TARIFRUNDE SOZIAL- UND ERZIEHUNGSDIENST 2022: FÜR VOLLE DURCHSETZUNG DER FORDERUNGEN. FÜR EINE STREIKDELEGIERTENKONFERENZ. FÜR EINE BREITE SOLIDARITÄTSKAMPAGNE

Fast jede*r von uns ist schon einmal im Leben in Berührung mit dem Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) gekommen. Rund 50 unterschiedliche Berufe gehören dazu. 1,66 Millionen arbeiten in diesem Bereich. Die wohl bekannteste und auch größte Berufsgruppe sind die Erzieher*innen. Im SuE arbeiten übrigens vor allem Frauen. Sie stellen über 80 % der Beschäftigten. Im Bereich Kita sind sogar 95 % der Beschäftigten weiblich!

Um dem Rechnung zu tragen, hat Verdi den ersten Streiktag auf den Frauenkampftag am 8. März gelegt. Eine positive Entwicklung, die wir als VKG nur begrüßen können, die aber danach schreit, ausgeweitet zu werden. Angesichts dessen, dass auch in den Krankenhäusern und anderen Pflegeberufen, wo vor allem Frauen unter miesesten Bedingungen arbeiten, wäre es noch besser, die Beschäftigten in diesen Bereichen in den Streik zu rufen. Angesichts dessen, dass zumindest in den Uniklinika in Nordrheinwestfalen ein 100-Tage-Ultimatum an die Arbeitgeber gestellt wurde, welches zum 1. Mai ausläuft, sollten hier die Möglichkeiten für eine Zusammenführung von Streiks und Kundgebungen voll ausgeschöpft werden – wie auch eine große koordinierte Solidaritätskampagne, koordiniert durch den DGB!

Gesellschaftliche Bedeutung

Tagtäglich sind auch die Beschäftigten im SuE diejenigen, die helfen, unterstützen, beraten und betreuen. Sie schlichten, schützen und beugen vor. Ob im Bereich Street Work, im Jugendamt, in Drogenberatungsstellen oder in Einrichtungen für Obdachlose. Sie sind genau dort, wo manch anderer lieber wegschaut. Und sie gestalten unsere Zukunft aktiv mit. Denn die Beschäftigten im Sozial-und Erziehungsdienst arbeiten an Orten der Bildung. Sie sind es, die sich um die nächste Generation kümmern. Sie begleiten Kinder und Jugendliche bei ihren Bildungsprozessen. Und sorgen dafür, dass sich alle Kinder angenommen und respektiert fühlen. Für das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft sind sie unentbehrlich. Denn in Deutschland hat die soziale Herkunft noch immer großen Einfluss auf den Bildungserfolg und die Teilhabe in der Gesellschaft. Die Beschäftigen im Sozial- und Erziehungswesen arbeiten gegen diese Ungerechtigkeiten an. Mit frühkindlicher Bildung in Kitas, durch sozialpädagogische Angebote in der Schule, bis hin zu Freizeitangeboten und Jugendzentren. Deshalb wäre es auch möglich, Beschäftigte aus anderen Bereichen zur aktiven Solidarität aufzurufen. Dies wäre auch ein wichtiger Hebel, um den politischen Druck auf die Verantwortlichen in Bund und Kommunen aufzubauen.

