Erfahrungen aus 35 Jahren Kampf um Arbeitsplätze

Von Joachim Schubert

Die vorliegende Ausarbeitung ist ein Versuch, Erfahrungen aus einem langen Arbeitskampf festzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten und weitervermittelt werden können. Gleichzeitig soll damit ein Beitrag zur kollektiven Auswertung geleistet werden. Der Arbeitskampf unterschied sich von anderen in mehrerlei Hinsicht: er war lang und größtenteils erfolgreich, überdauerte drei Besitzerwechsel und wurde von einer Belegschaft geführt, die überwiegend aus Angestellten bestand. Es entwickelte sich dabei eine Kultur des Widerstandes, die für manch andere Belegschaft nachahmenswert wurde. Die Konzernentwicklung wird im folgenden Beitrag nach den jeweiligen Besitzern in Zeitabschnitte eingeteilt und bestimmt somit die Gliederung.

1. Die BBC-Zeit: 1900 – 1987

Die Schweizer Firma Brown Boveri & Cie (BBC) gründet im Zuge der 2. industriellen Revolution (Elektrifizierung) in Mannheim-Käfertal eine Fabrik für Kraftwerksausrüstung. Um die Fabrik herum entwickelt sich – teils durch Zukauf – die BBC-Konzerngruppe Deutschland mit folgenden Geschäftsbereichen (einschl. Konstruktion sowie Forschung/Entwicklung):

  • Stromerzeugung (Dampf- und Gasturbinen, Generatoren, Kraftwerke)
  • Stromverteilung und -übertragung (Netze, Leitungsbau, Schaltanlagen, Transformatoren)
  • Elektrische Antriebe für Schienenfahrzeuge
  • Kraftwerksleittechnik
  • Industrieanlagen.

Der Konzern bildete sich international heraus und wuchs stetig, wenn man von der Weltwirtschaftskrise (1929 – 1934) absieht. Personell wurde am Standort Mannheim-Käfertal der Höhepunkt im Jahr 1978 mit knapp 11.000 Beschäftigten erreicht, wovon rund ein Drittel Arbeiter*innen waren. In der gesamten Rhein-Neckar-Region waren zu diesem Zeitpunkt ca. 14.000 Menschen bei BBC beschäftigt. In der Fabrik Mannheim-Käfertal wurden damals folgende Hauptprodukte von ca. 2.000 Arbeiter*innen1 und Angestellten hergestellt:

  • Mittlere und große Gas- und Dampfturbinen
  • Mittlere und große Turbogeneratoren und Wasserkraftgeneratoren
  • Mittlere und große Transformatoren2.

Zwischen 1980 und 1987 wagte die Konzernleitung einen riskanten Ausflug in das Kernkraftwerksgeschäft (DWR Mülheim-Kärlich, THTR Hamm-Uentrop), welcher Hunderte von Millionen D-Mark an Verlusten verursachte und daher einen Beherrschungsvertrag durch die schweizerische Muttergesellschaft zur Folge hatte. Um einer Übernahme (wie bei der AEG) zu entgehen, fusionierte die mittelgroße BBC Ende 1987 mit dem mittelgroßen schwedischen Elektrotechnik-Konzern ASEA zu ASEA Brown Boveri (ABB).

2. Die ABB-Zeit: 1988 – 1999

ABB stellte sich als transnationaler Konzern mit einer Matrix-Struktur und hunderten „Profit-Centers“ auf. Die Konzernleitung mit Percy Barnevik an der Spitze tauschte viele BBC-Manager aus, zerschlug Geschäftsbereiche in kleine GmbHs und beseitigte angebliche Doppelspurigkeiten. Durch das Übergewicht an ehemaligen ASEA-Managern war bei der Angleichung technischer Standards und Produkte meist zugunsten von preisgünstigeren Varianten mit geringerer Qualität entschieden worden, da sie profitabler und mehrheitlich bei der früheren ASEA angesiedelt waren. Hinzu kamen zahlreiche Managementprogramme3, die man kaum überblicken und bewältigen konnte. ABB galt lange als Trendsetter in Sachen Managementsysteme. Für den weltweiten Konzern galt zunächst die Matrixstruktur, dann die Segmentstruktur und später die Triaden-Organisation und am vorläufigen Ende wieder die Länder-Organisation. Das Management beschäftigte sich somit mehr mit sich selbst als mit Kunden.

Es wurde schnell ein internationaler Fertigungsverbund aufgebaut, wobei die Fertigung in den einzelnen Fabriken spezialisiert und die Fertigungstiefe reduziert wurde, was höhere Stückzahlen und damit Rationalisierungsprofite brachte. Im Frühjahr 1988 wurden die ersten Kahlschlagpläne bekanntgegeben: über 4.000 Arbeitsplätze sollten in Deutschland vernichtet werden. Im Standort Mannheim-Käfertal sollten von 9.000 Beschäftigten rund 2.150 gehen. Ab 1989 wurden namhafte Turbinen- und Generatorfabriken in der ehemaligen DDR, Polen, Tschechien, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien, Portugal, Spanien und Indien aufgekauft und in den internationalen Fertigungsverbund als interne Konkurrenz eingegliedert. In diese Fabriken erfolgten dann Produktionsverlagerungen aus Deutschland und der Schweiz. In Deutschland wurden die AEG-Kanis-Industrieturbinen (Nürnberg), die MAN-Fabriken in Nürnberg für Schienenfahrzeuge und Dampfturbinen sowie in den USA der Kesselbauer Combustion Engineering (CE) zugekauft. Die so geschaffenen Überkapazitäten versuchte die Konzernleitung mit Fabrikschließungen und/oder Massenentlassungen abzubauen. Zwischen 50 und 95 % der aufgekauften Beschäftigten wurden entlassen. In Nürnberg wurden beide ehemaligen MAN-Fabriken geschlossen. In Mannheim-Käfertal hatte dieser Kurs über einen längeren Zeitraum folgende Auswirkungen:

