„Altersarmut – aber sicher!“

Von der IVA-Redaktion

Neue Pläne zur Altersvorsorge sind unterwegs. „Renten-Revolution“ meldet die Bildzeitung Ende April. Hier ein Hinweis der IVA-Redaktion, um welche altbekannten Dinge es bei diesen Neuigkeiten geht.

Der Staat entlastet sich mit einem „Generationenkapital“, hieß es letztens beim Gewerkschaftsforum. Es ging um die neuen Pläne der Ampel-Koalition, die gesetzliche Rentenversicherung um eine „Aktienrente“ zu ergänzen, damit die Funktionsfähigkeit der großartigen sozialstaatlichen Errungenschaft gesichert wird, die es in Deutschland seit den Zeiten von Kaiser Wilhelm und seiner Sorge um eine funktionsfähige Arbeiterklasse gibt.

Seit Bismarcks Zeiten Reformbedarf…

Bekanntlich ist das ein Dauerthema. Denn da der Lohn, der ein Berufsleben lang dem normalen Arbeitnehmerhaushalt gezahlt wird, von sich aus keinen selbstfinanzierten Lebensabend hergibt, greift eine spezielle Konstruktion, die immer wieder nachjustiert werden muss: Das Kollektiv der Lohnabhängigen wird per staatlichem Zwang dafür in Haftung genommen, dass es mit seiner Lohnsumme eben doch das hergeben soll, was der Einzelne nicht schafft. „Generationenvertrag“ nennt sich diese Verpflichtung zu einem Umlageverfahren, das bestimmten Erwerbstätigen auferlegt wird – die übrigens so zu einer Klasse zusammengefasst werden, obwohl der bürgerliche Staat sonst von einer Klassengesellschaft nichts wissen will. Alle Konjunkturen, mit denen es diese Klasse zu tun hat, muss daher der vorsorgende Sozialstaat auch immer hinsichtlich der verbrauchten Arbeitskräfte im Blick haben: Wie viele erreichen das Renteneintrittsalter und müssen wie lange alimentiert werden? Wer erwirbt dabei welchen Anspruch? Wie viele aus der aktiven Arbeiterarmee stehen überhaupt in einem Normalarbeitsverhältnis und sind somit als Einzahler an der Umlage beteiligt? Usw

Und das betrifft alle Staaten, in denen das Kapital mit dem Einsatz von Lohnarbeit wirtschaftet, wie man zur Zeit an den europäischen Führungsnationen sehen kann, die an den Ausgaben für die Alten sparen. In Frankreich hat Macron gerade einen gnadenlosen Kampf für die Erhöhung des Renteneintrittsalters geführt, wobei er auch nicht vor eine Politik der Notverordnungen, also dem Ausnahmezustand, zurückschreckte. In England war eigentlich eine Erhöhung des Rentenalters von 66 auf 68 Jahre geplant, die jetzt aber vom Arbeitsminister abgesagt wurde. Sein Argument: Nach der letzten Rentenreform 2017 habe „sich das Tempo der steigenden Lebenserwartung verlangsamt“ (FAZ, 1.4.23). Wenn die Leute früher sterben, der Rentenbezug sich also verkürzt, liefert das ja ebenso einen Spareffekt; es muss weniger ausgezahlt werden. Im anderen Fall des späteren Eintrittsalters wird entweder länger eingezahlt oder man muss, wenn man es bis zum offiziellen Ende nicht schafft, mit deftigen Abschlägen in den Ruhestand gehen.

Natürlich wissen die Experten nie, ob der (ebenfalls in Deutschland registrierte) Trend, dass die Lebenserwartung nicht mehr in der bisherigen Form steigt, anhält und eine feste Kalkulationsgröße abgibt. Und so bleibt es etwa auch in England bei der Regelung, dass bei den nach 1960 Geborenen das Renteneintrittsalter bis 2028 auf 67 Jahre steigen soll. Und in Deutschland (wo der Anstieg auf 67 Jahre bis 2030 stattfinden wird) macht man sich genau so Gedanken, ob man dem Trend vertrauen soll. Die Bildzeitung, die ein „Geheimpapier“ der CDU kennt, hat daher die nächste „Renten-Revolution“ schon angekündigt: „Wir sollen NOCH länger arbeiten – 4 Monate pro Jahr längerer Lebenserwartung. Begründung: Entlastung für die heranwachsende Generation.“ (21.4.23)