Forderungskatalog

Am 25.02.2022 startete in Potsdam die erste Verhandlungsrunde im Sozial- und Erziehungsdienst, bei der die Arbeitergeberseite völlig blockiert hat. Beim vierwöchigen Streik 2015 unter dem Motto „Richtig Gut, Aufwerten Jetzt!“ war die Hauptforderung die nach einer finanziellen Aufwertung der Arbeit. Die Löhne sollten um 10% steigen. In der Tarifrunde 2022 gibt es einen bunten Blumenstrauß an Forderungen. So wird die finanzielle Aufwertung des Berufs mit der Forderung nach regulärer Eingruppierung von Erzieher*innen in die EG S 8b weiterhin eine große Rolle spielen, was für Kolleg*innen mit langjähriger Berufserfahrung über 400 Euro brutto mehr bedeuten würde. Weiterhin sollen stellvertretende Leitungen verbindlich vorgesehen sein und eine Festlegung der Mindesteingruppierung in die EG S 11a erfolgen – diese werden in kleinen Kitas aktuell nur in der S9 eingruppiert. Erstmals soll auch die bisher sehr schlecht bezahlten Sozialassistenz tarifiert werden und mit den Kinder-pfleger*innen in die EG S4 eingruppiert werden. Die wichtige Forderung der Anerkennung der Berufstätigkeit, sowie der bei anderen Trägern erworbenen Berufserfahrung, die schon lange erhoben wird, soll leider nicht rückwirkend gelten. Dies wäre ein großer Fortschritt für alle, die nach langer Zeit den Träger gewechselt haben und dann wieder in Stufe 1 ihrer Entgeltgruppe anfangen mussten. Für die Zukunft wäre es dennoch ein wichtiger Schritt.

Um eine schnelle Weiterentwicklung zu ermöglichen, soll es einen Rechtsanspruch auf Qualifizierung geben, damit die Kolleg*innen sich auf den Weg machen können, Erzieher*in oder Sozialarbeiter*in zu werden. Es soll aber auch eine Entlastung erreicht werden, zum Beispiel durch eine Ausdehnung der Vorbereitungszeit. Wenn diese nicht genommen werden kann, soll ein Konsequenzenmanagement greifen, und es soll Entlastungstage für die Beschäftigten geben. Dadurch sollen die Arbeitgeber zur Einstellung von mehr Personal gezwungen werden.

Thema Entlastung nicht ausreichend berücksichtigt

Leider sind nicht alle Forderungen konkret ausformuliert, zum Beispiel bei der Zahl der Entlastungstage und wie die Konsequenzen greifen sollen. Leider wird mit diesem Blumenstrauß das grundlegende Kernproblem im SuE nicht angegangen, und das ist: zu wenige Erzieher*innen sind für zu viele Kinder verantwortlich. Zu wenige Sozialar-beiter*innen haben zu viele Klient*innen. Dieses strukturelle Problem führt zu systematischer Erschöpfung und Überarbeitung der Beschäftigten. Spätestens nach zwanzig Jahren in Vollzeit wollen viele Kolleg*innen in Teilzeit wechseln. Dies können sie sich oft – auch wegen steigender Mieten und Lebenshaltungskosten nicht leisten. Gleichzeitig führt diese Tendenz natürlich dazu, dass die Überlastung durch fehlendes Personal nie aufhört. Auch in diesem Bereich, wie in den Krankenhäusern, hätte die Forderung nach einem bundesweit tariflich festgelegten Personalschlüssel mobilisierende Wirkung. Für die Kitas zum Beispiel könnte gefordert werden: ein*e Erzieher*in je drei Kinder in den Gruppen der unter dreijährigen Kinder und sieben für die über Dreijährigen. Zudem sollte eine Obergrenze von maximal fünfzehn Kindern pro Kita-Gruppe festgelegt werden. Trotzdem muss es jetzt natürlich darum gehen, die Forderungen durchzusetzen.

Strategie für einen erfolgreichen Arbeitskampf

330.000, also nur ein Fünftel der Beschäftigten des Sozial und Erziehungsdienstes, arbeiten tarifgebunden im öffentlichen Dienst und nicht alle davon sind Gewerkschaftsmitglieder. Rund 150.000 von ihnen traten 2015 in den Streik. Das ist schon eine große Masse, aber natürlich sollten es mehr werden – daher sollten Kolleg*innen für die Gewerkschaft gewonnen werden. Es sollte auch nicht ignoriert werden, das zwei Drittel der Kolleg*innen bei gemeinnützigen, kirchlichen und freien Trägern arbeiten. Deshalb wird wichtig sein, den gesamten Fachbereich 3 bei Verdi in die Auseinandersetzung miteinzubeziehen und für mögliche Solidaritätsstreiks zu gewinnen und darüber auch die Gewerkschaft in diesen Bereichen aufbauen. Als VKG werden wir jeden Ansatz unterstützen, eine fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb von Verdi zu fördern.

