Münchner Olympia-Attentat von 1972: Wer schoss in Fürstenfeldbruck?

Im September 2022 fand eine Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in Fürstenfeldbruck statt, bei der sich die Bundesinnenministerin Nancy Faeser für die zahlreichen Versäumnisse Deutschlands entschuldigte. Sie nannte es beschämend, dass die Aufarbeitung nicht längst erfolgt sei und es an Aufklärung, Transparenz und Übernahme von Verantwortung fehle.

Die Innenministerin versprach damals weitere Aufarbeitung und eine unabhängige Kommission von deutschen und israelischen Forscherinnen und Forschern einzurichten.

Die unabhängige Kommission hat am 21.04.2023 mit ihrer Arbeit begonnen.

Zur Unterstützung der Arbeit der Kommission ist im Folgenden ein Bericht eines Polizeibeamten zu lesen, der vor Ort zur Spurensicherung an der Obduktion der Opfer teilnahm und dabei eine erstaunliche Entdeckung machte.

Zunächst ist ein Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zu lesen, der die offizielle Version zum Münchner Olympia-Attentat von 1972 wieder gibt.

Anschließend kommt Manfred Such zu Wort, dem damals als junger Polizeibeamter befohlen wurde, zwecks Spurensicherung an der Obduktion teilzunehmen und dabei wichtige Beweismittel entdeckte, denen aber bis heute nicht nachgegangen wurde.

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Am 01.09.2022 wurde folgender Text von der Bundeszentrale für politische Bildung https://www.bpb.de/ veröffentlicht:

„Münchner Olympia-Attentat von 1972

Am 5. September 1972 drang die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ während der Olympischen Spiele in München in die Mannschaftsquartiere ein, ermordete zwei israelische Sportler und nahm neun Menschen als Geiseln. Alle Geiseln wurden bei der Befreiungsaktion getötet. Nach jahrzehntelangem Streit haben sich die Bundesrepublik Deutschland und Hinterbliebene nun über Entschädigungen geeinigt.

Ende August 1972 starteten in München die 20. Olympischen Sommerspiele. Als „Fest des Friedens“ sollten sie Offenheit und eine friedliche Atmosphäre transportieren, um die Erinnerung an die Spiele im nationalsozialistischen Deutschland 1936 positiv zu überlagern. Es kam anders: Am 5. September stürmten Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ das Quartier der israelischen Olympiamannschaft im Olympischen Dorf. Zwei israelische Sportler konnten flüchten. Der Ringer und Trainer Mosche Weinberg und der Gewichtheber Josef Romano wurden an Ort und Stelle erschossen.

Forderungen der Geiselnehmer

Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von über 200 in Israel inhaftierten Palästinensern sowie der beiden RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die zu dem Zeitpunkt in Stuttgart-Stammheim in Haft saßen. Israel lehnte es strikt ab, den Forderungen der Terroristen nachzukommen: „Wenn wir nachgeben, wird sich kein Israeli irgendwo auf der Welt noch seines Lebens sicher fühlen“, erklärte Premierministerin Golda Meir die Haltung der israelischen Regierung. Deutsche Medien berichteten live aus dem Olympischen Dorf, wodurch die Geiselnehmer die Aktionen der Sicherheitskräfte im Fernsehen mitverfolgen konnten. Die Terroristen änderten ihre Strategie und forderten, ungehindert mit den Geiseln in die ägyptische Hauptstadt Kairo auszufliegen.

Die Olympischen Spiele liefen derweil weiter. Erst am Nachmittag des 5. September unterbrach IOC-Präsident Avery Brundage die Sportveranstaltung. Am Abend eskalierten die Ereignisse. Gegen 21 Uhr verließen die Terroristen mit den Geiseln das Olympische Dorf. In zwei Helikoptern flogen sie zum Münchner Militärflughafen Fürstenfeldbruck, wo die geforderte Maschine zum Abflug nach Kairo bereit stand. Kurz vor Eintreffen der Geiselnehmer flüchteten mehrere als Besatzungsmitglieder getarnte Polizisten aus dem Flugzeug. Eigentlich sollten sie die Attentäter nach dem Betreten des Flugzeugs überwältigen. Doch ihr Einsatz wurde abgebrochen, weil die Situation zu gefährlich erschien. Fünf Scharfschützen waren in Stellung. Sie galten jedoch als schlecht ausgerüstet und hielten keinen Kontakt über den Sprechfunk. Es kam zum Schusswechsel. Ein Terrorist warf eine Handgranate in einen Hubschrauber, ein weiterer Terrorist schoss in den zweiten Hubschrauber hinein. Alle neun israelischen Geiseln wurden dabei getötet. Auch fünf der acht palästinensischen Terroristen und ein Polizist starben. Die Polizei nahm die verbleibenden drei Geiselnehmer fest. Sie kamen wenige Wochen später durch die Entführung der Lufthansa-Maschine „Kiel“ frei.

