen aufgrund der Schwächen der langen Laufzeit und der weiterhin großen Lücke zum TVÖD das Ergebnis abzulehnen. Ein Nein in der Urabstimmung – eine verbindliche Urabstimmung hatte ver.di nicht vorgesehen – bedeutet natürlich auch, eine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Streiks zum Ausdruck zu bringen. Hierfür wäre es nötig, alle wichtigen Lehren wie zur Streikdemokratie und Organisierung einer gewerkschaftlichen Solidaritätskampagne zu ziehen.

Streikdemokratie

Anders als in den meisten betrieblichen oder Tarifauseinandersetzungen gab es eine starke Einbeziehung und Beteiligung der streikenden Kolleg*innen. Fast jeder Bereich inklusive der Tochterunternehmen hatte ein/e Sprecher*in auf den Kundgebungen. Neben diesen Mobilisierungen ermittelte jede Station ihre Personaluntergrenzen, stellte Notdienstpläne auf und brachte ihre Meinung zum Stand der Verhandlungen ein. Dafür wurden überall Teamdelegierte gewählt, die als Verbindungsglied zwischen den Streikenden und der Tarifkommission und Verhandlungsführung fungieren sollten. Zudem wurde eine repräsentative Tarifkommission gewählt, in der zahlreiche unterschiedliche Disziplinen vertreten waren. Mit den Teamdelegierten wurden Organe geschaffen, die zum einen aktiv zur Beteiligung der Beschäftigten während der Streiks beitrugen, als auch eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Umsetzung des TVE ausüben könnten. Dies stellt alles ein gutes Vorbild für zukünftige Arbeitsauseinandersetzungen inkl. von Tarifrunden dar. Zudem bieten die im Kampf geschaffenen neuen Aktivenstrukturen nun die Möglichkeit, aktive ver.di-Betriebsgruppen und Vertrauensleutestrukturen zu stärken bzw. aufzubauen.

Die Berliner Krankenhausbewegung hat sich somit durch demokratischere Strukturen ausgezeichnet, als die meisten anderen Streikbewegungen. Es ist jedoch wichtig, dass die Kontrolle über den Streik und vor allem über Streikaussetzung und Ergebnisse wirklich bei den Streikenden selbst liegt. Alle Verhandlungsstände sollten stets transparent gemacht werden, und den Streikenden die Möglichkeit zur Diskussion und Abstimmung über die nächsten Schritte und Streikstrategien gegeben werden. Dafür sind regelmäßige Streikversammlungen nötig. Um diese Kontrolle während einer Auseinandersetzung permanent auszuüben und die nächsten Aktionen zu planen bzw. Versammlungen einberufen zu können, braucht es Organe, die von den Beschäftigten aus den Stationen gewählt werden, diesen rechenschaftspflichtig sind und von diesen jederzeit abgewählt werden können – nämlich gewählte Streik- oder Arbeitskampfleitungen bzw. Streikkomitees.

Auch ein Verhandlungsergebnis sollte grundsätzlich erst demokratisch auf einer Streikversammlung diskutiert werden und die Aussetzung des Streiks erst erfolgen, wenn die Streikenden darüber abstimmen konnten. Das war nicht der Fall. Dass ein Streik auch bis zur Urabstimmung gehen kann, zeigte 2011 der Streik beim Charité Facility Management (CFM). Als es nach drei Monaten Streik ein Angebot gab, dem die Verhandlungs- und Tarifkommission von ver.di zugestimmt hatten, wurde der Streik fortgesetzt, bis das Ergebnis der Urabstimmung bekannt war – um den Kolleg*innen die Möglichkeit zu geben, in Ruhe über das Ergebnis zu beraten und auch Lehren aus ihrem Streik gemeinsam zu diskutieren.

Gemeinsamer Kampf

Die gemeinsame Streikbewegung an beiden großen landeseigenen Krankenhäusern war ein großer Schritt nach vorn. Die Kolleg*innen vernetzten sich durch den Streik miteinander und die Solidarität untereinander ist groß. Zudem gibt es viele Elemente dieses Kampfes, die für einen erfolgreichen bundesweiten Kampf aufgegriffen werden könnten. Wie man allerdings genau mit der Frage umgeht, was zu tun ist, wenn es zu einem ersten Abschluss kommt, und wie man mit der dadurch entstehenden Aufspaltung des Streiks umgeht, wurde von der ver.di-Führung nicht zur Diskussion gestellt.

Sicher ist es richtig zu sagen, dass das Ergebnis an der Charité die Vivantes Geschäftsführung auch so schon unter Druck setzte, etwas abzuschließen. Doch führte die Streikaussetzung der Kolleg*innen an der Charité bei einigen Vivantes-Kolleg*innen zu dem Gefühl, dass es jetzt schwieriger ist, den Druck noch weiter zu erhöhen. Besonders schwierig wurde die Lage für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften, die am Ende allein weiter streiken mussten. Es wäre wichtig gewesen, wenn dies in großen und regelmäßigen Streikversammlungen und Streikleitungen bzw. Streikkomitees, die allein den Streikenden gegenüber verantwortlich sind, gemeinsam diskutiert und abgestimmt worden wäre. Da es sich rechtlich um drei verschiedene Tarifverhandlungen handelt, war dies keine einfache Frage. Wir hätten in einer solchen Diskussion für eine gemeinsame Streikfortsetzung argumentiert, auch weil die Verantwortung für beide Krankenhäuser letztlich beim Eigentümer, dem Land Berlin liegt.