  • Verlust der Rotorfertigung für Turbinen und Generatoren
  • Verringerung der Fertigungstiefe
  • Verlust von Reparaturen an Turbogruppen durch Konzentration der Service-Fertigung in speziellen Reparaturfabriken
  • Schließung der Transformatorenbaus, des Modellbaus (für Gussteile) und der Spedition
  • Verlagerung der Entwicklung für Gas- und Dampfturbinen sowie für Generatoren in die schweizerische Muttergesellschaft.
  • Verkauf der Nukleartechnik an den US-Konzern Westinghouse
  • Spaltung des Unternehmens in 87 Gesellschaften und hunderte „Cost-Center“ (1992); Ausgliederung der Bereiche Schienenfahrzeuge, Stromverteilung und -übertragung sowie Industrieanlagen aus dem Betriebsratsbereich Mannheim-Käfertal
  • Einbringen der BBC-Schienenfahrzeugtechnik in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Daimler-Benz (ADtranz), danach Verkauf derselben an Daimler-Benz; später Weiterverkauf an Bombardier.
  • Alle drei Jahre „Restrukturierungen“ mit angekündigten Massenentlassungen in den verbliebenen Bereichen.

1999 stand ABB vor allem wegen Entwicklungsfehlern an zwei schweren Gasturbinenbaureihen, Entschädigungszahlungen an Asbestopfer und des Preisverfalls im Kraftwerksgeschäft am Rande des Konkurses. Allein die Asbestklagen kosteten ABB mehr als 2 Mrd. USD.

3. Die ALSTOM-Zeit: 2000 – 2014

ABB und der französische Konzern ALSTOM legen im Jahr 2000 ihr Kraftwerksgeschäft zusammen. Kurze Zeit später übernimmt ALSTOM den ABB-Anteil und steht im Jahr 2003 selbst kurz vor der Pleite. Hauptursachen sind weitere Verluste mit schweren Gasturbinen, unverkaufte Kreuzfahrtschiffe und Strafzahlungen wegen verzögerter Kesselprojekte infolge drastischen Personalabbaus im Kesselengineering am Standort Stuttgart. Daraufhin übernimmt der französische Staat für rund 3 Mrd. € zeitweilig einen 31%igen Anteil an ALSTOM. EG-Kommissare zwangen ALSTOM, den lukrativen Industrieturbinenbereich an Siemens, die Stromübertragung an AREVA und die Werften zu verkaufen. Es folgte eine kurze Phase der Stabilisierung. Der Standort Mannheim-Käfertal wurde zur „Cashcow“ des Konzerns. Ende der 2000er-Jahre geht es wieder abwärts:

  • ALSTOM verliert weitere Weltmarktanteile bei Gasturbinen.
  • Der Generatorbau in Mannheim wird in 2003 geschlossen.
  • ALSTOM leistet sich schwere Fehlinvestitionen in Turbinen- und Kesselfabriken in Indien, China, USA, Mexiko und Indonesien.
  • Qualitätsprobleme häufen sich.
  • 2010 erfolgt ein verlustreicher Rückkauf der Stromübertragung von AREVA.
  • Ab 2010 drängen chinesische und koreanische Firmen mit Überkapazitäten auf den Weltmarkt, was zu Preisverfall führt.
  • Der Auftragseingang von ALSTOM geht um 40 % zurück.
  • Ständige „Restrukturierungen“ und Überfrachten der Organisation durch neue Managementsysteme, die den unproduktiven Anteil in der Fertigung auf fast 40% erhöhte.
  • Führungshierarchien werden künstlich aufgebläht.

Somit stand ALSTOM im Jahr 2013 mit Schulden von schätzungsweise 7 Mrd. € wieder mit dem Rücken zur Wand. Trotz der Notverkäufe der Bereiche Luftvorwärmer (für Dampfkraftwerke) und Wärmetauscher (für die chemische Industrie) sowie der Schließung des Kesselbaustandortes Neumark (Vogtland) wurde ALSTOM zum Übernahmekandidaten.

4. Der Widerstand
4.1 Ausgangslage

Nach dem 2. Weltkrieg gab es im Betriebsrat drei politische Hauptströmungen: die Sozialdemokratie (SPD6), die Katholische Soziallehre (CDU, KAB) und die kommunistische Strömung (KPD5). Bis 1962 hatten Sozialdemokraten zusammen mit Kommunisten den größten Einfluss. 1961 wurden der kommunistische Dreher und Betriebsratsvorsitzende Hermann Hohl und neun weitere Arbeiterbetriebsräte wegen einer Flugblattaktion fristlos entlassen. Durch eine spontane Arbeitsniederlegung mussten sie wieder eingestellt werden. Nach Denunziation und Entlassung von Hermann Hohl 1962 bekamen sozialpartnerschaftlich und antikommunistisch eingestellte Kollegen aus SPD und CDU die Mehrheit im Betriebsrat.