Nach der eintägigen Unterbrechung und einer Trauerfeier ließ der damalige IOC-Präsident Avery Brundage die Olympischen Spiele mit dem Satz „The games must go on!“ fortführen.

Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden

Nach der gescheiterten Befreiungsaktion wurden Vorwürfe laut, dass der Polizeieinsatz schlecht organisiert gewesen sei. In einem internen Bericht hielt die Polizeiführung der bayerischen Landeshauptstadt fest, dass sie selbst nichts falsch gemacht habe. Ferner hätte die Polizei „auch mit ihren Mitteln (personell und materiell) unter den gegebenen Umständen nichts besser machen können.“

In dem Bericht heißt es weiter: „Der israelisch-arabische Krieg konnte von einer abgerüsteten deutschen Polizei bei den heiteren Spielen nicht gewonnen werden“.

Aus Sicht von Kritikern trugen die deutschen Sicherheitsbehörden jedoch eine erhebliche Mitschuld. So sollen der Münchner Polizeipräsident Schreiber und das Münchner Polizeipräsidium zahlreiche Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat ignoriert haben. Als einer der Helfer der Terrorgruppe gilt beispielsweise der Neonazi Willi P., der unter anderem Autos und Pässe organisiert haben soll. Dessen früherer Arbeitgeber zeigte ihn bei der Polizei wegen des Autodiebstahls an und berichtete von dessen Kontakten zur palästinensischen Untergrundorganisation “El Fatah” und in den Libanon. Die Polizei in München wurde daher im Vorfeld der Olympischen Spiele wegen „vermutlich konspirativer Tätigkeit palästinensischer Terroristen” gewarnt, ohne Ergebnis. Zudem waren die Polizeikräfte bei der Veranstaltung aus ihrer Sicht unzureichend ausgerüstet.

Streit mit Hinterbliebenen um Entschädigungen

Die Angehörigen der Opfer und die Bundesrepublik Deutschland stritten jahrzehntelang über die Höhe der Entschädigungszahlungen. 1972 und 2002 hatte die Bundesrepublik Deutschland etwa 4,6 Millionen Euro für die Hinterbliebenen gezahlt. Die Bundesregierung kündigte im Juli 2022 an, man wolle die „gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und in materieller Hinsicht“ neu bewerten und bot ihnen, zusätzlich zu den bereits gezahlten Entschädigungen, weitere 5,4 Millionen Euro an. Ankie Spitzer, Sprecherin der Opferfamilien, nannte das Angebot der Bundesregierung eine „völlig unakzeptable und beleidigende Summe“. Eine Klage der Hinterbliebenen unter Verweis auf massive Fehler beim Polizeieinsatz auf Schadenersatz in Höhe von rund 20,45 Millionen Euro war bisher erfolglos geblieben.

Ende August 2022 zeichnete sich zwischen den Angehörigen der ermordeten Olympiateilnehmer und der Bundesregierung dann eine Einigung ab. Laut der Nachrichtenagentur AFP sollen nun 28 Millionen Euro fließen, davon stammen 22,5 Millionen Euro von der Bundesrepublik Deutschland, fünf Millionen vom Bundesland Bayern und 500.000 Euro von der bayerischen Landeshauptstadt München.

Teil des Angebots der Bundesregierung ist auch die Einsetzung einer Kommission, die die Ereignisse von 1972 aufarbeiten soll. Zudem sollen die Behördenakten zum Attentat öffentlich gemacht werden. Noch immer sind manche Aspekte des Attentats nicht abschließend erforscht. In der Debatte ist etwa die Frage, ob neben deutschen Rechtsextremisten auch deutsche Linksradikale, die den Staat Israel ablehnten, den Olympia-Attentätern geholfen haben. Beweise gibt es dafür nicht“.

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Wer schoß in Fürstenfeldbruck?

Von Manfred Such

Mehr als vier Jahrzehnte sind seit den Olympischen Spielen in München und dem Massaker auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck vergangen. Über meine damaligen Wahrnehmungen habe ich bis heute in der Öffentlichkeit geschwiegen. Warum? Anfangs hatte ich Sorge, meine Dienstpflichten als Polizeibeamter zu verletzen, und mir fehlte damals noch jede Erfahrung im Umgang mit Medien. Später habe ich das Thema verdrängt, zumal das öffentliche Interesse nachließ, wie Anfragen bei stern und Spiegel ergaben. Und dann schwieg ich, weil mir mein langes Schweigen peinlich und immer peinlicher wurde – denn inzwischen agierte ich längst als einer der Sprecher der »Kritischen Polizisten« und als Bundestagsabgeordneter in der Öffentlichkeit. Die naheliegende Frage »Warum kommt der jetzt damit?« hinderte mich bis heute, über eine Beobachtung zu berichten, die den Ossietzky-Lesern vielleicht auch aus heutiger Sicht nicht ganz unwichtig erscheinen mag.