Die Lösung: Der Markt muss es richten

„Angedacht“, also als diskussionswürdige Notwendigkeit der Sozialpolitik in Umlauf gebracht, ist die „Rente mit 70“ längst und auch schon in den deutschen Medien propagiert. Der Koalitionsvertrag der Ampel soll das laut Ansage des Arbeitsministeriums zwar ausschließen. Aber was heißt das schon? Dies ist auch die Schlussfolgerung im Beitrag „Altersarmut – aber sicher!“, der jetzt in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Konkret (Nr. 5/23: „Geht sterben! Altersarmut in Deutschland“) erschienen ist. Der Autor Johannes Schillo setzt sich dort vor allem mit dem – im Prinzip – bereits beschlossenen aktuellen Reformprojekt auseinander, das bis zur Jahresmitte in einen Gesetzesentwurf gegossen werden soll, nämlich mit der Ergänzung der gesetzlichen Rente durch „kapitalgedeckte Elemente“. Abgesegnet vom Arbeitsminister Heil ist Finanzminister Lindner hier zum Jahresbeginn mit der Wortschöpfung „Generationenkapital“ an die Öffentlichkeit getreten und hat die Diskussion über die Rentenversicherung um ein neues Highlight bereichert.

Worum geht es? Um den – aus staatlicher Perspektive – misslichen Zustand, dass das Umlageverfahren seit Adenauers Zeiten durch einen Zuschuss ergänzt werden muss. „Daneben (neben den Beiträgen) wird die gesetzliche Rentenversicherung zu einem erheblichen Anteil durch den Bundeshaushalt finanziert. So betrugen die Bundeszuschüsse 2022 über 100 Mrd. Euro und entsprechen damit rund 30 % der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung.“ (Bundesfinanzministerium) Zwar haben die letzten Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu einer gewissen Entspannung der Finanzlage bei der Rentenversicherung geführt, weil Beitragseinnahmen anstiegen; gleichzeitig waren – nicht nur durch die Pandemie bedingt – hohe Sterbezahlen zu verzeichnen, die die Ausgaben verringern. Aber der Skandal bleibt: Man stelle sich vor, hier wird einfach der Lebensunterhalt alter Leute finanziert! Für dieses Geld kennen Politiker natürlich eine bessere Verwendung. Schließlich stehen sie vor großen Herausforderungen wie der Subventionierung der Wirtschaft in Konkurrenz zu Amerika, der forcierten Aufrüstung und der Finanzierung des Kriegs in der Ukraine.

Deshalb braucht es neue Lösungen. Und die sollen, passend zur obersten staatlichen Priorität der Förderung des Wirtschaftswachstums, durch die Tätigkeit einer Stiftung auf dem Finanzmarkt herbeigeführt werden. Eine geniale Lösung: Man lässt einfach das Geld arbeiten! Was immer da im Einzelnen noch kommen mag – immerhin haben die letzten Schadensfälle im Bankensektor einige Verunsicherung hervorgerufen (siehe „Schon wieder eine Bankenkrise) –, muss man abwarten. Eins steht aber jetzt schon fest: Armut im Alter ist in Wahrheit ein Notfall der staatlich betreuten Kassen. Das ist das Problem, das Anerkennung verdient. Was nichts anderes heißt, als dass auch in Zukunft die Rentner und vor allem Rentnerinnen es schwer haben werden, mit ihrem beschränkten Einkommen über die Runden zu kommen, während die Wirtschaft vor steigenden Lohn(neben)kosten bewahrt und der Staatshaushalt nicht stärker belastet wird.

Die aktuellen Trends zur Armutslage sind ja bekannt. Nach den letzten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes „reichte bei zwölf Prozent mehr Senioren als vor einem Jahr die Rente nicht zum Leben“. Sozialverbände protestieren. Denn Stand Dezember 2022 beziehen 1,2 Millionen Menschen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und immer mehr Rentner sind auf die Grundsicherung angewiesen, „weil ihre Rente nicht zum Leben reicht“. Um den berühmten Spruch vom ehemaligen Arbeitsminister Blüm abzuwandeln: Eins ist also sicher – die Armut im Alter.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien auf https://www.i-v-a.net/ und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.
Bild: pixabay cco