In den 60er Jahren gab es im Betrieb erstmals mehr Angestellte als Arbeiter (insb. Technische Zeichner, Techniker, Ingenieure). Sie waren damals gegenüber den Arbeitern besser gestellt und wurden selbst von IG-Metallern in die unternehmerfreundliche Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) geschickt. Anfang der 80er Jahre verfügte die DAG über einen Organisationsgrad von rund 25% unter den Angestellten. Zur IG Metall gehörten knapp 10 % der Angestellten und fast alle Arbeiter. BBC galt bundesweit als Hochburg der DAG, die lange Zeit den Betriebsratsvorsitzenden stellte.

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre erstarkten kämpferische, linkssozialdemokratische und kommunistische6 Strömungen in der Belegschaft, verbunden mit einer Politisierung der Gewerkschaftsjugend. Über einen aktiven, kämpferischen Vertrauensleutekörper erringt die IGM wieder die Mehrheit im Betriebsrat. Der sozialdemokratische Maschinenschlosser Dieter Münch wird Betriebsratsvorsitzender und der junge sozialdemokratische Betriebselektriker Udo Belz zum Leiter des IGM-Vertrauensleutekörpers gewählt. Letzterer wurde 1992 Nachfolger von Dieter Münch und in der ALSTOM-Zeit Vorsitzender des Konzern- und Eurobetriebsrats (EBR).

4.2 Strategie

Die IGM entwickelte 1981 das Konzept der „Neuen Beweglichkeit“ als Antwort auf die kalten Flächenaussperrungen des Unternehmerverbands Gesamtmetall während der Tarifkämpfe 1963, 1971, 1973 und 1978. Damit sollte insbesondere ein Durchbruch bei der Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich erzielt werden. Die Tarifrunden 1981 – 1984 dienten zur Einübung. Während des Kampfes um die 35-Std.-Woche wurden 1984 die gewerblichen BBCler sechs Wochen lang ausgesperrt. Statt zuhause zu bleiben besetzten rund 200 Vertrauensleute alle Werkstore. Die Werkleitung übergab dem ausgesperrten Betriebsratsvorsitzenden vor dem Werkstor eine Entlassungsliste mit über 200 Namen. Durch den erkämpften Einstieg in die 35 Std.-Woche wurde diese Liste gegenstandslos, weil das Volumen der erreichten Arbeitszeitverkürzung zur Hälfte auf Arbeitsplätze angerechnet wurde. Dieser Erfolg war die Geburtsstunde des betrieblichen Widerstandes.

1987 kämpften die Belegschaften der Henrichshütte in Hattingen und von Krupp in Rheinhausen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen um die Erhaltung ihrer Standorte. Als sich bei BBC bereits im Frühjahr 1987 eine mögliche Fusion andeutete, schlossen die ersten IGM-Bevollmächtigten aus Mannheim (Peter Toussaint) und Hattingen (Otto König) eine Patenschaft zwischen ihren Verwaltungsstellen. Von BBC-Mannheim fuhren dann Busse voller IGM-Vertrauensleute zur Henrichshütte7 nach Hattingen. Ziel war nicht nur, Solidarität zu zeigen. Es sollte von den dortigen Erfahrungen gelernt und Solidarität eingeübt werden. So kam es zu gegenseitigen Besuchen bei Aktionen, gemeinsamen Seminaren mit Erfahrungsaustausch, Konzerten, Buch- und Schallplattenprojekten im „Dorf des Widerstandes“ in Hattingen. Zusätzlich wurden Ende 1987 gemeinsamen Aktionen mit den IGM-Vertrauensleuten in Rheinhausen organisiert.

Ende 1987 besetzte die Belegschaft der Mannheimer Drais-Werke erfolgreich ihren Betrieb, um ihn vor der Schließung zu retten und ihn zunächst in Eigenregie weiter zu führen. BBCler übten praktische Solidarität. Ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelte sich zur gleichen Zeit mit der Belegschaft der AEG-Kanis-Turbinenfabrik in Nürnberg, die erfolgreich um den Erhalt ihres Standortes kämpfte.

Als dann im Frühjahr 1988 die Kahlschlagpläne der ABB-Konzernleitung bekannt wurden, waren der IGM-Vertrauensleutekörper und der Betriebsrat in der Lage, quasi aus dem Stand einen anhaltenden Widerstand auszulösen. Die Vorarbeit des 1. IGM-Bevollmächtigten und der IGM-Vertrauenskörperleitung (VKL) hatte sich ausgezahlt. Die IGM-Verwaltungsstelle Mannheim initiierte ein Soli-Komitee unter der Schirmherrschaft des DGB, um überbetriebliche Solidarität zu entwickeln. Neben Vertretern fast aller Mannheimer Großbetriebe waren darin auch die beiden christlichen Großkirchen vertreten. Am 20.4.1988 fand in Mannheim eine Großveranstaltung als „Brücke der Solidarität“ mit Vertretern aus Hattingen und Rheinhausen und BBClern statt. Am 8.6.1988 zogen rund 4.000 Kolleg*innen (praktisch alle Arbeiter*innen und erstmals ein größerer Teil der Angestellten) während der Arbeitszeit von Mannheim-Käfertal über die B38 zum Ort der ABB-Aktionärsversammlung im Mannheimer „Rosengarten“. Delegationen u.a. aus Hattingen, Rheinhausen, AEG-Kanis-Nürnberg und Trafo-Union Stuttgart/Kirchheim T. waren zugegen. Die Demonstration wurde am Tag zuvor von der Betriebsratsspitze und der VK-Leitung gegen den Willen der IG Metall-Ortsverwaltung angekündigt. Letztere hatte die unbegründete Angst vor einer spontanen Stürmung der Aktionärsversammlung. Lediglich der Rauch der Rheinhausener Koksöfen zog in den Veranstaltungssaal, so dass auch die Aktionäre riechen konnten: „Rheinhausen ist überall“.