Solidaritätskampagne

Insgesamt ist der eigentliche wirtschaftliche Schaden von Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst begrenzt. Deshalb muss es hier besonders darum gehen, die gesellschaftliche Bedeutung, insbesondere für Beschäftigte in anderen Bereichen, herauszustellen und die Notwendigkeit einer breiten Unterstützung des Streiks aus den Betrieben und Gewerkschaften heraus. Der Aufbau von Solidaritätskomitees ist daher wichtig. In diesen Komitees sollten Stadtelternräte, Ehrenamtliche aller DGB-Gewerkschaften, Jugendverbände, migrantische Arbeitervereine, feministische Gruppen etc. zusammenbringen und mit der bezirklichen Arbeitskampfleitung vernetzen. So kann man vor Ort die Streiks stärken.

Unbefristeter Arbeitskampf

Vor allem muss eine klare Botschaft rausgehen, dass ver.di diese Auseinandersetzung ernsthaft führen will, und auch bereit ist, in den unbefristeten Arbeitskampf zu gehen! Ganztägige Warnstreiks um die Verhandlungstage haben sich außerdem bewährt und helfen bei der Mobilisierung der Kolleg*innen. Es steht außer Frage, dass man nur mit einem Erzwingungsstreik Verbesserungen erreichen kann. Deshalb sollte man, wenn nach zwei Verhandlungen kein Angebot kommt, sofort in die Urabstimmung gehen und dann in den unbefristeten Vollstreik treten und in Städten Versammlungen einberufen. Zudem wäre es wichtig, dass wie 2015 Delegierte für eine bundesweite Streikdelegiertenkonferenz gewählt werden.

Delegiertenkonferenz und Streikdemokratie

Dieses neue Element von Streikdemokratie wurde durch die Ver.di-Führung kurz vor der Tarifrunde 2022 leider abgeschafft, was viele Aktive frustrierend finden. Stattdessen soll es das als neu bezeichnete Konzept von Tarifbotschafter*innen (TB) geben. Diese sollen die Tarifrunde in den Betrieben bekannt machen und Informationen aus der Tarifrunde und aus den Verhandlungen an die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und der Dienststelle weitergeben. Was als neue Errungenschaft dargestellt wird, ist aber ein Rückschritt, denn diese TB sollen dann nur Informationen von oben nach unten weiter geben. Das ist weniger, als was zum Beispiel Vertrauensleute machen könnten, die auf Versammlungen diskutieren und Resolutionen verabschieden könnten. In der Hoffnung, keine große Aufmerksamkeit zu erregen, hat sich die Bundestarifkommission und die Verdi-Führung still und leise dazu entschieden, aus dem von ihnen als Kontrollverlust empfundenen Streik 2015 zu „lernen“ und die Streikdelegiertenkonferenz abzuschaffen. Auf Nachfrage bei der Regionalkonferenz in Duisburg antwortete Christine Behle: „Wir haben uns dagegen entschieden, weil die Rollenklarheit da sein muss und 2015 einiges durcheinander gekommen ist.“

Das führt aber dazu, dass wichtige Entscheidungen bei den Hauptamtlichen liegen, insbesondere zur Streikstrategie, sowie Anfang und Ende eines Streiks. Einfache Gewerkschaftsmitglieder, die Streikenden selbst, um deren Belange es ja geht, können kaum mitreden. Sie sollten aber die sein, die über Forderungen und ihre Durchsetzung diskutieren und entscheiden. Das heißt, dass über örtliche Streikversammlungen und eine demokratisch gewählte Streikdelegiertenkonferenz die wichtigen Entscheidungen gefällt werden sollten, auch darüber, ob ein Streik ausgesetzt oder fortgesetzt werden sollte.

Trotz alledem muss nun alles dafür getan werden, um die Tarifauseinandersetzung zu einem Erfolg zu machen, und Kolleg*innen der VKG werden ihre Unterstützung dafür anbieten. Es ist aber auch wichtig, sich von unten zu vernetzen, um innerhalb unserer Gewerkschaft einen kämpferischen Kurs durchzusetzen und um für eine Demokratisierung von Streiks und auch der Gewerkschaft insgesamt einzutreten.

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften


Bild: Frauenstreik-DIELINKE