1972 befand ich mich als Kriminalobermeister in der Kommissarsausbildung beim Polizeipräsidium Bochum. In der Zeit vom 18. August bis zum 11. September wurde ich als Sachbearbeiter für »Vermißte, unbekannte Tote« zum Polizeipräsidium München abgeordnet. Während der Olympischen Spiele ergaben sich aber für mich anfangs kaum dienstliche Aufgaben. Die Dienstzeit, die ich dort verbrachte, könnte man als »Anwesenheit« bezeichnen. Mein Interesse galt den Arbeitsabläufen in der Behörde während der großartigen Spiele und natürlich den Spielen selbst.

Die Meldung über das Attentat erreichte mich während meiner Freizeit. Sie packte mich besonders stark, weil meine damalige Freundin und heutige Frau als Mitarbeiterin des »Zivilen Ordnungsdienstes« im Olympiadorf der Frauen eingesetzt war – eine schick getarnte Beamtin. Nach dem Überfall auf die israelische Olympia-Mannschaft war sie eine der Ersten, die den Geiselnehmern direkt gegenüberstand. Sie ließ sich dann gegen vermeintlich für solche Situationen besser geeignete KollegInnen austauschen, und wir verbrachten den Tag damit, die Nachrichten über das Attentat zu verfolgen.

In der Nacht meldete der Rundfunk, die Geiseln seien lebend befreit worden. Mit dieser Nachricht im Kopf begann ich am Morgen meinen Dienst im Präsidium. Hier erfuhr ich von dem Massaker auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck: Alle Geiseln sowie die Terroristen seien getötet worden. Die Leichen, auch die eines im Olympiadorf getöteten israelischen Sportlers, befänden sich in der Gerichtsmedizin. Mir wurde befohlen, zwecks Spurensicherung an der Obduktion teilzunehmen.

Mit einem jungen Kollegen aus Dortmund, einem Hauptwachtmeister-Anwärter mit Fotografenausbildung, wenn ich mich recht erinnere, wurde ich hingebracht. In einem Flur sah ich die Leichen von Terroristen auf dem Boden liegen. In dem kleinen Obduktionsraum war die Leiche eines erschossenen Polizisten aufgebahrt. Anwesend waren der Obduzent, zwei Gehilfen und neben uns beiden aus Nordrhein-Westfalen ein oder zwei weitere Kriminalbeamte. Der Dortmunder machte Fotoaufnahmen. Die Obduktion begann an der Leiche des Polizeihauptmeisters Fliegerbauer (den Namen habe ich nie vergessen), der einen Einschuß über der Nasenwurzel hatte. Aus der Leiche wurde mir ein Projektil, Kaliber neun Millimeter, übergeben, das ich in einer kleinen Plastiktüte sicherstellte. Ebenso sicherte ich die Projektile aus weiteren, teilweise durch Verbrennungen entstellten Leichen. Die genaue Anzahl der Projektile weiß ich nicht mehr, und ich kann auch nicht mehr angeben, ob aus allen Leichen Projektile gesichert wurden. Ich erinnere mich aber genau, daß mir ausschließlich Neun-Millimeter-Projektile übergeben wurden und daß alle dasselbe Kaliber hatten: neun Millimeter. Unter den Beteiligten kam voller Entsetzen die Frage auf, die auch ausgesprochen wurde: Waren etwa sowohl Täter als auch Opfer des Attentats mit der gleichen Munition getötet worden? Aus gleichen Waffen? Von wem?

Die damals bei der Polizei üblichen Pistolen und Maschinenpistolen hatten das Kaliber 9 mm. Die Terroristen waren, soweit mir bekannt, mit Maschinenpistolen der Marke Kalaschnikow, Kaliber 7,62, bewaffnet. Projektile dieses Kalibers habe ich bei der Spurensicherung nicht erhalten.

Die Obduktion dauerte mindestens zwei Tage. Ich weiß nicht mehr, ob ich bis zum Schluß eingesetzt war. Ein Fazit wurde in meiner Anwesenheit nicht gezogen, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Aber so viel stand fest: Alle Schußverletzungen der Geiseln konnten nur durch Neun-Millimeter-Projektile verursacht worden sein. Andere habe ich nicht sichergestellt.

Von den acht Geiselnehmern überlebten drei, von den elf Geiseln niemand.

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Der Autor:

Manfred Such ist ein ehemaliger deutscher Politiker der Bündnis 90/Die Grünen. Der Diplom-Verwaltungswirt war als Erster Kriminalhauptkommissar bei der Kreispolizeibehörde Soest tätig und am Ende seiner Dienstzeit der erste Opferschutzbeauftragte der Kreispolizeibehörde.

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Der Beitrag erschien in Ossietzky Heft 2/2015 Ossietzky – Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier noch einmal veröffentlicht.

 

 

 

 

 

Weitere Quellen: https://www.bundesregierung.de/
Bild: wiki commons cco