In den ersten neun Monaten nach Bekanntgabe der Kahlschlagpläne fand in fast jeder Woche eine öffentlichkeitswirksame Aktion statt. Hinter ihnen stand folgende allgemeine Strategie:

  • Erhöhung des wirtschaftlichen und politischen Preises geplanter Konzernleitungsmaßnahmen durch aktiven und passiven Widerstand
  • Ausreizen sog. Standortvorteile und „Alleinstellungsmerkmale“
  • Verzögern und Auseinandersetzungen dann führen, wenn die Belegschaft relativ „gute Karten“ hat.

Damit sollten geplante Konzernleitungsmaßnahmen unattraktiver für Kapitalbesitzer gemacht werden.

4.3 Kultur des Widerstandes

Die Anwendung der in den Tarifrunden 1981-1984 eingeübten „Neuen Beweglichkeit“ sowie die Erfahrungen aus Hattingen und Rheinhausen führten bei BBC in Mannheim-Käfertal zu einer jahrzehntelang andauernden Kultur des Widerstandes. Sie bestand aus folgenden Elementen:

  • Einbeziehung der Beschäftigten statt Stellvertreterpolitik
  • Unbestechlichkeit
  • Öffentlichkeitswirksame Aktionen während der Arbeitszeit: Arbeitsniederlegungen, Kundgebungen, örtliche und konzernweite Demonstrationen (mehrmals über die B38 in die Mannheimer Innenstadt, zweimal in Paris), Fackelzug, Autokorso
  • abteilungsweise Besuche beim Betriebsrat
  • zeitweiliger Dienst nach Vorschrift
  • zusätzliche, teilweise mehrtägige Betriebsversammlungen8
  • Öffentliche Zerpflückung von Unternehmenskonzepten
  • Erarbeitung eigener Beschäftigungskonzepte unter Einbeziehung externer Gutachter
  • Internationale Konferenzen mit Gewerkschaftern aus über 100 ABB-Standorten
  • Lautes Nachdenken über eine Betriebsbesetzung (2003)
  • Aktiver IGM-Vertrauensleutekörper mit lebendiger, kritischer Diskussion als Motor des Widerstandes, was anfangs in manchen Fragen zu Spannungen mit Mitgliedern der IGM-Ortsverwaltung führte.
  • Geduldige und beharrliche Mobilisierung und weitere gewerkschaftliche Organisierung des anfangs noch überwiegend passiven Angestelltenbereichs, um ein einheitliches Handeln von Arbeitern und Angestellten und die später erfolgten Übertritte der DAG-Betriebsräte in die IGM zu erreichen
  • Tolerierung statt Ausgrenzung von Vertrauensleuten und Betriebsräten links von der SPD.
  • Zusammenraufen der politischen Betriebsgruppen (SPD, DKP, SDAJ)
  • Gute Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und IGM-VKL
  • Presseverantwortlicher im Betriebsrat
  • Eigene Presseorgane: Betriebsrats-Info und IGM-Vertrauensleutekörper-Nachrichten
  • Ab 2000: geduldige Erarbeitung einer solidarischen Haltung im Konzern- und Eurobetriebsrat von ALSTOM; kein Standort saniert sich auf Kosten eines anderen; Lastausgleich zwischen den Fabriken im Fertigungsnetzwerk
  • Einbeziehung der Politik (Stadtrat, Landesregierung, Bundeswirtschaftsministerium, Kanzleramt)
  • 2003: Gründung des ALSTOM-Chores (Agitprop) unter der Leitung des Mannheimer Liedermachers Bernd Köhler; Soli-Konzerte auch bei anderen kämpfenden Belegschaften.

In den 80er Jahren waren diese Elemente für die meisten Belegschaften und ihre Interessenvertreter Neuland. Heute sind viele davon Bestandteil einer beteiligungsorientierten gewerkschaftlichen Betriebspolitik.