Für einen gemeinsamen Kampf der Krankenhausbeschäftigten mit der arbeitenden Bevölkerung

 Ein bedeutender Faktor war in der gesamten Berliner Krankenhausbewegung die Frage der Solidarität. So konnte mit wirksamen Aktionen die breite Öffentlichkeit und Bündnisse wie deutsche Wohnen & Co. Enteignen einbezogen werden. Wichtig war zum Beispiel eine große Demonstration am Samstag, den 9. Oktober, wo auch die Berliner Bevölkerung, insbesondere soziale Bewegungen wie auch Gewerkschaften aufgerufen wurden, teilzunehmen. Diese Demonstration war sehr kämpferisch und laut. Sie fand nach der Aussetzung des Streiks an der Charité und unmittelbar vor der Unterzeichnung des Eckpunktepapiers für den TVE bei Vivantes statt. So gut diese Demonstration war, muss trotzdem gesagt werden, dass eines gefehlt hat: Delegationen von anderen Berliner Betrieben und aus den DGB-Gewerkschaften. Dafür wäre es nötig gewesen, schon Wochen vorher eine bewusste Kampagne von den Berliner Gewerkschaften in die Betriebe hinein zu tragen. Auf diese Weise hätte aus der Berliner Krankenhausbewegung eine breite gesellschaftspolitische Bewegung werden können, bei der tausende Berliner Beschäftigte auch aus anderen Betrieben gemeinsam mit den Krankenhausbeschäftigten demonstriert hätten. So hätte der Druck massiv gesteigert und auch die politischen Fragen der Krankenhausfinanzierung, die letztlich über die Frage der Personalausstattung entscheidet, noch mehr zugespitzt und angegangen werden können.

Die Berliner Krankenhausbewegung als Ausgangspunkt für einen bundesweiten Kampf für mehr Personal 

In der Ende November abgeschlossenen Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder wäre eine weitere Möglichkeit gewesen, die Frage der Entlastung mit aufzunehmen. ver.di hatte wie in der letzten Tarifrunde Bund/Kommunen darauf verzichtet und lediglich eine Gehaltsrunde durchgeführt, womit diese Chance verpasst wurde. Es gab zwar neben der allgemeinen Lohnerhöhung für Pflegekräfte noch zusätzliche Steigerungen bei den Zulagen. Auch neue Berufsgruppen im Gesundheitsbereich wie Logopäd*innen, Diätassistent*innen oder medizinische Fachangestellte erhalten nun die allgemeine Pflegezulage, jedoch nicht in vollem Umfang, sondern nur zur Hälfte. Aber zum einen stellen diese Erhöhungen keinen Ausgleich für die steigende Inflation dar, noch ändern diese etwas an der prekären Versorgung der Krankenhäuser mit genügend Pflegekräften entsprechend dem Bedarf.

Positiv zu bewerten ist es, dass die Kolleg*innen der Unikliniken in NRW – angeregt durch das positive Beispiel aus Berlin – im nächsten Jahr anstreben, eine gemeinsame Entlastungskampagne zu initiieren. In mehreren Treffen und Veranstaltungen haben die Kolleg*innen aus Berlin ihre Erfahrungen mit Kolleg*innen aus den Unikliniken in NRW ausgetauscht und damit den Stab weitergegeben. Die Berliner Kolleg*innen planen darüber hinaus im nächsten Jahr zusammen mit dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite, eine Veranstaltung zur Frage der bedarfsgerechten Finanzierung der Krankenhäuser und gegen Privatisierung im Gesundheitsbereich zu organisieren, um auch in dieser grundlegenden Frage ein Stück voranzukommen. Nötig wäre, dass ver.di auch andere Kliniken – ob Uniklinik, kommunal verwaltet oder bereits privatisiert – in weiteren Bundesländern in einen gemeinsamen Kampf für mehr Personal führt.

Von daher besteht die Aufgabe, den beispielhaften gemeinsamen Kampf an den Berliner Krankenhäusern als Ausgangspunkt für eine bundesweite Bewegung für Entlastung und Angleichung an den TVöD zu nehmen. Dafür sollte ver.di eine bundesweite Krankenhauskonferenz mit allen aktiven Kolleg*innen organisieren, auf der ein offener Austausch über die positiven und negativen Erfahrungen erfolgen sollte. Als nächster Schritt sollte der gesamte DGB sowie Organisationen, Bündnisse und Initiativen, die sich für die Interessen der KollegInnen und PatientInnen engagieren, einbezogen werden, um eine entsprechende Unterstützungskampagne zu planen und die entsprechende gesellschaftliche Kraft aufzubauen, die Schluss macht mit einem Gesundheitssystem, das dem Profit einiger weniger Gesundheitskonzerne dient.

Sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen hegen, zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften über die laufende Tarifrunde hinaus. Mit einer solchen Mobilisierung, bis hin zu Solidaritätsstreiks, könnte eine gesellschaftspolitische Bewegung geschaffen werden, die die Kraft hat, einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors zu führen. Der Kampf um eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung für alle und unter guten Arbeitsbedingungen kann nur gewonnen werden, wenn Schluss gemacht wird mit der Privatisierungspolitik, die Fallpauschalen ersetzt werden durch eine Finanzierung, die den realen Bedarf deckt und die bereits privatisierten Kliniken rekommunalisiert werden unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und PatientInnen und ihrer Organisationen.

 

 

 

 

 

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