4.4 Ergebnisse

In den 26 Widerstandsjahren der ABB- und ALSTOM-Zeit konnten sich die jeweiligen Konzernleitungen nie voll durchsetzen, ihre Pläne wurden abgeschwächt, verzögert oder gar verhindert. So konnten am Standort Mannheim-Käfertal von den ehemals rund 9.000 Arbeitsplätzen des Jahres 1988 rund 5.000 bis 2014 erhalten werden9. Es gab schleichenden, „sozialverträglichen“ Personalabbau, verringerte Produktionspalette und Fertigungstiefe; d.h. der Rest wurde immer krisenanfälliger. Damit wurden Teilerfolge auch von Jahr zu Jahr schwieriger, da die transnationalen Netze für Produktion und Konstruktion immer komplexer, die Standorte austauschbar und das Druckpotential somit geringer wurde. Schließlich war die internationale Solidarität der Belegschaften außerhalb der EU schwierig herzustellen. Dennoch gelang es mit Ausnahme des Jahres 199810, Entlassungen zu verhindern. 2003 gelang es, die angedrohte Fabrikschließung zu verhindern. Im Gegenzug konnten beispielsweise Konzernzentren für Heißgasbauteile und große Gleitlager sowie für den stillgelegten Generatorbau eine Ersatzproduktion (große Wärmetauscher für die chemische Industrie) festgeschrieben werden. Es gab paritätisch besetzte Innovationsteams sowie gute Interessenausgleiche und Sozialpläne. Bereits 1992 wurde die Sicherung von Individualrechten, Bildung von Standortbetriebsräten für mehrere GmbHs und Konzernarbeitsgemeinschaften des Konzernbetriebsrates11 bei Unternehmensspaltungen tarifvertraglich abgesichert. Leiharbeit und Eingriffe in Tarifverträge konnten abgewehrt werden. Überstunden wurden nur dann vom Betriebsrat genehmigt, wenn Auslerner*innen und befristet Eingestellte übernommen wurden. Wirtschaftlich gute Zeiten wurden genutzt, um die Betriebsrente zu stärken (2008), im Kraftwerksservice neue Arbeitsplätze zu schaffen (2005/2006) und die neue Entgeltstruktur ERA12 ohne Entgeltverluste einzuführen (2006). Schließlich gelang es im Jahr 2000 bundesweit erstmals durch Spruch der Einigungsstelle, Mitbestimmung des Betriebsrates bei Gefährdungsanalysen durchzusetzen.

5. Die GE-Zeit: ab 2014
5.1. Die Übernahme

Angesichts wachsender Schuldenlast drängen Gläubigerbanken und der Großaktionär Bouygues die Konzernleitung von ALSTOM zum Verkauf. Im April 2013 fädeln die Spitzenmanager von General Electric (GE) und ALSTOM heimlich die Übernahme von ALSTOM ein13. Im Juli 2013 wird der Mannheimer Fabrikchef Grödl abgesetzt und Udo Belz (KBR- und EBR-Vorsitzender) verlässt kurzfristig den Betrieb über Altersteilzeit. Weitere Anzeichen für die Schließung der Mannheimer Fabrik mehren sich: Aufträge werden in andere Fabriken umgeleitet, Investitionen und Instandhaltung gestoppt, die Ausbildung runter- und die Fabrik bewusst in rote Zahlen gefahren. Der Betriebsrat setzt Kurzarbeit statt Personalabbau durch. Am 25.09.2013 entscheiden sich Konzernleitung und Verwaltungsrat von ALSTOM heimlich für eine Übernahme durch GE. Übernahmegerüchte werden jedoch dementiert. Im Oktober 2013 bekommt der Mannheimer Betriebsrat Wind von einem geheimen Beschluss der ALSTOM-Konzernleitung, die Fabriken in Mannheim und Bexbach14 zu schließen, was zunächst ignoriert und später der Belegschaft vorenthalten wird. Über Ostern 2014 blockiert die Belegschaft in Mannheim die Fabriktore, um den Abtransport von halbfertigen Bauteilen und Werkzeugmaschinen zu verhindern.

Die deutschen ALSTOM-Betriebsräte und die IG Metall beraten über folgende Alternativen:

  • Verkauf verhindern: Dabei drohe die Gefahr eines Konkurses, bei dem die Beschäftigten leer ausgehen könnten.
  • ALSTOM (teil-)verstaatlichen: Eine Verstaatlichung wäre nur möglich, wenn die Regierungen in Deutschland und Frankreich diesbezüglich einig wären. Dazu fehlte mehrheitlich die Vorstellungskraft.
  • Übernahme durch GE: trotz Risiken hoffte man hier auf eine GE-Expansion in Europa und darauf, dass der Käufer die bereits von ALSTOM beschlossenen Fabrikschließungen rückgängig machen könnte, zumal Teilbereiche bis zum Schluss profitabel arbeiteten. Außerdem rechnete man damit, dass der profitable Kraftwerksservice weitgehend verschont bleiben würde, was bei einer Übernahme durch Siemens unwahrscheinlich wäre.
  • Übernahme durch Siemens: wurde wegen Überschneidung der Fabriken in Deutschland und Überkapazitäten bei Siemens als „sehr riskant“ angesehen; unterschätzt wurden hierbei funktionierende BR-Strukturen und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bei Siemens.
  • Übernahme durch weiteren Bieter: „Ungewiss“; bestenfalls werden nur „Filetstücke“ herausgekauft.

Mehrheitlich wurde somit in Deutschland eine Übernahme durch GE als „kleineres Übel“ favorisiert. Damit ergaben sich unterschiedliche Interessen, was die Chancen auf politische Allianzen gegen die Konzernleitungen von ALSTOM und GE schmälerte:

  • Die ALSTOM-Konzernleitung, die Gläubigerbanken und der Großaktionär Bouygues wollen an den Meistbietenden verkaufen, um Schulden zu tilgen und Aktionäre zu bedienen.
  • Die Regierungen in Deutschland und Frankreich favorisieren einen „europäischen Champion“ aus Siemens und ALSTOM.
  • Die EU-Wettbewerbskommission will Vormachtstellungen auf dem europäischen Markt verhindern und lehnt deshalb einen „europäischen Champion“ ab.
  • Französische Gewerkschaften favorisieren eine Verstaatlichung von ALSTOM.
  • IGM und deutscher ALSTOM-Konzernbetriebsrat sehen in einer Übernahme durch GE das „kleinere Übel“. IGM-Vorstand und Siemens-Konzernbetriebsrat lehnen eine Übernahme durch Siemens ab, weil dadurch auch Arbeitsplätze bei Siemens gefährdet würden.

Am 4.4.2014 gibt GE offiziell ein Angebot über rund 12 Mrd. € ab. Ein Pokerspiel beginnt:

  • 6.2014: Siemens (zusammen mit Mitsubishi) bietet mit.
  • 6.: Siemens (zusammen mit Mitsubishi) erhöht das Angebot.
  • 6.: Der ALSTOM-Verwaltungsrat entscheidet sich endgültig für GE als Meistbietenden.
  • Eine knappe Mehrheit im EBR von ALSTOM entscheidet sich für Widerstand und nationale Verhandlungen; d.h. für Interessenausgleich und Sozialplan in Deutschland.
  • Der französische Staat übernimmt 20 % der ALSTOM-Aktien. Sein Industrieminister erreicht damit eine Beschäftigungsgarantie plus 1000 zusätzliche Arbeitsplätze für Frankreich. Der Standort Belfort wird Fertigungs- und Kompetenzzentrum für Turbinen in Europa.
  • Die Schweizer Regierung verlangt die Rückzahlung von Fördermitteln, falls die Fabrik in Birr geschlossen werden sollte.
  • Im Gegensatz dazu hielt sich der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel bedeckt.
  • Anfang 2015 übernimmt GE mit Auflagen15 der EU das Kraftwerksgeschäft von ALSTOM.
  • Anfang 2016 kündigt GE den Abbau von 900 Arbeitsplätzen in der Schweiz und 1700 in Deutschland an. Die Turbinenfabrik in Mannheim und die Schaufelfabrik in Bexbach sollen stillgelegt, der Standort Stuttgart halbiert und danach geschlossen werden.

Bei den anschließenden Verhandlungen werden die eigentlichen GE-Ziele immer klarer: Es geht um die Beseitigung eines Konkurrenten, den Abbau von Überkapazitäten, besseren Zugang zum europäischen Markt mit seinen Finanzierungsmöglichkeiten, die Übernahme des ALSTOM-Know-hows für Dampfturbinenbaureihen sowie des lukrativen Kraftwerksservice an der weltweit größten Turbogruppenflotte (BBC/ABB/MAN/Bergmann-Borsig/ALSTOM) und schließlich um die Abstoßung des Kesselgeschäftes.

Die Belegschaft am Standort Mannheim-Käfertal ist einem veränderten Kräfteverhältnis ausgesetzt:

  • Sie steht einem erfahrenen, 2013 noch sehr starken Konzern gegenüber, dessen Leitung kompromisslos sowie extrem gewerkschaftsfeindlich ist.
  • Das letzte „Alleinstellungsmerkmal“ und Druckpotential der Mannheimer Fabrik (Fertigung mittlerer und großer Gasturbinen) fällt weg, weil GE dafür selbst ein großes Netzwerk mit Überkapazität besitzt
  • Es vollzog sich ein Generationswechsel in Belegschaft, Vertrauensleutekörper und Betriebsrat und damit auch im Bewusstsein: eine zunehmende Individualisierung und Entpolitisierung als Auswirkung der „geistig-moralischen Wende“ des Neoliberalismus wird spürbar. Nur noch eine Minderheit im Betriebsrat und im Vertrauensleutekörper war parteipolitisch gebildet und gebunden.
  • Die Belegschaftsstruktur verschiebt sich weiter zugunsten der Angestellten (¼ Arbeiter + ¾ Angestellte)

Dennoch beginnt der Widerstand aufs Neue.

5.2. Erneuter Widerstand

Der Widerstand entwickelt sich wieder, jedoch ohne spürbare Wirkung auf GE. Die IGM-Mitgliederwerbung wird intensiviert; der Organisationsgrad steigt auf über 60 %. Immer mehr

Angestellte beteiligen sich an Aktionen. Die Mannheimer Bundestagsabgeordneten schreiben Solidaritätsadressen und knüpfen Kontakte zum Wirtschaftsministerium. Am 22.10.2015 besuchte Wirtschaftsminister Gabriel den Standort Mannheim-Käfertal. Ein Konzept für eine alternative Fertigung in der Mannheimer Fabrik wird mithilfe des INFO-Instituts (Saarbrücken) erarbeitet. Es sieht beispielsweise die Fertigung von Castor-Behältern und großer Komponenten für Windkraftanlagen sowie die großmechanische Bearbeitung für Dritte vor. Es melden sich deutsche Investoren für Ausgründungen einzelner Bereiche. Ende November 2016 wischt GE alle bisherigen Vorschläge des BR vom Tisch und lässt Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan scheitern.

Seit Mitte 2016 laufen Verhandlungen mit dem Schweizer Investor-Konsortium GRANTIRO (Rasenberger Toschek/ BMI Lab), das mit einem industriellen Partner (BaoSteel, China) zusammenarbeitet und Interesse an deutschen GE-Standorten hat. Am 1.12.2016 treffen sich GE und GRANTIRO bei Wirtschaftsminister Gabriel. Am 19.12. unterschreiben IGM und GRANTIRO ein Eckpunktepapier für Übernahme der deutschen Standorte mit Personal und Tarifbindung. Ende 2016 bricht GE die Verhandlungen mit GRANTIRO ab, weil hinter BaoSteel der GE-Konkurrent Shanghai Electric vermutet wird und weil Uneinigkeit über den Kaufpreis und Auslastungszusagen besteht. Gabriel setzt sich weiterhin erfolglos für einen Interessenausgleich mit Sozialplan ein.

5.3. Ergebnis

2017 setzt sich GE in einem Einigungsstellenverfahren beim Arbeitsgericht Mannheim durch: die Fabrikschließungen kommen; von mittlerweile 1800 Beschäftigten bleiben vorerst 700 am Standort Mannheim-Käfertal übrig; ein guter „Sozialplan“ mit Transfergesellschaften (max.2 Jahre) und Abfindungen von  (ca. 1,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr) werden beschlossen.

Im gleichen Jahr kündigt Siemens den Abbau von 3.500 Arbeitsplätzen in der Power&Gas-Sparte an, davon 1400 in Deutschland. 2019 werden diese Zahlen auf 2700 bzw. 1100 reduziert. Die Fabriken in Erfurt und Görlitz bleiben vorerst erhalten.

Im Jahr 2018 brechen Umsätze und Gewinne der GE-Kraftwerksparte ein; die GE- Aktie verliert innerhalb von 3 Jahren rund 80 % ihres Kurswertes. GE hat sich mit dem ALSTOM-Deal verhoben. 2019 baut GE von den noch 600 in Mannheim verbliebenen Stellen weitere 200 ab und kündigt einen weiteren Abbau an. Das ehemalige ALSTOM-Werksgelände wird von GE an die Entwicklungsgesellschaft AURELIS verkauft, die dort in Abstimmung mit der Stadt Mannheim einen Gewerbepark einrichten will.

6. Bewertung

Die Entwicklung des Arbeitskampfes war durch drei Faktoren bestimmt: das jeweilige wirtschaftliche, politische und organisatorische Kräfteverhältnis sowie die Fähigkeiten und den Bewusstseinsstand der kämpfenden Parteien. Einige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Arbeitskampf waren zu Beginn der Auseinandersetzung vorhanden, andere mussten erst geschaffen werden, weitere entwickelten sich spontan während des Kampfes. Deshalb ist eine Übertragung auf andere Verhältnisse immer schwierig.

Die Erfahrungen aus der BBC/ABB/ALSTOM-Zeit zeigen:

  • Betrieblicher Widerstand ist über Jahrzehnte möglich, wenn Teilerfolge erzielt werden. Dadurch wächst die Erkenntnis in die eigene Kraft. Wenn die Wirkungsdauer von Teilerfolgen lang genug ist, haben sich diese Kämpfe gelohnt -auch wenn am Ende nach 35 Jahren eine Niederlage steht.
  • Es ist möglich, aus einer sozialpartnerschaftlichen, überwiegend aus Angestellten bestehenden Belegschaft über Jahre hinweg eine kämpferische zu entwickeln, die die führende Rolle der IGM und der Arbeiterschaft akzeptiert. Gewerkschaftliche Organisationsgrade über 60 % und konzernweite Solidarität sind möglich.
  • Für einen erfolgreichen Widerstand erwies sich eine Kombination folgender Voraussetzungen und Fähigkeiten als vorteilhaft: einheitliches Handeln, offensive Strategie und Taktik, Entfaltung wirtschaftlichen und politischen Drucks, Einschaltung der Politik, konzernweite Solidarität, Herstellung von Öffentlichkeit und kluges Verhandlungsgeschick mit Fähigkeit zu Kompromissen entsprechend den Kräfteverhältnissen. Das funktionierte, weil es neben kämpferischen Sozialdemokraten auch eine einflussreiche marxistische Strömung im Betriebsrat und Vertrauensleutekörper gab, welche nicht ausgegrenzt wurde. Alle aktiven Kolleginnen und Kollegen bekamen volle Unterstützung der Ortsverwaltungen der IG Metall sowie durch ein überbetriebliches Soli-Komitee, das den Brückenschlag zwischen verschiedenen kämpfenden Belegschaften und der Öffentlichkeit herstellte. Nicht zu unterschätzen war die Unterstützung durch Familienangehörige.

Die Erfahrungen aus der Übernahme durch GE zeigen:

  • Wirtschaftlicher Druck ist bei Überkapazität und drohendem Bankrott innerhalb eines transnationalen Konzerns schwer zu entfalten, zumal Alleinstellungsmerkmale von Standorten zunehmend entfielen. Dennoch hätte der Widerstand noch zu ALSTOM-Zeiten 2013 nach den ersten Anzeichen für Fabrikschließungen aufgenommen werden sollen.
  • Die angekündigten GE-Expansionsvorhaben stellten sich als Täuschungsmanöver heraus. Die GE-Druckempfindlichkeit wurde überschätzt. Es wurde nicht für möglich gehalten, dass GE an Plänen auch dann kompromisslos festhält, wenn es für beide Seiten bessere Alternativen gäbe.
  • Der Wirtschaftsminister16 hat seinen Handlungsspielraum nicht ausgenutzt.
  • Es fehlte ein Gesamtkonzept der IGM für die Erhaltung der Arbeitsplätze in der deutschen Branche (Siemens, ALSTOM, MAN Oberhausen, KKK …). Trotz mehrerer Anläufe über den IGM-Branchenarbeitskreis kam kein bundesweiter Widerstand der Belegschaften in den Herstellerbetrieben und den Kraftwerken zustande.
  • Offen bleibt, ob es vorteilhafter gewesen wäre, wenn sich die ALSTOM-Betriebsräte und die IGM für eine Übernahme durch Siemens stark gemacht hätten. Zumindest wäre dann die Unterstützung durch den deutschen und französischen Wirtschaftsminister größer gewesen. Und die IGM wäre gezwungen gewesen, ein Gesamtkonzept für die Branche und die dafür nötige Kampfkraft zu entwickeln.
  • Die Regelungen im Betr.VG. reichen bei Übernahmen durch transnationale Konzerne nicht aus. Eine erweiterte Mitbestimmung (wie im VW-Gesetz) bei Fusionen, Übernahmen, Schließungen, Gründungen und Verlagerungen von Standorten ist nötig. Zusätzlich sind staatliche Eingriffe erforderlich.
  • Belegschaften bzw. Gewerkschaften können im Rahmen des kapitalistischen Systems nur zeitweilige Erfolge erkämpfen. Sie können die Auswirkungen von Konzentration des Kapitals, Überproduktion und Konkurrenz abschwächen und verzögern, sie aber nicht innerhalb des Systems aufheben. Deshalb sollte eine Vergesellschaftung nach Grundgesetz und nach IGM-Satzung wieder vorurteilsfrei in der Gewerkschaft diskutiert und mehrheitsfähig gemacht werden.

Die Belegschaft kam mit aufrechtem Gang aus der Niederlage. Sie hatte den Spruch von Bertolt Brecht verstanden: Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren. Wenn aus einer Niederlage gelernt wird, war sie nicht umsonst.

Anmerkungen:

1)       Über 80 % der Arbeiter*innen waren Facharbeiter.

2.       Dampfturbinen und Wasserkraftgeneratoren waren meist Unikate, die anderen Produkte wurden meist in Kleinserien hergestellt.

3.        Managementprogramme wie „Time Based Management“, „Total Quality Management“, „Six Sigma“ , „Customer Focus“ usw..

4)            Eine SPD-Betriebsgruppe gab es offiziell erst wieder ab 1984.

5)            Die KPD-Betriebsgruppe gab es durchgehend ab 1926; ab 1968 als DKP. 1942 wurde ein Mitglied, der Schlosser Robert Schmoll, wegen Mitarbeit in der Widerstandsgruppe Lechleiter hingerichtet.

6)            Es gab große Betriebsgruppen der DKP (mit Betriebszeitung „Der Blitz“) und der SDAJ (mit Betriebszeitung „Der Feger“) sowie Einzelkämpfer aus BWK, SB, KABD.

7)            Die Henrichshütte war jahrzehntelang bevorzugter Lieferant geschmiedeter Wellenscheiben aus warmfesten Stählen, welche in der Mannheimer BBC-Fabrik zu Turbinenwellen zusammengeschweißt wurden.

8)            Vom 8. – 10. März 1988 fand bundesweit die erste mehrtägige Betriebsversammlung am Standort Mannheim-Käfertal statt. Im Jahre 2005 ging dort eine Versammlung sogar über 5 Werktage.

9)            Wegen Aufspaltung bzw. Verkauf musste hier die Personalsumme aus den Gesellschaften ALSTOM + ABB + Bombardier gebildet werden.

10)          Die Kohl-Regierung änderte den § 112 Betriebsverfassungsgesetz (Betr.VG) dahingehend, dass wenn sich Unternehmensleitung und Betriebsrat nicht innerhalb von 3 Monaten auf einen Interessenausgleich und Sozialplan einigten, das Unternehmen handlungsfrei wurde. Diese Reglung wurde im Jahr 2000 von der Schröder-Regierung wieder rückgängig gemacht.

11)          Diese Möglichkeit wurde später in §3 Betr.VG eingefügt.

12)          Für die Einstufungen nach dem Entgeltrahmentarifvertrag (ERA) wurden über 400 betriebliche Beispiele in einer paritätischen Kommission nach dem Konsensprinzip erstellt. Mit diesen konnten nicht nur die entfallenden Akkord- und Montagezuschläge aufgefangen werden; die neuen Einstufungen lagen im Durchschnitt um anderthalb Entgeltgruppen höher als die Ankerbeispiele im Tarifkatalog.

13)          Bloomberg/ Reuters-Meldung vom 23.4.2013: GE in talks to buy France’s Alstom.

14)          ALSTOM-Schaufelfabrik im Saarland.

15)          U. a. müssen Technik und Produktionseinrichtungen für die schwere Gasturbinenreihe GT24/26 an ANSALDO in Genua verkauft werden. ANSALDO gehört zu 60 % dem italienischen Staatsfonds CDP Equity und zu 40 % zu Shanghai Electric.

16)          Nach seinem Rücktritt als Wirtschaftsminister (2017) wurde Gabriel Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Bank und bei Siemens Energy.

 

Der Autor war von 1978 bis 2016 als Maschinenbauingenieur bei BBC/ABB/ALSTOM/GE in Mannheim-Käfertal tätig. Ab Ende der 80er Jahre war er Mitglied des Betriebsrates sowie der IGM-Vertrauensleutekörperleitung und von 1979 bis 2013 Vorsitzender der DKP-Betriebsgruppe.

 

 

 

 

Der Beitrag erschien in den Marxistische Blätter 2_2021 Neue Impulse Verlag GmbH (neue-impulse-verlag.de) und wird mit freundlicher Genehmigung gespiegelt.

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